Gnade aus katholischer Sicht

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Martina

Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Ich bekomme häufig von Orthodoxen zu hören, das "westliche" Verständnis der Gnade sei falsch, und dann heißt es, wir würden es als eine von Gott willkürlich verteilte Huld verstehen, wobei sehr stark der Verdienst oder das Sichverdienenmüssen im Vordergrund stehe (durch Werke) und man müsse Gottes Zorn besänftigen.

Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, aber ich persönlich habe niemals ein solches Glaubens- und Gottesbild vermittelt bekommen und ich stehe fassungslos vor solchen Aussagen, die zudem auch noch immer als Vorwurf vorgebracht werden.

Wie sieht das mit der Gnade theologisch aus katholischer Sicht aus?

Ebenfalls wird dann immer mit dieser "juristischen" Auslegung des Glaubens, z.B. "Sakramentum" sei vom Fahneneid der römischen Soldaten ableitet, der dem Gottkaiser gegnüber geleistet wurde, argumentiert, und dass man durch Abfall die Gnade (= gleichgesetzt mit obiger Huld) ja verliere. Dann kommt man mir noch mit der "Verdinglichung" der Gnade, soll heißen, dass sie nicht, wie im Orthodoxen Verständnis "ungeschaffen" ist, wobei ich da wirklich nicht begreife, was das in der "Praxis" ausmachen soll, ob ich die Gnade sozusagen "anzapfe" oder ob Gott sie mir gibt (sofern ich ihn nicht als einen bösartigen, ungerechen Gott verstehe).

So, und jetzt habe ich auch noch ein Bild gefunden, das "beweist", dass wir glauben, dass der Vater und der Sohn vom Heiligen Geist ausgehen - so viel zum Filioque-Streit ;D :

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Danke Jürgen.
das ist schon mal ein guter Anfang. Aber ich hätte gerne ein bisschen ausführlicher.
Die protestantische Sicht interessiert mich in diesem Zusammenhang weniger. Und daher auch weniger die Rechtfertigungslehre. Ich habe mir das Buch von Georg May dazu angetan.

Meine Frage geht eher dahin, was so spaltend unterschiedlich zwischen dem orthodoxen und katholischen Verständnis sein soll. Ich hatte schon heiße Diskussionen, weil mir sehr vieles so vorkommt, als sei es schon arg an den Haaren herbeigezogen. Mir kommt das jedes Mal so vor, wie eine Gender-Diskussion auf antik.

Welchen PRAKTISCHEN Wert oder welche effektiven Auswirkungen hat es, woher der Heilige Geist nun tatsächlich kommt, oder ob die Gnade geschaffen oder ungeschaffen ist, wobei sich sowieso die Frage stellt, ob der Mensch mit seinem begrenzten Verstand das überhaupt valide erfassen und beurteilen kann????

Bei der Gnade geht es ja nun auch gar nicht nur um gute Werke.

Im Basler Katechismus steth zu Gnade:
I. Die Gnade
151. Was ist die Gnade?
Die Gnade ist eine innere, übernatürliche Gabe Gottes zur Rettung unserer Seele.
Natürliche, äußere Gaben für den Leib sind Gesundheit, Nahrung, Wohnung, Kleidung
usw.
Natürliche innere Gaben für die Seele sind Verstand, Wille, Gedächtnis, Talente usw.
Gnade aber gehört nicht zu unserer Natur. Sie kommt zu ihr, über sie hinzu. Sie überragt
an Güte und Kraft die Natur. Deshalb wird sie übernatürlich genannt. Gnade kann nur
von Gott kommen. Niemand kann sie von sich aus erwerben. Es gibt zwei Hauptarten
der Gnade:
1. Die helfende Gnade,
2. Die heiligmachende Gnade.
Die helfende Gnade heißt auch «Gnade des Beistandes», die heiligmachende Gnade auch
«Gnade der Rechtfertigung».
Gott gibt allen Menschen genug Gnade, daß sie in den Himmel kommen können.
Usw. usw.

Das heißt doch im Grunde, dass der Orthodoxismus mit dem, was er den "Römern" vorwirft, das Thema verfehlt.
Oder sehe ich das verkehrt?

Problematisch sehe ich übrigens die Umdefinition von „Gnade“ durch den Jesuiten-Theologen Karl Rahner, die m.E. in Richtung Protestantismus geht.

Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 08:30
Wie sieht das mit der Gnade theologisch aus katholischer Sicht aus?
Theologisch gesehen sieht das nach ein paar Buchmeter Material aus... ;D

Das Problem ist hier, daß es ein komplexes Thema ist um das sich viel gestritten wurde (und wird). Deshalb ist jede einfache Aussage gerne mit seitenweise Erklärung umrahmt um allen möglichen Fehlinterpretation zu begegnen. Außerdem hast Du uns die Angriffe der Orthodoxen recht allgemein geschildert, insofern ist es schwierig gezielt und kompakt zu antworten.

Der Doktor der Gnade, der Heilige Augustinus, sagt:

"Non enim gratia Dei erit ullo modo, nisi gratuita fuerit omni modo." (De peccato orig., xxiv, 28)
Es ist in keiner Hinsicht Gottes Gnade, wenn es nicht in jeder Hinsicht unentgeltlich ist.

und

"Non gratia ex merito, sed meritum ex gratia. Nam si gratia ex merito, emisti, non gratis accepisti." (Serm. 169, c. II)
Nicht Gnade durch Verdienst, sondern Verdienst durch Gnade. Denn Gnade durch Verdienst wäre erkauft, nicht unentgeltlich erhalten.

Nebenbemerkung: Meine Übersetzung, und darum mit großer Vorsicht zu genießen. Aber selbst ich kann hier im Latein den großen Redner Augustinus raushören. Klasse Slogans...

Es gibt jedenfalls keine katholische Lehre die dazu im Widerspruch steht.

Es gib der katholischen Lehre meines Wissens nach drei Fälle der "ungeschaffenen Gnade", nämlich die hypostatische Union (in Jesus Christus), das göttliche Innewohnen (in den Gerechten auf Erden) und die Gottesschau (der Heiligen im Himmel). Alle drei sind zwar geschaffen im Sinne des Aktes der Gnade (!), denn sie haben einen Anfang in der Zeit. Aber die Gabe selber ist jeweils ungeschaffen, nämlich die Präsenz Gottes.

Wenn es sich jedoch um Orthodoxe geht, dann reden wir bei "ungeschaffener Gnade" über die Dummheit der Lehre der "ungeschaffenen Energien". Es ist unnötig sich damit groß zu beschäftigen, es ist schlicht schleichende Vielgötterei. Ganz egal was die Orthodoxen diesbzgl. vorbringen mögen, sobald sie eine wie auch immer geartete echte Unterscheidung (nicht nur eine der Beziehung nach, wie bei den göttlichen Personen) im Ungeschaffen zulassen, ist Gott nicht mehr eins, und ihr Glaube wird de facto heidnisch. Hier ist wirklich ein kategorisches "nein, und tschüs" angebracht. Wenn sie das aber rhetorisch zurücknehmen solange bis die "ungeschaffenen Energien" wieder in die Einfachheit Gottes passen, dann haben sie keine echte Unterscheidung mehr in der Hand, und Ockhams Rasiermesser schneidet diesen Wortüberfluß schlicht ab. Hier gibt es m.E. keinerlei katholischen Handlungsbedarf, außer vielleicht Beten darum daß Gott mehr Hirn vom Himmel wirft. :roll:

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
....
Wenn es sich jedoch um Orthodoxe geht, dann reden wir bei "ungeschaffener Gnade" über die Dummheit der Lehre der "ungeschaffenen Energien". Es ist unnötig sich damit groß zu beschäftigen, es ist schlicht schleichende Vielgötterei. Ganz egal was die Orthodoxen diesbzgl. vorbringen mögen, sobald sie eine wie auch immer geartete echte Unterscheidung (nicht nur eine der Beziehung nach, wie bei den göttlichen Personen) im Ungeschaffen zulassen, ist Gott nicht mehr eins, und ihr Glaube wird de facto heidnisch. Hier ist wirklich ein kategorisches "nein, und tschüs" angebracht. Wenn sie das aber rhetorisch zurücknehmen solange bis die "ungeschaffenen Energien" wieder in die Einfachheit Gottes passen, dann haben sie keine echte Unterscheidung mehr in der Hand, und Ockhams Rasiermesser schneidet diesen Wortüberfluß schlicht ab. Hier gibt es m.E. keinerlei katholischen Handlungsbedarf, außer vielleicht Beten darum daß Gott mehr Hirn vom Himmel wirft. :roll:
Ja, das dachte ich eben auch, aber sie sind dermaßen überzeugt von sich, dass man erst mal verunsichert wird. Wenn man sich allerdings damit beschäftigt und nicht einfach alles so hinnimmt, dann passt hinten und vorne nicht.

Vielleicht fange ich mal mit einem einzigen Buchmeter an. Vorschläge sind willkommen.

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
…Wenn es sich jedoch um Orthodoxe geht, dann reden wir bei "ungeschaffener Gnade" über die Dummheit der Lehre der "ungeschaffenen Energien". Es ist unnötig sich damit groß zu beschäftigen, es ist schlicht schleichende Vielgötterei…
:roll:
Es ist doch wohl so, daß man in orthodoxer Sicht zuvorderst zwischen der Seinsweise Gottes ad intra und ad extra unterscheidet. Sowohl Sohn als auch Hl. Geist sind sodann "Energien des Vaters", aber sie sind eben "hypostatische Energien" im Gegensatz zur nichthypostatischen Energie als Seinsweise der ungeteilten Dreifaltigkeit ad extra. Anders wäre es ja komplett unlogisch.
Gruß Jürgen

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Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Juergen hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 14:28
Sowohl Sohn als auch Hl. Geist sind sodann "Energien des Vaters", aber sie sind eben "hypostatische Energien" im Gegensatz zur nichthypostatischen Energie als Seinsweise der ungeteilten Dreifaltigkeit ad extra. Anders wäre es ja komplett unlogisch.[/font]
Ich glaube, damit wären die Orthodoxen nicht einverstanden. Sie sehen den Sohn zwar als Hypostase des einen Gottes, aber garantiert nicht als Energie. Wobei ich das ehrlich gesagt nicht verstehe, und entweder nicht so weit denken kann, oder es ist Gehirnakrobatik, um sich gegen die Schismatiker, welche die Katholiken in ihren Augen ja sind, "abzugrenzen".

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51

... Außerdem hast Du uns die Angriffe der Orthodoxen recht allgemein geschildert, insofern ist es schwierig gezielt und kompakt zu antworten.
Es sind eher Rechthabereien, die recht unreflektiert und auch orthozentristisch sind, die von Leuten kommen, die von der tatsächlichen katholischen Lehre gar keine Ahnung haben, geschweige denn von der Praxis.
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
Der Doktor der Gnade, der Heilige Augustinus, sagt:

"Non enim gratia Dei erit ullo modo, nisi gratuita fuerit omni modo." (De peccato orig., xxiv, 28)
Es ist in keiner Hinsicht Gottes Gnade, wenn es nicht in jeder Hinsicht unentgeltlich ist.

und

"Non gratia ex merito, sed meritum ex gratia. Nam si gratia ex merito, emisti, non gratis accepisti." (Serm. 169, c. II)
Nicht Gnade durch Verdienst, sondern Verdienst durch Gnade. Denn Gnade durch Verdienst wäre erkauft, nicht unentgeltlich erhalten.

Nebenbemerkung: Meine Übersetzung, und darum mit großer Vorsicht zu genießen. Aber selbst ich kann hier im Latein den großen Redner Augustinus raushören. Klasse Slogans...
Gibt es einen Link, wo man solche Slogans finden kann? Die Orthodoxen haben mich jetzt so richtig herausgefordert, mich eingehend mit der katholischen Lehre, den Kirchenvätern und den Dogmen auseinanderzusetzen.
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
....
Alle drei sind zwar geschaffen im Sinne des Aktes der Gnade (!), denn sie haben einen Anfang in der Zeit. Aber die Gabe selber ist jeweils ungeschaffen, nämlich die Präsenz Gottes.
Also hierzu hätte ich gerne Literaturempfehlungen/Links, weil ich da intellektuell nicht mehr mitkomme. Da steigt mein Kopf einfach aus. ... Wobei sich fragt, ob das irgendwo einfacher darzustellen ist.

Nun ja, Gott ist eben größer als ich denken kann.

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 14:37
Ich glaube, damit wären die Orthodoxen nicht einverstanden. Sie sehen den Sohn zwar als Hypostase des einen Gottes, aber garantiert nicht als Energie.
:roll: Der göttliche Bezug zur Schöpfung ist doch immer κατ' ἐνέργειαν.
Gruß Jürgen

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Bruder Donald

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
Wenn es sich jedoch um Orthodoxe geht, dann reden wir bei "ungeschaffener Gnade" über die Dummheit der Lehre der "ungeschaffenen Energien". Es ist unnötig sich damit groß zu beschäftigen, es ist schlicht schleichende Vielgötterei.
Orthopedia dazu:
Laut dem hl. Gregor [Palamas] und den Konzilakten [Konzil v. Konstantinopel 1351] bestehen folgende Unterschiede zwischen Wesen und Energien: das Göttliche Wesen lässt keine Teilhabe an sich zu, es ist namenlos und unnennbar, während die Energien Teilhabe zulassen, nennbar, mehrfach und unterschiedlich sind. Dabei bleibt die Einheit des Göttlichen Wesens und der Energien unvermischt und ihre Trennung unteilbar. Die Energie des Wesens ist ungeschaffen als Wirkung der dreifach hypostatischen Gottheit; sie verleiht dem Wesen selbst keine Trennung und verletzt nicht seine Einfachheit. Auf die Energie ist der Name „Gottheit“ ebenfalls anwendbar - sie ist ebenfalls Gott selbst.

Die Energie Gottes ist eben die ungeschaffene Göttliche Gnade (griech. χάρις; russ. благодать), die von dem Göttlichen Wesen ausgeht. Die Göttlichen Energien sind eben das, woran der christliche Asket teilhaftig wird. Daher wird auch das Göttliche Wesen dem Menschen zugleich unteilhaftig und teilhaftig. „Wenn wir sagen, dass das göttliche Wesen nicht in sich selbst, sondern in seiner Energie teilhaftig ist“, erklärte der hl. Gregor Palamas, „bleiben wir in den Grenzen der Frömmigkeit“. Das heißt also, der Unterschied zwischen dem Wesen und den Energien Gottes begründet die Möglichkeit der Teilhabe an der Natur Gottes und eröffnet die Perspektive der gnadenvollen Vergöttlichung des Menschen.
Oder einfacher ausgedrückt:
Durch die Unterscheidung von Wesen und Energien wird das Erreichen eine Erkenntnis Gottes möglich, der im Wesen unerkennbar ist, aber vermittels Seiner Energien durch jene erkennbar ist, die eine gewisse Stufe der spirituellen Vollkommenheit erreicht haben.
[...]
Gregor Palamas selbst unterstrich vielfach die Einheit von Wesen und Energien. "Obwohl die göttliche Energie von dem göttlichen Wesen unterschieden wird, ist doch im Wesen und der Energie die eine Gottheit Gottes". Der zeitgenössische griechische Kirchenhistoriker und -rechtler Blasios Pheidas formulierte die Lehre des hl. Gregor folgendermaßen: "…[die Unterscheidung] des nicht mittelbaren göttlichen Wesens und der mitteilbaren Energien trennt die ungeschaffenen Energien nicht vom göttlichen Wesen, denn in jeder Energie ist Gott ganz anwesend, weil das göttliche Wesen unteilbar ist".

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 16:55
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 13:51
Wenn es sich jedoch um Orthodoxe geht, dann reden wir bei "ungeschaffener Gnade" über die Dummheit der Lehre der "ungeschaffenen Energien". Es ist unnötig sich damit groß zu beschäftigen, es ist schlicht schleichende Vielgötterei.
Orthopedia dazu:
Laut dem hl. Gregor [Palamas] und den Konzilakten [Konzil v. Konstantinopel 1351] bestehen folgende Unterschiede zwischen Wesen und Energien: das Göttliche Wesen lässt keine Teilhabe an sich zu, es ist namenlos und unnennbar, während die Energien Teilhabe zulassen, nennbar, mehrfach und unterschiedlich sind. Dabei bleibt die Einheit des Göttlichen Wesens und der Energien unvermischt und ihre Trennung unteilbar. Die Energie des Wesens ist ungeschaffen als Wirkung der dreifach hypostatischen Gottheit; sie verleiht dem Wesen selbst keine Trennung und verletzt nicht seine Einfachheit. Auf die Energie ist der Name „Gottheit“ ebenfalls anwendbar - sie ist ebenfalls Gott selbst.

Die Energie Gottes ist eben die ungeschaffene Göttliche Gnade (griech. χάρις; russ. благодать), die von dem Göttlichen Wesen ausgeht. Die Göttlichen Energien sind eben das, woran der christliche Asket teilhaftig wird. Daher wird auch das Göttliche Wesen dem Menschen zugleich unteilhaftig und teilhaftig. „Wenn wir sagen, dass das göttliche Wesen nicht in sich selbst, sondern in seiner Energie teilhaftig ist“, erklärte der hl. Gregor Palamas, „bleiben wir in den Grenzen der Frömmigkeit“. Das heißt also, der Unterschied zwischen dem Wesen und den Energien Gottes begründet die Möglichkeit der Teilhabe an der Natur Gottes und eröffnet die Perspektive der gnadenvollen Vergöttlichung des Menschen.
Oder einfacher ausgedrückt:
Durch die Unterscheidung von Wesen und Energien wird das Erreichen eine Erkenntnis Gottes möglich, der im Wesen unerkennbar ist, aber vermittels Seiner Energien durch jene erkennbar ist, die eine gewisse Stufe der spirituellen Vollkommenheit erreicht haben.
[...]
Gregor Palamas selbst unterstrich vielfach die Einheit von Wesen und Energien. "Obwohl die göttliche Energie von dem göttlichen Wesen unterschieden wird, ist doch im Wesen und der Energie die eine Gottheit Gottes". Der zeitgenössische griechische Kirchenhistoriker und -rechtler Blasios Pheidas formulierte die Lehre des hl. Gregor folgendermaßen: "…[die Unterscheidung] des nicht mittelbaren göttlichen Wesens und der mitteilbaren Energien trennt die ungeschaffenen Energien nicht vom göttlichen Wesen, denn in jeder Energie ist Gott ganz anwesend, weil das göttliche Wesen unteilbar ist".
sag ich doch
Gruß Jürgen

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Bruder Donald

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Bruder Donald »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 08:30
Ich bekomme häufig von Orthodoxen zu hören, das "westliche" Verständnis der Gnade sei falsch, und dann heißt es, wir würden es als eine von Gott willkürlich verteilte Huld verstehen, wobei sehr stark der Verdienst oder das Sichverdienenmüssen im Vordergrund stehe (durch Werke) und man müsse Gottes Zorn besänftigen.

Hierzu eine Zusammenfassung der Lehren des hl. Georg Palamas:
Durch die Gnade und durch die Gemeinschaft mit Gott wird der Mensch unsterblich, ungeschaffen, ewig, endlos, mit einem Wort, er wird Gott. "Gänzlich werden wir zu Göttern, ohne Ihm dem Wesen nach gleich zu sein". Alles das bekommt der Mensch von Gott als ein Geschenk der Gemeinschaft mit Ihm, als eine Gnade, die vom Wesen Gottes Selbst ausgeht, dessen aber der Menschen nie teilhaftig werden kann. "Die Vergöttlichung der Engel und der Menschen ist nicht das überwesentliche Wesen Gottes, sondern die Energie des überwesentlichen Wesens Gottes, die in den Vergöttlichten zugegen ist".

Wenn der Mensch nicht aktiv an der ungeschaffenen vergöttlichenden Gnade teilnimmt, bleibt er ein geschöpfliches Resultat der schöpferischen Energie Gottes, und die einzige Verbindung, die er mit Gott hat, ist die Verbindung, welche eine Schöpfung mit ihrem Schöpfer hat. Während das natürliche Leben des Menschen ein Resultat der göttlichen Energie ist, ist das Leben in Gott seine Teilhabe an der göttlichen Energie, welche zur Vergöttlichung führt. Das Erreichen dieser Vergöttlichung wird durch zwei höchst wichtige Faktoren bestimmt - der Konzentration und der Hinwendung des Verstandes zum inneren Menschen und dem immerwährenden Gebet in einem gewissen geistlichen Wachen, dessen Krönung die Gemeinschaft mit Gott wird.
Bei den Orthodoxen, so scheint mir, wird mehr der Wert aufs spirituelle Leben (Beten, Meditieren etc.) gelegt, was als Weg zur Teilnahme an der Gnade Gottes angesehen wird. Es ist ein stetes Praktizieren, Üben und Innewohnen.
Das katholische Denken mit "Werken" erscheint ihnen wohl so, als ob man sich die Gnade Gottes bekommt, wenn man brav die Regeln eingehalten hat.
Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 08:30
Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat, aber ich persönlich habe niemals ein solches Glaubens- und Gottesbild vermittelt bekommen und ich stehe fassungslos vor solchen Aussagen, die zudem auch noch immer als Vorwurf vorgebracht werden.
Ich bin eher irritiert, dass es dich verwundert. Das ist nämlich ein Katholiken-Bild, was viele Kritiker (Protestanten wie Atheisten) haben und man uns immer vorwirft. Das ging ja soweit, dass eine linksliberale Theologie entweder dagegen meint, man muss nur ein guter Mensch (gute, humane Werke) sein, egal welcher Religion, oder Gott schaut nicht auf unsere Werke, sondern erlöst eh alle Menschen.

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:17
Bei den Orthodoxen, so scheint mir, wird mehr der Wert aufs spirituelle Leben (Beten, Meditieren etc.) gelegt, was als Weg zur Teilnahme an der Gnade Gottes angesehen wird. Es ist ein stetes Praktizieren, Üben und Innewohnen.
Das katholische Denken mit "Werken" erscheint ihnen wohl so, als ob man sich die Gnade Gottes bekommt, wenn man brav die Regeln eingehalten hat.
Die orthodoxe Gnadenlehre ist eine „optimistische Gnadenlehre“ unter weitgehender Ausblendung der Erbsündlichkeit des Menschen.
Im Bild: Es fährt ein Gnadenzug vorbei und der Mensch steht auf dem Bahnsteig. Er wendet sich Gott zu und springt so auf den Zug auf auf und wird kostenlos mitgenommen.

Wenn man das Bild weiterspinnt, würde der Katholik auch auf den Zug aufspringen, aber er muß beim Heizer mithelfen, daß das Ding am Laufen bleibt.

Bild
Gruß Jürgen

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Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Palamas hat seine Theologie nur entwickelt um irgendwie behaupten zu können, daß die Hesychasten bei ihren Übungen wirklich Gottes Licht wahrnehmen (statt an Symptomen der Hypoxie zu leiden...). Das ist alles weniger Theologie als sophistischer Überbau für innerkirchliche Propaganda.

Meine Aussage von oben bleibt bestehen, da können sich die Orthodoxen rhetorisch verrenken wie sie wollen. Entweder das Wesen und die Energie Gottes sind echt unterscheidbar. Dann ist Gott nicht mehr eins, einfach, und es ist Vielgötterei. Oder sie sind nicht echt unterscheidbar, dann ist die Unterscheidung nach Ockham überflüssig, und es besteht für mich kein zwingender Grund mich darum zu kümmern. Tertium non datur.

(Na gut, es gibt als Drittes theoretisch auch noch die Möglichkeit, die göttliche Energie per Beziehung zu unterscheiden. Aber dann wäre sie eine vierte Person Gottes. Ich kenne keinen Orthodoxen, der explizit eine Quarternität Gottes behaupten will.)

Man kann ja meinetwegen noch behaupten, daß es nützlich ist das Wesen und die Energie Gottes zu unterscheiden, auch wenn diese Unterscheidung nicht echt ist. Prima, kein Problem. Nur kann man mit einer Konvention der Rede nicht den Inhalt katholischer Lehre angreifen, wie z.B. gegenüber Martina geschehen. Wenn ein Orthodoxer behauptet die katholische Lehre sei falsch, dann ist sofort wieder obiges Dilemma am Start.

Sascha B.
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Sascha B. »

Juergen hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:49
Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:17
Bei den Orthodoxen, so scheint mir, wird mehr der Wert aufs spirituelle Leben (Beten, Meditieren etc.) gelegt, was als Weg zur Teilnahme an der Gnade Gottes angesehen wird. Es ist ein stetes Praktizieren, Üben und Innewohnen.
Das katholische Denken mit "Werken" erscheint ihnen wohl so, als ob man sich die Gnade Gottes bekommt, wenn man brav die Regeln eingehalten hat.
Die orthodoxe Gnadenlehre ist eine „optimistische Gnadenlehre“ unter weitgehender Ausblendung der Erbsündlichkeit des Menschen.
Im Bild: Es fährt ein Gnadenzug vorbei und der Mensch steht auf dem Bahnsteig. Er wendet sich Gott zu und springt so auf den Zug auf auf und wird kostenlos mitgenommen.

Wenn man das Bild weiterspinnt, würde der Katholik auch auf den Zug aufspringen, aber er muß beim Heizer mithelfen, daß das Ding am Laufen bleibt.

Bild
Naja, so einfach macht die Orthodoxie es nicht. Die Theosis ist schon ein anstrengender geistlicher Kampf. Über 200 Fastentage jedes Jahr, ettliche davon Vegan und mit weiteren Einschränkungen (z.B. kein Öl). Ewig lange Gebetsregeln, stundenlange Liturgien. Dann noch das meiden der Sünde, wie im Katholizismus ja auch. Und natürlich noch Werke der Nächstenliebe, ohne die das ganze Fasten und Beten wertlos bleiben. würde. Alles andere als eine lustige Banhfahrt.

Das einfach Aufspringen findet man ja doch eher bei einzelnen evangelikalen Gruppen.
Der Kreuzgang ist doch total am Ende.

Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 15:25
Gibt es einen Link, wo man solche Slogans finden kann? Die Orthodoxen haben mich jetzt so richtig herausgefordert, mich eingehend mit der katholischen Lehre, den Kirchenvätern und den Dogmen auseinanderzusetzen.
Wenn ich mich recht entsinne, hast Du da ja kein Problem mit englischsprachigen Quellen. Wenn es um dogmatische Fragen geht, schaue ich praktisch immer zuerst in The Catholic Encyclopedia von 1917 nach. Zur Gnade finden sich vier Hauptartikel hier. Aus dem Artikel zu "actual grace" stammen auch die schönen Augustinus Zitate. Zu den Hesychasten gibt es hier etwas.

Als Monograph zum Thema finde ich "Grace, Predestination, and the Salvific Will of God: New Answers to Old Questions" von William G. Most schön. Das Buch gibt es inzwischen offenbar auch online, ich hab das noch in Papierform rumstehen. Eine kompaktere Zusammenfassung der Lehre findet sich z.B. in "Spiritual Theology" von Jordan Aumann, Kapitel "The Supernatural Organism". Auch das gibt es offenbar online, aber leider nur in einem wenig ansprechenden und wohl automatisch gescanntem Format. Eine speziellen Sammlung von Kommentaren der Väter zur Gnade habe ich nicht. Aber zum Beispiel "Faith of the Early Fathers: Three-Volume Set" von William A. Jurgens hat einen thematischen Index, wo man unter "Actual Grace" Dutzende von frühen Quellen findet, auch noch spezifischer sortiert.
Zuletzt geändert von Trisagion am Samstag 3. Oktober 2020, 18:32, insgesamt 1-mal geändert.

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Sascha B. hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:55
Naja, so einfach macht die Orthodoxie es nicht…
Ja klar. Es war ja auch nur ein simplifizierendes Bild.

Wenn es schon um Buchempfehlungen geht, dann empfehle ich das Buch meines leider schon verstorbenen Professors für Liturgiewissenschaft Michael Kunzler: Porta Orientalis.

Bezugsquelle des Buches zum Schnäppchenpreis von nur 39.90. :auweia: Ich habe im Oktober 1995 noch 268,- DM bezahlt. :roll:
http://www.choros.de/13756/Kunzler,%20M ... Orientalis


Zuletzt geändert von Juergen am Samstag 3. Oktober 2020, 18:44, insgesamt 2-mal geändert.
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Juergen hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:49

Wenn man das Bild weiterspinnt, würde der Katholik auch auf den Zug aufspringen, aber er muß beim Heizer mithelfen, daß das Ding am Laufen bleibt.

Bild
[/font]
:kugel: :kugel: :kugel: :freude: :freude: :freude:

Vielleicht ein Grund zu konvertieren!
Mein Opa war Lokfüherer, der hatte immer einen oder zwei Heizer ;D :D
Zuletzt geändert von Martina am Samstag 3. Oktober 2020, 18:41, insgesamt 1-mal geändert.

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

@Bruder Donald: Unter dem Aspekt der Lehren von Gregor von Palamas kann man nur schließen, dass man aus Unwissenheit heraus argumentiert hat und obendrein die Theologie mit der Praxis vertauscht wurde.

Somit hatte Trisagion sehr recht, wenn er sagte (wenn ich es einmal so paraphrasieren darf): Das ist kein katholisches Problem, und daher irrelevant.

Fassungslos bin ich ob der Intoleranz gepaart mit völlig unfundierten Zuschreibungen, um es mal euphemistisch zu formulieren.

Die orthodoxen Gottesdienste sind ohne Zweifel denen der Katholiken haushoch überlegen. Es ist das, was den Katholiken vor langer Zeit abhanden gekommen ist. Aber diese Intoleranz und Propaganda fällt dann ganz schön dagegen ab.

Ich finde, es ist ungleich viel schwerer, sich gegen solche "Unterstellungen" zu wehren, wenn man einen solchen Gottesdienst miterlebt hat. Bei Protestanten ist es schon aufgrund ihrer wortgottesdienstlichen Belehrungsveranstaltungen und der Verweltlichung aller Inhalte sowie ihrer Entfernung vom Ursprung sehr viel leichter, sich abzugrenzen und ihre Fehlinterpretationen nicht ernst zu nehmen.
Wohingegen wir aufgrund des heutigen Verfalls ja jedem Orthodoxen, der etwas sucht, geradezu eine Steilvorlage bieten.

Deswegen reite ich auch so auf all den strittigen Punkten herum.

Ein Verdacht, der sich mir immer mehr aufdrängt, ist, dass all diese "energetischen" Gnadenprobleme, der Filioque-Streit und das Anprangern des Papstamtes im Grunde einen politischen Hintergrund haben, den man nie zugeben wollte (wobei mir gerade einfällt, dass die Orthodoxen die Hintergründe der Plünderung von Konstantinopel durch die Kreuzritter auch immer tunlichst weglassen. Ich habe mir da nur gedacht, naja, wenn ein Kunde nicht zahlt, dann schalte ich auch ein Inkassobüro ein). Denn ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was all diese Unterschiede anderes sein könnten als linguistische oder auch kulturelle Probleme bei der Übertragung in eine andere Sprache, so wie bei jeder anderen Übersetzung auch.

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Wow, danke Trisagion. Das ist eine Menge, womit ich arbeiten kann. Vielen Dank!

Ja und Jürgen natürlich auch! Und alle anderen, die mir da weitergeholfen haben. Ich komme gar nicht mehr nach mit dem Nachschauen und Dankesagen. Also bitte nicht böse sein, wenn ich jemanden vergessen habe.

Das Buch von Kunzler habe ich eben gekauft. Danke für den Tipp. Bei Boolooker ist das billigste gebrauchte Angebot 50 Euro.

Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 15:25
Also hierzu hätte ich gerne Literaturempfehlungen/Links, weil ich da intellektuell nicht mehr mitkomme. Da steigt mein Kopf einfach aus. ... Wobei sich fragt, ob das irgendwo einfacher darzustellen ist.
Gott gibt Dir einen Käse. Gott gibt Dir Gott. Was ist der Unterschied? Nun, der Hauptunterschied ist, daß Du einmal etwas Geschaffenes erhalten hast, das anderemal das einzige Ungeschaffene (nämlich den Schöpfer selber).

Gott erzeugt eine Flamme in einem Dornenbusch. Die zweite Person Gottes geht aus der ersten Person Gottes hervor. Was ist der Unterschied? Nun, der Hauptunterschied ist, daß die erste Handlung ein Schöpfungsakt war, etwas das in Zeit und Raum lokalisierbar ist: vorher hier keine Flamme, nachher wohl. In diesem Sinne ist die Handlung selber "geschaffen", sie passiert zeitlich konkret. Die zweite Handlung ist nicht in Raum und Zeit lokaliserbar, sie ist ewig, logisch, für uns Kreaturen mehr wie eine Zustandsbeschreibung wirkend. Diese Prozession Gottes war, ist, und wird immer sein, sie etabliert Vater und Sohn in Ewigkeit. In diesem Sinne ist sie "ungeschaffen", sie passiert nicht zeitlich konkret.

Die meisten Gnadengaben sind "geschaffen" in beiderlei Hinsicht. Man erhält etwas das nicht Gott selber ist (z.B. eine geistige Einsicht) und man erhält sie zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein Mensch kann auch nie Gnade durch eine "ungeschaffene" Handlung erhalten, denn er steht ja selber in der Zeit und so muß es auch der Akt des Gebens an ihn tun. Aber ein Mensch kann Gott selber als Gabe erhalten, also das Ungeschaffene an sich (*). Drei Fälle wo das passiert sind bekannt, siehe oben. In diesen Fällen redet dann auch die katholische Theologie von "ungeschaffener" Gnade, nämlich bzgl. dessen was man erhält, nicht bzgl. der Art und Weise wie man es erhält.

War das verständlicher? Tut mir leid, ich weiß da jetzt gerade keine gute Quelle zu. Wenn ich was finde, melde ich mich.

(*) Es ist dabei nicht gemeint, daß ein Mensch Gott in seiner Gänze "fassen" kann, nicht geistig und schon garnicht physisch. Nur daß es in der Gabe um Gott selber geht, nicht um etwas anderes.

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

:-) Ja, jetzt war es verständlich :-) Ein sehr griffiges Beispiel mit dem Käse. Danke dir!

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Sascha B. hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:55
Naja, so einfach macht die Orthodoxie es nicht. Die Theosis ist schon ein anstrengender geistlicher Kampf. Über 200 Fastentage jedes Jahr, ettliche davon Vegan und mit weiteren Einschränkungen (z.B. kein Öl). Ewig lange Gebetsregeln, stundenlange Liturgien. Dann noch das meiden der Sünde, wie im Katholizismus ja auch. Und natürlich noch Werke der Nächstenliebe, ohne die das ganze Fasten und Beten wertlos bleiben. würde. Alles andere als eine lustige Banhfahrt.
Ist katholischerseits ja auch keine lustige Bahnfahrt, da man ja beim Heizer mitarbeiten muß.
Konzil von Trient -Dekret über die Rechtfertigung hat geschrieben:Kap. 10. Das Wachstum der empfangenen Rechtfertigung
Die so also Gerechtfertigten und zu „Freunden Gottes" sowie „Hausgenossen" [Joh 15,15; Eph 2,19] Gewordenen „schreiten von Tugend zu Tugend" [Ps 84,8] und „werden (wie der Apostel sagt) von Tag zu Tag erneuert" [2 Kor 4,16], indem sie nämlich die Glieder ihres Fleisches abtöten [vgl. Kol 3,5] und sie zu Waffen der Gerechtigkeit machen für die Heiligung [vgl. Röm 6,13 19], durch die Beachtung der Gebote Gottes und der Kirche; in dieser durch Christi Gnade empfangenen Gerechtigkeit wachsen sie - wobei der Glaube mit den guten Werken zusammenwirkt [vgl. Jak 2,22] - und werden noch mehr gerechtfertigt [Kan. 24 und 32], wie geschrieben steht: „Wer gerecht ist, werde weiterhin gerechtfertigt" [Offb 22,11]; und wiederum: „Scheue dich nicht, bis zum Tode gerechtfertigt zu werden" [Sir 18,22]; und wieder: „Ihr seht, daß der Mensch aufgrund von Werken gerechtfertigt wird, und nicht nur aufgrund des Glaubens" [Jak 2,24]. Diesen Zuwachs an Gerechtigkeit aber erbittet die heilige Kirche, wenn sie betet: „Gib uns, Herr, Wachstum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe".
Gruß Jürgen

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Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Und jetzt mal ganz provokativ gefragt: Wer arbeitet jetzt mehr? Die, die es umsonst kriegen und fasten müssen oder die, die beim Heizer mitschaufeln müssen? Die stundenlangen Liturgien zähle ich jetzt mal nicht, weil ich die nicht anstrengend finde. Außerdem ist es ja nicht Pflicht, von Anfang bis Ende stehend da zu sein und obendrein schon zum Orthros zu kommen, denn dann sind es nämlich locker 5 Stunden.

Wie nennt man eigentlich bei den Katholiken das Äquivalent zur Theosis?
Zuletzt geändert von Martina am Samstag 3. Oktober 2020, 20:37, insgesamt 1-mal geändert.

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Lycobates
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Lycobates »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 18:29
Wenn es um dogmatische Fragen geht, schaue ich praktisch immer zuerst in The Catholic Encyclopedia von 1917 nach.
Eine sehr gute Empfehlung!
Der Mittelweg ist der einzige Weg, der nicht nach Rom führt (Arnold Schönberg)
*
Fac me Tibi semper magis credere, in Te spem habere, Te diligere
*
... una cum omnibus orthodoxis, atque catholicae et apostolicae fidei cultoribus

Bruder Donald

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 17:52
Man kann ja meinetwegen noch behaupten, daß es nützlich ist das Wesen und die Energie Gottes zu unterscheiden, auch wenn diese Unterscheidung nicht echt ist. Prima, kein Problem.
So verstehe ich zumindest das ganze.
Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 18:38
Fassungslos bin ich ob der Intoleranz gepaart mit völlig unfundierten Zuschreibungen, um es mal euphemistisch zu formulieren.
[...]
Ein Verdacht, der sich mir immer mehr aufdrängt, ist, dass all diese "energetischen" Gnadenprobleme, der Filioque-Streit und das Anprangern des Papstamtes im Grunde einen politischen Hintergrund haben, den man nie zugeben wollte [...]. Denn ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was all diese Unterschiede anderes sein könnten als linguistische oder auch kulturelle Probleme bei der Übertragung in eine andere Sprache, so wie bei jeder anderen Übersetzung auch.
Eiferer und Rechthaber gibt es auf beiden (allen) Seiten. Gerade hier im Kreuzgang wirst du genug katholischer Äquivalente jener Orthodoxen finden, welche dich angegriffen haben.
Man ist nach Jahrhunderten der Trennung teilweise unterschiedliche Wege gegangen und es sind unterschiedliche Traditionen gewachsen, wo weder katholische oder orthodoxe Hardliner Interesse haben, irgendetwas zu revidieren oder aufzugeben. Ich empfinde es allerdings so, dass die kath. Kirche da noch eher auf die Orthodoxen zugeht, die Orthodoxen aber lieber aus kirchenpolitischen Gründen mauern.
Ja, du wurdest offenbar kalt erwischt, da hilft nur sich belesen und in die Materie einarbeiten. Aber dann kommt es noch darauf an, was/wen man liest. Ich bezweifle, dass es hilfreich wäre, wenn du ein katholisches Hanbuch zum Thema liest, wo auf die orthodoxe Sicht in Form von "orthodoxe Gnadenlehre ist falsch und häretisch" geantwortet wird (so einen Eindruck hinterlassen oft die orthodoxen Lehrbücher auf mich).

Ich denke, dass für uns Katholiken die orthodoxe Gnadenlehre eher zu verstehen/integrieren/akzeptieren ist, als umgekehrt.
Wenn ich die katholische und orthodoxe Glaubenspraxis im Vergleich darstellen müsste, würde ich sagen: die Orthodoxen gehen den Weg der Benediktiner (Kloster, Abseits von Menschen, Kontemplation), die Katholiken hingegen können sowohl Benediktiner als auch Augustiner (raus aus dem Kloster, unter den Menschen leben, wirken und predigen) sein, wenn auch momentan der Trend mehr zu den Augustinern neigt.

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Juergen
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Juergen »

Martina hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 20:33
Und jetzt mal ganz provokativ gefragt: Wer arbeitet jetzt mehr? Die, die es umsonst kriegen und fasten müssen oder die, die beim Heizer mitschaufeln müssen?
Richtig erkannt,
Es sind die.
:nuckel:
Gruß Jürgen

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Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 3. Oktober 2020, 23:15
Ich empfinde es allerdings so, dass die kath. Kirche da noch eher auf die Orthodoxen zugeht, die Orthodoxen aber lieber aus kirchenpolitischen Gründen mauern.
Solange mir nicht jemand erläutert, wie eine theoretische Vereinigung beider Seiten zu einer einheitlichen Regelung bzgl. des Sakraments der Ehe kommen soll, halte ich nicht viel von solchen Gesprächen. Die meisten anderen Probleme zwischen diesen beiden Seiten betreffen die Praxis der Gläubigen wenig, aber wer an der Ehe dreht beeinflußt eine Menge Leben, und ich sehe da keinen möglichen Kompromiß - eine Seite müßte der anderen recht geben, und ihren Gläubigen erklären wieso sie ihnen seit Jahrhunderten ins Leben pfuscht.

Andererseits is z.B. das "filioque" schnell erledigt, da besteht die Lösung schlicht darin "aus dem Vater durch den Sohn" zu sagen, was von den Vätern her belegt ist, bei den Orthodoxen akzeptiert wird und für die Lateiner (und bzlg. anderer Väter) im "durch" das "und" ausreichend beinhaltet um eine logische Unterscheidung der zweiten und dritten Person zu erlauben. Das "filioque" ist in der Tat ein Kunstproblem. Wobei m.E. da heute weniger aus kirchenpolitischen Gründen gemauert wird, sondern mehr aus "Tradition". Man tut schon seit Jahrhunderten so, als ob das ein unlösbares Problem ist, also muß man das auch immer weiter tun...

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 4. Oktober 2020, 01:36
Die meisten anderen Probleme zwischen diesen beiden Seiten betreffen die Praxis der Gläubigen wenig, aber wer an der Ehe dreht beeinflußt eine Menge Leben, und ich sehe da keinen möglichen Kompromiß - eine Seite müßte der anderen recht geben, und ihren Gläubigen erklären wieso sie ihnen seit Jahrhunderten ins Leben pfuscht.
Huch, habe ich da was verpasst? Wer pfuscht wem seit Jahrhunderten in die Ehe?

Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Martina hat geschrieben:
Sonntag 4. Oktober 2020, 04:41
Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 4. Oktober 2020, 01:36
Die meisten anderen Probleme zwischen diesen beiden Seiten betreffen die Praxis der Gläubigen wenig, aber wer an der Ehe dreht beeinflußt eine Menge Leben, und ich sehe da keinen möglichen Kompromiß - eine Seite müßte der anderen recht geben, und ihren Gläubigen erklären wieso sie ihnen seit Jahrhunderten ins Leben pfuscht.
Huch, habe ich da was verpasst? Wer pfuscht wem seit Jahrhunderten in die Ehe?
Entweder man kann sich scheiden und wiederverheiraten, oder nicht. Die Orthodoxen sagen man kann (auch wenn nur das erste Mal so richtig gefeiert werden darf), die Katholiken sagen man kann nicht. Eine von beiden Kirchen hat also recht, und konsequenterweise pfuscht die andere seit Jahrhunderten in der Ehe rum. Wenn die Orthodoxen unrecht haben, dann segnen sie seit Jahrhunderten systematisch den Ehebruch ab. Wenn die Katholiken unrecht haben, dann zwingen sie seit Jahrhunderten Leute in Ehen zu verbleiben, oder wenigstens keine neue Ehe zu schließen falls sie sich trennen. Eine von beiden Seiten richtet also seit Jahrhunderten großen Schaden in Sachen Ehe an.

Gegeben die moderne Einstellung zur Ehe ist es sicher wahrscheinlicher, daß sich hier die Katholiken den Orthodoxen anpassen. Und wir sehen ja durchaus Bewegung in die Richtung (Stichwort Kommunion für Wiederverheiratete). Aber das zu Ende zu führen wäre schon ziemlich krass. Zum Beispiel hier in England ist ja in der Vergangenheit das ganze Land dem Katholizismus verloren gegangen schlicht weil der Papst sich geweigert hat eine geschummelte Scheidung von Henry VIII mittels Annulierung zu ermöglichen. Und da sagt man jetzt eine echte Scheidung wäre an sich gar kein Problem gewesen, oder wie?

Martina

Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Martina »

Naja, wenn nur das erste Mal so richtig gefeiert werden darf, dann ist das ja noch schlimmer. Da ist dann der/die Zweite für immer als Nebenfrau/Nebenmann abgestempelt. Das braucht kein Mensch.
Da fällt mir auch ein, dass bei den Orthodoxen die Wiederverheiratung nach dem Tod des Ehepartners eine ähnliche Haltung hat. Irgendwie auf immer und ewig nicht der wirkliche Partner, auch im Jenseits.
Da brauche ich weder das eine noch das andere von irgendwem abgesegnet zu haben.

Trisagion
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Re: Gnade aus katholischer Sicht

Beitrag von Trisagion »

Martina hat geschrieben:
Sonntag 4. Oktober 2020, 05:53
Naja, wenn nur das erste Mal so richtig gefeiert werden darf, dann ist das ja noch schlimmer. Da ist dann der/die Zweite für immer als Nebenfrau/Nebenmann abgestempelt.
Es ist weniger die Heirat an sich und erst recht nicht der Partner "zweite Klasse", sondern vielmehr das eigene Verhalten. Einmal (oder keinmal...) ist halt Ideal, bei mehr als einmal hat man persönlich versagt, denn man hat ein Versprechen gebrochen - aber Gott gibt halt doch noch eine Chance. Man feiert das eigene Versagen (erste Ehe scheitert) und die eigene Schwäche (man will aber nicht alleine bleiben) nicht, schon garnicht vor der Gemeinde. Ich finde das im Prinzip durchaus OK als Regelung, rein menschlich betrachtet. Nur ob es Gottes Willen entspricht ist halt die Frage.

Jedenfalls wollte ich eigentlich nur gesagt haben, daß ich nie etwas dazu höre wie das bzgl. der Ehe in einer angestrebten Wiedervereinigung laufen soll. Aber ich halte das für praktisch viel schwieriger als den Rest, ob nun filioque oder Machtverteilung...

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