Bisherige Stationen des Aufbaus (oder Abbaus?) eines Denksystems zum Thema "Das Bild" dieses Threads:
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7a
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Nachdem nun die als Bild Gottes geschaffene Natur des Menschen als urspüngliche Natur des Menschen Adam in
7 und
7a geklärt wurde, stellt sich die Frage, warum Gott diese Natur mit der
zusätzlichen Gabe der Integrität ausgestattet hat, denn das Bild Gottes in der Natur des Menschen mit den Analogien zum göttlichen Sein, göttlichen Leben und zu Gottes höchster Weisheit ist ja auch in der Natur des Menschen, welche
nicht mit der zusätzlichen Gabe der Integrität ausgestattet ist. Bzgl. der Vernunft genügt doch das bloße Vermögen, um dieses Vernunftvermögen (die "Vernunftbegabung") als Analogie zu Gottes Allwissenheit ("höchster Weisheit") zu verstehen, ganz unabhängig von der Ausprägung der Vernunft im einzelnen Menschen, der durchaus "dumm" und triebhaft wie ein Tier sein kann ohne dass er des Bildes Gottes verlustig ginge, eben weil er trotzdem vernunftbegabt ist, was ihn trotz seines tatsächlichen "tierischen" Seins in seiner Natur von der Natur des vernunftlosen Tieres unterscheidet und seine Natur Gott ähnlicher macht.
Wenn Gott also der bloßen Natur "noch eins mitgibt", nämlich die Gabe der Integrität, dann kann man folgern, dass er dem bloßen Bild Gottes auch noch einen "Schubser" oder "spin" in Richtung des Guten verleihen wollte, der jedoch im eigentlichen Sinn nicht Teil der Natur ist, sondern eben eine zusätzliche Gabe. Denn wäre dieser "spin" Teil der Natur, so könnte er diesen der Natur nach dem Sündenfall ja nicht wieder entziehen ohne die Natur des Menschen zu zerstören.
Die gefallene Natur des Menschen nach dem Sündenfall (d.h. die Natur im Zustand der Erbsünde) ist also gar nicht verschieden von der ursprünglichen Natur Adams, es wird nur ein "add-on" entzogen, so dass diese meine Darstellung in
7 revidiert werden muss:
Stefanro hat geschrieben: ↑Montag 24. April 2023, 08:29
Das Bild Gottes ging aber durch den Sündenfall verloren, weil die Analogien zum göttlichen Sein (gutes Sein), zum göttlichen Leben (gutes Leben) und zur göttlichen Allwissenheit (gute Vernunft) (s.
6) in unserer gefallenen Natur nicht mehr existent sind. Wir weisen nur mehr bloß formale Analogien von "Sein", "Leben" und "Vernunftsvermögen" auf, welche allesamt schlecht sind und nichts von der urspünglichen Gutheit mehr aufweisen. Denn wenn auch - wie die Religion behauptet - die Schuld der Erbsünde durch Jesus Christus weggenommen wurde, so bleibt doch der Zustand der Erbsünde bestehen - selbst in den Wenigen, denen die heilig- oder wohlgefälligmachenden Gnade zuteil wird, bleibt der Zustand der Erbsünde bestehen, so dass sie weiterhin von der Gnade Gottes abhängig sind, um bis zum Tode standfest durchhalten zu können (summa theol., I-II, q109, a9-10).
Welche Bedeutung soll/kann es also für uns Kreaturen haben, dass Adam ursprünglich das kreatürliche Bild Gottes war, nach seinem Sündenfall aber so ein kreatürliches Bild Gottes niemals mehr auf Erden geboren wurde? Es gibt keinen Weg zurück. Da aus "Sein", "Leben" und "Vernunftsvermögen" nichts wirklich Gutes mehr zu machen ist, kann allenfalls das unter den gegebenen Umständen der gefallenen Natur "Beste" noch daraus sich entwickeln ... so Gott will und die Seele empfangsbereit ist
Dadurch, dass ich meiner ursprünglichen Interpretation nun widerspreche, wird sehr schön die Ambivalenz des "Bildes Gottes in der Natur des Menschen" deutlich. Denn um den Menschen von anderen Kreaturen abzuheben und in die Nähe einer Ähnlichkeit mit Gott zu bringen, genügt bereits das Vernunftvermögen. Das Vernunftvermögen als solches ist jedoch moralisch neutral und kann zu einer guten oder schlechten/bösen Ausprägung/Tatsächlichkeit führen. Da Gott jedoch üblicherweise als wesenhaft gut bezeichnet wird (das "allerhöchste Gut") kann die Vorstellung eines schlechten/bösen Menschen, der dennoch das Bild Gottes sein soll, bei denkenden Menschen zu einer kognitiven Dissonanz führen. Das trieb vermutlich auch Thomas vA um als er schrieb:
Thomas (in summa theol., I, q93, a4) hat geschrieben:Ich antworte, daß der Mensch kraft seiner vernünftigen Natur Gottes Bild in sich trägt, weil diese am meisten Gott nachahmen kann.
Das absolute Gute, das Gott ist, hat seine Analogie in der Natur des Menschen, die vernunftbegabt ist und deshalb
das Potential zum Guten besitzt. Nun ist dieses Potential in der ursprünglichen Natur des Adam deshalb erhöht, weil er die zusätzliche Ausstattung der Gabe der Integrität (einer Gnade Gottes) erhalten hat und dieses Potential ist in der Natur nach dem Sündenfall signifikant erniedrigt, weil diese Gnade wieder entzogen wurde. "Gefallene" Natur meint also das gefallene Potential zum Guten. Da also eine Anhebung des Potentials zum Guten alleine von der Gnade Gottes abhängt, kann sich die "gefallene" Natur auf den Weg der Gnade Gottes begeben ... oder sich aber der Gnade Gottes aufgrund des freien Willens widersetzen und den Weg des Schlechten/Bösen gehen.
Thomas schreibt weiter:
Thomas (in summa theol., I, q93, a4) hat geschrieben:Nun ahmt die vernünftige Natur darin Gott nach, daß Gott Sich selbst erkennt und liebt. Deshalb kann das Bild Gottes in dreifacher Weise im Menschen betrachtet werden: einmal, weil der Mensch von Natur aus geeignet ist, Gott zu erkennen und zu lieben; — und da dies in der Natur begründet ist, bleibt es allen Menschen gemeinsam. Dann, insofern der Mensch thatsächlich oder dem Zustande nach Gott liebt und erkennt, jedoch in unvollkommener Weise; — und das ist das Bild gemäß der in der Gnade begründeten Gleichförmigkeit. Endlich, insofern der Mensch Gott erkennt und liebt, sowohl dem thatsächlichen Sein nach als auch vollkommen; — und das ist das Bild Gottes in der Herrlichkeit. ... Das erste Bild ist in allen Menschen, das zweite in den Gerechten, das dritte in den Seligen.
Hierzu ist zu sagen:
1. Es ist überhaupt nicht klar, ob Gott sich selbst liebt. Diese Aussage ist also zu hinterfragen.
2. Dass Gott sich selbst erkennt beruht jedoch auf seiner Allwissenheit.
3. Dass der Mensch Gott erkennen kann (das Potential dazu hat), ergibt sich aus dem Axiom des Schauens Gottes in der Seligkeit nach der Trennung von Körper und Seele im Tod.
4. Dass der Mensch jedoch Gott bereits erkennt im Zustand der Gnade widerspricht dem, was Thomas an anderer Stelle zum Erkennen Gottes sagt, wo er "Erkennen" gleichsetzt mit dem Schauen Gottes der Seligen (summa theol., I, q12). Wenn er hier nun davon abweicht, um eine Idee "aufzuhübschen" (was er aufgrund der bloßen Spekulation der Theologie natürlich immer machen kann, weil eine Spekulation ja nicht dadurch Wahrheit wird, dass sie einer konsistenten sprachlichen Logik folgt), so fehlt dennoch seine Darlegung oder Definition von "erkennt ... 'in unvollkommener Weise'" und es fehlt seine Darlegung oder Definition von "gemäß der in der Gnade begründeten Gleichförmigkeit". Es ist vollkommen unklar, was Thomas mit diesen beiden sprachlichen Ausdrücken meint.
5. Das Erkennen in der Herrlichkeit ist tatsächlich das einzige "Erkennen", das Thomas an anderer Stelle (summa theol., I, q12) als Erkennen Gottes akzeptiert.
6. Trotz dieser Inkonsistenzen und Unklarheiten in den Aussagen des Thomas erscheint hier jedoch ganz wesentlich, dass das Bild Gottes in der Natur des Menschen hinsichtlich des behaupteten, noch zu erklärenden "Liebens" und hinsichtlich des "Erkennens" NICHT ist, dass auch der Mensch sich selbst lieben und erkennen kann wie Gott sich selbst liebt und erkennt, SONDERN dass der Mensch Gott lieben und erkennen kann wie Gott sich selbst liebt und erkennt. Das Bild Gottes im Menschen geht also notwendigerweise einher mit dem Potential der Auslöschung des kreatürlichen Selbst des Menschen in der
vollkommenen Demut, von der Johannes vK spricht, und dem Ersetzen dieses Selbst durch Gott.