Johannesevangelium - Verfasser?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Geronimo

Johannesevangelium - Verfasser?

Beitrag von Geronimo »

Irgendwo (ich find es jetzt hier nicht mehr) hat jemand (Ralf?) vor ein paar Tage etwas zum Johannesevangelium gesagt - Verfasserschaft; so etwa, dass er den Gedanken bevorzuge, dass tatsächlich der Lieblingsjünger Jesu dieses Evangelium verfaßt habe. Dazu würde ich gern mehr wissen. Gibt es da Aussagen dazu?

Geronimo

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Juergen
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Re: Johannesevangelium - Verfasser?

Beitrag von Juergen »

Geronimo hat geschrieben:Irgendwo (ich find es jetzt hier nicht mehr) hat jemand (Ralf?) vor ein paar Tage etwas zum Johannesevangelium gesagt - Verfasserschaft; so etwa, dass er den Gedanken bevorzuge, dass tatsächlich der Lieblingsjünger Jesu dieses Evangelium verfaßt habe. Dazu würde ich gern mehr wissen. Gibt es da Aussagen dazu?
Ja gibt es.

Eine Antwort lautet:
Der Lieblingsjünger Jesu hat das Johannesevangelium verfasst.

Eine andere Antwort lautet:
Der Lieblingsjünger Jesu hat das Johannesevangelium nicht verfasst.

------------------
Josef Ernst, der emeritierte Prof. für NT-Exegese in Paderborn vertritt z.B. die Auffassung, daß der Lieblingsjünger der Verfasser des 4. Evangeliums ist. (vgl. J. Ernst: Johannes - Ein theologisches Portrait. Düsseldorf : Patmos, 1991)

Sein Schüler - Knut Backhaus - ehem. Prof. für NT-Exegese in Paderborn (jetzt München) vertritt die gegenteilige These.
Gruß Jürgen

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Komische Frage. Natürlich ist der Apostel Johannes auch der Evangelist. Und der „Lieblingsjünger“.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Komische Frage. Natürlich ist der Apostel Johannes auch de Evangelist. Und der „Lieblingsjünger“.
Oder auch nicht (wie einige meinen).
Gruß Jürgen

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Dass der Apostel Johannes das vierte Evangelium geschrieben hat, wird zum ersten Mal von Irenäus behauptet. Diese These ist aber heute auch von konservativeren katholischen Exegeten weitestgehend aufgegeben worden. Gegen Johannes als Verfasser spricht vor allem der Abstand des Johannesevangeliums von den synoptischen Evangelien. Die andere Art der Darstellung, die andere Theologie, v.a. die an nachösterlicher Perspektive orientierten Denkwelt lassen darauf schliessen, dass das Johannesevangelium nicht von einem Augenzeuge des Lebens Jesu geschrieben worden ist.
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Hmmm, der Tradition zufolge hat Johannes als (sehr) alter Mann sein Evangelium in Griechenland geschrieben. Was spricht dagegen? Ich kenne einige alte Leute, die jetzt anders denken und schreiben als zu jüngeren Zeiten.

Benedikt

Beitrag von Benedikt »

Wenn man die historisch-kritische Exegese auf Goethes Werk anwendet, sind zumindest der Faust und die Leiden des jungen Werther von zwei unterschiedlichen Autoren verfasst worden. Wenn man die Drewermannsche historische Psychologie auf Goethes Werk anwendet, kann Goethe den Faust gar nicht geschrieben haben, weil er sich nach der Autorenschaft des Werther längst umgebracht hat. ;-)

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Niels
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Beitrag von Niels »

cathol01 hat geschrieben:Dass der Apostel Johannes das vierte Evangelium geschrieben hat, wird zum ersten Mal von Irenäus behauptet.
Immerhin war er Schüler des Johannes-Schülers Polykarp und verfügte noch über "Insider-Wissen". Da er im 2. Jh. lebte, war er überdies einige Jahrhunderte näher am Geschehen als Du und ich. Auch hat vor Irenäus, soweit ich weiß, niemand "behauptet", der Apostel Johannes sei nicht der Autor bzw. einen anderen als Autor genannt.
cathol01 hat geschrieben:Diese These ist aber heute auch von konservativeren katholischen Exegeten weitestgehend aufgegeben worden.
Na und? Das sagt nichts darüber aus, ob der Apostel Johannes tatsächlich der Verfasser war oder nicht.
cathol01 hat geschrieben:Gegen Johannes als Verfasser spricht vor allem der Abstand des Johannesevangeliums von den synoptischen Evangelien. Die andere Art der Darstellung, die andere Theologie, v.a. die an nachösterlicher Perspektive orientierten Denkwelt lassen darauf schliessen, dass das Johannesevangelium nicht von einem Augenzeuge des Lebens Jesu geschrieben worden ist.
Das ist ein Widerkäuen der Exegese des letzten Jahrhunderts - mehr nicht. Die dortigen Begründungen sind schwach, vielfach sind es reine Vermutungen oder Behauptungen.
Da Johannes (und die anderen ntl. Autoren) nun mal nach der Auferstehung Jesu schreiben (wann auch sonst?), ist es absurd, ihnen "die an nachösterlicher Perspektive orientierten Denkwelt" zum Vorwurf zu machen. Außerdem wollen sie ja gerade die Auferstehung Jesu verkünden...

Die neuere Forschung beginnt übrigens die Detailgenauigkeit des Joh-Ev wieder zu würdigen...
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Niels
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Beitrag von Niels »

Benedikt hat geschrieben:Wenn man die historisch-kritische Exegese auf Goethes Werk anwendet, sind zumindest der Faust und die Leiden des jungen Werther von zwei unterschiedlichen Autoren verfasst worden.
und auf den "Bellum Gallicum" angewandt, ergibt sich: Caesar hat nie gelebt... ;D
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Benedikt hat geschrieben:Wenn man die historisch-kritische Exegese auf Goethes Werk anwendet, sind zumindest der Faust und die Leiden des jungen Werther von zwei unterschiedlichen Autoren verfasst worden. Wenn man die Drewermannsche historische Psychologie auf Goethes Werk anwendet, kann Goethe den Faust gar nicht geschrieben haben, weil er sich nach der Autorenschaft des Werther längst umgebracht hat. ;-)
Ob virtuelle internettische Aktivitäten der hist.-krit. Exegese standhalten? :kratz:
Gibt es Dich überhaupt? :kratz:
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

cathol01 hat geschrieben:»Daß der Apostel Johannes das vierte Evangelium geschrieben hat, wird zum ersten Mal von Irenäus behauptet.«
Ich würde mal Papias nicht ganz vergessen, Thierry, der den Apostel noch selber gekannt hat. Das heißt, die früheste Nachricht, daß der Verfasser des vierten Evangeliums der Zebedæussohn Johannes ist, ist maximal wenige Jahrzehnte – wahrscheinlich kaum zwei Jahrzehnte – älter als des Evangelium selbst. Aus letztlich derselben Tradition kommt im übrigen Irenæus, der Schüler des Apostelschülers Polycarp.
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Niels
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Beitrag von Niels »

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Euseb hat den Papias, den er da dankenswerterweise in Auszügen zitiert, leider mißverstanden – oder mißverstehen wollen, um ein Argument zu haben, die Apocalypse aus dem Canon zu kippen.

Bloß als Andeutung für jetzt. Kann ich vielleicht später noch mal genauer erklären.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

J. Ernst: Johannes. Ein Theologisches Portrait:
J. Ernst (S.10f.) hat geschrieben:...Unser Interesse richtet sich im Rahmen des angedeuteten Kommunikationsprozesses auf das geistige Bild jenes Mannes, der den Namen des Herrenjüngers Johannes trägt. Wer war er? Seit Irenäus von Lyon bis hinein in die jüngste Zeit war es fast einhellige Meinung, der Zebedäussohn Johannes (Mk 1,19 par), der sogenannte Lieblingsjünger, sei der Verfasser des vierten Evangeliums.
Die Umstände der johanneischen Lieblingsjüngerberichte, die Quellenlage und die schwimmenden Übergänge zwischen Realistik und Symbolik mahnen zwar zur Zurückhaltung und Vorsicht, auf der anderen Seite muß man die einhellige Meinung der kirchlichen Tradition ernst nehmen. Irenäus beruft sich auf das Zeugnis des Polycarp von Smyrna (+ 155 n. Chr.), der den Herrenjünger Johannes nach eigener Aussage persönlich gekannt hat (überliefert bei Eusebius, Kirchengeschichte V, 20, 6). Die ersten Irritationen kommen mit den unscharfen und schwer verständlichen Aussagen über den sogenannten Presbyter Johannes auf. Papias von Hierapolis (Kirchengeschichte III, 39, 3f.), der wichtigste Gewährsmann für diese Überlieferung, sprocht von den Presbytern und nennt im gleichen Zusammenhang neben Andreas, Petrus, Philippus, Thomas, Jakobus und Matthäus auch den Namen Johannes, aber eine direkte Identifizierung mit dem Zebedäussohn Johannes liegt nicht vor. Bemerkenswert ist dagegen die enge Beziehung zwischen dem Presbyter Johannes und einem gewissen Herrenjünger Aristion (Eusebius, Kirchengeschichte III, 39, 4.7.14). Nach der von Eusebius vorgelegten Deutung (Kirchengeschichte III, 39, 5) ist dieser Presbyter nicht der Apostel, sondern ein von diesem zu unterscheidender Jünger, möglicherweise wie Aristion ein unbekannter Augenzeuge oder aber ein Mitglied der frühen christlichen Gemeinde. Eben dieser später zum Presbyter (der Alte) avancierte Jünger kann trotz der sperrigen Aussage des Eusebius, der den in der Apostelreihe genannten Johannes als Evangelisten ausgibt, doch als der wirkliche Verfasser angesehen werden. Die Hypothese ist zwar immer wieder, vor allem wegen des Fehlens einer durchschlagenden Begründung und der unsicheren Quellenlage, in Frage gestellt worde, aber von einer eindeutigen und zwingenden Widerlegung kann nicht die Rede sein. Die Presbyterhypothese verdient nach meinem Dafürhalten stärkere Beachtung, als es heute der Fall ist. ...
Zum Verhältnis "Lieblingsjünger" - Autor des Evangeliums
J. Ernst (S. 26) hat geschrieben:...Die kirchliche Tradition hat mit dem Bezug auf den Apostel Johannes die Anonymität pseudonym umgedeutet und einen Trend zur apostolischen Vereinnahmung des schwer einzuordnenden Werkes Rechnung getragen. Das Werk des Anonymus aus der johanneischen Schule erhält einen repräsentativen Namen. Wenn nicht Johannes, der Zebedäussohn, aber auch nicht der große Unbekannte aus der Spätzeit des Neuen Testaments oder gar das unpersönliche Autorenkollektiv, darf man dann vielleicht auf jenen Presbyter setzten, von dem schon in der älteren Tradition die Rede ist? Unter der Voraussetzung, daß es sich um jenen "Alten" = Presbyter handelt, der die beiden kleinen Johannesbriefe (2 und 3 Joh) geschrieben hat, ergäben sich von der antidoketischen Argumentation her weitere Querverbindungen. Aber wir bewegen uns hier schon weit im Felde der Spekulation. Mit einiger Sicherheit kann zur Identifizierung des Verfassers jedoch gesagt werden, daß er aus der johanneischen Schule kommt und dem bereits verstorbenen Schulhaupt mit dem Namen "der Lieblingsjünger" seine besondere Reverenz erwiesen hat.
Gruß Jürgen

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mk

Beitrag von mk »

Juergen hat geschrieben:J. Ernst: Johannes. Ein Theologisches Portrait:

Zum Verhältnis "Lieblingsjünger" - Autor des Evangeliums
J. Ernst (S. 26) hat geschrieben: Die kirchliche Tradition hat mit dem Bezug auf den Apostel Johannes die Anonymität pseudonym umgedeutet und einen Trend zur apostolischen Vereinnahmung des schwer einzuordnenden Werkes Rechnung getragen. Das Werk des Anonymus aus der johanneischen Schule erhält einen repräsentativen Namen. Wenn nicht Johannes, der Zebedäussohn, aber auch nicht der große Unbekannte aus der Spätzeit des Neuen Testaments oder gar das unpersönliche Autorenkollektiv, darf man dann vielleicht auf jenen Presbyter setzten, von dem schon in der älteren Tradition die Rede ist? Unter der Voraussetzung, daß es sich um jenen "Alten" = Presbyter handelt, der die beiden kleinen Johannesbriefe (2 und 3 Joh) geschrieben hat, ergäben sich von der antidoketischen Argumentation her weitere Querverbindungen. Aber wir bewegen uns hier schon weit im Felde der Spekulation. Mit einiger Sicherheit kann zur Identifizierung des Verfassers jedoch gesagt werden, daß er aus der johanneischen Schule kommt und dem bereits verstorbenen Schulhaupt mit dem Namen "der Lieblingsjünger" seine besondere Reverenz erwiesen hat.
Hm, mir fällt hierzu nur das berühmte Resumée aus Fausts Eingangsmonolog zu seinen Studien ein...
Aber ist dies - eine weit ausholende Argumentation, um dann früher oder später da zu landen, wo J. Ernst auch landet (der dies dankenswerterweise auch zugibt!), nämlich "weit im Felde der Spekulation" - nicht das Grundphänomen der historisch-kritischen Exegese ?

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Josef Ernst (zitiert nach Jürgen Niebecker) hat geschrieben:»Papias von Hierapolis (Kirchengeschichte III, 39, 3f.), der wichtigste Gewährsmann für diese Überlieferung, spricht von den Presbytern und nennt im gleichen Zusammenhang neben Andreas, Petrus, Philippus, Thomas, Jakobus und Matthäus auch den Namen Johannes, aber eine direkte Identifizierung mit dem Zebedäussohn Johannes liegt nicht vor. Bemerkenswert ist dagegen die enge Beziehung zwischen dem Presbyter Johannes und einem gewissen Herrenjünger Aristion (Eusebius, Kirchengeschichte III, 39, 4.7.14).«
Hier ist Josef Ernst der Fehlinterpretation Eusebs aufgesessen. Wie Ernst selber schreibt, zählt Papias im von Euseb überlieferten Fragment sieben „Presbyter“ auf: sechs unzweifelhafte Apostel und einen „Johannes“. Und der soll nicht der Apostel sein? Entschuldigung, das ist grotesk abwegig. Selbstverständlich ist auch der siebente Name in der Reihe der eines Apostels.

Papias nennt diese sieben Apostel „Presbyter“: Das ist für ihn der spezifische terminus technicus für die Apostel. Unmittelbar nach dieser Stelle führt Papias zwei Personen an, die ihm selbst noch erreichbar waren: Aristion und, wiederum, den „Presbyter“ Johannes. Es ist überhaupt kein Zweifel möglich, daß derselbe Johannes gemeint ist, denn er wird innerhalb eines einzigen Satzgefüges zweimal auf genau dieselbe Weise bezeichnet: „Presbyter“ Johannes. Undenkbar, daß zwei verschiedene Personen gemeint seien.

Aristion gehört nicht zu den „Presbytern“, wird aber immerhin als Herrenjünger bezeichnet. Man könnte ihn also für einen der Siebzig halten. Daß er in besonders enger Verbindung zu Johannes gestanden habe, geht aus den Fragmenten nicht hervor. Die erkennbare Verbindung besteht darin, daß Papias beide kannte. Man wird ihn aber schon darum ebenfalls der johanneisch-ephesinischen Tradition zurechnen dürfen.
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Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Man muß auch damit rechnen, daß Johannes selbst wieder Schüler hatte; diese haben sein Evangelium nach Johannes verfassen können! (Das würde die stilistischen Schwierigkeiten erklären).

beth
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Beitrag von beth »

Auch dass Johannes der „Lieblingsjünger“ nicht der Autor des JohEv sein kann, dafür spricht die Sprach- und Denkweise. Das JohEv zeugt von hellenistisch-heidenchristlicher und nicht von einer hebräisch-aramäisch-jüdischen Denkweise. Johannes der „Lieblingsjünger“ herkunftsmäßig als galliläischer Jude würde sich so nicht artikuliert haben.

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Niels
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Beitrag von Niels »

beth hat geschrieben:Das JohEv zeugt von hellenistisch-heidenchristlicher und nicht von einer hebräisch-aramäisch-jüdischen Denkweise. Johannes der „Lieblingsjünger“ herkunftsmäßig als galliläischer Jude würde sich so nicht artikuliert haben
An welche Stellen im JohEv denkst Du da, beth?
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Ich habe eine dt.-stämmige Großtante, die seit über 50 Jahren in den USA lebt. Wenn sie an Amerikaner schreibt, schreibt sie 1a in deren Denkweise.

Wise Guy
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Beitrag von Wise Guy »

Schnackenburg schreibt dazu:

"Vorsichtig, (um den Beitrag des Apostels nicht zu schmälern) ist hier ausgesprochen, dass unser Joh-Ev nicht unmittelbar von dem galiläischen Fischerssohn stammt, wenn es auch in seinem Inhalt auf ihn zurückgeht. Der eigentliche Schreiber ist ein anderer, nämlich ein mit dem jüdischen Hellenismus vertrauter Mann, dessen sich der greise Apostel als Sekretär bediente. Der Grundgedanke, dass man zwischen dem 'geistigen Urheber' (wie man sich ausdrücken könnte) und dem 'Evangelisten' (der das Ev niederschrieb) unterscheiden müsse, dürfte richtig sein; nur kann die Hypothese vom Sekretär (These von Braun, meine Anmerkung) noch nicht befriedigen. Dass derselbe Mann, der das Evangelium-Corpus niederschrieb, auch die Schlußbemerkung (21, 24) gemacht habe, wie Braun offenbar annimmt, kann deswegen schwerlich zutreffen, weil Stil und Charakter des Nachtrags an eine andere Hand, eine nachträgliche besondere Redaktion denken lassen. ... Man muß dem hellenistischen Apostelschüler, der das Ev niederschrieb , wohl eine noch größere Selbständigkeit zugestehen; denn man kann Form, Inhalt, Sprache und Gedanken nicht auseinanderreißen. ... So wäre der Evangelist einerseits Tradent der Überlieferung und Verkündigung des Apostels Johannes, andererseits doch auch selbst Theologe und Verkündiger für die angesprochenen Leser." (Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium 1. Teil, S. 85 f.)

Und insgesamt zur Frage:
"Es geht bei der Verfasserfrage also letztlich, theologisch gesehen, um die 'apostolische Autorität', die hinter den Schriften steht, die dann von der Kirche als inspiriert und zum Kanon gehörig erkannt und proklamiert worden sind. Ohne diesen dogmatischen, in manchem noch diskutierten Fragen weiter nachzugehen, müssen wir die Alternative als falsch gestellt und irreführend zurückweisen: Ist der Zebedaide Johannes der Verfasser des uns vorliegenden 'Johannesevangeliums' oder nicht? Richtiger sollten wir, analog etwa zum heutigen Matthäusevanglium, fragen: Beruht das Joh-Ev auf apostolischer Autorität, näherhin auf der des Apostels Johannes? Wenn zwischen ihm und der Endgestalt des Joh-Ev noch eine Traditions- und Redaktionsgeschichte liegt, so ist das für den Glauben weniger bedeutsam." (ebd. S. 62)
Es ist nicht so wichtig etwas über Gott zu wissen, sondern ihn zu kennen. (Rahner)

Ralf

Beitrag von Ralf »

Woher weiß Schnackenburg, dass Johannes sich im greisen Alter im heutigen Griechenland (so berichtet es die Tradition) nicht im jüdischen Hellenismus zuhause fühlte?
Weiß Schnackenburg, was in den Jahrzehnten seit der Auferstehung mit Johannes passiert ist?

Er betreibt unredlicherweise eine Umkehr der Beweispflicht.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ralf hat geschrieben:Woher weiß Schnackenburg, dass Johannes sich im greisen Alter im heutigen Griechenland (so berichtet es die Tradition) nicht im jüdischen Hellenismus zuhause fühlte?
Weiß Schnackenburg, was in den Jahrzehnten seit der Auferstehung mit Johannes passiert ist?

Er betreibt unredlicherweise eine Umkehr der Beweispflicht.
Ich nenn’s mal einfach: Schnickschnack.
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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Jetzt geht's auch noch dem gut-katholischen Exegeten Schnackenburg an den Kragen...
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Thierry, ich kenne den Mann nicht (muss man das? Er kennt mich ja auch nicht). Mir geht es bloß um die Argumentation, die ist hier recht willkürlich. Wenn Hein Blöd einleuchtend argumentiert, dann ist das auch okay. Der Name ist wurscht.

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Edi
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Beitrag von Edi »

Eusebius, der Kirchengeschichtsschreiber teilt uns ja auch mit, wie das Johannes-Ev. entstanden ist und dass Johannes da das reinschrieb, was die andern Evangelien nicht berichteten.

Petra
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Beitrag von Petra »

Ralf hat geschrieben:Wenn Hein Blöd einleuchtend argumentiert, dann ist das auch okay.
Zur Information:
Bild
Hein Blöd

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Petra hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:Wenn Hein Blöd einleuchtend argumentiert, dann ist das auch okay.
Zur Information:
Bild
Hein Blöd
Ist der Exeget?
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Beitrag von cathol01 »

Ralf hat geschrieben:Thierry, ich kenne den Mann nicht (muss man das? Er kennt mich ja auch nicht).
Er lebt ja auch nicht mehr...
cf. hic: http://www.theologie.uni-wuerzburg.de/a ... 211002.php

Hier die Predigt von Paul-Werner Scheele:
http://www.bistum-wuerzburg.de/bwo/open ... _2002.html
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Rudolf Schnackenburg hat geschrieben:Vorsichtig … ist hier ausgesprochen, daß unser Joh-Ev nicht unmittelbar von dem galiläischen Fischerssohn stammt, wenn es auch in seinem Inhalt auf ihn zurückgeht. Der eigentliche Schreiber ist ein anderer, nämlich ein mit dem jüdischen Hellenismus vertrauter Mann, dessen sich der greise Apostel als Sekretär bediente
Hierzu würde mich auch noch einmal interessieren, wie Schnackenburg eigentlich darauf kommt, Johannes für einen ungebildeten Fischerboy zu halten. Das widerspricht doch offensichtlich dem Zeugnis der Schrift.
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

(Es läuft eigentlich immer wieder darauf hinaus, wenn man mit den Mitteln der historischen Textkritik an die seit David Friedrich Strauß & Co. unter der Überschrift »historisch-kritische Methode« aufgestellten Behauptungen der theologischen Exegeten herangeht. Diese Behauptungen erweisen sich als gar nicht „historisch-kritisch“, sondern vielmehr ideologisch, und zerschellen am Maßstab der geschichtlichen Forschung.)
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Josef Ernst (zitiert nach Jürgen Niebecker) hat geschrieben:»Papias von Hierapolis (Kirchengeschichte III, 39, 3f.), der wichtigste Gewährsmann für diese Überlieferung, spricht von den Presbytern und nennt im gleichen Zusammenhang neben Andreas, Petrus, Philippus, Thomas, Jakobus und Matthäus auch den Namen Johannes, aber eine direkte Identifizierung mit dem Zebedäussohn Johannes liegt nicht vor. Bemerkenswert ist dagegen die enge Beziehung zwischen dem Presbyter Johannes und einem gewissen Herrenjünger Aristion (Eusebius, Kirchengeschichte III, 39, 4.7.14).«
Hier ist Josef Ernst der Fehlinterpretation Eusebs aufgesessen. Wie Ernst selber schreibt, zählt Papias im von Euseb überlieferten Fragment sieben „Presbyter“ auf: sechs unzweifelhafte Apostel und einen „Johannes“. Und der soll nicht der Apostel sein? Entschuldigung, das ist grotesk abwegig. Selbstverständlich ist auch der siebente Name in der Reihe der eines Apostels.

Papias nennt diese sieben Apostel „Presbyter“: Das ist für ihn der spezifische terminus technicus für die Apostel. Unmittelbar nach dieser Stelle führt Papias zwei Personen an, die ihm selbst noch erreichbar waren: Aristion und, wiederum, den „Presbyter“ Johannes. Es ist überhaupt kein Zweifel möglich, daß derselbe Johannes gemeint ist, denn er wird innerhalb eines einzigen Satzgefüges zweimal auf genau dieselbe Weise bezeichnet: „Presbyter“ Johannes. Undenkbar, daß zwei verschiedene Personen gemeint seien.

Aristion gehört nicht zu den „Presbytern“, wird aber immerhin als Herrenjünger bezeichnet. Man könnte ihn also für einen der Siebzig halten. Daß er in besonders enger Verbindung zu Johannes gestanden habe, geht aus den Fragmenten nicht hervor. Die erkennbare Verbindung besteht darin, daß Papias beide kannte. Man wird ihn aber schon darum ebenfalls der johanneisch-ephesinischen Tradition zurechnen dürfen.
Wie ich eben lese, ist leider auch Benedikt XVI. in seinem Jesus-Buch demselben Mißverständnis aufgesessen. Sehr schade. Und unbegreiflich. Denn wenn man sich einmal von der Interpretation des Semiarianers Euseb löst – und wir wissen, daß Euseb sehr zuverlässig Quellen zitiert, in seinen Interpretationen aber mit höchster Vorsicht zu genießen ist – wenn man sich also von Eusebs Interpretation löst und die Quelle selber anschaut, wird klar, daß sie jene Interpretation auch nicht im Ansatz hergibt. – Sehr bedauerlich, das.
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