Danke, dass du dieses Thema aufgegriffen hast, sempre. Vielleicht kommen ja jetzt ein paar konkrete Antworten. Vorweg muss man allerdings klar sagen, dass sich das Problem ja ganz und gar nicht auf den Heiligen Stuhl beschränkt. Das an sich wäre unproblematisch. Höchstens etwas ärgerlich. Das Problem durchzieht den gesamten Episkopat, ja die ganze Kirche.
Sempre hat geschrieben:cantus planus hat geschrieben:In der Tat sehe ich für einen Katholiken derzeit nur zwei ernsthafte Möglichkeiten: Sedisprivationismus oder Orthodoxie.
Wie kann ein Katholik, dem das Gebaren des aktuellen Papstes oder der jüngeren Päpste aufstößt, ernsthaft in Erwägung ziehen, dass die Kirche seit 1000 Jahren im Irrtum sei? Er gäbe sein Bekenntnis des Glaubens der Kirche auf.
Es stellt sich einzig die Frage, ob nicht die Kirche ihren Glauben aufgegeben hat. Und zwar in sämtlichen Bereichen. An den neuralgischen Punkten hat sich auch unter diesem Pontifex nichts geändert, wie jene Petitionsverfasser neulich um Leute wie Msgr. Gherardini korrekt feststellten. Es wurde nicht einmal eine bescheidene Kommission eingesetzt, die die Lehre des II. Vaticanums auf ihre Vereinbarkeit mit der Tradition überprüft, oder die Ansatzpunkte für eine konkrete liturgische "Reform der Reform" zu finden. Es sind einige wenige Impulse vom Papst gekommen, die in der Tat Gutes bewirkt haben. Aber auf weiter Fläche ist es eher noch schlimmer geworden.
Und wenn ich vermute, dass diese Tendenz mittlerweile unumkehrbar sein dürfte, weil nach diesem Papst nur noch Leute auf den Stuhl Petri gelangen können, die bereits ausschließlich in der verwirrten, nachkonziliaren Theologie ausgebildet wurden, muss man sich in der Tat einige peinliche Fragen stellen. Vor allem frei von den Scheuklappen, dass einfach nicht sein kann, was nicht sein darf.
In diesem Pontifikat stellt sich für mich die Frage noch nicht akut. Aber warten wir mal ab, wie es weitergeht. Ich denke über verschiedene Dinge nach, um nicht hinterher kalt überrascht zu werden und behaupten zu müssen, man habe es ja nicht ahnen können...
Vor allem muss man aufhören, alleine nach Rom zu schielen: hätten wir einen wirklich miserablen Papst, könnte die Kirche das problemlos verkraften, wäre der Rest der Kirche gesund. Wir haben aber einen absolut miserablen Episkopat, eine absolut miserable akademische Theologie, ein miserables Kirchenrecht (welches im Gegensatz zum CIC von 1917 mit Häresien und Irrtümern durchsetzt ist) und eine - freundlich formuliert - fragwürdige Liturgie, wobei immer noch nicht nachgewiesen ist, dass sie überhaupt hätte eingeführt werden dürfen und der Nachweis fehlt, dass ein Papst überhaupt die Vollmacht hat, von heute auf morgen solche Reformen durchzuführen.
Und wir sehen deutlich, dass selbst einem großen Theologen und gutwilligen Papst wie Benedikt XVI. echte Reformen scheinbar nicht mehr möglich sind, weil von allen offiziellen kirchlichen Stellen permanent Sabotage betrieben wird oder man das römische Vorgehen einfach komplett ignoriert.
Im offensichtlichen Unwillen des Heiligen Vaters (womit ich jetzt nicht nur die Person Benedikts XVI. meine, sondern auch schon seine Vorgänger), diese Fragen wirklich offensiv anzugehen, obgleich er nicht nur aus Kreisen der FSSPX, sondern auch von unzweifelhaft in voller Einheit mit dem Papst stehenden vatikanischen Prälaten und anderen angesehenen Persönlichkeiten seit Jahrzehnten dazu gedrängt wird, und mittlerweile die Zeit reift, das II. Vaticanum allmählich auf den Prüfstand zu stellen (war es überhaupt ein Konzil? Nach "Auctorem Fidei" z. B. ganz klar nicht. War es das "Zweite Vatikanische"? Nein. Denn was ist mit der ausstehenden Fortsetzung des abgebrochenen I. Vaticanums? War es "ökumenisch"? Ganz klar nein, denn es nahmen nicht nur jene daran teil, die wirklich "zum Haus gehörten", sondern Häretiker und Schismatiker hatten bedenklichen Einfluss in den Kommissionen.), was eben vor einem Jahrzehnt noch undenkbar gewesen wäre, sieht man meines Erachtens klar, dass der Bruch mit der vorkonziliaren Kirche wenn nicht gewollt, so doch billigend in Kauf genommen wird.
Die Frage, ob Päpste irren können, ist meiner Meinung nach unzureichend beantwortet: wenn das Gesetz des Betens das Gesetz des Glaubens bestimmt, ist die Liturgiereform eben äußerst problematisch und die verheerenden Früchte sind nicht zu übersehen. Hier klafft eine empfindliche Lücke in der Betrachtung des päpstlichen Lehramtes, die diskutiert werden muss. Auch muss endlich klargestellt werden, wer die Vollmacht hätte, eine häresiebedingte Sedisvakanz festzustellen und was dann zu geschehen hätte.
Dass wir unter Johannes Paul II. nur um Haaresbreite daran vorbeigeschrammt sind, diese peinlichen Frage nicht nur theoretisch zu diskutieren, sollte uns Warnung genug sein.
Außerdem ist es für mich vollkommen unzureichend, dass ein Papst wie Johannes Paul II. in zahllosen Glauensfragen zumindest permanent sehr fragwürdige Positionen vertrat, aber eben nichts dogmatisiert hat. Damit ist die katholische Welt für die einen in Ordnung, und die anderen wittern einen Notstand, der ebenfalls rechtlich nicht zu fassen, schlecht zu begründen und einzugrenzen und damit fragwürdig ist. Ich habe hier im Forum ja schon mehrfach angesprochen, wie die FSSPX wohl weitermachen will, wenn dieser "Notstand" die nächsten zwei Jahrhunderte anhält? Es kann ja nun nicht sein, dass man einfach so weitermacht. Das würde jede gesunde Ekklesiologie
ad absurdum führen.
Ebenso habe ich mehrfach angesprochen - ein Gedanke, der komischerweise nie von jemandem kommentiert wurde - was eigentlich ein Kirchenrecht wert ist, dass den Gläubigen gewisse Rechte garantiert, aber man vom Pfarrer angefangen bis zum Heiligen Stuhl hinauf ins Leere läuft, wenn man die Beschneidung dieser Rechte moniert. Solange das Kirchenrecht nur für schöne Worte zuständig ist, und ansonsten Berge von Akten produziert, die in Ordinariaten gebunkert und vergessen werden können, ist offenkundig etwas massiv nicht in Ordnung.
Und auch das ist letztlich keine Frage rechtlicher Schwierigkeiten, sondern in letzter Konsequenz eine dogmatische Angelegenheit. Wenn die Argumentation der Traditionalisten richtig ist - wovon ich ausgehe, da ich keine Argumente dagegen finde und man den Bruch zwischen den vor- und nachkonziliaren Dokumenten ja schwarz auf weiß nachlesen kann - gibt es keinen Bereich in der Kirche, in dem nicht seit Jahrzehnten Notstand herrschte. Ich habe damit gewisse Glaubensschwierigkeiten, denn wenn die offizielle der Hierarchie in ihrer Gesamtheit permanent irrt, kommt auch die traditionelle Theologie recht bald in Not, diesen Zustand zu erklären und zu begründen.