Ewigkeit und Tradition

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Pirmin
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Ewigkeit und Tradition

Beitrag von Pirmin »

Nicht communis opino, aber doch eine Überlegung: Wenn Jesus Hohepriester nach der Ordnung Melchizedeks ist, der sich durch seinen Ewigkeitscharakter und durch die Unabhängigkeit von der Abstammung auszeichnet, könnte man schlussfolgern, dass seine jeweiligen Nachfolger auf einer geistigen Ebene ebenso in der Ewigkeit verankert sind, abgesehen davon, dass sie gleichzeitig auch zu einer bestimmten Epoche gehören.

Da nun jeder Nachfolger auch Spiegel seiner Zeit ist, könnte man die fortschreitenden Auflösungserscheinungen der zeremoniellen Traditionen und protokollarischen Gepflogenheiten auch so interpretieren, dass bei den Päpsten des 21. Jahrhunderts zum einen der Ewigkeitscharakter und zum anderen die Unabhängigkeit von der Abstammung zugenommen hat. Dieser Gedanke setzt voraus, dass man den Begriff der „Abstammung“ erweitert versteht, denn auch Traditionen können über die Jahrhunderte hinweg wie eine Abstammung wirken. Das widerspräche allerdings der Ordnung Melchizedeks.

Es könnte also sein, dass die päpstlichen Nachfolger aus dem Abstammungsgedanken auf einer materiellen Ebene heraus, sich stets, teils irrtümlich, den Traditionen der Vorgänger verpflichtet sahen und gerade dadurch an Ewigkeitscharakter und Unabhängigkeit einbüßten. Das Priestertum wäre die vergangenen Jahrhunderte immer wieder materialistischer gedacht worden, als es qua Melchizedek gut ist. Demnach wäre es die Kunst, innerhalb der Traditionen diejenigen Elemente zu selektieren und zu pflegen, die Jesus und seinem Hohepriestertum entsprechen, ohne dabei formlos zu sein. (Der Verleihung der Tugendrose weint schließlich auch niemand nach.)

Dieter
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Re: Ewigkeit und Tradition

Beitrag von Dieter »

Jesus wollte keine Amtskirche mit einem abgehobenen Klerus. Jesus wollte Jünger, also Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, die seine Botschaft weiterverbreiteten.

1.500 Jahre lang wurde ein riesiges Gedankengebilde mit Klerus, Dogmen und Institutionen aufgebaut bis die Reformation diese Fehlentwicklung (teilweise!) wieder abschaffte.

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martin v. tours
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Re: Ewigkeit und Tradition

Beitrag von martin v. tours »

Heisst das das Gott zugelassen hat, das sich die Kirche( in Ost und West) in den ersten 1500 Jahren falsch entwickelt hat ?
Da hatte Gott aber richtig Glück, das Martin Luther kam. ;)

Dogmen? Ist nicht unser Glaubensbekenntnis auch in Dogma?
Dogmen und Institutionen gibt es bei den Nichtkatholiken genau so.
Sogar bei Atheisten.

Ich will dich weder angreifen oder beleidigen, aber ich vertraue da schon eher darauf, das in den ersten 1500 Jahren nicht nur Mist gelehrt wurde.
Nach dem sie nicht erreicht hat, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.
Nicolás Gómez Dávila

Pirmin
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Re: Ewigkeit und Tradition

Beitrag von Pirmin »

Die konfessionelle Schublade auf- und zuzumachen erstickt jede Diskussion im Keim. Gleichwohl hat Jesus ein Priestertum gegründet, dessen Qualität sich zukünftig einzig und allein an ihm zu messen hat. Luther hin oder her, dass die Qualität allerorten nicht stimmt, zeigt sich daran, dass ja der Putz überkonfessionell bröckelt. Die besagte Tugendrose ist einfach nur ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es schon immer auch aberwitzige Auswüchse gegeben hat, die nicht auf Jesus zurückzuführen sind. Als ob Jesus in roten Schuhen und Cappa Magna herumspaziert wäre, um den Tugendbolzen goldene Rosen zu verleihen. Andererseits hoffe ich, dass auch das Aggiornamento noch hoffentlich den Zenit überschreiten wird und das jesustreue Päpste wie Franziskus als Salz der Erde die fette und unbekömmliche Suppe seiner Kirche noch gründlich versalzen wird. Ich fürchte, sich in konfessionellen Denkblockaden zu verbeißen, hilft da nicht weiter. Es ginge darum nachzudenken, was durch die Jahrhunderte hinweg zeitbewährte Formen in der Liturgie sind, die geeignet sind, der Kirche im Sinne Jesu ein Gesicht zu geben.

Dieter
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Re: Ewigkeit und Tradition

Beitrag von Dieter »

Jesus ging als Wanderprediger über das Land und sammelte Jünger um sich.

Als Kaiser Konstantin das Christentum zur Staatsreligion erhoben hatte, bildete sich der Klerus heraus. Das Klerikale nahm immer mehr Raum ein. Irgendwann gab es einen Papst, Kardinäle und Bischöfe. Die Reformation konnte nur deshalb soviel Erfolgt haben, weil die Menschen den Klerus und die damaligen Machtverhältnisse zutiefst verachteten.

1.500 Jahre lang hatte sich die damalige Kirche immer mehr ausgebreitet. Dann kam die Reformation:

- Die Anglikaner schafften den Papst ab, behielt aber alles andere.

- Die Lutheraner schufen auch noch die Bischöfe wieder ab, behielten aber die Priester.

- Die Reformierten schafften auch die Priester wieder ab, behielten aber zwei Sakramente.

- Die Quäker schufen alles wieder ab und sind dadurch da, wo Jesus seinerzeit gewesen war.

Pirmin
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Re: Ewigkeit und Tradition

Beitrag von Pirmin »

Wo Jesus seinerzeit gewesen war, gab es eine jüdische Tradition und das entsprechende Priestertum. Wo Jesus seinerzeit gewesen war, wandte er sich gegen die Pharisäer, die seiner Auffassung nach den Glauben an Gott entstellten. Im letzten Abendmahl forderte Jesus die Apostel dazu auf, ihm zu gedenken. Dass sich von dort aus Gottesdienste, Riten, Kirchenmusik, Kunst und Baustile entwickelt haben, die sich in der Folge theologisch-kulturell immer weiter verfeinert haben, gibt dem Wirken Gottes ein durch die Jahrhunderte gemäßes Gesicht. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass sich der Heilige Geist in schönen und geistreichen Dingen verewigt. Die Reformation ist einfach nur tragisch, hat aber ausgedient. Alles Abschaffen was sich in der Fülle des Glaubens entwickelt hat, kann schon deshalb keine Lösung sein, weil es kein Zurück gibt. Das heißt nicht, dass päpstliche Auswüchse und das bereits erwähnte Aggiornamento nicht auf den Prüfstein kommen sollten.

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