Jesus und die Juden

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.

Ist der Anspruch Jesu auf den Messiastitel und die Gottessohnschaft authentisch?

Ja, die Evangelien oder Briefe des NT sind dafür das glaubwürdigste Zeugnis.
8
80%
Ja, aber nicht primär das NT, sondern andere Quellen oder Indizien deuten darauf hin.
0
Keine Stimmen
Ja, aber nur im Sinne des Glaubens.
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Nein, der Anspruch ist unwahrscheinlich, aber im Sinne des Glaubens wahr.
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Nein.
1
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Insgesamt abgegebene Stimmen: 10

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Yeti
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Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Liebe Mitforanten,

ich habe zumindest so spezifisch kein bereits bestehendes Thema über die Rolle Jesu im heutigen Judentum und sein Verhältnis zum heutigen Christentum gefunden, speziell zur römisch-katholischen Kirche. Aus diesem Grund würde ich gerne hier über die geschilderte Problematik mit euch diskutieren. Kurz vor Ostern habe ich auf SWR 2 im Radio ein Gespräch mit einem Rabbiner gehört, der - kurz gesagt - folgende Behauptungen aufstellte: Jesus habe nichts anderes gelehrt, als fromme Juden zur damaligen Zeit ohnehin glaubten; die Gottessohnschaft habe er nie gepredigt und erst recht nicht die Dreieinigkeit. Leider kann ich die dazugehörige Sendung auf SWR 2 nicht mehr finden, es muss wohl am Mittwoch vor dem Gründonnerstag gewesen sein. Allerdings gibt es auch im Internet jüdische Quellen, deren Inhalt in dieselbe oder ähnliche Richtung gehen. Ich muss sagen, dass ich von dieser Behauptung zwar nicht zum ersten Mal höre, aber auch jedes Mal erneut über ihre Ungeheuerlichkeit (besonders angesichts meines Glaubens als Katholik) regelrecht fassungslos bin, denn im Prinzip ist das ja der Dreh- und Angelpunkt des Christentums. Es gibt allerdings eine jüdische Quelle zu diesen Behauptungen, die ich in relativ kurzer Zeit gefunden habe (sicherlich gibt es ähnliche oder gar ausführlichere Quellen anderswo und ich bin dankbar für Ergänzungen).

“Rabbi Jesus” (Predigt von Theodor Much von der liberalen (!) jüdischen Gemeinde "Or Chadasch" in Wien in der Reformierten Stadtkirche. Theodor Much ist Autor des Buches "Wer killte Rabbi Jesus?: Religiöse Wurzeln der Judenfeindschaft") Hier eine Kurzbiographie von Much:
Dr. med. Theodor Much, 1942 in Tel Aviv geboren. Medizinstudium in Wien, Ausbildung zum Facharzt für Dermatologie in Zürich. Der ehemalige Leiter der Hautambulanz im Hanusch-Krankenhaus Wien ist seit 1990 Präsident der jüdischen Reformgemeinde Or Chadasch („Neues Licht") und beteiligt sich seither aktiv am interreligiösen Dialog. Zahlreiche Buchpublikationen (u.a. „Noah & Co", satirische, antifundamentalistische Essays, „Zwischen Mythos und Realität . Judentum, wie es wirklich ist"); Veröffentlichungen und Vorträge zu Fragen des Interkonfessionellen Dialogs, zum Status der Frau in der Religion und zu religiösem Fundamentalismus.
In dieser Predigt bzw. Vortrag werden nun die oben genannten zentralen Thesen aufgeführt:
Theodor Much hat geschrieben:Wer letztlich seinen [gemeint ist Jesu] Tod verschuldete, bleibt unklar. Sicherlich hatte er Feinde hauptsächlich unter den Sadduzäern und einzelnen Pharisäern, doch weswegen er letztlich von den Römern ermordet wurde, kann nur vermutet werden. Denn weder der Inhalt seiner Lehre, noch seine öffentlichen Reden standen im Gegensatz zum Judentum. Selbst wenn er sich als den Messias verstanden hätte, wäre diese Selbsteinschätzung kein ausreichender Grund für eine Hinrichtung (das beweist die lange jüdische Geschichte mit vielen gescheiterten Messiasanwärtern, die nie vor Gericht standen). Obwohl er sich nie dem Volk als Messias präsentierte (und seine Jünger davor warnte, öffentlich diese Behauptung aufzustellen), war er – wie dem Neuen Testament entnommen werden kann – ein beliebter und viel bewunderter Prediger.
Und weiter:
Theodor Much hat geschrieben:Nicht das, was Jesus lehrte, trennt heute Juden und Christen, sondern die Theologie seiner Nachfolger. Denn sie führten den Begriff der Dreifaltigkeit ein (eine Vorstellung, die der jüdischen Gottesvorstellung von einem unsichtbaren, einzigen Gott, der nicht abgebildet werden darf und keinesfalls mit Menschenkindern Nachkommen zeugt, widerspricht) und sahen in Jesus den körperlichen Sohn Gottes und auch den Messias (dessen Wirken auf Erden mit den gängigen Messiasverständnis des Judentums sich nicht vereinbaren lässt).
Zu den mir sehr abstrus scheinenden Thesen in diesem Vortrag möchte ich jetzt gar nicht Stellung nehmen (z.B. sei die Todesstrafe im Judentum schon seit 2.000 Jahren abgeschafft [2011 wurde von einem rabbinischem Gericht in Israel sogar ein Hund zur Steinigung verurteilt :vogel: ], etwas unglücklich ist auch die verzerrte Darstellung der Erbsündentheologie, schon gar nicht eingehen möchte ich auf die auch im Vortrag voraufklärerisch weiterhin vertretene These eines "jüdischen Volkes" als Ethnie). Insgesamt wünsche ich mir von diesem Strang, dass eine wirklich sachliche Diskussion darüber geführt wird, ob Jesus tatsächlich den Messiastitel und die Gottessohnschaft beansprucht hat. Ich wünsche mir keine antijudaistischen Vorurteile, aber ebensowenig unkritischen Philosemitismus.

Die Frage lautet also: Ist der Anspruch Jesu auf den Messiastitel und die Gottessohnschaft authentisch?

Während meines katholischen Theologiestudiums kam man in den Vorlesungen und Seminaren, natürlich vor allem in der Neutestamentlichen Exegese, immer wieder auf die Stellen in den Evangelien zu sprechen, wo die Beanspruchung des Messiastitels bzw. Gottessohnschaft Jesu geäußert wird. Nirgendwo und niemals wurden die Quellen für diese Stellen auch im Licht der historisch-kritischen Methode als unglaubwürdig tituliert. Dabei war die theologische Fakultät der Universität Freiburg i.Br. und besonders die exegetischen Abteilungen für ihre "Originalität" bei der Auslegung geradezu berüchtigt. Nun frage ich mich aber auch, welche Quellen die Gegenseite, also das Judentum, hier anführen könnte, um die genannten Ansprüche Jesu im Neuen Testament ad absurdum zu führen. Denn selbst der Zeitgenosse Jesu, der jüdische Historiker Flavius Josephus, schreibt in den Antiquitates Judaicae:
Flavius Josephus hat geschrieben:„Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mann, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte nämlich ganz unglaubliche Taten und war der Lehrer aller Menschen, die mit Lust die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Dieser war der Christus. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorhergesagt hatten. Und bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.“
Diese Stelle wird zwar als unecht bezeichnet, bzw. entstand lt. der These durch Einfügungen christlicher Überlieferer, allerdings ist diese Bestreitung der Echtheit wenig fundiert (also eher von interessierter Seite lanciert worden). Aber gleichwohl: Diese Quellen sagen nichts darüber aus, inwieweit Jesus selbst seine Ansprüche als Gottessohn und Messias nicht wirklich selbst hervorgebracht haben könnte. Interessant ist ohnehin, dass jüdische Forschungen die Evangelien als schriftliche Quellen überhaupt nicht einmal in Erwägung ziehen (das ist interessant, weil es weitere schriftliche Quellen theologisch-inhaltlicher Art eigentlich nicht gibt, den Talmud selbst einmal ausgenommen, der bezüglich seiner Berichte über die Person Jesu viele unaufgelöste historische Widersprüche und Authentizitätsfragen aufwirft). Der Talmud selbst sagt dazu (Traktat Sanhedrin 43a):
Talmud hat geschrieben:„Am Vorabend des Passahfestes hängte man Jeschu. Vierzig Tage vorher hatte der Herold ausgerufen: Er wird zur Steinigung hinausgeführt, weil er Zauberei getrieben und Israel verführt und abtrünnig gemacht hat; wer etwas zu seiner Verteidigung zu sagen hat, der komme und sage es. Da aber nichts zu seiner Verteidigung vorgebracht wurde, so hängte man ihn am Vorabend des Passahfestes.“
Forscher datieren diese Notiz auf etwa 200-220 n.Chr., also weit später als die Evangelien, in quellenkritischer Hinsicht also nachrangiger. Wie sieht die Quellenlage also wirklich aus? Was meint ihr dazu? Wer nichts schreiben möchte, kann auch nur abstimmen. Ich weiß, die Wahrheit ist nicht demokratisierbar. Aber interessieren tut's mich schon. Deshalb bitte ich auch um Ergänzungen und gerne auch um Korrekturen und konstruktive Kritik. Auch Literaturempfehlungen dazu nehme ich gerne entgegen.
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Maurus
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Maurus »

Ich bin über diesen Satz Muchs gestolpert: "Denn weder der Inhalt seiner Lehre, noch seine öffentlichen Reden standen im Gegensatz zum Judentum."

Das klingt für mich so, als ginge Much von einer homogenen jüdischen Lehre zu dieser Zeit aus. Doch die Streitigkeiten zwischen den Parteien sind ja eine historische Tatsache, auch in der Schrift klingen sie mehrfach an. Wenn Jesu Lehrverkündigung sich überhaupt nicht von anderen Juden unterschied, warum wurde er dann überhaupt verurteilt? Und warum sollte sein jüdischer Anhang anschließend daran gehen, Jesus ein Prädikat anzuhängen, das im Widerspruch zu den eigenen Glaubensüberzeugungen und zu denen des gesamten Umfelds steht? Das ist irgendwie nicht besonders überzeugend.

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Maurus hat geschrieben:Ich bin über diesen Satz Muchs gestolpert: "Denn weder der Inhalt seiner Lehre, noch seine öffentlichen Reden standen im Gegensatz zum Judentum."

Das klingt für mich so, als ginge Much von einer homogenen jüdischen Lehre zu dieser Zeit aus. Doch die Streitigkeiten zwischen den Parteien sind ja eine historische Tatsache, auch in der Schrift klingen sie mehrfach an. Wenn Jesu Lehrverkündigung sich überhaupt nicht von anderen Juden unterschied, warum wurde er dann überhaupt verurteilt? Und warum sollte sein jüdischer Anhang anschließend daran gehen, Jesus ein Prädikat anzuhängen, das im Widerspruch zu den eigenen Glaubensüberzeugungen und zu denen des gesamten Umfelds steht? Das ist irgendwie nicht besonders überzeugend.
Ja, ich verstehe das auch nicht. Ich gehe doch eigentlich davon aus, dass diese Leute das auch selber glauben, was sie da referieren. Sie wurden bestimmt auch schon auf solche Widersprüche angesprochen. Vielleicht ist das "Aushalten" solcher Widersprüche aber auch bei jenen Religionen zu einem nicht kodifizierten Dogma geworden, deren Grundlagen entweder theologisch oder philosophisch überholt wurden. Ich denke da auch an den Islam. Dabei wäre es für das Judentum doch recht einfach, wenn sie - wie bisher - die Authentizität der Ansprüche Jesu einfach leugnen würden. Vielleicht gerät es zwischen Islam und Christentum auch unter einen gewissen Anpassungsdruck; es wäre ja nicht das erste Mal. Ursprünglich gab es die Auferstehung der Toten im Judentum ja auch nicht.
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Schwenkelpott
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Schwenkelpott »

Yeti hat geschrieben:Kurz vor Ostern habe ich auf SWR 2 im Radio ein Gespräch mit einem Rabbiner gehört, der - kurz gesagt - folgende Behauptungen aufstellte: Jesus habe nichts anderes gelehrt, als fromme Juden zur damaligen Zeit ohnehin glaubten; die Gottessohnschaft habe er nie gepredigt und erst recht nicht die Dreieinigkeit. Leider kann ich die dazugehörige Sendung auf SWR 2 nicht mehr finden, es muss wohl am Mittwoch vor dem Gründonnerstag gewesen sein.
Habe da eine ähnliche Sendung beim Deutschlandfunk gefunden (Links zu den ersten beiden Teilen am Ende der Seite):

http://www.deutschlandfunk.de/serie-das ... _id=315889
Der Katholik steht und will stehen in Allem auf historischem Boden; nur das Erdreich der Überlieferung gibt ihm Festigkeit und Nahrung; nur was sich an Überliefertes anschließt, gedeiht und treibt zu neuen Blüten und neuem Samen.
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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Schwenkelpott hat geschrieben:
Yeti hat geschrieben:Kurz vor Ostern habe ich auf SWR 2 im Radio ein Gespräch mit einem Rabbiner gehört, der - kurz gesagt - folgende Behauptungen aufstellte: Jesus habe nichts anderes gelehrt, als fromme Juden zur damaligen Zeit ohnehin glaubten; die Gottessohnschaft habe er nie gepredigt und erst recht nicht die Dreieinigkeit. Leider kann ich die dazugehörige Sendung auf SWR 2 nicht mehr finden, es muss wohl am Mittwoch vor dem Gründonnerstag gewesen sein.
Habe da eine ähnliche Sendung beim Deutschlandfunk gefunden (Links zu den ersten beiden Teilen am Ende der Seite):

http://www.deutschlandfunk.de/serie-das ... _id=315889
Ja danke, das ist es!
Aber das ist ja noch viel abenteuerlicher:
Günther Bernd Ginzel hat geschrieben:Jetzt aber beginnt sich auch die Kirche zu etablieren, zu schärfen und dramatisch vom Judentum abzusetzen, was ja jetzt auf einmal eine nicht mehr angesehene Gemeinschaft, eine besiegte Gemeinschaft war. Eine Gemeinschaft, der anzugehören, gefährlich sein konnte. Man setzt sich ab. Man setzt voll auf das Heiden-Christentum. Man versucht, das Juden-Christentum, man versucht, die eigentliche Tradition Jerusalems, die eigentliche jesuanische Tradition machtvoll auszuscheiden, und konzentriert sich voll auf das neu entstehende Heiden-Christentum mit vollkommen anderen Akzenten. Das Evangelium der Armut wird ganz schnell aufgegeben. Das Evangelium der Liebe wird übersetzt, in dem man sich konzentriert auf die Liebe an den Auferstandenen. Die Lehre Jesu wird marginal, wird unwichtig.
Günther Bernd Ginzel hat geschrieben:Das war auch schwierig mit den Juden über den Jesus, den Lehrer, den Rabbi zu streiten, machte keinen Sinn, weil die natürlich einfach sagten, was wollt ihr eigentlich, haben wir doch auch. Guckt mal da nach, lest hier, lest dort. Das ist nichts, weshalb wir uns aufregen müssen. Selbst wenn wir anderer Meinung sind, die wurde unter Juden schon immer vertreten, sondern das Entscheidende war eben jetzt, die Lehre Jesu wurde negiert, weil – ich bin felsenfest davon überzeugt – man sich nicht nur von den Juden absetzen musste, in dem man mit der Lehre Jesu auch das Jüdische aus den Evangelien, aus der Kirche heraus katapultierte, sondern weil es natürlich auch eigene sich etablierende Strukturen gab nunmehr auch als Staatskirche, die einen bedrohten und damit auch abschaffen konnte.
Günther Bernd Ginzel hat geschrieben:Ich will nur deutlich machen, dass der Anspruch, die sehr späte Interpretation, ohne sich auf klare Aussagen Jesu berufen zu können. Das heißt, die Kirche verhält sich so wie die Schriftgelehrten in ihrer anti-jüdischen Polemik. Sie durchforsten ununterbrochen die Schrift, um sie dahingehend zu biegen. Wenn Jesus sagt, ich bin der Menschensohn, heißt es direkt, du sagst es. Plötzlich wird alles Mögliche herangezogen – da ist es, da hat er es doch gesagt. Aber warum sagt er es nicht klar und deutlich? Jetzt wird es zum Glaubensdogma, zum Trennungsdogma. Zwischen Juden und Christen, zwischen Rechtgläubigen und Ungläubigen aus der Sicht der Kirche. Glaubst du, dass Jesus der leibliche Sohn Gottes, wahrer Mensch und wahrer Gott ist?
Ich fasse mal zusammen: Die frühe Kirche hat die Lehre Jesu verzerrt und verfälscht und hat aus ihm den Sohn Gottes etc. gemacht, um sich vom Judentum abzugrenzen. Und für all diese Behauptungen gibt's natürlich keine Belege. Irgendwie erinnert mich das an Dan Brown.
Das ist der totale Bruch, wo Juden und Christen einander auch nicht mehr verstehen.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Bruch auch irgendwie durch den Intellekt geht. Und so einer sitzt in Gremien für den christlich-jüdischen Dialog?
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overkott
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von overkott »

Ginzel spricht Folgen der Ausbreitung des jüdisch-christlichen Glaubens zunächst in den hellenistischen Kulturraum an, der sich allein schon in der griechischen Sprache des neuen Testaments widerspiegelt: etwa die Folge der Entwicklung einer verfolgten Sekte zur Staatskirche im Spiegel der Entwicklung des Jesusbildes vom Minderbruder zum Gottkönig, inklusive der dogmatischen Verfestigung in Glaubenssätzen, die sich nicht im neuen Testament finden. Wer theologisch ein bisschen Ahnung hat, wird dem grundsätzlich nicht widersprechen.

Ginzel geht jedoch zu undifferenziert und zu unkritisch mit den Strömungen im Judentum um und dem persönlichen Versagen damals in Jerusalem Verantwortlicher für den Tod Jesu und für die Verfolgung der alten Kirche.

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

overkott hat geschrieben:Ginzel spricht Folgen der Ausbreitung des jüdisch-christlichen Glaubens zunächst in den hellenistischen Kulturraum an, der sich allein schon in der griechischen Sprache des neuen Testaments widerspiegelt: etwa die Folge der Entwicklung einer verfolgten Sekte zur Staatskirche im Spiegel der Entwicklung des Jesusbildes vom Minderbruder zum Gottkönig, inklusive der dogmatischen Verfestigung in Glaubenssätzen, die sich nicht im neuen Testament finden. Wer theologisch ein bisschen Ahnung hat, wird dem grundsätzlich nicht widersprechen.

Ginzel geht jedoch zu undifferenziert und zu unkritisch mit den Strömungen im Judentum um und dem persönlichen Versagen damals in Jerusalem Verantwortlicher für den Tod Jesu und für die Verfolgung der alten Kirche.
Ginzel ist noch spezifischer in seinen Aussagen, als du es umschrieben hast. Und seine (Ginzels) Kernaussage für mich ist die Kernfrage des Christentums überhaupt, nämlich diejenige, dass Jesu Anspruch, der Messias und der Sohn Gottes gewesen zu sein, von der Kirche bzw. den christlichen Gemeinden hinzugefügt worden sei:
Günther Bernd Ginzel hat geschrieben:Ich will nur deutlich machen, dass der Anspruch, die sehr späte Interpretation, ohne sich auf klare Aussagen Jesu berufen zu können. Das heißt, die Kirche verhält sich so wie die Schriftgelehrten in ihrer anti-jüdischen Polemik. Sie durchforsten ununterbrochen die Schrift, um sie dahingehend zu biegen. Wenn Jesus sagt, ich bin der Menschensohn, heißt es direkt, du sagst es. Plötzlich wird alles Mögliche herangezogen – da ist es, da hat er es doch gesagt. Aber warum sagt er es nicht klar und deutlich?
Und da wiederhole ich noch einmal meine Kernfrage: Woher haben Ginzel und die anderen die Gewissheit, dass dies Jesus nicht gesagt haben soll? Welche Hinweise und Belege gibt es dazu? Auch Ginzel und die anderen (z.B. der Islam) fallen auf die "Sohnes"-Terminologie herein, wenn sie eine Art leibliche Zeugung und Abstammung Jesu von Gott annehmen:
KKK, Nr. 441 hat geschrieben:Er bedeutet eine Adoptivsohnschaft, die zwischen Gott und seinem Geschöpf eine besonders innige Verbindung herstellt.
Oder anders in Klaus Bergers Worten: "Jesus ist das einzige Foto, das wir von Gott haben".Berger, K.: Jesus. - München 2007. - Hier: S. 61 Aber vor allem haben wir viele Stellen im NT, in denen Jesus selbst sehr deutlich die Hoheitstitel beansprucht (Christus bzw. Messias: Lk 2,11; Joh 10,36; Mt 1,20; Mt 1,16; Mk 1,24; Joh 6,69. Gottes eingeborener Sohn: Lk 22,70, Joh 3,16; Joh 3,18; Mt 16,16. Herr: Joh 20,28; Joh 21,7.). Mitnichten sind alle diese Stellen als Textzeugen unzuverlässig. Im erstgenannten Text kann sich ja T. Much ja auch nicht erklären, weshalb der Hohe Rat Jesus zum Tode verurteilt haben sollte (geradezu dümmlich insinuierte Scheinlogik: Deshalb hätten ihn die Römer zum Tode verurteilt, nicht der Hohe Rat). Auch hier sehen wir, dass man von jüdischer Seite das NT bzw. die Evangelien überhaupt nicht als Quellen akzeptiert, denn sonst müsste es ihm ja bekannt sein, dass vor allem Jesu proklamierte Gottessohnschaft, ja sein Anspruch, Gott selbst zu sein, zu seiner Passion führt.

Es geht also überhaupt nicht um irgendwelche dogmatischen Entfaltungen im Urchristentum nach Jesu irdischem Dasein; dass es die gab, ist ja auch bekannt. Es geht - wirklich ganz konkret - um die christliche Kernfrage, ob Jesus selbst all diese Bezeichnungen für sich in Anspruch nahm. Und da böten die Evangelien - wie oben gezeigt - zuverlässige Textzeugen; im Gegensatz zu den rein jüdischen Quellen, die entweder Jesus überhaupt ignorieren oder seine Lehre verzerrt darstellen und auch generell als Textzeugen mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, da sie mehrere Jahrhunderte nach den Evangelien verfasst wurden, also einer Zeit, in der das Judentum schon vom aufstrebenden Christentum unter arge Bedrängnis geraten war; nicht nur aufgrund irgendwelcher ständig stattfindender Progrome (da ist die Quellenlage nämlich auch schwierig), sondern die Dezimierung der jüdischen Gemeinden durch die Taufe, das Christentum war offenbar ebenso attraktiv - nicht nur für Nichtjuden - wie vorher das Judentum rund ums Mittelmeer.

Das führt mich zu der tatsächlich sehr unkritischen Betrachtung Ginzels der jüdischen Geschichte. Denn dass die Kirche selbst in der Zeit der Urkirche auch vom Judentum verfolgt wurde, wird auch für die weitere Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen meist völlig ausgeblendet, wie hier ja auch. Dabei würde es für einen Überblick genügen, die Apostelgeschichte und vor allem die Kirchengeschichte des Eusebios von Caesarea zu studieren, der im Übrigen auch jüdische Quellen (z.B. Josephus Flavius und Philo von Alexandrien) zitiert. Erstaunlicherweise schaffen es gläubige Juden selten, in ihren Ansprachen die Erträge zur Forschung über die Evangelien mit einzubeziehen - übrigens ganz im Gegensatz zur universitären Judaistik. Da erscheint mir die Parallele zur Kontroverse über die Orthodoxie der Lehrstuhlinhaber für islamische Theologie aus Sicht der islamischen Gemeinden plausibel.
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Dieter
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Dieter »

Jesus war durch und durch Jude - was denn sonst?

Er hat den Gott der Juden angebetet.

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Dieter hat geschrieben:Jesus war durch und durch Jude - was denn sonst?

Er hat den Gott der Juden angebetet.
Natürlich, aber wer stellt das denn in Frage? Und wo? :rebbe: Gleichzeitig war er halt auch der erste Christ - was denn sonst?
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Dieter »

Der erste Christ? Das Christentum musste doch erst noch von Paulus "erfunden" werden.

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Juergen
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Juergen »

Dieter hat geschrieben:Jesus war durch und durch Jude - was denn sonst?

Er hat den Gott der Juden angebetet.
Ich dachte, er hätte zu Gott einfach Papa gesagt.
Gruß Jürgen

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Dieter hat geschrieben:Der erste Christ? Das Christentum musste doch erst noch von Paulus "erfunden" werden.
Ich kenne diese Meinung. Sie wird mit der Zeit aber nicht origineller. Welchem Glauben fühlst du dich denn zugehörig?
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Siard
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Siard »

Dieter hat geschrieben:Der erste Christ? Das Christentum musste doch erst noch von Paulus "erfunden" werden.
Falsch, es war Kaiser Konstantin! :pfeif:

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Leute, werdet doch mal bitte ein wenig konkreter. Ihr könnt doch auch sonst mehr als einen Satz schreiben. Also Dieter, wenn du nix zu sagen hast, dann setz dich wieder und stör wenigstens nicht. Also bitte zur Kernfrage zurück.
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Juergen
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Juergen »

Siard hat geschrieben:
Dieter hat geschrieben:Der erste Christ? Das Christentum musste doch erst noch von Paulus "erfunden" werden.
Falsch, es war Kaiser Konstantin! :pfeif:
Wie? War der Christ? :umkuck:
Gruß Jürgen

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Siard
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Siard »

Juergen hat geschrieben:Wie? War der Christ? :umkuck:
Das ist zur Erfindung doch nicht nötig. ;D

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overkott
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von overkott »

Yeti hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Ginzel spricht Folgen der Ausbreitung des jüdisch-christlichen Glaubens zunächst in den hellenistischen Kulturraum an, der sich allein schon in der griechischen Sprache des neuen Testaments widerspiegelt: etwa die Folge der Entwicklung einer verfolgten Sekte zur Staatskirche im Spiegel der Entwicklung des Jesusbildes vom Minderbruder zum Gottkönig, inklusive der dogmatischen Verfestigung in Glaubenssätzen, die sich nicht im neuen Testament finden. Wer theologisch ein bisschen Ahnung hat, wird dem grundsätzlich nicht widersprechen.

Ginzel geht jedoch zu undifferenziert und zu unkritisch mit den Strömungen im Judentum um und dem persönlichen Versagen damals in Jerusalem Verantwortlicher für den Tod Jesu und für die Verfolgung der alten Kirche.
Ginzel ist noch spezifischer in seinen Aussagen, als du es umschrieben hast. Und seine (Ginzels) Kernaussage für mich ist die Kernfrage des Christentums überhaupt, nämlich diejenige, dass Jesu Anspruch, der Messias und der Sohn Gottes gewesen zu sein, von der Kirche bzw. den christlichen Gemeinden hinzugefügt worden sei:
Günther Bernd Ginzel hat geschrieben:Ich will nur deutlich machen, dass der Anspruch, die sehr späte Interpretation, ohne sich auf klare Aussagen Jesu berufen zu können. Das heißt, die Kirche verhält sich so wie die Schriftgelehrten in ihrer anti-jüdischen Polemik. Sie durchforsten ununterbrochen die Schrift, um sie dahingehend zu biegen. Wenn Jesus sagt, ich bin der Menschensohn, heißt es direkt, du sagst es. Plötzlich wird alles Mögliche herangezogen – da ist es, da hat er es doch gesagt. Aber warum sagt er es nicht klar und deutlich?
Und da wiederhole ich noch einmal meine Kernfrage: Woher haben Ginzel und die anderen die Gewissheit, dass dies Jesus nicht gesagt haben soll? Welche Hinweise und Belege gibt es dazu? Auch Ginzel und die anderen (z.B. der Islam) fallen auf die "Sohnes"-Terminologie herein, wenn sie eine Art leibliche Zeugung und Abstammung Jesu von Gott annehmen:
KKK, Nr. 441 hat geschrieben:Er bedeutet eine Adoptivsohnschaft, die zwischen Gott und seinem Geschöpf eine besonders innige Verbindung herstellt.
Es ist richtig, dass Jesus nicht selbst Gott der allmächtige Vater und Schöpfer des Himmels und der Erde ist, sondern der Sohn dem Geist nach, der ihn erfüllt, als Erstgeborener der ganzen Kirche.

Heute findet sich in der Kirche eine Tendenz, die Apotheose Jesu zu überdrehen bis hin zu völlig verstörten Aussagen wie: "Gott ist auferstanden." ( Klingt fromm, ist aber Quatsch. )
Zuletzt geändert von overkott am Sonntag 12. April 2015, 18:19, insgesamt 1-mal geändert.

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Juergen
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Juergen »

Siard hat geschrieben:
Juergen hat geschrieben:Wie? War der Christ? :umkuck:
Das ist zur Erfindung doch nicht nötig. ;D
Ach ja richtig :patsch:
Robert Oppenheimer war ja auch keine Atombombe.
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Dieter
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Dieter »

"Heute findet sich in der Kirche eine Tendenz, die Apotheose Jesu zu überdrehen bis hin zu völlig verstörten Aussagen wie: "Gott ist auferstanden." ( Klingt fromm, ist aber Quatsch. )"


Dies scheint vor allem bei den Lutheranern und in einigen Freikirchen der Fall zu sein.

In meiner evangelisch-reformierten Gemeinde ist man da mehr "down to earth".

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

overkott hat geschrieben:Es ist richtig, dass Jesus nicht selbst Gott der allmächtige Vater und Schöpfer des Himmels und der Erde ist, sondern der Sohn dem Geist nach, der ihn erfüllt, als Erstgeborener der ganzen Kirche.

Heute findet sich in der Kirche eine Tendenz, die Apotheose Jesu zu überdrehen bis hin zu völlig verstörten Aussagen wie: "Gott ist auferstanden." ( Klingt fromm, ist aber Quatsch. )
Kannst du das näher erläutern? Ist Gott nun in Jesus Fleisch geworden? Verstehe ich dich richtig, wenn du das ὁμοούσιον τῷ πατρί des Nizänischen Glaubensbekenntnisses so deutest, dass Jesus "nur" wesensgleich mit Gott ist, aber nicht derselbe?
Nizänisches Glaubensbekenntnis hat geschrieben:als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf der Erde ist,
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overkott
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von overkott »

Yeti hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Es ist richtig, dass Jesus nicht selbst Gott der allmächtige Vater und Schöpfer des Himmels und der Erde ist, sondern der Sohn dem Geist nach, der ihn erfüllt, als Erstgeborener der ganzen Kirche.

Heute findet sich in der Kirche eine Tendenz, die Apotheose Jesu zu überdrehen bis hin zu völlig verstörten Aussagen wie: "Gott ist auferstanden." ( Klingt fromm, ist aber Quatsch. )
Kannst du das näher erläutern? Ist Gott nun in Jesus Fleisch geworden? Verstehe ich dich richtig, wenn du das ὁμοούσιον τῷ πατρί des Nizänischen Glaubensbekenntnisses so deutest, dass Jesus "nur" wesensgleich mit Gott ist, aber nicht derselbe?
Nizänisches Glaubensbekenntnis hat geschrieben:als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf der Erde ist,
Der Ausdruck Fleischwerdung ist schon eine falsche Übersetzung von Inkarnation. Richtig müsste es Einfleischung heißen. Gemeint ist damit die Analogie zur Bildergeschichte von der Schöpfung Adams als Gottes Ebenbild. Schließlich meint auch der Ausdruck Genesis Zeugung und Schöpfung. Das apokryphe Glaubensbekenntnis ist exaltiert und stellt eine postbiblische Überzeichnung dar. Man darf dabei nicht übersehen, dass solche Glaubensbekenntnisse in der Kirche kein ehernes Gesetz waren, was sich etwa am filioque-Problem zeigt. Andererseits findet sich überraschenderweise nach dem Konzil eine Tendenz in der Kirche, die biblische Übersetzung postbiblischen Glaubensbekenntnissen unterzuordnen und damit sowohl die Tradition, als auch die Offenbarung zu verfälschen.

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Siard
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Siard »

:ikb_frusty:

Salmantizenser
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Salmantizenser »

Ähm, schon mal was von communicatio idiomatum gehört?

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overkott
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von overkott »

Der Anspruch Jesu, Sohn des Vaters zu sein, ist überzeugend. Hier gibt es bis heute im Judentum, Christentum und Islam Probleme, wo Sohnschaft biologisch verstanden wird.

Insbesondere Protestanten tun sich mit der Vaterrolle des heiligen Josephs schwer, auf dessen biologischen Beitrag es Jesus geistlich überhaupt nicht ankommt. Entsprechend sind auch die Brüder und Mutter Jesu geistlich zu verstehen.

Vernünftigerweise ist für Jesus im Spiegel der Evangelien die Abstammung von Gott zunächst nicht weniger abstrakt als die Abstammung von Abraham. So sind auch die symbolischen Stammbäume in den Evangelien zu verstehen. Die Abstammung konkretisiert sich im ethischen Handeln.

Gottes Sohn oder Tochter zu sein, bedeutet mit Gott im Geist eins zu sein, Gott zu lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten wie sich selbst. Gott inkarniert sich also durch die Nächstenliebe, ohne die es im Denken Jesu keine Gottesliebe gibt.

Der Gottessohnschaft Jesu entspricht daher seiner Bruderliebe, die nicht an den Grenzen des Judentums endet, sondern sich auch auf die Samariter erstreckt. Als Bruder aller Menschen ist Jesus antirassistisch.

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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Salmantizenser hat geschrieben:Ähm, schon mal was von communicatio idiomatum gehört?
Wen fragst du das? Du meinst wahrscheinlich die Definition des Konzils von Chalcedon:
Konzil von Chalcedon hat geschrieben:"...ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt; der einziggeborene Sohn, Gott, das Wort, der Herr Jesus Christus, ist nicht in zwei Personen geteilt oder getrennt, sondern ist ein und derselbe, wie es früher die Propheten über ihn und Jesus Christus selbst es uns gelehrt und das Bekenntnis der Väter es uns überliefert hat."
Wenn ich Ovi richtig verstanden habe...
overkott hat geschrieben:Das apokryphe Glaubensbekenntnis ist exaltiert und stellt eine postbiblische Überzeichnung dar.
...dann würde er Chalcedon damit ebenso widersprechen wie dem Nicäno-Konstantinopolitanum, nämlich in der oben zitierten Form, deren Definition mir aber auch noch etwas zu unklar ist. Wenn ich nämlich dich, Ovi, richtig verstanden habe, meinst du mit der "Überzeichnung" schon das ὁμοούσιον τῷ πατρί, das Nicäno-Konstantinopolitanum wäre demnach also eine wiederum erweiterte Überzeichnung. Daher denke ich, dass hier eine differente Definition von "Tradition" vorliegt:
overkott hat geschrieben:Andererseits findet sich überraschenderweise nach dem Konzil eine Tendenz in der Kirche, die biblische Übersetzung postbiblischen Glaubensbekenntnissen unterzuordnen und damit sowohl die Tradition, als auch die Offenbarung zu verfälschen.
Daher ergibt sich dann auch das Definitionsproblem
overkott hat geschrieben:Gottes Sohn oder Tochter zu sein, bedeutet mit Gott im Geist eins zu sein, Gott zu lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten wie sich selbst. Gott inkarniert sich also durch die Nächstenliebe, ohne die es im Denken Jesu keine Gottesliebe gibt.
, das erst recht dem ὁμοούσιον τῷ πατρί widerspricht, denn dann wäre ja jeder Mensch, der sich in dieser Weise dem Willen Gottes hingibt, eigentlich Gottes Sohn. Ungefähr das drücken ja auch die beiden Vertreter des Judentums aus, die ich zitiert habe. Ich frage mich aber nun, ob man tatsächlich legitimerweise die dogmengeschichtliche Entwicklung vom Nicäno-Konstantinopolitanum zum Konzils von Chalcedon als "postbiblische Überzeichnung" bezeichnen kann, wenn der Anspruch von Jesu Beziehung zum Vater auch biblisch singulär ist:
KKK443 hat geschrieben:Er unterschied seine Sohnschaft von derjenigen der Jünger, indem er nie 'unser Vater', sagte, außer um ihnen aufzutragen: 'So sollt ihr beten: Unser Vater' (Mt 6,9). Ja, er hob den Unterschied deutlich hervor: 'mein Vater und euer Vater' (Joh 20,17).
. Er sagt dies aber auch selbst ganz dezidiert: οὕτως γὰρ ἠγάπησεν ὁ θεὸς τὸν κόσμον, ὥστε τὸν υἱὸν τὸν μονογενῆ ἔδωκεν, ἵνα πᾶς ὁ πιστεύων εἰς αὐτὸν μὴ ἀπόληται ἀλλ’ ἔχῃ ζωὴν αἰώνιον. (Joh 3,16: μονογενῆ = "den Einziggeborenen", auch übersetzt mit "eingeboren" oder sogar "einziggezeugten" [!]); konfrontiert mit diesem Titel sagt er aber auch selbst auf die Frage seiner Ankläger: "Du bist also der Sohn Gottes?" "Ihr sagt es - ich bin es" (Lk 22,70). Im Licht der Schriftzeugnisse stellt sich also die Frage, ob ὁμοούσιον τῷ πατρί wirklich eine Überzeichnung ist, oder ob es vielmehr wirklich genau das ausdrückt, was Jesus selbst gesagt hat:
Joh 14,9-11 hat geschrieben:Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du dann sagen: 'Zeige uns den Vater'? Glaubst du nicht, dass du in mir dem Vater begegnest? Was ich zu euch gesprochen habe, das stammt nicht von mir. Der Vater, der immer in mir ist, vollbringt durch mich seine Taten. Glaubt mir: Ich lebe im Vater und der Vater in mir.
Angesichts dieser Zeugnisse, so meine ich, steht die Gottessohnschaft Jesu, wie sie das Christentum versteht, gar nicht so schlecht da. Oder irre ich mich?
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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

overkott hat geschrieben:Als Bruder aller Menschen ist Jesus antirassistisch.
Diese Aussage verstehe ich im Zusammenhang mit dem Strangtitel überhaupt nicht. :achselzuck:
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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

overkott hat geschrieben:
Yeti hat geschrieben:Wenn ich Ovi richtig verstanden habe...
Ich lass mich nicht von jedem Drecksack Ovi nennen.
Schön, wenn einem die wahre Natur eines Menschen offenbart wird. Dir auch noch einen schönen Tag. :auweia:
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Yeti
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Yeti »

Bild Ein schönes Bild zum Thema des Strangs, finde ich. :)
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Fragesteller
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:"Heute findet sich in der Kirche eine Tendenz, die Apotheose Jesu zu überdrehen bis hin zu völlig verstörten Aussagen wie: "Gott ist auferstanden." ( Klingt fromm, ist aber Quatsch. )"


Dies scheint vor allem bei den Lutheranern und in einigen Freikirchen der Fall zu sein.

In meiner evangelisch-reformierten Gemeinde ist man da mehr "down to earth".
Wer von vorneherein Gott ist, braucht keine "Apotheose" mehr.

Lilaimmerdieselbe
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Lilaimmerdieselbe »

Für die Menschen schon.

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Samuel
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Samuel »

Hallo Yeti,

ich finde in diesem Zusammenhang meinen NT-Professor, Joachim Gnilka interessant.

Er steht voll auf dem Boden der HKM - etwa die Ich-bin-Aussagen des Johannes-Evangeliums sind selbstverständlich spätere Bildungen.

Andererseits spricht er von einer einzigartigen Sendungsautorität Jesu: Das Reich Gottes ist mit ihm gekommen: "Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen." (Lk 11,20) Das ewige Heil entscheidet sich am Verhältnis zu ihm: "Ich sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen." (Lk 12,8)
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)

Tinius
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Re: Jesus und die Juden

Beitrag von Tinius »

Samuel hat geschrieben:Hallo Yeti,

ich finde in diesem Zusammenhang meinen NT-Professor, Joachim Gnilka interessant.

Er steht voll auf dem Boden der HKM - etwa die Ich-bin-Aussagen des Johannes-Evangeliums sind selbstverständlich spätere Bildungen.

Andererseits spricht er von einer einzigartigen Sendungsautorität Jesu: Das Reich Gottes ist mit ihm gekommen: "Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen." (Lk 11,20) Das ewige Heil entscheidet sich am Verhältnis zu ihm: "Ich sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen." (Lk 12,8)

Dann muss Herr Gnilka aber konsequent den Mut haben und fordern, dass das Johannes-Evangelium als komplett freie Dichtung aus Predigt und Gemeindearbeit verbannt wird.
Gegner des Christentums haben genau an diesem Punkt leichtes Spiel mit den HKM-Theologen.
So wirft Heinz-Werner Kubitza Professoren wie Gnilka in seinen Büchern "Der Jesuswahn" (2011) und seinem aktuellen "Der Dogmenwahn. Scheinprobleme der Theologie. Holzwege einer angemaßten Wissenschaft" vor, mit ihren exegetischen Ausführungen das Christentum eigentlich als komplette Lüge zu enttarnen, dann aber wiederum so zu tun, als sei das in Ordnung.

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