Zinsverbot

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Stefan

Zinsnahme

Beitrag von Stefan »

Kann jemand mit Bestimmtheit sagen, wann und wo das Verbot der Zinsnahme, welches biblisch begründet ist:

"Lk 6,34 Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch die Sünder leihen den Sündern, damit sie das Gleiche bekommen"

und erstmals von Papst Leo X am 4. Mai 1515 in der Bulle multiplices gelehrt wurde und letztmals von Papst Pius VIII am 18. August 1830 in einem Schreiben an den Bischof von Rennes

aufgehoben worden ist? Und falls dem nicht so ist, ob das Verbot auch heute noch gilt?

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Das Zinsverbot ist von Anfang an von der Kirche gelehrt und geglaubt worden und galt bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts unbestritten de fide. Erst im sechzehnten Jahrhundert begann und wuchs der Widerspruch, namentlich – aber nicht nur – seitens der Reformatoren.

Die gültige Lehre der Kirche hat Benedikt XIV. im Jahre 1745 in der Enzyklika »Vix pervenit« zusammengefaßt. Spätere Äußerungen des Lehramts – wie das von dir genannte Responsum von 1830, es gibt z. B. noch eins der Propaganda Fide von 1873 – haben diese Lehre nie aufgehoben, wohl aber faktisch durch Umgehung oder Nichtbeachtung aufgeweicht und schließlich der Lethe übergeben.

Das ist aber keine Änderung der Lehre, sondern bloß Versagen des Lehramts. Das Zinsverbot ist nach wie vor de fide.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

guestguest
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Zinsverbot

Beitrag von guestguest »

Im Mittelalter gab es hierzulandeeine zinsfreie Wirtschaft. Leider habe ich zur Zeit keine Literatur darüber zur Hand.

In dieser Zeit sind viele der heute noch vorhandenen großen Kirchen gebaut worden.

Soweit ich weiß, hat der damalige Bischof von Magdeburg sog. Brakteaten ausgegeben, also Geldmünzen, die mit der Zeit wertlos werden, so daß man für das Geld keine Zinsen mehr nehmen konnte.

So pauschal kann man das Mittelalter nicht als "dunkel" bezeichnen.

Stefan

Beitrag von Stefan »

Das ist aber keine Änderung der Lehre, sondern bloß Versagen des Lehramts. Das Zinsverbot ist nach wie vor de fide.

???

Was bedeutet denn Versagen? Der Vatikan hortet doch auch Zinsen. Heißt das, wenn ein geeigneter Papst käme und mal richtig lehren würde, wäre es vorbei mit den Zinsen?

Umgekehrt: Zeigt dieser Fall, wie man mit kirchlich unbequemen Lehren eigentlich umgeht, um sie loszuwerden: Man ignoriert sie und vergißt sie ohne großes Aufhebens?

[Frotzel]
Und: Heißt dies, daß WsK die eigentliche Schuld an der kirchl. Sexualmoral trägt, weil sie den Prozeß des Vergessens verhindern?[/Frotzel]

anselm
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Beitrag von anselm »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:.....

Das ist aber keine Änderung der Lehre, sondern bloß Versagen des Lehramts. Das Zinsverbot ist nach wie vor de fide.[/align][/color]

- Das würde sicherlich dazu führen, dass Kredite nur noch bei Null-Inflation oder Deflation gegeben werden. Bei Inflation aber nicht mehr, weil dann der Kreditgeber weniger zurück erhält, als er gegeben hat. Oder sollte in diesem Fall ein Ausgleich für den preisbedingten Wertverlust gegeben werden?

- Aber selbst dann wird die Kreditvergabe stark eingeschränkt werden.

- Es würde dann vermutlich eine Umleitung von Kredit in verwandte Produkte geben (wie im Islam), die eine realwirtschaftliche Anbindung haben (also in gewisses unternehmerisches Risiko, manchmal auch nur der Form halber, um die Vorgaben des Propheten zu erfüllen).
Banken würden dann statt Kredite zu geben Mitunternehmer werden (ebenso die Sparer).

- Wahrscheinlich wird es aber trotzdem nicht zu mehr, sondern zu weniger Wirtschaftswachstum führen.

- Ist ein interessantes (wenn auch exzentrisches) Thema. Vielleicht finde ich ein wenig Literatur dazu.

anselm
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Beitrag von anselm »

Hier gibt es einige Informationen zu einer Geldwirtschaft ohne Zinsen:

http://www.freigeld.de/

Raphael

Beitrag von Raphael »

Zu dieser Wirtschaftstheorie, die unter dem Namen "Natürliche Wirtschaftsordnung" bekannt geworden ist, gibt es weitere Literatur: Sprung aus dem Teufelskreis

Bei dem Autor handelt es sich um einen ehemaligen Jesuitenpater: Johannes Heinrichs

Als Vater dieser "Natürliche Wirtschaftsordnung" gilt Silvio Gesell: Kurzbiographie

Aufgrund der Kirchenferne dieser Protagonisten sollte eine kritische Annäherung an diese Theorie nicht vernachlässigt werden! 8)

GsJC
Raphael

Raphael

Beitrag von Raphael »

Ein Zitat aus dem oben gesetzten "Teufelskreis-Link" möchte ich den Lesern nicht vorenthalten: ;)
Johannes Heinrichs hat geschrieben:1.2. Rückblick auf das abendländische Zinsverbot
Es lohnt sich, das Augenmerk wenigstens kurz auf die abendländische, kirchlich geprägte Geschichte des Zinses zu richten. War es nicht die Kirche, die jahrhundertelang den Zins verboten hat?
Im Alten Testament wird das Zinsverbot vielfach ausgesprochen - allerdings mit der bis heute für das sogenannte "auserwählte Volk" so kennzeichnenden Unterscheidung von "Volksgenossen" und "Fremden", so 2 Mose (Exodus) 22, 25, 3 Mose (Leviticus) 25, 35-37, 5 Mose (Deuteronomium) 23,19 f., besonders drastisch in Ezechiel 18,13: "Wer auf Zins leiht und Zuschlag nimmt, sollte der am Leben bleiben? - Er wird nicht am Leben bleiben!... Er muß sterben. Sein Blut komme über ihn!" Das Zinsverbot ist eingebettet in weitere Regeln: das "Erlaßjahr" ( 5 Mose 15,1-11), wonach in jedem 7. Jahr alle Schulden zu erlassen sind, und das "Halljahr" (3 Mose 25), das im 50. Jahr den Grundbesitz an die ursprünglichen Eigentümer zurückfallen läßt, so daß der Boden nicht auf Dauer veräußert werden kann.[3]
Das auch im Neuen Testament ausgesprochene Zinsverbot, welches im Urchristentum als selbstverständlich galt, ist in den meisten Übersetzungen bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt worden. In der Lutherbibel heißt es noch: "Tut Gutes und leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft" (Lukas 6,35: mäden apelpizontes). Das ist noch verständlich. Wenn übersetzt wird, wie in den meisten neuen Übersetzungen: "Leiht, ohne zurückzuerwarten", ist der ursprünglich verständliche und sehr realistische Sinn in unrealistische Unverbindlichkeit übersteigert worden. Eine beliebte Taktik der Ablenkungsideologie ist folgende: Man kann die Ideale so hoch hängen, daß keiner sie mehr ernst zu nehmen braucht. Welcher Christ würde leihen, ohne das Geliehene zurückzuerwarten? Es geht um etwas ganz anderes, um etwas Realistisches.
Die Kirchenväter nahmen das Zinsverbot ernst. Auf zahlreichen frühkirchlichen Synoden wurde es wiederholt bekräftigt. Zur Begründung dienten die heiligen Schriften wie auch die natürlichen Prinzipien der Gerechtigkeit der griechischen Philosophen. Die diesbezüglich besonders klaren Aussagen des Aristoteles wurden freilich erst durch Thomas von Aquin, immerhin den kirchlichen "doctor universalis", wieder zur Geltung gebracht. Doch wie gern steckt man Philosophen in den Elfenbeinturm, um nicht das Konkrete ihrer Lehren beachten zu müssen?
Karl der Große legt der Synode von Aachen 789 ein Gesetz gegen den Zins vor, und König Lothar bestimmte 825: "Wer Zins nimmt, wird mit dem Königsbann belegt, wer wiederholt Zins nimmt, wird aus der Kirche ausgestoßen und soll vom Grafen gefangengesetzt werden." Das Hochmittelalter erlebte seine glücklichste Zeit durch die sogenannten "Brakteaten". Das waren Geldstücke, die in unregelmäßiger Folge für ungültig erklärt wurden, damit für einen Umlauf (das Gegenteil von Hortung) ohne Zins gesorgt war.
Freilich gab es zwei große Inkonsequenzen. Zum einen wurde das Bodenrecht feudal. Der Boden wurde eine Quelle arbeitslosen Einkommens von höchst ungleicher Verteilung. Der Feudalismus entsprach einer Vorstufe des späteren Kapitalismus. Zum anderen wurde bei und von den Juden das Geldverleihen gegen Zins geduldet - eine in mehrfacher Hinsicht fatale Doppelgleisigkeit.
Das von Luther noch geltend gemachte Zinsverbot wurde von Calvin fallengelassen, denn: im Gegensatz zum Wucher könne der Zins nicht unerlaubt sein, da sonst gewinnträchtiger Handel unmöglich sei: "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", waren von Max Weber durchaus kritisch gemeint. Inzwischen hatten die großen Banker aller Konfessionen ihre Beispiele frühkapitalistischer Prosperität durch Zinswirtschaft überzeugend geliefert.
Das letzte lehramtliche Dokument der Kirche gegen den Zins ist die Enzyklika "Vix pervenit" von 1743. Eigentümlicherweise legt der Vatikan in dieser Sache keinen Wert auf geschichtliche Kontinuität, die ohnehin nur geltend gemacht wird, wo es in die neue Interessenlage paßt. Die zu Unrecht so gefeierte, angeblich erste Sozialenzyklika "Rerum Novarum" von 1891 atmet feudalen und frühkapitalistischen Geist: Arbeit ist ein für immer mehr Menschen leider unumgänglicher Makel der Erbsünde, arbeitsloses Einkommen aus Grundbesitz und Kapital kann wenigstens einige von dieser Erbsünden-Last befreien... Welch einen Kontrast stellt dies aus der Sicht der Arbeit zu "Laborem exercens" von 1981 dar! Zu jener Zeit saß der Kapitalismus allerdings fest im Sattel!
Gegen eine untergründige, vielmehr unterdrückte Strömung im Katholizismus setzt sich die Absegnung des Kapitalismus durch. Der 1947 amtsenthobene Innsbrucker Jesuitenprofessor Johannes Kleinhappl (1893-1979 [4]), scharfer Kritiker der von Oswald von Nell-Breuning entworfenen Enzyklika "Quadragesimo anno" (1931), ist - zusammen mit seinem Herausgeber Ernst van Loen - der bisher letzte in einer Reihe von wichtigen, tief religiösen und prophetischen Opponenten, wie auch der westfälische Pfarrer Wilhelm Hohoff (1848-1923), erst Freund, dann Gegner des viel bekannteren Anpassungs-Katholiken Franz Hitze, sowie Karl von Vogelsang (1818-1890) und in Frankreich etwa Emmanuel Mounier (1905-1950). Sie alle waren Zeugen dafür, daß es auch für loyale Katholiken möglich war zu erkennen:
Der moderne Kapitalismus beruht wesentlich auf dem Zinswesen, auf dem Prinzip arbeitslosen Einkommens, auf der Fiktion arbeitenden oder zumindest mitarbeitenden Kapitals.
Der später ausführlicher zu Wort kommende Johannes Kleinhappl wurde nicht müde, gegenüber den offiziellen Vertretern der "Katholischen Soziallehre" zu betonen, daß das Kapital nur Instrumentalursache, nicht "Teilursache" des Arbeitsertrages sei, daß Marx in wesentlichen Punkten Recht hatte, daß Eigentum an Produktionsmitteln seine Legitimität allein in dem Maße hätte, als es Arbeitsmittel für den Eigner sei; daß die "Bewirtschaftung" eigentumsloser Arbeiter naturgesetzwidrig sei; daß aus dem ganzen Mißstand der Zins resultiere und dieser jenen Mißstand umgekehrt stabilisiere, ja hoch wirkungsvoll dynamisiere. Die noch heute als "kritisch katholisch" ausgegebene Sicht einer Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital tat er als eine von der Wurzel her irrige Beschwichtigungsformel ab. Selbst ein postulierter (unter dem gegenwärtigen Geldwesen völlig illusorischer) Vorrang der Arbeit vor dem Kapital setzt den falschen Dualismus voraus. Diese Argumentation zeigt die innerkatholische Stimme eines Totgeschwiegenen!
GsJC
Raphael

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Ich weiß ja nicht, ob es tatsächlich stimmt, aber Kardinal Ratzinger soll 1982 den Zins-Paragraphen 1543 aus dem CIC gestrichen haben (könnte das gegen die Befreiungstheologie gemünzt gewesen sein?).

Auf seinen Webseiten erklärt Wirtschafts-Prof. BERND SENF aus Berlin, wie unheilvoll das Zinssystem sein soll: die Armen würden immer ärmer und die Reichen immer reicher. Dabei würde massenhaft Geld entstehen, das es eigentlich gar nicht gebe, das überhaupt nicht gedeckt sei. Und wir alle müssten die 15% Oberkapitalisten dadurch alimentieren, dass wir immer weniger für unser Geld kriegen (zur Zeit sei etwa 1/3 des Preises für ein bestimmtes Produkt nur dazu da, das Zinssystem überhaupt aufrecht zu erhalten!).

PS: Kann man denn das Jesus-Wort vom "Leihen" wirklich nur auf Geldleihen beziehen, oder kann es da nicht auch um ganz banale Alltagsgegenstände wie Mäntel usw. gehen, von denen er ja auch an anderer Stelle schon gesprochen hat? *ganz dumm frag*

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Mist, ich sehe gerade im lateinischen Text, dass es da tatsächlich um Geld und Zinsen geht:
Lukas 6,34 (Ende der Bergpredigt)
ET SI MUTUUM DEDERITIS HIS, A QUIBUS SPERATIS RECIPERE,
"und wenn ihr denen Geldleihe gebt, von denen ihr zu bekommen hofft,"
QUAE VOBIS GRATIA EST?
"welcher Lohn ist euch? (was habt ihr dann davon?)"
NAM ET PECCATORES PECCATORIBUS FENERANTUR,
"denn auch die Sünder leihen anderen Sündern auf Zinsen,"
UT RECIPIANT AEQUALIA
"um das Gleiche zu erhalten"
(Griech. kaì 'eàn danísête par' hôn 'elpízete labeîn, poía hymîn cháris?
Kaì hamartôloì hamartôloîs danízousin, hína 'apolábôsin tà 'ísa).


Jetzt meine Frage: wieso "um das GLEICHE zu erhalten"? Ist hier etwa die Inflation mit einberechnet? Normalerweise bekommt man auf Zinsen doch mehr zurück, als das Geld zunächst wert war!

Außerdem verstehe ich nicht, wie man hier herauslesen will, dass ich bei meiner Bank keine Zinsen verlangen darf. Es geht doch hier um privaten Geldverleih, und da verlange ich doch sowieso keine Zinsen...also, sehr merkwürdig dieser Satz!

Uwe Schmidt
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Beitrag von Uwe Schmidt »

Jetzt bin ich wieder ein Bisschen schlauer: MUTUUM heißt "Darlehen", und da es offensichtlich schon zu Zeiten Jesu Geldentwertung gab, hat man sich Zinsen ausbedingt, um bei Rückgabe der Summe AEQUALIA, d.h. dasgleiche wie vorher zurückzuerhalten.
Nach der Bergpredigt sollen wir also auch Geld verleihen, wenn wir es später dank Inflation nur noch zum Teil zurückbekommen.
Wieso kann man also hier ein allgemeines Zinsverbot ableiten? Vom Sparen bei einer Bank ist hier doch gar nicht die Rede!

Raphael

Beitrag von Raphael »

Aus der Kritik der „Natürlichen Wirtschaftsordnung“ an dem herrschenden marktwirtschaftlichen System sticht ein Punkt hervor, der aus meiner Sicht möglicherweise nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch berechtigt ist. Es handelt sich um die Bevorteilung der Geldvermögensbesitzer gegenüber den Sachvermögensbesitzern!

Hierzu gilt es zu beachten, daß Geld zwei Funktionen besitzt:
1. Tauschfunktion
2. Wertaufbewahrungsfunktion

Bei der ersten Funktion ist unmittelbar einleuchtend, daß diese die interne Effizienz einer arbeitsteilig organisierten Volkswirtschaft gegenüber einer reinen Naturaltauschwirtschaft enorm erhöht.
Die letztere Funktion ist schon problematischer; dient sie doch als eine der Begründungen für die Zinsnahme. Denn derjenige, der heute gearbeitet hat, jedoch mit dem aus dieser Arbeit resultierenden Einkommen nicht nur den heutigen, sondern auch den zukünftigen Lebensstandard sicherstellen will, wird - wie selbstverständlich - Wert darauf legen, daß die Inflation nicht unbemerkt einen Teil seines redlich erarbeiteten Vermögens verzehrt. Um also tatsächlich die Wertaufbewahrungsfunktion erfüllen zu können, muß ([Punkt]) der Geldvermögensbesitzer einen Zins nehmen, der mindestens inflationsausgleichend wirkt. Ein realer Gewinn entsteht ihm nur in der Höhe, in der der Zins oberhalb der Inflationsrate liegt. Diesen Gewinn nennt man auch Realzins.

Ein weiterer Grund für die Zinsnahme ist die allgemeine Preisorientierung einer Marktwirtschaft. Alle gehandelten Güter innerhalb einer Marktwirtschaft haben einen Preis, der im Idealfalle dem Knappheitsgrad des jeweiligen Gutes entspricht. Und daß Geld ein gehandeltes Gut ist, ist wohl unbestreitbar. Mithin ist der Zins lediglich der Preis des Geldes. Man würde das marktwirtschaftliche Paradigma verlassen, wenn plötzlich ein gehandeltes Gut keinen Preis mehr aufweisen würde.
Makroökonomisch betrachtet hat der Zins (wie jeder andere Preis auch) eine Steuerungsfunktion für die Volkswirtschaft. Da es in einer Volkswirtschaft immer um die effiziente Verwendung von knappen Resourcen geht, wird der Resourcenverbrauch über die Preise gelenkt: Die knappen Güter fließen dorthin, wo sie am Profitträchtigsten verwertet werden können. Aus den knappen Gütern wird so das Optimale für die Güterproduktion herausgeholt. Zumindest in der Theorie wird hierdurch auch die allgemeine Wohlfahrt einer Volkswirtschaft gesteigert.

Der Vorteil der Geldvermögensbesitzer resultiert nun daher, daß selbige aufgrund der eben geschilderten ökonomischen Rahmenbedingungen, die auch ihren Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden haben, für ihr Geldvermögen einen Zins verlangen können. Sie erzielen also ein Einkommen in Höhe des Realzinses, ohne hierfür tatsächlich gearbeitet zu haben. Aber auch hier hat die Marktwirtschaft eine Antwort parat, denn der Geldvermögensbesitzer wird bei der Geldverleihe als Unternehmer tätig, der ein unternehmerisches Risiko eingeht: Es ist das Ausfallrisiko, welches - in individuell unterschiedlicher Höhe - bei jedem Schuldner auftritt.
Erst der Teil des Zinses, der den Realzins und die Prämie für das Ausfallrisiko übersteigt, kann als echter Gewinn (= Reingewinn) angesehen werden, der dem Geldvermögensbesitzer zufließt, ohne daß er eine eigene Leistung erbracht hat.

Die eingangs geschilderte Bevorteilung der Geldvermögensbesitzer hat seinen Grund jedoch nicht ausschließlich aus den eben angestellten theoretischen Überlegungen. Diese Bevorteilung stammt über die genannten Gründe hinaus daher, daß Geld per definitionem unverderblich ist; zumindest was den Nominalwert anbetrifft, ist es also stabil. Unterstellt man also, daß sich Geldvermögen bei denjenigen ansammelt, welche ein Gesamteinkommen – aus welchen Quellen auch immer – erzielen, daß größer ist, als für den privaten Konsum benötigt, verschiebt sich auf mikroökonomischer Ebene das Haushaltseinkommen zugunsten des nicht erarbeiteten Einkommens; in marxistischer Terminologie: Das Kapital akkumuliert sich. Aus dieser Akkumulation wiederum resultiert dann eine immer stärker werdende Umverteilung von denjenigen, welche ausschließlich auf Arbeitseinkommen angewiesen sind, zu denjenigen, welche Kapitaleinkommen beziehen. Über den Zinseszinseffekt wird diese Akkumulation sogar noch verstärkt. Denn rein mikrokoökonomisch werden die Geldvermögensbesitzer – bei einer Betrachtung über mehrere Perioden – bei stetiger Konsumquote einen immer höheren Anteil ihres Einkommens als Kapitaleinkommen beziehen. Hiermit läßt sich auch die in Ökonomenkreisen immer wieder gerne zitierte Lorenzkurve (Wikipedia-Eintrag: Lorenzkurve) erklären.

Dies nur zu der Erläuterung der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten.
Über die moralische Qualität der Zinsnahme ist hiermit noch nichts gesagt, da Moral nicht zu den gehandelten Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft gehört. Sollte jemand der Ansicht sein, man könnte auch Moral als ein handelbares Gut ansehen, dann kann es sich dabei nicht mehr um Moral im eigentlichen Sinne des Wortes handeln. :roll:

GsJC
Raphael

Benedikt

Beitrag von Benedikt »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Die gültige Lehre der Kirche hat Benedikt XIV. im Jahre 1745 in der Enzyklika »Vix pervenit« zusammengefaßt. Spätere Äußerungen des Lehramts – wie das von dir genannte Responsum von 1830, es gibt z. B. noch eins der Propaganda Fide von 1873 – haben diese Lehre nie aufgehoben, wohl aber faktisch durch Umgehung oder Nichtbeachtung aufgeweicht und schließlich der Lethe übergeben.

Das ist aber keine Änderung der Lehre, sondern bloß Versagen des Lehramts. Das Zinsverbot ist nach wie vor de fide.
Danke für diese Aufstellung. Allerdings ist dabei zu beachten, was Benedikt XIV. formuliert:
Die Rechtsnatur des Darlehens fordert notwendig die Gleichheit von Gabe und Rückgabe.
Das heißt im Klartext, dass Zinsen die unter der Inflationsrate liegen nicht unter das Zinsverbot fallen. Bei der derzeitigen Inflationsrate dürfte das für nicht wenige Kredite und Sparmöglichkeiten gelten.

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Benedikt hat geschrieben:... Allerdings ist dabei zu beachten, was Benedikt XIV. formuliert:
Die Rechtsnatur des Darlehens fordert notwendig die Gleichheit von Gabe und Rückgabe.
( Bei der jeweiligen "-gabe" ist allerdings sorgfältig zu unterscheiden zwischen Geld und Naturalie. )

Benedikt

Beitrag von Benedikt »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Benedikt hat geschrieben:... Allerdings ist dabei zu beachten, was Benedikt XIV. formuliert:
Die Rechtsnatur des Darlehens fordert notwendig die Gleichheit von Gabe und Rückgabe.
( Bei der jeweiligen "-gabe" ist allerdings sorgfältig zu unterscheiden zwischen Geld und Naturalie. )
Da fängt es allerdings an, sophistisch zu werden. Dann schließe ich meinen Darlehensvertrag bemessen nach 1000 Litern Benzin anstatt für 700 Euro ab und kriege viel höhere Zinsen, was aber ok wäre.

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Benedikt hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:
Benedikt hat geschrieben:... Allerdings ist dabei zu beachten, was Benedikt XIV. formuliert:
Die Rechtsnatur des Darlehens fordert notwendig die Gleichheit von Gabe und Rückgabe.
Das heißt im Klartext, dass Zinsen die unter der Inflationsrate liegen nicht unter das Zinsverbot fallen. Bei der derzeitigen Inflationsrate dürfte das für nicht wenige Kredite und Sparmöglichkeiten gelten.
( Bei der jeweiligen "-gabe" ist allerdings sorgfältig zu unterscheiden zwischen Geld und Naturalie. )
Da fängt es allerdings an, sophistisch zu werden. Dann schließe ich meinen Darlehensvertrag bemessen nach 1000 Litern Benzin anstatt für 700 Euro ab und kriege viel höhere Zinsen, was aber ok wäre.
Zu des Helioschs Geld"sophistik":
Welche Inflationsrate sollte denn jeweils angesetzt werden, die effektive oder die offiziell propagierte? Die zu Vertragsbeginn gültige oder jene zu Vertragsende oder ein Durchschnittswert, der sich an der Zuckfrequenz der rechten Augenbraue Bernankes orientiert und 14 Tage nach Vertragsende abzurechnen sei? Und wie weit unter dem dann gewählten Wert dürfe denn dann der zu vereinbarende # sein? Tipp: wähle eine Zahl zwischen 0,01 und 99,99...

...nun zu des Helioschs Naturalien"sophistik":
Silber oder Gold als stabiler Naturaliengegenwert ist nicht zu weit hergeholt, ..."Öl" mithin "Benzin" jedoch sehr wohl, da nicht als hinreichend stabiler Gegenwert akzeptabel...

Johaennschen
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Beitrag von Johaennschen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Die gültige Lehre der Kirche hat Benedikt XIV. im Jahre 1745 in der Enzyklika »Vix pervenit« zusammengefaßt.
Hallo,

ist der letzte Satz von §3 I
Jeder Gewinn, der die geliehene Summe übersteigt, ist deshalb unerlaubt und wucherisch.
wirklich so gemeint oder ist das ein Übersetzungsfehler? So wie es da steht, wären ja 100% Zinsen voll in Ordnung! :shock:
Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.
Nicolás Gómez Dávila

sofaklecks
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Mit Verlaub

Beitrag von sofaklecks »

Nein,

als jeder die geliehene Summe übersteigender Gewinn ist jeder Betrag anzusehen, der ohne nähere Abrede die Darlehenssumme bei der Rückzahlung übersteigen soll.

Damit ist indes nicht jede Abrede untersagt, die in anderer Form eine Fruchtziehung aus dem Darlehen untersagt, denn:

§ 9. Drittens: Wer sich von jedem Makel des Zinsnehmens oder Wuchers frei und rein halten und sein Geld so einem andern geben will, daß er nur eine rechtmäßige Frucht bezieht, ist zu ermahnen, den einzugehenden Vertrag vorher genau zu bezeichnen und die darin aufzunehmenden Bedingungen und die Frucht, die er aus dem Gelde fordert, klarzulegen. Das wird in hohem Maße dazu beitragen, nicht nur seelische Unruhe und Gewissensbedenken zu vermeiden, sondern auch den Vertrag selbst im äußeren Bereich billigen zu können. Das verriegelt auch Streitigkeiten die Türe, die oft entstehen müssen, wenn es um die Abklärung der Frage geht, ob das Geld, das einem andern in rechter Weise gegeben zu sein scheint, nicht doch in Wirklichkeit einen bemäntelten Wucher in sich schließe.

Das erlaubt in jedem Falle ein Partiarisches Darlehen, also ein solches, bei dem der aus der Nutzung der Darlehenssumme resultierende Nutzen geteilt wird (A leiht B tausend Goldgulden, die dieser in den Import von Pfeffer investieren will mit der Abrede, dass er den erwarteten Gewinn aus dem Import nach einem vorher festgelegten Masstab mit A teilt).

Angesichts der Vorgänge um die IOR scheint mir die Enzyklika indes ebenso lebensnah wie eine modernere, die gewisse Irritationen nach sich zog, weil das IOR an einer Pharmafirma beteiligt war, die im krassen Gegensatz dazu stehende Podukte herstellte. Von den Vorgängen um die altehrwürdige Bank, die den Namen des Stadtheiligen von Mailand trug ganz zu schweigen.

sofaklecks

Johaennschen
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Re: Mit Verlaub

Beitrag von Johaennschen »

sofaklecks hat geschrieben:Nein,
Nein, was?
als jeder die geliehene Summe übersteigender Gewinn ist jeder Betrag anzusehen, der ohne nähere Abrede die Darlehenssumme bei der Rückzahlung übersteigen soll.
Eben. Es müßte doch heißen
Jede geforderte Rückzahlung, die die geliehene Summe übersteigt, ist deshalb unerlaubt und wucherisch.
oder
Jeder Gewinn, der aus einer Darlehensrückzahlung erwächst, ist deshalb unerlaubt und wucherisch.
oder sonstwie. Nur der Sinn sollte stimmen.
Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.
Nicolás Gómez Dávila

sofaklecks
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Nein

Beitrag von sofaklecks »

Nein,

es ist nicht so gemeint, dass das Fordern von 99,5 % Jahreszinsen nicht unter das Wucherverbot fällt.

sofaklecks

Johaennschen
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Beitrag von Johaennschen »

Alles klar! Ich hatte es natürlich auch so verstanden, wie es wohl gemeint ist, war dann aber über die genaue Formulierung gestolpert.
Interessanterweise scheint es wirklich ein Fehler in der Enzyklika zu sein, habe mir gerade die englische und lateinische Fassung angeguckt. Dort heißt es auch Gewinn (gain bzw. lucrum).
Ich habe zwar nicht Wirtschaft studiert, aber der Gewinn ist doch der Unterschied zwischen Aufwand und Ertrag, oder? War das 1745 anders? :ikb_confused1:

Achtung, protestantisch-dümmliche Polemik: Zum Glück waren Eure Päpste damals noch nicht unfehlbar! :mrgreen:
Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.
Nicolás Gómez Dávila

sofaklecks
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Si

Beitrag von sofaklecks »

"Achtung, protestantisch-dümmliche Polemik: Zum Glück waren Eure Päpste damals noch nicht unfehlbar!"

Si tacuisses, .........


sofaklecks

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ar26
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Beitrag von ar26 »

@ jockelomat
Ich find es ja in Ordnung, wenn man genauer hinschaut. Vielleicht hat man sich in der Enzyklika ungenau ausgedrückt. Aber irgendwie ist mir klar, was gemeint ist, den anderen auch. Man soll beim Verleihen keinen Gewinn machen. Das schließt einen Inflationsausgleich nicht aus. Ergo kann ich 1000 EUR verleihen und in 5 Jahren zur Rückzahlung das Kaufkraftäquivalent verlangen, meinetwegen 1200 EUR. Laut wikiblödia waren daneben vom Zinsverbot auch nicht der damnum emergens erfasst (Juhu, darf weiter Verzugszinsen einklagen :D ) sowie Zinsen, wenn sich der Verleiher wegen des Darlehns ein anderweitig gutes Geschäft (bsp. den Kauf einer günstigen Rinderherde) entgehen lies. Ich hoffe mal, daß dies auch korrekt ist.

@Robert und allgemein
Eine Frage stellt sich mir aber. Ich kann mir gut vorstellen, daß eine Wirtschaft unter Zinsverbot funktionieren kann, insbesondere im Wege der Unternehmensbeteiligung, aber wie sollte sich Otto-Normalverbraucher sein Häusle bauen oder kaufen? Ich hätte irgendwie keine Lust, den Darlehnsgeber zum Miteigentümer meiner Scholle zu machen. Ganz ohne Gegenleistung wird er aber in der Regel auch kein Geld geben. Letzteres brauch ich aber nun mal , wenn ich bauen will.

Ein weiteres Problem wäre der Mietzins. Letztlich müssten Mieteinahmen, die die Ausgaben für die Instandhaltung der Mietsache übersteigen, ebenso unter das Zinsverbot fallen. Wer würde dann noch Mietsachen (Wohnungen etc.) bereitstellen? Den Gedanken weiterspinnen könnte man, wenn man sich das Institut der Landpacht anschaut, letztlich ist der Unterschied zwischen Miete und Pacht nicht in der Zahlung von Entgelt begründet, sondern in der Art und dem Umfang der Nutzung einer Sache. Rechtsinstitute, die der Pacht vergleichbar waren, gab es mW schon im Feudalwesen.

Johaennschen
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Beitrag von Johaennschen »

ar26 hat geschrieben:@ jockelomat
Ich find es ja in Ordnung, wenn man genauer hinschaut. Vielleicht hat man sich in der Enzyklika ungenau ausgedrückt. Aber irgendwie ist mir klar, was gemeint ist, den anderen auch.
Jaja, mir ja auch.
Man soll beim Verleihen keinen Gewinn machen.
Warum schreibt man es dann nicht einfach? Mir ist der Fehler zwar auch erst beim dritten oder vierten Lesen aufgefallen, aber Korrekturlesen ist ja auch nicht mein Beruf. Oder konnte Gewinn damals auch Einnahmen oder Ertrag bedeuten?
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Nicolás Gómez Dávila

Kurt
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Beitrag von Kurt »

ar26 hat geschrieben:@Robert und allgemein
Ich hätte irgendwie keine Lust, den Darlehnsgeber zum Miteigentümer meiner Scholle zu machen. Ganz ohne Gegenleistung wird er aber in der Regel auch kein Geld geben.
Was die Scholle angeht: Es ist nicht zwingend einleuchtend, warum man überhaupt Eigentum an etwas erwerben kann, was Mutter Natur und damit der Herr uns geschenkt hat. Eine Bodenverrentung gehört m.E. zwingend zu einem Wirtschaftsmodell mit Null- oder negativen Zinsen dazu.

Am ehesten hat Gesell wohl eine Wirtschaftsordnung modelliert, die dem Zinsnahmeverbot nahe kommt.

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Kurt hat geschrieben:
ar26 hat geschrieben:@Robert und allgemein
Ich hätte irgendwie keine Lust, den Darlehnsgeber zum Miteigentümer meiner Scholle zu machen. Ganz ohne Gegenleistung wird er aber in der Regel auch kein Geld geben.
Was die Scholle angeht: Es ist nicht zwingend einleuchtend, warum man überhaupt Eigentum an etwas erwerben kann, was Mutter Natur und damit der Herr uns geschenkt hat. Eine Bodenverrentung gehört m.E. zwingend zu einem Wirtschaftsmodell mit Null- oder negativen Zinsen dazu.

Am ehesten hat Gesell wohl eine Wirtschaftsordnung modelliert, die dem Zinsnahmeverbot nahe kommt.
Wenn man es wagt, näherhin von Dtn 23,20-21 auszugehen, hat die Sache übrigens noch eine nicht unerhebliche "Hintergrundstrahlung":

"Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen: weder Zinsen für Geld noch Zinsen für Getreide noch Zinsen für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt."
"Von einem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, von deinem Bruder darfst du keine Zinsen nehmen, damit der Herr, dein Gott, dich segnet in allem, was deine Hände schaffen, in dem Land, in das du hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen."


Aus dieser Perspektive nähmlich wären wir für sämtliche Banker...


... "Ausländer"| Dtn 23,20-21 |

Kurt
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Beitrag von Kurt »

Paul Heliosch hat geschrieben:Aus dieser Perspektive nähmlich wären wir für sämtliche Banker...
... "Ausländer"
Und für sämtliche Sparer wären die Banker "Ausländer". ;)
Im Ernst: Die Sorglosigkeit im Umgang mit dem Zinsnahmeverbot finde ich erschreckend.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

jockelomat hat geschrieben:Alles klar! Ich hatte es natürlich auch so verstanden, wie es wohl gemeint ist, war dann aber über die genaue Formulierung gestolpert.
Interessanterweise scheint es wirklich ein Fehler in der Enzyklika zu sein, habe mir gerade die englische und lateinische Fassung angeguckt. Dort heißt es auch Gewinn (gain bzw. lucrum).
Ich habe zwar nicht Wirtschaft studiert, aber der Gewinn ist doch der Unterschied zwischen Aufwand und Ertrag, oder? War das 1745 anders?

Zunächst mußt du den Satz sprachlich verstehen. Gemeint ist: „jeder Gewinn über die geliehene Summe hinaus“, oder: „alles, was über die geliehene Summe hinaus als Gewinn anfällt“.

Allerdings ist nicht absolut jeder beliebige Gewinn gemeint. In der von mir veröffentlichen Übersetzung ist leider das Wort hujusmodi – „solcherart“ ausgelassen:
Omne propterea hujusmodi lucrum, quod sortem superet, illicitum, et usurarium est – Jeder ‹solche› Gewinn, der die geliehene Summe übersteigt, ist deshalb unerlaubt und wucherisch.
Welcherart der Gewinn sei, der hier gemeint ist, steht ein Stück weiter oben:
quod quis ex ipsomet mutuo … plus sibi reddi velit, quam est receptum – daß jemand aus dem Darlehen selbst für sich mehr zurückverlangt, als der andere von ihm empfangen hat …
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Paul Heliosch
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Beitrag von Paul Heliosch »

Kurt hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Aus dieser Perspektive nähmlich wären wir für sämtliche Banker...
... "Ausländer"
Und für sämtliche Sparer wären die Banker "Ausländer". ;)
Mitnichten: Die sogenannten "Sparer" erhalten eine Art Provision dafür, daß die Banker mit fremden Geld Gewinne machen dürfen. Das verbuche ich eher unter dem Begriff Banker-"Spottpreis". Hinzu kommt die effektive Inflationsrate,... dann wird aus dem Spott "Hohn"...

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

jockelomat hat geschrieben:
ar26 hat geschrieben:@ jockelomat
Ich find es ja in Ordnung, wenn man genauer hinschaut. Vielleicht hat man sich in der Enzyklika ungenau ausgedrückt. Aber irgendwie ist mir klar, was gemeint ist, den anderen auch.
Jaja, mir ja auch.
Man soll beim Verleihen keinen Gewinn machen.
Warum schreibt man es dann nicht einfach? Mir ist der Fehler zwar auch erst beim dritten oder vierten Lesen aufgefallen, aber Korrekturlesen ist ja auch nicht mein Beruf. Oder konnte Gewinn damals auch Einnahmen oder Ertrag bedeuten?
[/color]
Jockel: Dein Verständnisproblem ist künstlich. Das Rundschreiben ist völlig klar und eindeutig. „Gewinn“ und „übersteigen“ sind hier vielleicht etwas pleonastisch gebraucht. Eher würde ich aber sagen, daß jenes „übersteigen“ einfach definiert, was unter „Gewinn“ zu verstehen ist. Jedenfalls ist völlig unzweifelhaft, was gemeint ist.

AR: Daß man »beim Verleihen keinen Gewinn machen« solle, ist nicht ausgesagt. Erstens müßte man besser sagen: „durch das Verleihen“, und sodann: Es geht nur um Geldverleih. Geld ist von Sachen grundsätzlich zu unterscheiden.

Dein Hinweis auf Miete, Pacht etc. geht darum am Thema vorbei. Mammon ist der Götze per se, nicht Haus, Hof, Wohnung, Auto, Rechner oder was auch immer (wiewohl man das alles auch vergötzen kann: aber an sich sind diese Dinge gut, während das Geld – eigentlich eine den Mangel verdinglichende Fiktion – als Mangelerscheinung per se schlecht ist).
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Beitrag von ar26 »

Das Deuteronomium, so wie Paul es zitierte, macht aber keinen Unterschied zwischen Geld und Sachen. Ich weiß, daß das jetzt nicht unbedingt Verbindlichkeit für uns erheischt, bedenkenswert ist es wohl dennoch. Ich wähnte bisher immer, der Grund für das Zinsverbot ist, daß Gewinne, die weder auf eigener Arbeit oder dem Eingehen eines unternehmerischen Risikos beruhen, unverdient sein.

Johaennschen
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Beitrag von Johaennschen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Zunächst mußt du den Satz sprachlich verstehen. Gemeint ist: „jeder Gewinn über die geliehene Summe hinaus“, oder: „alles, was über die geliehene Summe hinaus als Gewinn anfällt“.
Setz mal Zahlen ein für die geliehene Summe und den Gewinn, dann verstehst Du den Satz mathematisch. :mrgreen: Aber ich wollte hier eigentlich gar nicht beckmessern. Genug davon.
Interessanterweise eine (weitere) Erfolgsgeschichte des Calvinismus! :shock:
Wie sieht das eigentlich in der Ostkirche aus, wird dort noch die Zinsnahme als Sünde benannt? Ich weiß nur, daß (bei den Russen) ein Priester nebenher nicht als Bänker arbeiten darf.
Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.
Nicolás Gómez Dávila

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