NOSTRA ÆTATE

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Felicitus
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Registriert: Mittwoch 26. April 2006, 18:50

NOSTRA ÆTATE

Beitrag von Felicitus »

Wenn man allein die Geschichte über das Zustandekommen des Teiles was das Verhältnis zum Judentum im 4. Kapitel von „Nostra Aetate“ betrifft, studiert, liest es sich wie eine spannende Kriminalgeschichte und ist zuletzt erstaunt über das Wunder, dass dann dennoch der knappe Teil im endgültigen Konzilstext am 28. Oktober 1965 damals von Papst Paul VI. endgültig unterschrieben wurde nach all den Jahren wo öfter ein Scheitern festzustellen schien. Wir müssen uns vor Augen halten, dass fast zwei Jahrtausende lang an der negativen Theologie dieser Beziehung, die das Zweite Vatikanum widerrufen hat, geschmiedet wurde.

Angestoßen hat die „Judenfrage“ Papst Johannes XXIII. der, sensibilisiert durch seine früheren Aufgaben als vatikanischer Diplomat z. B. in Bulgarien und der Türkei vor und während des II. Weltkrieges, und von den so genannten „Maßnahmen“ gegen Juden versucht hat, viel Leid zu verhindern aber vieles nicht verhindern im Stande war. Deshalb war es sein tiefes Verlangen nach dem er zum Papst gewählt wurde und das Konzil einberief, eine tief greifende Besinnung im Verhältnis zum Judentum zu setzen.
Das Zweite Vatikanische Konzil (Vaticanum II) wurde am 11. Oktober 1962 einberufen.

Im Jahr 1960 konnte der französisch jüdische Historiker Jules Isaac, nach langem Bemühen unter Mitwirkung des Französischen Botschafters beim Vatikan die „Kurienhürden“ überwinden und in einer Audienz bei Papst Johannes dem XXIII. seine „These von den christlich-theologischen Wurzeln des Antisemitismus" erläutern. (Er hatte ein Buch veröffentlicht „Jesus et Israel“, in dem er all die Themen im NT darlegte und aufklärte, die zum Christlichen Antijudaismus führten). Der Papst war von dieser Begegnung sehr betroffen und am Ende der Audienz als Isaac beim Hinausgehen fragte ob er hoffen dürfe, der Papst ihm antwortete; er versichere ihm, er dürfe mehr als hoffen.

Der Papst übertrug dem deutschen Kurienkardinal Augustin Bea, Leiter des 1960 gebildeten Sekretariats für die Einheit der Christen, die Vorbereitung eines eigenen Dokuments, „das neue Linien für die neue Haltung der katholischen Kirche zum Judentum“ darstellte und dem Ökumenischen Rat vorgelegt wurde. Die grundlegenden Punkte der Erklärung dieses Dokumentes formulierte Prälat Johannes Oesterreicher, ein zum Katholizismus konvertierter österreichischer Jude der 1927 in Wien zum Priester geweiht wurde und nach dem „Anschluss Österreichs“ noch rechtzeitig nach Frankreich und später in die USA emigrieren konnte.

Es gab unendlich viele Widerstände sowohl in der Kurie wie bei Bischöfen aber besonders von Bischöfen aus nahöstlichen und arabischen Ländern um das so genannte „Decretum de Judäi“ zu verabschieden und weitere diverse Rückschläge wie z.B. die so genannte Vardi-Affäre in dem der Jüdische Weltkongress bzw. der Staat Israel einen Abgesandten als Beobachter, Dr. Chaim Vardi zum Konzil entsenden wollte. Das hat einen derartigen Sturm der Entrüstung von arabischen Staaten hervorgerufen, jedoch angezettelt von katholischen Bischöfen arabischer Nation, dass das einen derartigen Schock im Vatikan auslöste, sodass der gesamte Text gestrichen wurde und man davon ausging, kein Wort im Konzil wird da über die Juden Erwähnung finden. Der Petersplatz war in jenen Tagen ein Ort übelster Denunziation. Es wurden Pamphlete verteilt übelster Verleumdungen und den Konzilsvätern in die Hände gedrückt wo man nicht wusste, woher sie kamen. Daher dieser Schock und die Sache wäre fast zu Ende gewesen.

Kardinal Augustin Bea ließ sich nicht erschrecken und beirren. Er verfasste ein leidenschaftliches Memorandum an den Papst wo der Hauptgesichtspunkt lautete: Der Holocaust, die Shoa erfordere eine dringende Reinigung des Gewissens und des Geistes aller Christen und deshalb müsse das Konzil das Verhältnis zu Israel behandeln. Die Kirche kann sich ohne Israel nicht definieren. Papst Johannes XXIII. hat dieses Memorandum von Kardinal Bea ohne Beanstandung akzeptiert und sich damit identifiziert. Kardinal Bea verfasste ein neues Dokument das nicht mehr als eigenes Papier sondern ein Teil eines Ökumene-Dokumentes werden sollte. Nach der Neubearbeitung des Textes gab es erneut einen Ansturm speziell der fünf orientalisch-katholischen Patriarchate des Ostens u. a. mit national gefärbten Begründungen. Kardinal Bea wiederholte seine Überzeugung und Sorge, dass in dem Maße das Dekret gegenüber den Juden gefährdet ist, ist das ganze Konzil in Frage gestellt. Das begründete er gegenüber dem Papst und den anderen Konzilsvätern. Inzwischen war Papst Johannes XXIII. an Pfingsten 1963 gestorben und somit schien das Konzil als beendet. Der neue Papst Paul VI. berief jedoch das Konzil erneut ein und es kam zu der genialen Idee der ersten Israelreise eines römischen Papstes im Januar 1964. Es kam zu einer unglaublichen Hetzkampagne der Jordanier gegen die Juden und den Staat Israel, der Papst ließ sich aber davon nicht einschüchtern.

Es gab erneut eine neue Formulierung der Texte in dem festgestellt wird, die Katholische Kirche betrachtet die Juden, weder die damaligen noch die heutigen als Gottesmörder. Die Kirche betrachtet Israel nicht als verworfen und die Kirche an die Stelle Israels gesetzt, sondern die Verheißungen, die Geschichte die Gott mit Israel begonnen hat, gilt weiter.

Im September 1964 wurde das erneut überarbeitete, komprimierte, gekürzte Dokument erstmals in der Konzilsaula im Plenum diskutiert und fand große Zustimmung und wurde übernommen.
Damals wurde ein arabisches Komitee palästinensischer Christen gebildet, dieses sandte eine Protestdelegation in den Vatikan und nannte das Dekret ein imperialistisch-zionistisches Machwerk um die Kirche auf die Seite des Internationalen Judentums zu ziehen. Es gab dann noch zwei Briefe die angeblich von höherer Stelle kamen. Erzbischof Felici, Generalsekretär des Konzils überbrachte am 9. Oktober 1964 der Kommission in „Höherem Auftrag“ einen Brief, in dem die neuerliche Überarbeitung des Textes gefordert wurde. Er suggerierte, er sei vom Papst, es stellte sich heraus, dass der Papst von diesen Briefen nichts wusste. Daraufhin taten sich 14 Kardinäle unter der Leitung des Kölner Kardinals Josef Frings (Joseph Ratzinger, jetziger Papst Benedikt XVI. war damals sein Berater beim Konzil) zusammen, verwarten sich gegen den Eingriff von Außen in die Konzilsdebatte und führten die Arbeiten an diesem Dokument fort. Die Reaktionen der arabischen Welt blieben weiterhin unfreundlich, dass manche Konzilsväter erwogen, die Deklaration die verabschiedet wurde, einfach nicht zu veröffentlichen. Auch erzkonservative Kreise, darunter der spätere schismatische Erzbischof Lefebvre votierten mit den alten Verdächtigungen der Freimaurerei, dass Juden hinter dem Dokument stünden, dass Konzilsväter die daran arbeiteten heimlich Freimaurer seien und man ihnen nicht trauen könne.

Dennoch, am 28. Oktober 1965 wurde die Erklärung mit 2221 JA- gegen 88 NEIN-Stimmen und 3 ungültigen Stimmen in der Konzilsaula angenommen, promulgiert und von Papst Paul VI. unterschrieben.

Felicitus