Maurus hat geschrieben:Das Ergebnis wäre ja nun unzweifelhaft eine Zersplitterung der Ukraine. Ohne den Osten wäre die Ukraine bloß noch ein Agrarstaat, ohne Süden hätte sie keinen Meerzugang mehr. Das gefällt vermutlich keiner Zentralregierung.
Gestatte bitte, dass sich mein Mitleid mit dieser "Zentralregierung" in Grenzen hält.
Wenn die Zentralregierung und die mit ihr verbündeten Extrem-Nationalisten (die sind das pure Gift für einen Vielvölkerstaat und der Garant für seinen Zerfall) es für nötig hält, die Bewohner bestimmter Regionen zu entrechten, dann darf sie sich über heftige Reaktionen nicht wundern.
(Konstruiertes Beispiel aus Mitteleuropa: Wenn sich in Belgien mit französischer Unterstützung eine nationalistische wallonischsprachige Junta an die Macht putschen würde, die gleich in den ersten Tagen Flämisch und Deutsch als Amtssprachen abschafft, holländische Fernsehkanäle abschaltet, flämische Abgeordnete bedroht, flämische Medienvertreter zum Rücktritt zwingt, wenn wallonische Parlamentsabgeordnete öffentlich den Vorschlag äußern, Massenerschießungen an den "flämischen Separatisten" vorzunehmen usw., was würde dann wohl der flämische Bevölkerungsteil tun? Und inwieweit schuldig an der Eskalation wäre Holland, falls Holland den flämischsprachigen Bevölkerungsteil und seine Forderung nach einem Referendum im Land unterstützen würde?)
Ich fürchte, dass in der Ukraine in den letzten Monaten zu viel Porzellan zerschlagen wurde.
Maurus hat geschrieben:Immerhin werden da Millionen neuer Staatsbürger letztendlich mit Geld gelockt. Hat Russland das?
1.
Falls die Bewohner der südöstlichen Landesteile sich entschließen würden, zu Russland gehören zu wollen, dann wären gerade diese Landesteile der Ukraine das kleinste Problem für Russland. Die wichtigen industriellen Zentren des Landes liegen dort. Für die westukrainischen Nationalisten und die EU-Freunde wäre es allerdings dumm gelaufen, denn nun haben sie aus rein nationalistischer Überheblichkeit oder aus Eu-Idealismus ausgerechnet diejenigen Landsleute und Landesteile verloren, von denen sie bisher mit durchgefüttert wurden und auf deren Kosten sie bisher gelebt haben.
Im Moment scheint mir unter den Aufständischen eher die Stimmung verbreitet zu sein, entweder einen eigenen Staat zu gründen -- ich lese immer wieder den Begriff "Noworossija" (= "Neu-Russland") -- oder aber weiterhin einen Teil der Ukraine mit weitestgehender Autonomie zu bilden, aber wie gesagt ist das nur eine Momentaufnahme meiner subjektiven Eindrücke, die sich morgen durch aktuelle Ereignisse, insbesondere durch Waffengewalt seitens Kiew, schnell wieder ändern kann.
2. Hat denn die EU das Geld? Heute kam in den Nachrichten die Meldung, dass die EU der Ukraine eine Milliarde an Hilfsgeldern überweisen wird. Lächerlich. Das bisschen Kohle reicht nicht einmal annähernd dazu aus, um die aktuellen seit Monaten nicht beglichenen Gasschulden der Ukraine an Russland zu bezahlen.
3. Ja, es ist das Geld bzw. das nackte Überleben (und weniger irgendein Referendum, wie man aufgrund unserer Nachrichten glauben könnte), das im Moment das beherrschende Thema in der Ukraine darstellt. In den kommenden Wochen werden sich dort Mieten, Benzinkosten usw. unter anderem aufgrund von IWF-Vorgaben um 50 Prozent erhöhen. Die ohnehin lächerlich geringen Renten können bis auf 50 Prozent reduziert werden, falls der Rentner noch etwas dazuverdient, um überleben zu können. Viele wissen nicht, wie sie die nächste Zeit überstehen, ihre Miete bezahlen und zur Arbeit kommen sollen. Ich möchte nicht in der Haut der jetzigen bekennenden EU-Romantiker stecken, wenn dort irgendwann die Hungerrevolten als Reaktion auf die derzeitige Politik losgehen.