Ich wollte dem anschließenden Kleinklein vorwegschicken, daß ich eine Verteidigung von John Maynard Smith gegen Sempres Interpretationen letztlich nicht weiter wichtig ist. Was m.E. viel wichtiger ist, ist was ich oben zu den Möglichkeiten geschrieben habe, die sich aus dem thomistischen Menschenbild ergeben. Ob man den Raum der sich da ergibt mit Evolutionstheorie füllt oder nicht ist dann eben "Geschmackssache", entscheidend ist, daß hier füllbarer Raum besteht.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Ist alles bereits beantwortet: Der Mensch hat Vollkommenheiten, die sich bei der Amöbe nicht finden. Oder, in der Terminologie der o.g. Evolutionisten: "There is no theoretical reason to expect evolutionary lineages to increase in complexity with time (, and no empirical evidence that they do so)." Es liegt kein zureichender Grund für eine komplexitätssteigernde Evolution vor. Folglich kann sie nicht passieren, und auch nicht passiert sein. Darüberhinaus wurde entsprechendes auch erst gar nicht beobachtet ("no empirical evidence").
Du mißverstehst. Weder ist Komplexität dasselbe wie eine besser Adaption. Noch ist hier eine Aussage zu finde, daß Komplexität sich nicht evolutionär entiwckeln
kann. Wenn einen Fink evolutionär einen andere Form des Schnabels entwickelt, damit er bestimmte Nahrung besser erreichen kann, ist er dann "komplexer" als sein Vorfahr? Das ist nicht so leicht zu sagen. Es ist klar, sowohl theoretisch als auch empirisch, wie das evolutionär mit der Änderung des Schnabels laufen kann. Es ist den Autoren nach aber nicht klar, wieso man am Anfang nur Einzeller hat und irgendwann später Dinosaurier rumlaufen. Warum gibt es nicht einfach nur viele Varianten von Einzellern, jede bestens an eine Nische angepasst? Und der Zweck dieser Veröffentlichung ist ja genau zu sagen, wie das
evolutionär passieren kann.
Es ist absurd die dramatische Einleitung (das ist eine Veöffentlichung in Nature, da kommt man ohne Getöse nicht rein) in der Mitte abzubrechen und zu sagen: na also, hier geht garnichts. Der Punkt der Veröffentlichung ist ja gerade zu zeigen, wie es gehen kann! Und es ist nichts verwerfliches daran, daß eine wissenschaftliche Theorie weiterentwickelt wird um mehr zu erklären. So funktioniert Wissenschaft nunmal.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Was Du da hervorhebst: Da steht ein "may have been achieved" davor. Das ist die Hoffnung von Evolutionisten, die hoffen, daß ihre Evolution zwar sehr unwahrscheinlich, nicht aber gänzlich auszuschließen sei.
Das ist wissenschaftlicher Jargon. Wissenschaftlern wird eingebimst, daß man extrem vorsichtig mit Aussagen wie "es ist so und nicht anders" sein muß. Man sagt immer "ich vermute das", "dies könnte die Beobachtungen erklären", "die wahrscheinlichste Annahme ist", etc. Es gilt schlicht als unwissenschaftlich, sich auf irgendetwas eindeutig festzulegen. Und schon garnicht sagt man laut "ich habe recht", egal wie sehr man das denkt. Ein Wissenschaftler sagt nicht "hier ist die Lösung" sondern "hier ist ein Lösungsvorschlag". Aus dem Lösungsvorschlag wird dann langsam "die Lösung", wenn andere Wissenschaftler das testen und ausprobieren und für gut befinden. Und noch ein paar Jahrzehnte später kommt das dann in die Lehrbücher als "es ist so" (und meistens, aber nicht immer, geht das gut).
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Diese hier geben ihre Hoffnung nicht auf, obwohl sie klar sagen: Unsere (mathematische) Theorie sagt: kann nicht sein. Unsere Erfahrung sagt: nie beobachtet. Wir glauben dennoch, daß es so gewesen sein muß. Wir schreiben daher hier mal einen Grundlagenaufsatz, der aufzeigt, was unsere Wissenschaft leisten müßte, um irgendwie mal auf einen grünen Zweig zu kommen.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen "die Theorie widerspricht X" und "die Theorie erklärt X nicht". Wenn man dann nämlich X als Fakt beobachtet, hat sich die eine Theorie erledigt während die andere in keiner Weise berührt ist (oder höchstens eine weitere Aufgabenstellung bekommt). Die Aussage hier ist, daß den Autoren nach die Evolutionstheorie den allgemeinen Trend zu höherer Komplexität derzeit nicht erklärt. Die Aussage ist nicht, daß sie diesem Trend
widerspricht.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Auf den grünen Zweig kann sie aber nicht kommen, nicht nur weil alle mathematische Theorie zeigt, daß das nicht hinhaut, sondern vor allem, weil die Behauptung gegen die Grundgesetze des Denkens verstößt.
Von welcher "mathematischen Theorie" redest Du hier bitte? Was es an
mathematischen Theorien zur Evolution gibt, ist recht begrenzt. Die Annahme der Evolution widerspricht nicht den Grundgesetzen des Denkens, und die von Dir herangezogene Veröffentlichung verdammt die Evolutionstheorie nicht sondern erweitert sie um mehr Fakten beschreiben zu können.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Den Jungs geht es um Komplexität. Sagen sie ja. Braucht man ja auch für eine Evolution des Menschen aus der Amöbe. Ob dann irgendjemand den Menschen "besser" findet, interessiert nicht. Was das angeht, machen Szathmáry und Smith das schon richtig.
Nein. Es geht ihnen nicht um "Komplexität" als solche. Es geht ihnen vielmehr um das "Ansteigen der Komplexität" mit der Zeit. Sie sind nicht der Meinung, daß sich nichts Komplexeres entwickeln
kann. Sie wundern sich, warum es das über die Zeiten hinweg anscheinend immer
tut. Und "besser" im von mir erẃähnten Sinne von "besser angepasst" interessiert sehr wohl in der Evolutionstheorie.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Sie wissen, daß komplexitätssteigernde Evolution ohne theoretische Erklärung und ohne empirische Belege halt erst gar nicht Wissenschaft genannt werden kann, und erläutern, worum sich ihrer Meinung nach Evolutionisten mal kümmern müßten.
Nein. Vielmehr ist die Evolutionstheorie theoretisch und empirisch soweit gesichert, daß sie derzeit keine ernstzunehmende Konkurrenz hat. Es ist durchaus richtig, daß "soweit" hier nicht besonders weit ist. Es ist eine ziemlich schwachbrüstige Theorie im Vergleich zu sagen wir mal der Newton'schen Mechanik. Das hat viel mit der Schwierigkeit von relevanten Beobachtungen zu tun. Aber es ist die beste wissenschaftliche Theorie die wir derzeit haben. Die Autoren sagen nun nicht "diese Fakten widersprechen der Theorie". Sie sagen "diese Fakten werden derzeit von der Theorie nicht erklärt" und bemühen sich dann darum, die Theorie so zu erweitern, daß sie es tut. Wissenschaftlich gesehen stellen sich hier viele Fragen: Haben die Autoren überhaupt recht in ihrer Analyse der Situation? Oder ist es so, daß bereits jetzt schon theoretische und empirische Gründe bekannt sind? Sind die vorgeschlagenen Erweiterungen in der Lage, das angebliche Problem zu lösen? Und falls ja, sind ihre Methoden die besten oder gibt es andere Möglichkeiten, die vorzuziehen wären? Usw. usf. Wissenschaft halt. Was sich hier aber absolut nicht als Frage stellt ist: Evolution ist falsch, was sollen wir bloß tun?
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Die behauptete, komplexitätssteigernde Evolution zu erklären, bedeutet zu erklären, warum sie stattgefunden hat und warum sie nicht vielmehr nicht stattgefunden hat. Ein Anfang wäre, theoretisch zu zeigen, wie komplexitätssteigernde Evolution möglich sein könnte, und sei es im Rechnermodell, oder aber komplexitätssteigernde Evolution eines Organismus zu demonstrieren. Das würde wenigstens schon mal zeigen, daß eine solche Evolution grundsätzlich möglich ist. Wer denken kann, weiß allerdings, daß das nicht möglich ist.
Ich kann ganz gut denken. Ich halte es für offensichtlich möglich, und ich kann problemlos ein mathematisches Modell programmieren, das mit der Zeit komplexere Strukturen hervorbringt (siehe unten). Der Grundsatz ist hier wirklich nicht das Problem. Schwierig ist es vielmehr Modelle zu konstruieren, die der Natur entsprechen. Weil die Natur eben voller Dinge ist und man beim Modellieren immer eine sehr begrenzte Auswahl treffen muß. Wie wählt man so aus, daß man noch etwas über die Natur lernt?
Die Frage ist hier zunächst einmal: was meinst Du denn überhaupt mit "Komplexität" und was erlaubst Du zu ihrer Entwicklung? Hier etwa ist ein kleines Matlab Programm, daß bzgl. der meisten Maße der Komplexität diese iterativ tausendfach steigert:
u = rand();
for n = 1:999
u = [u, rand()];
end
Es würfelt eine Zufallszahl, und fügt dann anschließend schrittweise 999 weiter Zufallszahlen hinzu. Wachsende Komplexität, denn Zufallszahlen sind sehr komplex mathematisch gesehen... Das hattest Du nicht im Sinn? Aha. Was hattest Du im Sinn? Inwiefern kannst Du den Dinosauerier als komplexer als den Einzeller definieren, so daß ich Dir nicht mit irgendeinem deppigen Programm kommen kann, daß die Aufgabe formal erfüllt ohne die Frage in Deinem Kopf zu beantworten? Der arme John Maynard Smith, dessen Veröffentlichtung Du hier mißbrauchst, war eben genau jemand der sich um solche Fragen kümmerte.
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Du willst aber ja nicht irrational genannt werden. So hatte ich jedenfalls Deinen ersten Beitrag oben verstanden. Seit wann "glaubt" denn ein rationaler Zeitgenosse an Evolution, an Wissenschaft. Wissenschaft überzeugt entweder, oder es handelt sich um Arbeitshypothesen, oder um Schrottschaft. Wissenschaft dient dem Zweck, daß man weiß, oder nicht weiß, im letzteren Fall aber weiß, daß man nicht weiß.
Ich bin Wissenschaftler. Vielleicht hörtst Du einfach mal einem Wissenschaftler zu wie die Wissenschaft so geht, statt ihn darüber zu belehren? Einerseits ist nichts jemals sicher in der Wissenschaft, alles ist immer hinterfragbar und kann von der nächsten Beobachtung ausgehebelt werden. Andererseits kann man nicht denken oder arbeiten ohne etwas als gegeben anzunehmen. Und die Unsicherheiten sind eben nicht strukturlos. Es gibt Sachen da sind wir uns so sicher, daß wir sie für praktisch unumstößlich halten. Es gibt andere, die sind wenig mehr als hoffnungsvoll geraten. Und alles dazwischen. Die Aufgabe eines Wissenschaftlers ist es nun immer, eine Auswahl an Dingen zu treffen die für wahr vorausgesetzt zu werden, und dann nach Lücken zu fahnden, oder andere Teile anzugehen und entweder weiter zu sichern oder abzulehnen, jedenfalls in ihrem Status zu verändern. Der erste Schritt ist aber eine Form des Glaubens, nicht in einem religiösen Sinne, sondern ein Zweckglaube, eine Arbeithypothese - so ähnlich wie ein Auswahl an Axiomen in der Mathematik, nur eben daß man weiß daß die "Axiome" hier selber immer prinzipiell fragwürdig bleiben. In der Biologie gilt die Evolutionstheorie als eine gutes "Axiom" in diesem Sinne - wenn man daran "zweckglaubt" hilft das oft bei dem was man gerade untersuchen will. Es ist weiterhin möglich, daß sie grundsätzlich "falsch" ist. Es ist wahrscheinlicher, daß sie richtige Elemente enthält und andere Dinge die verbesserungswürdig sind. Warum? Weil es meist kein Zufall ist, wenn etwas "funktioniert".
Sempre hat geschrieben: ↑Donnerstag 4. November 2021, 02:37
Du hast eingewandt, daß man sich eine Evolution vorstellen kann, die nicht der Lehre der Kirche widerspricht. Ich hatte das als Alternative zur Evolution der "wissenschaftlichen" Evolutionisten vorher bereits als lachhaft bezeichnet. Denn man kann sich auch ein Spaghettimonster hinter der Venus vorstellen. Vorstellungen sind halt Vorstellungen, bzw. Einbildungen, und keine Wissenschaft. Genau wie es bei der Einbildung einer komplexitätssteigernden Evolution auch der Fall ist.
Der entscheidende Punkt meiner Erwiderung war, daß die Kirche keine Lehre zur Herkunft des menschlichen
Körpers vertritt (außer in dem allgemeinen Sinne, daß Gott alles geschaffen hat). Du magst die Evolution aus irgendwelchen Grüden ablehnen, gar für lachhaft finden. Darüber kann man reden. Es ist aber wichtig zu sehen, daß das keinen weiteren Einfluß auf den Glauben hat. Evolution kann sein, oder nicht, was die Lehre der Kirche angeht. Ein Konflikt zwischen Evolutionstheorie und Glaube ergibt sich nur dann, wenn behauptet wird, daß alle geistige Aktivität des Menschen, insbesondere auch jede Regung der Vernunft, evolutionär begründet sei. Und der Grund für diesen Konflikt ist dann, daß angenommen wird, dies sei alles körperlich gebunden. In anderen Worten, Evolutionstheorie wird nur dann zum Problem für den Glauben, wenn sie mit Materialismus verwechselt wird. Materialismus, nicht Evolutionstheorie bzgl. biologischer "Materialien", ist ein Problem für den Glauben.