Diskrepanz 2 Könige / 2 Chronik

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Pelikan
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Diskrepanz 2 Könige / 2 Chronik

Beitrag von Pelikan »

2 Könige 24:8 (EÜ) hat geschrieben:Jojachin war achtzehn Jahre alt, als er König wurde, und regierte drei Monate in Jerusalem. Seine Mutter hieß Nehuschta und war eine Tochter Elnatans aus Jerusalem.
2 Chronik 36:9 (EÜ) hat geschrieben:Jojachin war achtzehn Jahre alt, als er König wurde. Er regierte drei Monate und zehn Tage in Jerusalem und tat, was dem Herrn missfiel.
Aber:
2 Könige 24:8 (Luther) hat geschrieben:Achtzehn Jahre alt war Jojachin, da er König ward, und regierete drei Monden zu Jerusalem. Seine Mutter hieß Nehustha, eine Tochter
Elnathans von Jerusalem.
2 Chronik 36:9 (Luther) hat geschrieben:Acht Jahre alt war Jojachin da er König ward, und regierete drei Monden und zehn Tage zu Jerusalem; und tat, das dem HErrn übel gefiel.
Diese Stellen werden zuweilen als Widerspruch in der Bibel angeführt, um ihren göttlichen Ursprung in Zweifel zu ziehen. Die Diskrepanz zwischen den beiden Jahresangaben findet sich nur in manchen Übersetzungen, bei Luther zum Beispiel, aber auch in der Vulgata.

Die Standardentgegnung auf solche Schwierigkeiten ist natürlich der Verweis auf Kopistenfehler. Ich habe aber auch schon die Erklärung gehört, daß Jojachin achtjährig zum Co-Regenten seines Vaters Jojakim wurde, der dann elf Jahre später starb (s. 2 Chronik 36:5).

Welche Erklärung ist besser? Und, davon nur bedingt abhängig, welche Erklärung ist in einer Apologie die geeignetere, um den Ungläubigen von der Unfehlbarkeit der Schrift zu überzeugen?

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Brunetti
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Beitrag von Brunetti »

Zunächst einmal: Die Abweichungen gibt es nicht nur in Übersetzungen, sondern auch in den meisten überlieferten hebräischen Handschriften, zum Beispiel in der wichtigsten, dem "Codex Leningradensis", der der "Biblia Hebraica Stuttgartensia" zugrunde liegt. Die wenigen hebräischen Handschriften, die diese Differenzen nicht haben, harmonisieren. Du kannst fast sicher davon ausgehen, dass die "lectio difficilior", also die schwierigere, problematischere Lesart die ursprüngliche ist.

Zu deiner Schlussfrage der Apologie: Vergiss das Bemühen um einen widerspruchslosen Bibeltext! Das wäre die Art und Weise, nach der etwa Zeugen Jehovas die Bibel lesen. Außerdem: Einen "Ungläubigen" kannst du dadurch sowieso nicht von der Unfehlbarkeit der Schrift überzeugen.

Ich hoffe, du verstehst meine wenigen Sätze nicht als Affront gegen deinen Glauben. Ich bin ehrlich gesagt zu müde, um schlüssig(er) zu erklären, was ich meine. Ich möchte dich aber auf eine kleine Einführung in das Verständnis der Bibel aufmerksam machen, in dem viel von dem, was ich meine, ausgesagt ist:
"Die Bibel - Wort Gottes oder alles nur symbolisch"?
Die einen fallen durch ihre Taten auf -
die anderen durch ihr Getue...

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

Ralf hat geschrieben:Wenn Du genauer erläuterst, was Du mit "göttlichem Ursprung" und "Unfehlbarkeit" meinst, dann wäre den anderen hier (und mir) sehr geholfen.
Die katholische Position ist ja bekanntermaßen die des Gotteswortes in Menschenwort (und durch Menschenhand). Da ich nicht weiß, ob Du selbige teilst, ist eine Begriffsklärung vonnöten.
Na ja... mit "göttlichem Ursprung" meine ich, daß der Heilige Geist Autor der Schrift ist, und mit "Unfehlbarkeit" meine ich, daß die Schrift keinen Irrtum enthalten kann. Da unterscheidet sich die katholische Position doch nicht von der protestantischen.
KKK §107 hat geschrieben:Die inspirierten Bücher lehren die Wahrheit. ,,Da also all das, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muß, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, daß sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte" (DV 11).

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Es handelt sich bei der Angabe von »acht Jahren« in II Chr um die (augenscheinlich verderbte) Fassung des hebräischen Masoretentexts. Eine dem Masoretentext zugrundeliegende hebräische Rezension hat offenbar Hieronymus verwendet und so den Fehler in die Vulgata übertragen. Die griechische LXX, die auf eine andere hebräische Rezension zurückgeht, hat hier »achtzehn«, ebenso auch der syrische Text.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Es handelt sich bei der Angabe von »acht Jahren« in II Chr um die (augenscheinlich verderbte) Fassung des hebräischen Masoretentexts. Eine dem Masoretentext zugrundeliegende hebräische Rezension hat offenbar Hieronymus verwendet und so den Fehler in die Vulgata übertragen. Die griechische LXX, die auf eine andere hebräische Rezension zurückgeht, hat hier »achtzehn«, ebenso auch der syrische Text.
Aber was hat Hieronymus sich dabei gedacht? Die Diskrepanz wird ihm doch nicht entgangen sein. Hat man damals die Spannung einfach ausgehalten, oder auch schon nach Erklärungen gesucht?

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

Brunetti hat geschrieben:Zunächst einmal: Die Abweichungen gibt es nicht nur in Übersetzungen, sondern auch in den meisten überlieferten hebräischen Handschriften, zum Beispiel in der wichtigsten, dem "Codex Leningradensis", der der "Biblia Hebraica Stuttgartensia" zugrunde liegt. Die wenigen hebräischen Handschriften, die diese Differenzen nicht haben, harmonisieren. Du kannst fast sicher davon ausgehen, dass die "lectio difficilior", also die schwierigere, problematischere Lesart die ursprüngliche ist.
Warum haben wir die problematische Lesart dann aufgegeben? Wollen wir den ursprünglichen Text nicht so gut wie möglich wiedergeben?
Vergiss das Bemühen um einen widerspruchslosen Bibeltext!
Natürlich können wir die Original-Handschriften nicht in jeder einzelnen Zahlenangabe korrekt rekonstruieren. Aber wenn du meinst, daß sich bereits einer der ursprünglichen Verfasser bei der Angabe des Antrittsalters Jojachins geirrt haben könnte, frage ich mich, was genau du unter der Irrtumslosigkeit der Schrift verstehst.
Das wäre die Art und Weise, nach der etwa Zeugen Jehovas die Bibel lesen.
Worin besteht ihre Art und Weise denn? Sie öffnen ihre Bibel in dem festen Glauben, dort das unfehlbare Wort Gottes zu finden, das den Geist nährt. Mir erscheint diese Weise ehrlich gesagt sinnvoller als, sagen wir, den Pentateuch mit der Absicht zu öffnen, dort miteinander vermengte, widerstreitende Propagandaschriften verschiedener politischer Gruppierungen zu finden. Sie nimmt den Text, bei dem es sich ja laut Kirche immerhin um göttliche Selbstoffenbarung handelt, ernster.
Einen "Ungläubigen" kannst du dadurch sowieso nicht von der Unfehlbarkeit der Schrift überzeugen.
Nee, natürlich nicht mit einem großen Aha-Erlebnis. Aber man muß ihm doch auf eine Art und Weise antworten, die geeignet ist, seine Zweifel langfristig zu zerstreuen. Was ist nun die bessere Strategie: Seine Aufmerksamkeit von der relativ unbedeutenden Schwierigkeit weg auf erbaulichere Bibelstellen zu lenken, oder Demut in ihm zu wecken, indem man mit einer Erläuterung antiker Regierungsformen den scheinbaren Widerspruch auflöst und sein nur oberflächliches Textverständnis exponiert.
Ich hoffe, du verstehst meine wenigen Sätze nicht als Affront gegen deinen Glauben.
Aber nein, nicht doch.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Was Hieronymus sich im konkreten Fall gedacht hat, weiß ich nicht. Generell ist er nach der Methode der historischen Textkritik vorgegangen, indem er die encyclopædische Weise eines Origenes ergänzt und erweitert hat um die wissenschaftlich betriebene Philologie. (Nicht daß des Hieronymus Thesen bereits sämtlich der Weisheit letzter Schluß seien. An ihnen ist aus heutiger Sicht manches zu korrigieren. Allerdings scheint mir andererseits, daß bei weitem nicht jeder moderne Besserwisser tatsächlich besser griechisch kann als Hieronymus.)

So unterzog der Kirchenvater insbesondere auch die LXX herber Kritik. Er stellte unterschiedliche Rezensionen fest und unter diesen so starke Abweichungen, daß es geboten sei, zu den Hebräern zurückzugehen, um zum eigentlichen Text zu gelangen. Hieronymus stellte hinter dies Anliegen die Würde des von der Kirche bereits kanonisierten und zu autoritativer Geltung gelangten LXX-Textes zurück, worüber ein heftiger brieflicher Streit mit Augustin überliefert ist. Insbesondere verkannte Hieronymus aber auch, daß es um die Überlieferung des originären hebräischen Textes keineswegs besser stand (und steht) als um die der griechischen LXX.

Die Motiviation, den vorliegenden hebräischen Text als Grundlage der Übersetzung zu nehmen, ist also klar. Daß Hieronymus den inneren Widerspruch zweier biblischer Bücher juxta Hebræos nicht bemerkt habe, ist keine sehr wahrscheinliche Annahme. Aber welche Erklärung er findet? Man müßte einmal im Migne stöbern (z. B. PL 29 oder so, oder PG: da könnte sich im entsprechenden Kommentar des Origenes etwas finden, was man bei Fehlen eigener Äußerungen cum grano salis auch als Meinung des Hieronymus ansetzen dürfte).
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