Was ist Moral?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Raphael

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Raphael »

Lacrimosa hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Die Kirche richtet sich nach den Weisungen Jesu und der Herr hat nunmal auschließlich Männer zu Aposteln berufen! :hmm:
„[…] Ebenso traurige Tatsache ist, daß sich innerhalb der Herde einige subalterne Kleriker besonders hervorgetan haben und diese Mobbing-Aktion intensivst gefördert haben. Nicht zu vergessen ist allerdings auch, daß Bischof Franz-Peter während der ganzen Affäre selber Fehler gemacht hat, die seinen Abschuß noch befördert haben.

Man kennt solche Abläufe aus der Privatwirtschaft, in der das Thema Mobbing schon seit einigen Jahren auf der Tagesordnung steht. Wenn man sich die dortigen Abläufe anschaut, ist die causa TvE DER klassische Mobbing-Fall. […]“


Das sind deine Ausführungen zu einer in der apostolischen Nachfolge stehenden „Männer-Macht-Struktur“. Armer Jesus Christus! Die Frage nach der Moral im Zusammenhang solcher Machtmissbrauchs-Strukturen, darf gestellt werden, ohne dass mir irgendwer komische Motive unterschiebt.
Achso, seitdem Du meine Ausführungen zu den Geschehnissen im Bistum Limburg gelesen hast, bewahrst Du Deine kritische Distanz zur katholischen Kirche, nach der ich Dich hier gefragt hatte? :detektiv:

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Was ist Moral?

Beitrag von heiliger_raphael »

Lacrimosa hat geschrieben: Das ist keine Unterstellung, dein Eifer ehrt dich – mit dem Hintergrund deiner eindrucksvollen Schilderung, dass du durchweg gute Erfahrungen mit deinem kirchlichen Umfeld zu machen scheinst. (Und zugegeben, mein „Rat“ war von meiner Erfahrung gespeist, dass auf Begeisterung so gut wie immer Ernüchterung folgt, von der man sich wieder erholen muss – und zwar ohne hart, zynisch oder ungerecht zu werden.)
diesen Erfahrungswert teilen sicher viele Menschen: auf den Eifer folgt der Fall, wenn der Eifer von Illusion und Hoffnung gespickt war. Deswegen hat Eifer oder Eifern für mich einen negativen Anklang, häufig kann er in einer Motivation enden, die Menschen in den Burn Out treibt. Zu schnell zu viel gewollt.
Wir Menschen neigen sicher auch dazu, aufgrund dieser Erfahrungswerte andere Menschen besorgt so wahrzunehmen, wenn sie besonders eifrig scheinen.
Meine Selbsteinschätzung ist eher gegenteilig: ist doch eine der für mich wichtigen Erkenntnisse im Christentum, dass ich für Gott nichts leisten muss. Dass er mich auch annimmt ohne dass ich eine Ziellinie anstrebe. Ich muss nichts lesen, ich muss nicht diskutieren, es reicht in Gegenwart Gottes im Tag zu leben.
Was ich bin: wissbegierig. Nur ohne Gier :neinfreu:
Und ja, ich diskutiere gern, ich lese gerne, und ich schreibe derzeit, wenn ich Zeit finde, auch an einem Buch. Aber viel wichtiger ist für mich die Praxis, regelmäßig den Gottesdienst besuchen zu dürfen und Gebet in meinem Alltag zu sein.
Alles andere ist optional. :)
Du meinst, Kirchenleute sind auch nur Menschen? Ja und nein: Von geweihten Menschen in der Nachfolge Jesu kann man ein höheres Bewusstsein und somit ein vorbildhafteres Verhalten erwarten.
Vor-Bild, derjenige, der geschickt wurde, uns zu zeigen, wie wir leben sollen, ist Jesus Christus. Kirchenleute sollen ihm folgen, so wie ich ihm folgen soll. Es ist aber uninteressant, wie gut sie ihm folgen, denn woher weiß ich schon, wie gut ich ihm folge?
Mir ist es nicht wichtig, Kirchenleute oder andere Menschen in der Kirche zu beurteilen. Das steht mir nicht zu und das soll Gott tun. Ich habe genug mit mir zu tun.
Da bin ich nicht hartherzig, eher anspruchsvoll.
Manchmal tarnt sich die Hartherzigkeit in den Ansprüchen, die wir an andere Menschen stellen.

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Fragesteller hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:[...]Gott begegnen, findet in der Stille statt.[...]
Warum? Warum sollte das so sein? Gottesbegegnung kann in der Stille stattfinden. Sie kann aber auch ohne Stille stattfinden, und umgekehrt kann man in der Stille allem möglichen anderen begegnen. Ich wiederhole: Es geht um den konkreten Punkt, auf den man gerichtet ist, nicht um die Art des Gerichtetseins. [...]
Gottesbegegnung findet immer in der Stille statt. Aber was ist demnach Stille? Ein jeder Ton (Seiendes) kommt aus der Stille, ertönt und kehrt in die Stille zurück. Die Stille (Sein) ist mithin Wesensgrund für den Ton; die Stille ist folglich „hinter“ jedem Ton, aber wir nehmen zumeist nur den „vordergründigen“ Ton wahr. Diese Stille, die ich meine, ist die Stille bei Gott. Wenn du sagst, Gottesbegegnung kann ohne Stille stattfinden, ist das aus spiritueller Perspektive falsch.

Eine gute Achtsamkeitsübung ist, auf die Stille zwischen zwei oder mehreren Tönen zu achten; oder auf die Stille im Wald. Da hinein begegnen einem Blätterrauschen, Vogelgezwitscher, das Summen von Insekten oder die Motorsäge eines Waldarbeiters. Wenn man sein Bewusstsein auf die Stille zwischen diesen Geräuschen lenkt, wird man sich augenblicklich seiner selbst bewusst. Gedanken und Sorgen fallen von einem ab, was ungemein heilsam ist. (Denn man kann nicht gleichzeitig auf die Stille konzentrieren und sich über etwas schwarz ärgern.) Auch im Großstadtgetümmel kann man Stille hören, sich in die Stille, die „hinter“ dem Lärm ist, versenken.

Es ist auch nicht unwesentlich, wie man sich auf ein Objekt ausrichtet. Es ist ein Unterschied, ob man lediglich an seine Hand denkt oder ob man seine Hand wie einen Handschuh mit seinem Bewusstsein ausfüllt, ob man seine Hand von innen erfühlt. In dem Moment, wo man durch das Fühlen über das Denken (an die Hand) hinausgeht, wird man sich einer zusätzlichen „Seinsqualität“ bewusst. Ich bin ganz bei meiner Hand. Ich bin meine Hand. Wenn man beispielsweise ein Kreuzzeichen sehr bewusst ausführt, wie es etwa Romano Guardini in „Das Kreuzzeichen“ beschreibt (den Text habe ich am 24. März in der Klausnerei im Strang Kreuzzeichen gepostet), kann man erfühlen, wie es einen umfängt.

Wenn man betet und dabei nicht nur Worte denkt, sondern beim Beten auf die Stille zwischen den Worten achtet, sein Bewusstsein auf die Herzgegend richtet, dort Wärme oder Liebe empfindet, wird durch die Hineinnahme dieser anderen Bewusstseinsebenen die konkrete Ausrichtung auf Gott ganzheitlicher.
Zuletzt geändert von Lacrimosa am Donnerstag 3. April 2014, 16:05, insgesamt 2-mal geändert.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Raphael hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Die Kirche richtet sich nach den Weisungen Jesu und der Herr hat nunmal auschließlich Männer zu Aposteln berufen! :hmm:
„[…] Ebenso traurige Tatsache ist, daß sich innerhalb der Herde einige subalterne Kleriker besonders hervorgetan haben und diese Mobbing-Aktion intensivst gefördert haben. Nicht zu vergessen ist allerdings auch, daß Bischof Franz-Peter während der ganzen Affäre selber Fehler gemacht hat, die seinen Abschuß noch befördert haben.

Man kennt solche Abläufe aus der Privatwirtschaft, in der das Thema Mobbing schon seit einigen Jahren auf der Tagesordnung steht. Wenn man sich die dortigen Abläufe anschaut, ist die causa TvE DER klassische Mobbing-Fall. […]“


Das sind deine Ausführungen zu einer in der apostolischen Nachfolge stehenden „Männer-Macht-Struktur“. Armer Jesus Christus! Die Frage nach der Moral im Zusammenhang solcher Machtmissbrauchs-Strukturen, darf gestellt werden, ohne dass mir irgendwer komische Motive unterschiebt.
Achso, seitdem Du meine Ausführungen zu den Geschehnissen im Bistum Limburg gelesen hast, bewahrst Du Deine kritische Distanz zur katholischen Kirche, nach der ich Dich hier gefragt hatte? :detektiv:
Nein, über „Männer-Macht-Strukturen“ und Machtmissbrauch (beispielsweise Mobbing) kann ich mir schon selbst ein Urteil bilden.

Was rätst du mir, wie könnte ich, wenn ich ungerechtes respektive unmoralisches Verhalten oder strukturelle Ungereimtheiten feststelle, meine von dir festgestellte kritische Distanz zur katholischen Kirche überwinden? Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. :detektiv:
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Was ist Moral?

Beitrag von heiliger_raphael »

Es verwundert mich, dass der Begriff Männer-Macht-Struktur aufgegriffen wurde. Er war nicht mehr als Teil einer Aufzählung, wie Außenstehende Kirche sehen. Das ganze sollte innerlich gar kein Thema sein.

Machtstrukturen sind jeder Struktur innewohnend, denn Macht im Sinne Dominanz, die Struktur erhält, ist eine notwendige Voraussetzung für jede Struktur.

Männerstruktur ergibt sich aus dem Spiegel der Religionen. Die klassisch weiblichen Kulte waren immer jene, die die Kreisläufe der Natur als eigenständiges System betrachteten und danach strebten, dieses zu erhalten. Die Muttergöttin gilt in diesen Kulten als Symbol für die natürlichen Kreisläufe. Edit/Nachtrag: in dem Satz steckt eine Missverständlichkeit: das Christentum sieht die Natur auch als eigenständig, geschöpft durch einen Schöpfer. Mit weiblichen Kulten sind hierbei die Naturreligionen gemeint, die die Natur vergöttlichen.

Die männlichen Strukturen, die monotheistischen Religionen, positionierten ihren Gott außerhalb der Schöpfung. Erst das machte überhaupt wissenschaftliche Forschung möglich, weil die Natur nicht mehr vergöttlicht wurde, sondern Menschen sich die spannende Frage stellen durften "Wie ist dieses tolle System, das der Schöpfer geschaffen hat, aufgebaut?" Damit waren auch die Opfergaben hinfällig, schließlich wohnten in der Natur keine Götter, die besänftigt werden mussten.

Das Katholische ist mit der Ehrung von Maria noch einen Schritt weiter gegangen und hat in sinnvollerweise männliche und weibliche Religionsansätze vereinigt, indem es neben der Verehrung des Schöpfergottes auch die Sorge um Mutter Natur kennt, weitergehend Kirche in ihrer eigenen Struktur marianisch ist und die behütende und sorgende Braut für den Bräutigam Christus sieht. Gott kam durch die weibliche Natur in unsere Welt.

Wenn also Männer-Macht-Struktur hier argumentativ mit Mobbing & Co in Verbindung gebracht wird, ist wohl der Punkt erreicht, wo die wirklich religiöse Betrachtung der Welt zugunsten einer säkularen Vereinfachung aufgegeben wird. Wer Machtmissbrauch zwangsläufig mit einer Männerstruktur in Verbindung bringt, scheint aus welchen Gründen auch immer den Machtmissbrauch, den Menschen begingen, um von anderen Menschen Opfer für die Götter und Göttinnen der weiblichen Kulte zu fordern, völlig ignorieren zu wollen.

Wir könnten ja auch mal über Moral reden, die den natürlichen Opferkulten zugrunde liegt. Womit wir auch wieder bei der Frage wären, ob aus Natürlichkeit ein Sollen abgeleitet werden kann oder ob der Fortschritt der männlichen Religion nicht gerade darin liegt, dass er ein Sollen aus dem menschlichen Wesen heraus ableitet und nicht aus dem, was wir als Natur vorfinden. Schließlich fängt Moral dort an, wo die Kultur entsteht und nicht dort, wo sich die Natur äußert.

Nachtrag: In dieser weiblich/männlich Polarisierung der Religionen liegt auch eine interessante Verbindung zur Modernität. Während das Christliche als im eigentlichen Sinne männliche Religion auch eine besondere Beachtung des Weiblichen einbezogen hat, konnte es sich jenseits modernistischer Strömungen darum bemühen, die Harmonie zwischen den Geschlechtern wieder herzustellen, was aus meiner Sicht ein ganz zentraler Ansatz ist. Im Gegensatz dazu finden sich etliche Verbindungen zwischen feministischen Strömungen und originär weiblichen Religionen (nicht selten haben feministische Zirkel auch eine Nähe zu heidnischen oder Wicca-Kulturen, Traditionen rund um "die Göttin", was als weibliche Spiritualität verstanden wird).

Deshalb wirkt der moderne Feminismus für manche Menschen einseitig und nicht darauf ausgelegt, die Harmonie zwischen den Geschlechtern wieder herzustellen. Ideen wie der "Lesbenfriedhof" sind die konsequenten Ergebnisse eines missverstandenen Feminismus, der sich als Fortführung der weiblichen (Natur)Kulte sieht. Daher findet sich in diesem Milieu auch eine ausgeprägte Haltung gegen Kirche und männliche Religion und ein Hang zu Hedonismus und der Akzeptanz des Natürlichen als Sollen.

Moral wird aber erst dort möglich und sinnhaft, wo Ursprung und Sinn des Menschen außerhalb der Natur verortet wird.

Raphael

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Raphael »

Lacrimosa hat geschrieben:Was rätst du mir, wie könnte ich, wenn ich ungerechtes respektive unmoralisches Verhalten oder strukturelle Ungereimtheiten feststelle, meine von dir festgestellte kritische Distanz zur katholischen Kirche überwinden? Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. :detektiv:
Es geht doch gar nicht darum, worauf ich hinaus will, sondern um Deine Abwehrreaktionen, wenn Du von Mißständen in der katholische Kirche hörst!

Du suchst Dir Kritikpunkte letztendlich nur heraus, um Deine Distanz beibehalten zu können.
Frei nach dem Motto: Wenn die katholische Kirche, die nach meiner Meinung ideale Form gefunden hat, dann, ja dann werde auch ich katholisch.

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Was ist Moral?

Beitrag von heiliger_raphael »

Lacrimosa hat geschrieben:Was rätst du mir, wie könnte ich, wenn ich ungerechtes respektive unmoralisches Verhalten oder strukturelle Ungereimtheiten feststelle, meine von dir festgestellte kritische Distanz zur katholischen Kirche überwinden? Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. :detektiv:
Hmmm....
warum zur Abwechslung nicht mal auf die eigenen Sünden schauen und den guten Glauben der Anderen?
Wenngleich es verlockend ist, immer nur den eigenen guten Glauben im Blick zu haben und die Sünden der Anderen.

Mir hat vor längerer Zeit geholfen, die Kirche als mehrschichtig wahrzunehmen. Auf der einen Seite die von Gott gewollte und durch Jesus Christus eingesetzte Kirche. Auf der anderen Seite ihre Glieder, wir sündigen Menschen.
Wir Menschen würden doch nicht weniger sündigen, wenn wir nur Teil der Gesellschaft wären. Im Gegenteil glaube ich eher, dass die Kirche durch die Heilige Schrift, die Heilige Tradition, das Lehramt und die von Christus eingesetzten Sakramente noch viel eher die Umgebung bietet, in der Menschen sich von der Sünde befreien können. Während in der Gesellschaft Sünde nicht als Sünde thematisiert wird, sondern dort häufig als unbedenklich oder modernes Handeln gut geheißen wird und keine Gewissensbildung erfolgt, lebt in der Kirche der Heilige Geist.

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Raphael hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Was rätst du mir, wie könnte ich, wenn ich ungerechtes respektive unmoralisches Verhalten oder strukturelle Ungereimtheiten feststelle, meine von dir festgestellte kritische Distanz zur katholischen Kirche überwinden? Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. :detektiv:
Es geht doch gar nicht darum, worauf ich hinaus will, sondern um Deine Abwehrreaktionen, wenn Du von Mißständen in der katholische Kirche hörst!

Du suchst Dir Kritikpunkte letztendlich nur heraus, um Deine Distanz beibehalten zu können.
Frei nach dem Motto: Wenn die katholische Kirche, die nach meiner Meinung ideale Form gefunden hat, dann, ja dann werde auch ich katholisch.
Ich hatte deine Mobbing-Überlegungen herausgegriffen, weil du damit selbst einen Missstand innerhalb der katholischen Kirche formuliertest. Du hast damit eine kritische Distanz zu den Geschehnissen bezeugt, nicht aber zur katholischen Kirche in ihrer Ganzheit. Zumindest habe ich dir das nicht unterstellt. Umgekehrt muss man in mich nicht Abwehrreaktionen gegenüber der katholischen Kirche in ihrer Ganzheit projizieren, auch wenn ich mich kritisch äußere.

Du hast meine Frage nicht beantwortet, womöglich war sie nicht klar genug formuliert: Wie schafft es ein Vollblutkatholik wie du, der von sich selbst sagt (27. März 2014, 20:39), dass er lediglich versuche, Klartext zu reden (statt schmusige Selbstbestätigung irriger Ansichten), bei den evidenten und eklatanten Missständen seiner Kirche, – diese dringen ja nun auch in die Öffentlichkeit und ich bilde sie mir nicht ein –, so unerbittlich ein System gutzuheißen und zu verteidigen, obwohl ihr immer mehr Menschen den Rücken kehren und der Ruf nach Erneuerung laut ist?

Bist du prinzipiell gegen Erneuerung (wie auch immer diese sich gestalten könnte)? Wenn ja, warum?
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

heiliger_raphael hat geschrieben:Mir hat vor längerer Zeit geholfen, die Kirche als mehrschichtig wahrzunehmen. Auf der einen Seite die von Gott gewollte und durch Jesus Christus eingesetzte Kirche. Auf der anderen Seite ihre Glieder, wir sündigen Menschen.
Ja, so ist sie.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Raphael

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Raphael »

Lacrimosa hat geschrieben:Du hast meine Frage nicht beantwortet, womöglich war sie nicht klar genug formuliert: Wie schafft es ein Vollblutkatholik wie du, der von sich selbst sagt (27. März 2014, 20:39), dass er lediglich versuche, Klartext zu reden (statt schmusige Selbstbestätigung irriger Ansichten), bei den evidenten und eklatanten Missständen seiner Kirche, – diese dringen ja nun auch in die Öffentlichkeit und ich bilde sie mir nicht ein –, so unerbittlich ein System gutzuheißen und zu verteidigen, obwohl ihr immer mehr Menschen den Rücken kehren und der Ruf nach Erneuerung laut ist?
Deine Frage hat die selige Mutter Teresa bereits beantwortet als sie einst gefragt worden ist, was sich ihrer Meinung nach als erstes in der Kirche ändern müsse. Ihre Antwort war: Sie und ich!

Wobei Du Dich ja vorzugsweise als außerhalb der Kirche stehend begreifst, um als kritische Hinterfragerin die Kirche vor sich herzutreiben! :pfeif:

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Raphael hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Du hast meine Frage nicht beantwortet, womöglich war sie nicht klar genug formuliert: Wie schafft es ein Vollblutkatholik wie du, der von sich selbst sagt (27. März 2014, 20:39), dass er lediglich versuche, Klartext zu reden (statt schmusige Selbstbestätigung irriger Ansichten), bei den evidenten und eklatanten Missständen seiner Kirche, – diese dringen ja nun auch in die Öffentlichkeit und ich bilde sie mir nicht ein –, so unerbittlich ein System gutzuheißen und zu verteidigen, obwohl ihr immer mehr Menschen den Rücken kehren und der Ruf nach Erneuerung laut ist?
Deine Frage hat die selige Mutter Teresa bereits beantwortet als sie einst gefragt worden ist, was sich ihrer Meinung nach als erstes in der Kirche ändern müsse. Ihre Antwort war: Sie und ich!

Wobei Du Dich ja vorzugsweise als außerhalb der Kirche stehend begreifst, um als kritische Hinterfragerin die Kirche vor sich herzutreiben! :pfeif:
Es ist wohl vorzugsweise so, dass du mich so begreifst ... Und, änderst du dich?
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Raphael

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Raphael »

Lacrimosa hat geschrieben:Es ist wohl vorzugsweise so, dass du mich so begreifst ...
Bist Du denn anders? :pfeif:

Oder andersherum: Willst Du Dich denn überhaupt begreifen lassen? :roll:

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Danke für die guten Anregungen. Das könnte ein Schlusswort sein.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Pilgerer »

overkott hat geschrieben:Danke für die guten Anregungen. Das könnte ein Schlusswort sein.
Eine Ergänzung hätte ich noch: Die Anregungen von seiten der Gefühlsethik halte ich für eine sinnvolle Inspiration der Moral. Moral ist abhängig von Wertschätzung, und Wertschätzung drückt sich in Gefühlen aus. Ist ein gefühlloser Mensch nicht auch häufig unmoralisch?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Danke für die guten Anregungen. Das könnte ein Schlusswort sein.
Eine Ergänzung hätte ich noch: Die Anregungen von seiten der Gefühlsethik halte ich für eine sinnvolle Inspiration der Moral. Moral ist abhängig von Wertschätzung, und Wertschätzung drückt sich in Gefühlen aus. Ist ein gefühlloser Mensch nicht auch häufig unmoralisch?
Eine aufgeweckte Frage. Sie könnte der Debatte neuen Schwung verleihen.

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Vor einer Gefühlsethik kann man warnen. Denn in der Moral geht es nicht in erster Linie um die Frage: Bin ich gut drauf? Habe ich keinen Bock? Sondern vielmehr um ein Korrektiv falscher Gefühle: Treibe ich aufs offene Meer? Ziehe ich andere mit in drohendes Unglück?

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Pilgerer »

overkott hat geschrieben:Vor einer Gefühlsethik kann man warnen. Denn in der Moral geht es nicht in erster Linie um die Frage: Bin ich gut drauf? Habe ich keinen Bock? Sondern vielmehr um ein Korrektiv falscher Gefühle: Treibe ich aufs offene Meer? Ziehe ich andere mit in drohendes Unglück?
Sie muss für eine christliche Morallehre angepasst werden, kann dann aber durchaus neue Anregungen bringen. So kann die Fähigkeit zum symmetrischen Mitgefühl gegenüber jedermann als ein wichtiger Schritt zur Nächstenliebe gelten. Von Natur aus neigen wir Menschen zu diesem symmetrischen Mitgefühl, das das Schicksal anderer spiegelt.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Pilgerer hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Danke für die guten Anregungen. Das könnte ein Schlusswort sein.
Eine Ergänzung hätte ich noch: Die Anregungen von seiten der Gefühlsethik halte ich für eine sinnvolle Inspiration der Moral. Moral ist abhängig von Wertschätzung, und Wertschätzung drückt sich in Gefühlen aus. Ist ein gefühlloser Mensch nicht auch häufig unmoralisch?
Sind es nicht oft gefühllose Menschen, die sich aus Scheinmoral an Regeln halten, also eigentlich nur moralisch wirken?
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Pilgerer »

Lacrimosa hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Danke für die guten Anregungen. Das könnte ein Schlusswort sein.
Eine Ergänzung hätte ich noch: Die Anregungen von seiten der Gefühlsethik halte ich für eine sinnvolle Inspiration der Moral. Moral ist abhängig von Wertschätzung, und Wertschätzung drückt sich in Gefühlen aus. Ist ein gefühlloser Mensch nicht auch häufig unmoralisch?
Sind es nicht oft gefühllose Menschen, die sich aus Scheinmoral an Regeln halten, also eigentlich nur moralisch wirken?
Ja, das stimmt. Sie erfüllen bestimmte Regeln, aber auf eine herzlose oder gar stolze Weise. Für sie gelten die Regeln um ihrer selbst willen, nicht um der Menschen willen, denen sie gutes tun. Vor allem: können sie Gottes Liebe zu den Menschen nicht würdigen.
Denn: Gottes Liebe trieb ihn dahin, für die ihm feindlich gesinnten Menschen ihr Mitknecht zu werden und für sie das schreckliche Opfer am Kreuz zu erbringen. Diese Liebe nachzuvollziehen und zu verinnerlichen, hilft gut beim Verständnis der Bedeutung der Menschen für Gott und der ewigen christlichen Moral.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Das ist klar: 1Joh 3

1 Videte qualem caritatem dedit nobis Pater, ut filii Dei nominemur et simus. Propter hoc mundus non novit nos : quia non novit eum.
2 Carissimi, nunc filii Dei sumus : et nondum apparuit quid erimus. Scimus quoniam cum apparuerit, similes ei erimus : quoniam videbimus eum sicuti est.
3 Et omnis qui habet hanc spem in eo, sanctificat se, sicut et ille sanctus est.
4 Omnis qui facit peccatum, et iniquitatem facit : et peccatum est iniquitas.
5 Et scitis quia ille apparuit ut peccata nostra tolleret : et peccatum in eo non est.
6 Omnis qui in eo manet, non peccat : et omnis qui peccat, non vidit eum, nec cognovit eum.
7 Filioli, nemo vos seducat. Qui facit justitiam, justus est, sicut et ille justus est.
8 Qui facit peccatum, ex diabolo est : quoniam ab initio diabolus peccat. In hoc apparuit Filius Dei, ut dissolvat opera diaboli.
9 Omnis qui natus est ex Deo, peccatum non facit : quoniam semen ipsius in eo manet, et non potest peccare, quoniam ex Deo natus est.
10 In hoc manifesti sunt filii Dei, et filii diaboli. Omnis qui non est justus, non est ex Deo, et qui non diligit fratrem suum

Benutzeravatar
Sarandanon
Beiträge: 1590
Registriert: Mittwoch 20. Februar 2013, 19:59
Wohnort: Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Sarandanon »

Lacrimosa hat geschrieben:Sind es nicht oft gefühllose Menschen, die sich aus Scheinmoral an Regeln halten, also eigentlich nur moralisch wirken?
Das sind mMn Menschen, die Moral aus formalistischen, also oberflächlichen, Beweggründen heraus definieren. Gefühle oder zB "real gelebte" christliche Ideale spielen dabei wohl nur eine weit untergeordnete Rolle.
Dich, o Herr, kann nur verlieren, wer dich verlässt.
(Augustinus Aurelius)

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

overkott hat geschrieben:Das ist klar: 1Joh 3

1 Videte qualem caritatem dedit nobis Pater, ut filii Dei nominemur et simus. Propter hoc mundus non novit nos : quia non novit eum.
2 Carissimi, nunc filii Dei sumus : et nondum apparuit quid erimus. Scimus quoniam cum apparuerit, similes ei erimus : quoniam videbimus eum sicuti est.
3 Et omnis qui habet hanc spem in eo, sanctificat se, sicut et ille sanctus est.

4 Omnis qui facit peccatum, et iniquitatem facit : et peccatum est iniquitas.
5 Et scitis quia ille apparuit ut peccata nostra tolleret : et peccatum in eo non est.
6 Omnis qui in eo manet, non peccat : et omnis qui peccat, non vidit eum, nec cognovit eum.
7 Filioli, nemo vos seducat. Qui facit justitiam, justus est, sicut et ille justus est.
8 Qui facit peccatum, ex diabolo est : quoniam ab initio diabolus peccat. In hoc apparuit Filius Dei, ut dissolvat opera diaboli.
9 Omnis qui natus est ex Deo, peccatum non facit : quoniam semen ipsius in eo manet, et non potest peccare, quoniam ex Deo natus est.
10 In hoc manifesti sunt filii Dei, et filii diaboli. Omnis qui non est justus, non est ex Deo, et qui non diligit fratrem suum
Für mich sind diese beiden Aussagen (2, 3; von mir formatiert) inspirierend, da sie eine spirituelle oder geistige Entwicklung ausdrücken. Sie beschreiben eine Haltung, die sich einerseits der Liebe Gottes und der Gotteskindschaft bewusst ist und die andererseits einen ebenso bewussten Heilungsprozess vor die Gotteserkenntnis setzt. „Heil werden“ beinhaltet, dass man für sich und sein Tun Verantwortung übernimmt, sein Verhalten reflektiert und womöglich verändert. IHN zu erkennen, wie er wahrhaft IST, setzt voraus, dass man erkennt, wer man ist. „Gnothi Seautón“ – erkenne dich selbst!
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Lacrimosa hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Das ist klar: 1Joh 3

1 Videte qualem caritatem dedit nobis Pater, ut filii Dei nominemur et simus. Propter hoc mundus non novit nos : quia non novit eum.
2 Carissimi, nunc filii Dei sumus : et nondum apparuit quid erimus. Scimus quoniam cum apparuerit, similes ei erimus : quoniam videbimus eum sicuti est.
3 Et omnis qui habet hanc spem in eo, sanctificat se, sicut et ille sanctus est.

4 Omnis qui facit peccatum, et iniquitatem facit : et peccatum est iniquitas.
5 Et scitis quia ille apparuit ut peccata nostra tolleret : et peccatum in eo non est.
6 Omnis qui in eo manet, non peccat : et omnis qui peccat, non vidit eum, nec cognovit eum.
7 Filioli, nemo vos seducat. Qui facit justitiam, justus est, sicut et ille justus est.
8 Qui facit peccatum, ex diabolo est : quoniam ab initio diabolus peccat. In hoc apparuit Filius Dei, ut dissolvat opera diaboli.
9 Omnis qui natus est ex Deo, peccatum non facit : quoniam semen ipsius in eo manet, et non potest peccare, quoniam ex Deo natus est.
10 In hoc manifesti sunt filii Dei, et filii diaboli. Omnis qui non est justus, non est ex Deo, et qui non diligit fratrem suum
Für mich sind diese beiden Aussagen (2, 3; von mir formatiert) inspirierend, da sie eine spirituelle oder geistige Entwicklung ausdrücken. Sie beschreiben eine Haltung, die sich einerseits der Liebe Gottes und der Gotteskindschaft bewusst ist und die andererseits einen ebenso bewussten Heilungsprozess vor die Gotteserkenntnis setzt. „Heil werden“ beinhaltet, dass man für sich und sein Tun Verantwortung übernimmt, sein Verhalten reflektiert und womöglich verändert. IHN zu erkennen, wie er wahrhaft IST, setzt voraus, dass man erkennt, wer man ist. „Gnothi Seautón“ – erkenne dich selbst!
Im Prinzip interpretiert auch Johannes Jesus prototypisch: Jesus als Erstgeborener von vielen ist Repräsentant Gottes auf Erden. Jesus ist der neue Adam. Johannes unterstreicht dies in Zeile 9. Dabei versteht er Jesus nicht nur typologisch als Abbild Gottes, sondern auch als moralisches Vorbild. Johannes paraphrasiert das Doppelgebot, mit dem Gottes Herrschaft bereits angebrochen ist. Der evangelische Rat Jesu gemäß Gnoti Seauton lautet: Poenitentia agite.

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting.)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Zuletzt geändert von Lacrimosa am Montag 25. August 2014, 19:16, insgesamt 1-mal geändert.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Lacrimosa hat geschrieben:Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Tatsächlich drängt der heilige Hieronymus in seiner Übersetzung nicht einfach zum Sinneswandel, sondern vielfach zur Tat, liebe Lacrimosa. Auch dort zum Beispiel, wo er Gott nicht als logus, lexis oder gar dictum, sondern als verbum, als Tatwort versteht. Der katholische Glaube ist für ihn nicht einfach die gnadenhafte Gotteserkenntnis, sondern Morallehre, die zum guten Handeln drängt. Jesus beginnt selbst damit, indem er sich der Büßerbewegung des Johannes anschließt und deren Ruf übernimmt. Jesus begibt sich nach dem Reinigungsbad der Taufe selbst für einige Zeit in die Wüste, um poenitentia zu üben. Aus österlicher Rückschau betrachtet, kann man poenitentia auch als Aufstehen zum neuen Leben verstehen. Alle, die ein bessres Leben wünschen, sollen aufstehen.
Zuletzt geändert von Protasius am Dienstag 26. August 2014, 19:31, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Name und Link korrigiert

Benutzeravatar
guatuso
Beiträge: 974
Registriert: Freitag 1. März 2013, 23:33
Wohnort: Costa Rica

Re: Was ist Moral?

Beitrag von guatuso »

Was fuer eine wunderbare (und auf hohem Niveau stehende) Erlaeuterung sich hier findet.
Ich atme sie ein wie erfrischende Luft eines lebendigen Waldes.
(zumal ich die lateinischen Texte natuerlich uebersetzt habe und sie mich aufbauen)
Ich kann hier nicht mithalten, aber:
DANKE.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Pilgerer »

Lacrimosa hat geschrieben:Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting.)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Die christlich-korrekte Buße beinhaltet die Hinwendung zum Guten, das Mindern des Bösen, die Reinigung des Herzens und die Reinigung des Gewissens.
Sie darf nicht zu einer depressiven Haltung führen, sondern zu einer Befreiung der Seele von den alten Ketten der Sünde. Der Sünder ist ein Knecht der Sünde, und Jesus will uns frei machen von diesen Ketten. Darum sollte der Begriff "Buße" viel stärker mit positiven, himmelzugewendeten Assoziationen verknüpft werden, statt mit einer chronischen November-Trauer-Stimmung, die niemandem etwas bringt.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting.)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Die christlich-korrekte Buße beinhaltet die Hinwendung zum Guten, das Mindern des Bösen, die Reinigung des Herzens und die Reinigung des Gewissens.
Sie darf nicht zu einer depressiven Haltung führen, sondern zu einer Befreiung der Seele von den alten Ketten der Sünde. Der Sünder ist ein Knecht der Sünde, und Jesus will uns frei machen von diesen Ketten. Darum sollte der Begriff "Buße" viel stärker mit positiven, himmelzugewendeten Assoziationen verknüpft werden, statt mit einer chronischen November-Trauer-Stimmung, die niemandem etwas bringt.
Poenitentia enthält das Wort poena und das hat mit Poesie wenig zu tun. Vielmehr geht es um das Gegenteil von Unzucht. Da spürt man etwas vom rauhen Leben des Täufers und Jesu in der Wüste. Fasten war für beide kein Zuckerschlecken. Versuchungen sind daher auch nicht ausgeblieben. Buße schön zu reden, dürfte also schwer fallen. Aber sie ist offenbar immer wieder notwendig, weshalb wir jedes Jahr im Frühling 40 Tage nach Gottes Wort hungern und lechzen dürfen, um Ostern 50 Tage um so befreiender feiern zu können. Erfüllt vom heiligen Geist geht es dann erst einmal sommerlich weiter. Allerheiligen beginnt das erste Lichterfest der dunklen Jahreszeit. Und wer Weihnachten intensiver erleben möchte, kann im Advent eine weitere Buß- und Betzeit einlegen.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Pilgerer »

overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting.)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Die christlich-korrekte Buße beinhaltet die Hinwendung zum Guten, das Mindern des Bösen, die Reinigung des Herzens und die Reinigung des Gewissens.
Sie darf nicht zu einer depressiven Haltung führen, sondern zu einer Befreiung der Seele von den alten Ketten der Sünde. Der Sünder ist ein Knecht der Sünde, und Jesus will uns frei machen von diesen Ketten. Darum sollte der Begriff "Buße" viel stärker mit positiven, himmelzugewendeten Assoziationen verknüpft werden, statt mit einer chronischen November-Trauer-Stimmung, die niemandem etwas bringt.
Poenitentia enthält das Wort poena und das hat mit Poesie wenig zu tun. Vielmehr geht es um das Gegenteil von Unzucht. Da spürt man etwas vom rauhen Leben des Täufers und Jesu in der Wüste. Fasten war für beide kein Zuckerschlecken. Versuchungen sind daher auch nicht ausgeblieben. Buße schön zu reden, dürfte also schwer fallen. Aber sie ist offenbar immer wieder notwendig, weshalb wir jedes Jahr im Frühling 40 Tage nach Gottes Wort hungern und lechzen dürfen, um Ostern 50 Tage um so befreiender feiern zu können. Erfüllt vom heiligen Geist geht es dann erst einmal sommerlich weiter. Allerheiligen beginnt das erste Lichterfest der dunklen Jahreszeit. Und wer Weihnachten intensiver erleben möchte, kann im Advent eine weitere Buß- und Betzeit einlegen.
Buße ist hart, aber sie gelingt am besten, je klarer die positive Perspektive ist, wo es denn hingehen soll. Wenn wir das Beispiel des Neides nehmen, also einer recht alltäglichen und verbreiteten Sünde, dann brauchen wir eine realistische Perspektive, wie wir aus ihr aussteigen können und was in ihre Stelle treten soll. Wie kann ich vom Unrecht zum Recht, von Werken der Zerstörung hin zu Werken des Bauens kommen?
Bei Neid ist es eigentlich recht simpel: Neid bedeutet, anderen ihr Gutes nicht zu gönnen. Also bedeutet das gute Gegenteil des Neides, anderen Menschen ihr Gutes zu gönnen, sich mit ihnen zu freuen. Dieser Wandel vom Neid zur Freude am Wohlergehen anderer (unabhängig von der persönlichen Betroffenheit!) ist ein Akt der Umkehr und der Buße. Wenn das erfolgreich geschehen ist, stellen sich die anderen Früchte der Gerechtigkeit ein wie ein gutes Gewissen und eine vermehrte Barmherzigkeit gegenüber anderen.

Damit sind wir beim Thema Unbarmherzigkeit: Sie ist Folge von Sünde und führt zu Sünde. "das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig." (Sprüche 12,10). Dabei kann die Unbarmherzigkeit durchaus im Gewand der "Gerechtigkeit" einhergehen. Doch ist sie in dieser Form nicht gerecht vor Gott. Gottes Gerechtigkeit ist anderer Art als die der Pharisäer und Schriftgelehrten.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Pilgerer hat geschrieben:Dieser Wandel vom Neid zur Freude am Wohlergehen anderer (unabhängig von der persönlichen Betroffenheit!) ist ein Akt der Umkehr und der Buße. Wenn das erfolgreich geschehen ist, stellen sich die anderen Früchte der Gerechtigkeit ein wie ein gutes Gewissen und eine vermehrte Barmherzigkeit gegenüber anderen.
Da stimme ich zu. Auf einer tieferen Ebene muss Buße mit einem Wandel einhergehen, mit einer Sinnesänderung also, um noch einmal den Wert und den Kern des Wortes Metánoia herauszustreichen, welcher auch der Apostel Paulus in Epheser 4 beschreibt: „Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.“

Leider habe ich den Eindruck, dass der Katholizismus mit seiner geistigen Erneuerung seit Jahrzehnten auf der Stelle tritt. Es tut weh, die seltsamen Blüten zu beobachten, die die Demokratisierungs- und Modernisierungsbemühungen mit sich gebracht haben, die m. E. nichts mit wahrer, inwendiger Erneuerung, jedoch vielmehr mit der Zerstörung eines klaren katholischen Profils zu tun haben.

Denn wenn die Hierarchie als Wesensmerkmal des mystischen Leibs Christi theologisch begründet ist und bleiben soll, besteht die Lösung einzig in Metánoia, mithin darin, dass die Ämter innerhalb der klerikalen Hierarchie von diesem „neuen Menschen“ besetzt werden, der zwar in aber nicht von dieser Welt ist. Die institutionelle Kirche ist aber überwiegend verweltlicht und dieser Prozess schreitet scheint's unaufhaltsam fort.

Noch einmal: Metánoia – Sinneswandel, Selbstreflexion und Selbsterkenntnis kommen m. E. genauso zu kurz wie eine bewusst gelebte Spiritualität der Selbst- und Nächstenliebe. Ein geheiltes Gemüt, das gerecht und barmherzig sein will, entsteht eben nicht einfach so von heute auf morgen. Damit Heiligkeit entstehen kann, muss sich jeder Einzelne um Selbstheilung bemühen, wenn es Not tut mit psychologischer Hilfe.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was ist Moral?

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Lacrimosa hat geschrieben:Ausgesprochen interessant, Overkott!

Tatsächlich steht an einigen [dieser] Stellen in der lateinischen Bibel „poenitentia“ – „poenitentia agite“ (Mt 3, 2), so sagt Johannes der Täufer im lateinischen Text – oder deutsch „Buße“. Im griechischen Neuen Testament steht „metanoéo“. Hier fordert Johannes der Täufer die Menschen am Jordan auf: „metanoeite“. […] „Umkehren“ und „Buße tun“ kann die Bibel mit schlichten Vokabeln benennen, aber auch, wie Johannes der Täufer, mit dem Wort „metanoéo“. Das griechische „metánoia“ heißt eigentlich „Sinnesänderung“. (Aus einer Lesung von Prof. Dr. Dr. Harm Klueting; Harm Klueting.)

Metánoia könnte nach meinem Empfinden tatsächlich der treffendere Ausdruck sein. Es geht letztlich um die innere Umkehr, die von einer tieferen Einsicht (Sinnesänderung) begleitet sein muss, um Fehlverhalten (Sünden) nicht ständig zu wiederholen.
Die christlich-korrekte Buße beinhaltet die Hinwendung zum Guten, das Mindern des Bösen, die Reinigung des Herzens und die Reinigung des Gewissens.
Sie darf nicht zu einer depressiven Haltung führen, sondern zu einer Befreiung der Seele von den alten Ketten der Sünde. Der Sünder ist ein Knecht der Sünde, und Jesus will uns frei machen von diesen Ketten. Darum sollte der Begriff "Buße" viel stärker mit positiven, himmelzugewendeten Assoziationen verknüpft werden, statt mit einer chronischen November-Trauer-Stimmung, die niemandem etwas bringt.
Poenitentia enthält das Wort poena und das hat mit Poesie wenig zu tun. Vielmehr geht es um das Gegenteil von Unzucht. Da spürt man etwas vom rauhen Leben des Täufers und Jesu in der Wüste. Fasten war für beide kein Zuckerschlecken. Versuchungen sind daher auch nicht ausgeblieben. Buße schön zu reden, dürfte also schwer fallen. Aber sie ist offenbar immer wieder notwendig, weshalb wir jedes Jahr im Frühling 40 Tage nach Gottes Wort hungern und lechzen dürfen, um Ostern 50 Tage um so befreiender feiern zu können. Erfüllt vom heiligen Geist geht es dann erst einmal sommerlich weiter. Allerheiligen beginnt das erste Lichterfest der dunklen Jahreszeit. Und wer Weihnachten intensiver erleben möchte, kann im Advent eine weitere Buß- und Betzeit einlegen.
Buße ist hart, aber sie gelingt am besten, je klarer die positive Perspektive ist, wo es denn hingehen soll. Wenn wir das Beispiel des Neides nehmen, also einer recht alltäglichen und verbreiteten Sünde, dann brauchen wir eine realistische Perspektive, wie wir aus ihr aussteigen können und was in ihre Stelle treten soll. Wie kann ich vom Unrecht zum Recht, von Werken der Zerstörung hin zu Werken des Bauens kommen?
Bei Neid ist es eigentlich recht simpel: Neid bedeutet, anderen ihr Gutes nicht zu gönnen. Also bedeutet das gute Gegenteil des Neides, anderen Menschen ihr Gutes zu gönnen, sich mit ihnen zu freuen. Dieser Wandel vom Neid zur Freude am Wohlergehen anderer (unabhängig von der persönlichen Betroffenheit!) ist ein Akt der Umkehr und der Buße. Wenn das erfolgreich geschehen ist, stellen sich die anderen Früchte der Gerechtigkeit ein wie ein gutes Gewissen und eine vermehrte Barmherzigkeit gegenüber anderen.

Damit sind wir beim Thema Unbarmherzigkeit: Sie ist Folge von Sünde und führt zu Sünde. "das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig." (Sprüche 12,10). Dabei kann die Unbarmherzigkeit durchaus im Gewand der "Gerechtigkeit" einhergehen. Doch ist sie in dieser Form nicht gerecht vor Gott. Gottes Gerechtigkeit ist anderer Art als die der Pharisäer und Schriftgelehrten.
Poenitentia beginnt mit Selbstverleugnung.

Sie ist eine Überwindung der isolierenden Eigenliebe, wie Jesus in Mt 16,24 nahe legt: Si quis vult post me venire, abneget semetipsum, et tollat crucem suam, et sequatur me. Diese Selbstverleugnung ist das Sündenbekenntnis gemäß Psalm 50 in der Vulgata, der ganz die Bußhaltung des Täufers und Jesu ausdrückt:

3 Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam ; et secundum multitudinem miserationum tuarum, dele iniquitatem meam.
4 Amplius lava me ab iniquitate mea, et a peccato meo munda me.
5 Quoniam iniquitatem meam ego cognosco, et peccatum meum contra me est semper.
6 Tibi soli peccavi, et malum coram te feci ; ut justificeris in sermonibus tuis, et vincas cum judicaris.
7 Ecce enim in iniquitatibus conceptus sum, et in peccatis concepit me mater mea.
8 Ecce enim veritatem dilexisti ; incerta et occulta sapientiæ tuæ manifestasti mihi.
9 Asperges me hyssopo, et mundabor ; lavabis me, et super nivem dealbabor.
10 Auditui meo dabis gaudium et lætitiam, et exsultabunt ossa humiliata.
11 Averte faciem tuam a peccatis meis, et omnes iniquitates meas dele.
12 Cor mundum crea in me, Deus, et spiritum rectum innova in visceribus meis.
13 Ne projicias me a facie tua, et spiritum sanctum tuum ne auferas a me.
14 Redde mihi lætitiam salutaris tui, et spiritu principali confirma me.

Diese Selbstverleugnung ist die Hinwendung zu Gott und zum Nächsten in der Erkenntnis der eigenen Sünden. Ihr geht Reue voraus und ist zu leistende Trauerarbeit. Sie ist die Sehnsucht nach dem Guten, das wahre Freude bereitet.

Lacrimosa
Beiträge: 531
Registriert: Freitag 8. November 2013, 08:45

Re: Was ist Moral?

Beitrag von Lacrimosa »

Das ist katholischer „Theologie-Sprech“ (und das schreibe ich ohne Abwertung). Ich liebe das Asperges me: Entsündige mich mit Ysop, dann werde ich rein; wasche mich, dann werde ich weißer als Schnee! – Jedoch mache ich mir Gedanken, wie Poenitentia für den spirituell Fortgeschrittenen und Gottgläubigen, aber vom Katholizismus abgewandten, übersetzt werden könnte. In diesem Zusammenhang weckt Metánoia die gängigeren Assoziationen.

Selbstverleugung kann man mit der „Arbeit am Ego“ übersetzen. Ego ist der geläufige Ausdruck, um zu beschreiben, was den Menschen von seinem wahren, gottgegebenen Selbst trennt. Von daher finde ich Selbst-verleugnung missverständlich, negativ. Man kann sich das menschliche Dasein ein wenig wie eine Zwiebel vorstellen, von der man Schale um Schale, die man durch seine Herkunft und seine Prägungen erworben hat, – vorausgesetzt man will Gott erkennen – , wieder abtragen muss. Analog zu diesem Bild kann man seine hart gewordene (Ego-)Schale als eine solche entlarven, um zur inneren Mitte durchzudringen. Auch wenn diese innere Mitte kein Ort im herkömmlichen Sinn bezeichnet, ist es die Ebene, wo die Sehnsucht nach dem Guten von Gott gestillt wird und wo das Bedürfnis zu sündigen von alleine nachlässt.

Ich versuche hin und wieder Brücken für Menschen zu entdecken, die sich zwar für Jesus und seine Lehre interessieren, die aber die Institution ablehnen. Diese ist übrigens mit einer hart gewordenen (Ego)-Schale zu vergleichen, die sich Schicht für Schicht über das Evangelium gelegt hat.
Lasst in eurem Miteinander Platz, dass der Hauch des Himmels zwischen euch spielen kann. (Khalil Gibran)

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema