Evelyn Underhill, Mystik, Verlag Ernst Reinhardt, München, 1928 hat geschrieben:1. Der metaphysische Mystiker, für den das Absolute unpersönlich und transzendent ist, beschreibt sein endliches Erreichen dieses Absoluten als Vergottung oder gänzliche Umwandlung des Selbst in Gott. Der Mystiker, für den innige persönliche Gemeinschaft der Modus war, unter dem er die Wirklichkeit am besten wahrnahm, bezeichnet die Vollendung dieser Gemeinschaft, ihre vollkommene und dauernde Form, als die geistliche Hochzeit seiner Seele mit Gott. Offenbar sind diese beiden Ausdrücke nur Versuche, den inneren Charakter eines Zustandes anzudeuten, den das Selbst mehr in seiner Ganzheit empfunden als sich im einzelnen klargemacht hat, und beide haben dieselbe Beziehung zu der unaussprechlichen Wirklichkeit dieses Zustandes, die unsere klugen Theorien über die Natur und den Sinn des Lebens zu den Lebensprozessen selbst haben. Es lohnt sich schon, sie näher zu betrachten, allein wir werden sie nicht verstehen, ehe wir nicht auch das Leben, das sie erklären wollen, näher betrachtet haben.
Die Sprache der »Vergottung« und die der »geistlichen Hochzeit« sind also durch Naturanlage des Sprechenden bedingt und beziehen sich vielmehr auf ein subjektives Erleben als auf eine objektive Tatsache.
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Der einfachste Ausdruck für dies Leben der Einigung, die einfachste Deutung, die wir den Aussagen darüber geben können, ist die, daß es die Vollendung und bewußte Erfüllung dieser vollkommenen Liebe im Hier und Jetzt ist. In ihm schwingen gewisse auserlesene Geister, während sie noch im Fleische sind, sich höher und immer höher auf, bis sie »aus sich selbst herausgeführt«, wie es in der gesteigerten Sprache des »Mirror« heißt, »durch den Zustand der Liebe Gott werden«. Die bodenständige englische Mystik versuchte in der Regel das Unaussprechliche in einfacheren, gemäßigteren Formeln auszudrücken. »Ich möchte, daß du wüßtest,« sagt der unbekannte Verfasser des »Epistle of Prayer«, »wie es geschieht, daß die Seele des Menschen mit Gott verknüpft wird und eins mit Ihm wird in Liebe und Übereinstimmung des Willens, nach dem Worte des hl. Paulus, der da sagt: › Qui adhaeret Deo, unus spiritus est cum illo‹, das heißt: Wer Gott in solch einer ehrfürchtigen Liebe, wie sie oben erwähnt ist, naht, ist Ein Geist mit Ihm [1. Kor. 6, 17.]. Nämlich, wenn auch Gott und er zwei und verschieden an Art sind, so sind sie doch in der Gnade so eng verbunden, daß sie im Geiste Eins sind; und zwar durch Einheit der Liebe und Übereinstimmung des Willens, und in dieser Einheit vollzieht sich die Ehe zwischen Gott und der Seele, die nie gebrochen wird, wenn auch die Glut und Inbrunst eine Weile nachläßt, es sei denn durch eine Todsünde. In dem geistlichen Gefühl dieser Einheit mag eine liebende Seele wohl folgendes heilige Wort sagen und (wenn sie will) singen, das geschrieben steht im Buch der Lieder [Hohel. 2, 16.]: › Dilectus meus mihi et ego illi‹, das heißt: Mein Geliebter gehört mir und ich Ihm, in dem Sinne, daß Gott mit dir verknüpft ist durch den geistlichen Leim der Gnade auf Seiner und du mit Ihm durch liebende Einstimmung in Freudigkeit des Geistes auf deiner Seite The Epistle of Prayer. Angeführt nach Pepwells Ausgabe in The Cell of Selfknowledge, herausgegeben von Edmund Gardner, p. 88..«
Ich glaube, niemand kann leugnen, daß der Vergleich des Bandes zwischen der Seele und dem Absoluten mit »geistlichem Leim«, wenn auch plump, so doch gänzlich unschuldig ist. Sein Erscheinen an dieser Stelle im Wechsel mit dem Symbol der Ehe dämmt vielleicht den unkritischen Eifer derer ein, die jede »sexuelle« Metapher ohne weiteres verdammen. Daß die Mystiker dies Bild passend und überzeugend gefunden haben, beweist sein Wiederauftreten im folgenden Jahrhundert in dem Werke eines größeren Kontemplativen. »Du gibst mir«, sagt Petersen, »dein ganzes Selbst, auf daß es ganz und ungeteilt mein sei, wenn ich nur ganz und ungeteilt dein bin. Und wenn ich so ganz dein sein werde, so hast du mich von Ewigkeit her geliebt, gleichwie du dich selbst von Ewigkeit her geliebt hast; denn dies bedeutet nichts mehr, als daß du dich in mir genießest, und daß ich durch deine Gnade dich in mir und mich in dir genieße. Und wenn ich mich in dir lieben werde, so liebe ich nichts anderes als dich, weil du in mir bist und ich in dir, zusammengeleimt als ein und dasselbe Wesen, das hinfort auf ewig nie geteilt werden kann Gerlac Petersen, Ignitum cum Deo Soliloquium Kap. XV..«
Von diesem Bilde bis zu dem der geistlichen Hochzeit, im reinen Sinne der Mystiker, ist nur ein Schritt Vgl. Teil I Kap. 6. Es ist wohl überflüssig, die dort gegebenen Beispiele hier zu wiederholen.. Sie verstehen darunter keine ekstatischen Genüsse, kein fragwürdiges Vergeistigen irdischer Wonnen, sondern eine lebenslängliche Fessel, »die nie zerbrochen wird«, eine enge persönliche Vereinigung von Herz und Willen zwischen dem freien Selbst und jenem »Höchsten an Schönheit«, den es im Zustande der Kontemplation erkannt hat
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Wenn wir, wie bisher, unser Augenmerk darauf richten, auf welche Weise sich der Zustand der Einigung bei den großen Mystikern im einzelnen auswirkt, so dürfen wir nicht vergessen, daß dieser Zustand seinem Wesen nach eine Erfüllung der Liebe ist, das Erreichen einer »Herzenssehnsucht«. Durch dies Erreichen, dies Emporgehobenwerden des Selbst zu freier Vereinigung mit dem Wirklichen, beginnt – wie bei der irdischen Hochzeit, die eine dunkle Vordeutung auf jene ist – ein neues Leben; neue Kräfte, neue Verantwortlichkeiten werden verliehen und auferlegt. Doch dies ist nicht alles. Die drei Haupttätigkeiten des normalen Selbst, Fühlen, Denken und Wollen, scheinen verschmolzen, in Wirklichkeit aber werden sie zu einem höhern Ziel emporgehoben. Sie sind zwar vereinheitlicht, allein sie sind unversehrt vorhanden, und jede von ihnen sucht und findet volle Befriedigung in der Erlangung dieser höchsten »Würde, für die der Mensch geschaffen ward«. Das Denken versinkt in jener mächtigen Vision der Wahrheit, die jetzt nicht als Vision, sondern als Heimat erkannt wird, wo der hl. Paulus Dinge sah, die unaussprechlich sind, wo die hl. Teresa die »dauernde Gefährtschaft der heiligen Dreieinigkeit« fand, und Dante, einen kurzen Augenblick am Herzen der Wirklichkeit ruhend, während sein Geist vom Blitzstrahl des Unerschaffenen Lichts getroffen ward, erkannte, daß er das letzte Rätsel der Wirklichkeit gelöst hatte: die Einheit des cerchio und imago – des unendlichen und des persönlichen Aspektes Gottes! Paradies XXXIII, 137. Der erhöhte Wille, der in den Dienst der transzendenten Ordnung tritt, erhält neue Welten zu erobern, neue Kraft, sich seiner höheren Bestimmung anzupassen. Aber auch das Herz tritt hier in eine neue Ordnung ein, beginnt auf höheren Ebenen der Freude zu leben. »Diese Seele, sagt die Liebe, schwimmt im Meer der Freude, nämlich im Meer der Wonne, im Strom der göttlichen Einflüsse. The Mirror of Simple Souls f. 161.«
» Amans volat, currit et laetatur: liber est et non tenetur De Imitatione Christi Buch III, Kap. V.«, sagt Thomas von Kempen, ein klassisches Wort, das uns die innere Freudigkeit und Freiheit der Heiligen ein für allemal vor Augen stellt. Sie »fliegen, laufen und freuen sich« – diese großen, emsigen Seelen, die oft durch unerhörte Kasteiungen aufgerieben sind und sich harten, nie endenden Aufgaben geweiht haben. Sie »sind frei, und nichts kann sie halten«, obwohl es der Welt scheint, als seien sie durch sinnlose Entsagungen und Beschränkungen eingeengt, jener billigen Ungebundenheit beraubt, die ihr Freiheit bedeutet.
Jene Freude, die Ruysbroeck mit so majestätischen Worten schildert als das, was das innere Leben der ins Absolute eingetauchten mystischen Seelen ausmacht – eine Schilderung der Visio Beatifica als eines erhabenen Gefühlszustandes – wird von diesen selben Mystikern in ihrem innern Erleben oft als dauernder Besitz einer kindlichen Heiterkeit, einer unzerstörbaren Herzensfröhlichkeit empfunden.