Urteil im Fall Daschner um Folterdrohungen der Polizei

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Geronimo

Urteil im Fall Daschner um Folterdrohungen der Polizei

Beitrag von Geronimo »

Urteil im Fall Daschner um Folterdrohungen der Polizei erwartet


Frankfurt/Main (dpa) - Im Prozess um Folterdrohungen der Frankfurter Polizei soll heute das Urteil fallen: Angeklagt ist vor dem Landgericht der Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner. Mit auf der Anklagebank sitzt der 51 Jahre alte Vernehmungsbeamte, der auf Daschners Weisung den Entführer des Bankierssohns Jakob von Metzler mit Gewalt bedrohen sollte. Der verurteilte Mörder Magnus Gäfgen hatte vor Gericht schwere Vorwürfe gegen den Vernehmungsbeamten erhoben.
(Yahoo vom 20.12.04)

Ich bin mal gespannt ...

Uns Frankfurter geht und ging das alles besonders nah.

Geronimo

Lucia

Beitrag von Lucia »

Hier ein bericht aus dem Handelsblatt. Geldstrafe auf Bewährung heißt ja wohl, dass sie nur dann zahlen müssen, wenn sie noch mal Mist bauen.

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Corvus
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Beitrag von Corvus »

Und wie wertet ihr dieses Urteil?
~Carpe Noctem~

kaisa
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Beitrag von kaisa »

Das Urteil ist sehr milde. Es zeigt ein grundlegendes Dilemma auf: für den Polizisten kann man nur Verständnis äußern, wenn dieser, um das Leben des Kindes zu schützen, massiven Druck ausübt. Auf der anderen Seite leben wir in einem Staat der aus historischen Gründen auf genau solche Mittel verzichten möchte. Auch das ist verständlich. Ich bin froh nicht als Richter einen solchen Fall verhandeln zu müssen.

kaisa
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Beitrag von kaisa »

in der Tat blieb es bei einer Drohung. Welche dienstrechtlichen Konsequenzen Daschner noch zu spüren bekommt, ist soweit ich weiß noch offen. Das muss Innenminister Bouffier entscheiden. Der hat sich aber schon für eine "angemessene" Verwendung von Daschner eingesetzt - also zur Entlassung wird es nicht kommen, was bei einem Beamten aber sowieso schwierig - und bei diesem Urteil sogar unmöglich sein dürfte.

anselm
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Beitrag von anselm »

Edith hat geschrieben:sagen wir mal so.... wenn die Hand angelegt hätten.... (soweit ich weiß, blieb es ja bei einer Androhung?)... hätte man höher bestrafen müssen.

Ich bin allerdings der Meinung, dass der Mann - bei allem Verständnis - aus dem Polizeidienst entlassen werden müsste. Alles andere, ist mir zu wenig.
In der ZEIT von letzter Woche steht ein interessanter Kommentar eines Strafrechtlers zu diesem Fall. Er argumentiert (jedenfalls nach meinem Verständnis) sehr überzeugend dafür, dass Daschner eigentlich freigesprochen werden müsste. Das entscheidende Argument geht davon aus, dass Daschner im Sinne eines Notstandes gehandelt habe und eine Güterabwägung zwischen Würde des Opfers und Würde des Täters durchführen musste. D.h., Daschner wollte dem Opfer zu Hilfe kommen und dabei kann es sein, dass der Täter "unter die Räder" kommt.

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Gesetzt den Fall, Ihr wüsstet, dass das Opfer, ein Kind, noch lebt, dass es aber, wenn es nicht innerhalb zwei oder drei Stunden gefunden wird, sterben wird. Und Ihr wisst keinen anderen Weg mehr das Kind zu finden als jenen, den Daschner ging.

Was würdet Ihr tun? Daschners Wahl treffen? Oder nichts tun?

Es gibt Fragen, da sind alle Antworten falsch.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt mach´s wie deine Brüder", so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor."

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Edi
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Beitrag von Edi »

Ich hätte nicht in der Situation Daschners sein wollen. Hätte er tatsächlich mit der Androhung das Leben des Kindes noch gerettet, hätte jeder Beifall gegeben. So wie der Fall war, hat die Androhung auch nichts mehr bewirkt. Aber wer konnte das schon vorher wissen. Auf der einen Seite ist die Unversehrheit auch des Entführers ein hohes Rechtsgut. Aber die des Entführten nicht minder.
Frage: was würdet ihr tun, wenn es um euer eigenes Kind ginge? Ich habe gelesen, dass in dem Fall eine Androhung z.B. des Vaters des Kindes rechtlich nicht beanstandet werden könnte.
In Extremfällen gibt es nunmal Grenzsituationen, wo jede Handlungsweise
rechtlich verwerflich sein kann oder auch moralisch. Die Richterin hat ja ein Beispiel konstruiert, wo viele Menschen evtl.den Tod hätten finden können und auch da sei ein solche Androhung nicht zulässig. Ich würde allerdings dazusagen, nur solange, als ihre eigene Familie nicht zu denen zählen würde, die dabei umkommen. Der schöne Rechtsstaat, von dem immer die Rede ist, hat da eine Grenze, wo es harte Grenzsituationen gibt. Keiner will da natürlich eine Lawine lostreten, weil jeder Bedenken hat, es könne bald zu bekannten Unrechtszuständen kommen.
Zuletzt geändert von Edi am Mittwoch 22. Dezember 2004, 16:51, insgesamt 4-mal geändert.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Das Urteil ist sehr milde. Persönlich bin ich für Daschner froh, der nun wirklich kein Bruder Leichtfuß in diesen Dingen ist. Prinzipiell aber muss so etwas verurteilt werden, selbst wenn es nur im Ansatz stattfindet oder auch noch so menschlich verständlich ist.

Die Familie von Metzler ist in Frankfurt sehr angesehen und beliebt; bei allem Entsetzen aber und auch bei aller tief empfundenen Wut gegenüber dem Täter, darf man nicht aus Gefühlen heraus den Rechtsstaat aushebeln.

Es ist ja das alte Dilemma - man wird es hier gefühlsmässig gutheissen, dass jemand diesem Milchbubi, der Jakob auf dem Gewissen hat, evtl. eine scheuert - aber wenn man einmal so etwas auch nur den Hauch von Rechtsstaatlichkeit verleiht, ist der polizeilichen oder staatlichen Willkür Tür und Tor geöffnet.
Und die kann dann jeden treffen.

Geronimo

Gast

Beitrag von Gast »

Geronimo hat geschrieben:Prinzipiell aber muss so etwas verurteilt werden, selbst wenn es nur im Ansatz stattfindet oder auch noch so menschlich verständlich ist.
Ich denke, dass das Herrn Daschner selbst auch klar ist.

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Stellen wir uns mal vor das Kind wäre durch Daschners Handeln, der Androhung von körperliche Folter, gerettet worden. Hielten dann jene von Euch, die Daschners Handeln jetzt für falsch halten, dieses Handeln dann auch für falsch? Würdet Ihr sagen: das Kind wäre besser gestorben als mit diesen Mitteln gerettet?

Ich wiederhole: es gibt imo Fragen, da ist jede Antwort falsch.
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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Wenn das Handeln falsch ist, warum handelst Du dann so?

Nicht vielleicht deshalb, weil das Handeln in dieser einen konkreten Situation bei aller "Falschheit" doch zugleich richtig war?
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Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Franziska hat geschrieben:
Geronimo hat geschrieben:Prinzipiell aber muss so etwas verurteilt werden, selbst wenn es nur im Ansatz stattfindet oder auch noch so menschlich verständlich ist.
Ich denke, dass das Herrn Daschner selbst auch klar ist.
Ja, natürlich. Sonst hätte er sich ja nicht selbst angezeigt. Er weiß wohl, dass die Gefühle mit ihm durchgegangen sind. Und dass er nicht rechtens gehandelt.

Erich D.'s Frage zeigt natürlich das Dilemma in ganzer Breite - ja, man ist versucht, zu sagen - wäre das Kind gerettet worden, hätte man zwei Augen zugedrückt. Das ist aber genau das gefährliche Pflaster, auf das man sich gedanklich dann begibt. Denn wo zieht man dann eine Grenze?

Markus G. hat sich übrigens vor einiger Zeit über die Haftbedingungen beschwert :roll:

Geronimo

anselm
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Beitrag von anselm »

Nehmen wir mal den Fall, du siehst, wie ein Entführer jemanden in seine Gewalt bringt und greifst den Entführer an. Angenommen, der Täter wird dabei verletzt. In diesem Fall würdest du natürlich straffrei ausgehen.

Du hättest sogar in jeder Beziehung richtig gehandelt. Im Falle Daschner liegt der Unterschied vor allem darin, dass der Täter nicht in flagranti ertappt wurde. Außerdem hat er Folter nur angedroht, während in dem obigen Beispiel der Täter sogar wirklich verletzt werden könnte.

Vielleicht hat Daschner ein Problem mit seiner Stellung als Polizist (im Sinne des Polizeirechts). Aber ich finde dass er als Mensch richtig gehandelt hat, weil er einem anderen Menschen (dem Entführungsopfer) geholfen hat.

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Edi
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Beitrag von Edi »

anselm hat geschrieben:
Nehmen wir mal den Fall, du siehst, wie ein Entführer jemanden in seine Gewalt bringt und greifst den Entführer an. Angenommen, der Täter wird dabei verletzt. In diesem Fall würdest du natürlich straffrei ausgehen.

Du hättest sogar in jeder Beziehung richtig gehandelt. Im Falle Daschner liegt der Unterschied vor allem darin, dass der Täter nicht in flagranti ertappt wurde. Außerdem hat er Folter nur angedroht, während in dem obigen Beispiel der Täter sogar wirklich verletzt werden könnte.

Vielleicht hat Daschner ein Problem mit seiner Stellung als Polizist (im Sinne des Polizeirechts). Aber ich finde dass er als Mensch richtig gehandelt hat, weil er einem anderen Menschen (dem Entführungsopfer) geholfen hat.
Es ist ja auch irgendwo angeklungen, dass beispielsweise ein betroffener Vater, dem Entführer durchaus hätte Schmerzen androhen dürfen, falls er den Aufenthaltsort seines Kindes nicht angibt. Dem Vater hätte man rechtlich nichts anhaben können. Davon war auch die Rede.

anselm
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Beitrag von anselm »

Hm, interessantes Beispiel :roll:

Aber es geht nicht um darum, dass z.B. Polizisten Unrecht tun dürfen, um jemanden zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, sondern um sehr spezielle und (hoffentlich) sehr seltene Ausnahmesituationen, bei denen eine extreme Notsituation besteht.

Praktisch gesehen könnten zwischen Folter (in milder Form) und (psychisch wie physisch) stark belastenden Verhören auch nur ein marginaler Unterschied bestehen.
Aber ich muss zugeben, dass ich meine Kenntnisse des Polizeialltags nur aus einschlägigen Kriminalfilmen beziehe. Vielleicht ist das nicht ganz repräsentativ. 8)

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

Warum darf ein Rechtsstaat einen verurteilten Schwerverbrecher zwar hinrichten, aber nicht lebensrettende Informationen aus ihm herausfoltern?

Impliziert nicht die Billigung der Todesstrafe im Gegensatz zum humanistischen Modell, daß man sich seiner eigenen Würde durch willentliche Verletzung der Verstandesordnung sehr wohl entäußern kann? Was also stünde in einem solchen Fall der Folter entgegen?

anselm
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Beitrag von anselm »

Pelikan hat geschrieben:Warum darf ein Rechtsstaat einen verurteilten Schwerverbrecher zwar hinrichten, aber nicht lebensrettende Informationen aus ihm herausfoltern?

Impliziert nicht die Billigung der Todesstrafe im Gegensatz zum humanistischen Modell, daß man sich seiner eigenen Würde durch willentliche Verletzung der Verstandesordnung sehr wohl entäußern kann? Was also stünde in einem solchen Fall der Folter entgegen?
Abgesehen davon, dass ich die Todesstrafe ablehne, liegt ein wichtiger Unterschied darin, dass erst der überführte und verurteilte Verbrecher hingerichtet wird.

Folter zum Zweck der Beweissicherung und Überführung eines Täters führt aber sicherlich häufig zu
- Folter an Unschuldigen,
- falschen Geständnissen, um der Folter zu entgehen.

Im Fall Daschner war - soweit ich informiert bin - schon klar, dass man den Täter gefasst hatte. Die zwei genannten Probleme wären dann also nicht aufgetreten. (wohl aber andere).

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Corvus
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Beitrag von Corvus »

Ich sags mal so: Hätte Otto Normalo unter den gleichen Umständen jemandem Folter angedroht, wäre er hart dafür bestraft worden, weil Selbstjustiz nich is.
Warum sollte es bei einem Polizisten anders gehandhabt werden?
~Carpe Noctem~

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Es sind doch zwei verschiedene Dinge, ob eine Privatperson jemandem etwas androht oder ob ob es sich bei dem Drohenden um einen Polizisten handelt.
Für letzteren gelten andere Bedingungen, da er den Staat verrtritt. Wenn ich als Vater dem vermeintlichen Mörder meines Sohnes etwas androhe oder ihn gar töte, ist das Selbstjustiz und wird wohl geahndet werden. Im Falle der Polizei handelt es sich um Nötigung und so etwas darf der Staat nicht.

Dass das Urteil sehr milde war, liegt sicher am Fall selbst und nicht daran, dass es sich hier um einen Polizisten handelt.

@Pelikan - bei uns gibt es keine Todesstrafe. Deshalb kann man das hier auch in dem Zusammenhang schlecht diskutieren. Wir haben keine amerikanischen Verhältnisse.

Ich möcht noch mal zu bedenken geben, dass eine Verwässerung unseres Rechtssystem (nach dem Motto - hier und da könnte doch mal erlaubt sein, ein bißchen härter durchzugreifen) für jeden einzelnen von uns negativ ist. Man weiß ja nie, wie sich die Zeiten ändern und wie weit Gesetze plötzlich ausgeweitet werden. Man muss rechtsstaatliche Prinzipien m.E. immer danach messen, ob sie auch in falschen Händen noch ihren eigentlichen Gehalt bewahren.

Geronimo

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