Ein wichtiger Nachtrag, der, wäre er schon am Anfang dieses Strangs vorgekommen, man sich einige Seiten dieses Strangs hätte wohl sparen können. Hier soll kurz die formallogische Struktur der des ersten und zweiten Weges St. Thomas’ bzw. des kosmologischen Beweises in der Form des kausalen und des Beweises aus der Bewegung dargestellt werden. (Insgesamt gibt es bei St. Thomas allerdings drei Varianten des kosmologischen Beweises, nämlich die beiden genannten und den Kontingenzbeweis.)
Eine andere Frage hierzu, nämlich die, ob die Gottesbeweise, Beweise sind bzw. sein wollten, wurde hier eigentlich schon geklärt und man kann sie mit einem eindeutigen "Ja" beantworten - schon alleine aufgrund der verwendeten einheitlichen, logischen Terminologie und ihres korrekten, formallogischen Aufbaus, kann darüber eigentlich kein Zweifel bestehen. Der Beweis bringt auch dementsprechend wahre Sätze, die aus seinen Prämissen folgen, hervor. Für gescheitert werden diese Beweise vielfach von solchen gehalten - wie man z. B. an N. Hoerster sieht -, die sie nicht logisch rekonstruiert, geschweige denn auf diese Art widerlegt haben. Der Hinweis auf B. Russell, der durchaus über den nötigen Intellekt und eigentlich über ein respektables Verständnis der Logik als solcher und logischer Zusammenhänge verfügte, kam ja schon mehrmals, wobei es gerade bei ihm bemerkenswert ist, dass er diesen Beweis ablehnte, ja gar noch die völlig unsinnige Frage nach der Ursache der ersten Ursache stellte, was ich mir überhaupt nur aus der Unkenntnis des Beweises bzw. einer völligen, recht bornierten Ignoranz demgegenüber erklären kann. (Allerdings gibt es auch noch – außer den genannten und hier bereits behandelten – noch weitere Einwände, u. a. einen vom bekannten Atheisten J. L. Mackie, der weiter unten kurz behandelt wird.)
Ich persönlich hatte ich auch lange Zeit keine anständige formallogische Rekonstruktion dieser Beweise vorliegen und selbst noch keine vorgenommen, muss ich sagen, daraus folgten zeitweise auch gewisse "Schwierigkeiten". Generell findet man eine solche (noch dazu korrekte) Rekonstruktion kaum jemals bei Atheisten (es gibt Ausnahmen, wie ich inzwischen gesehen habe, aber eher selten), sondern vor allem bei theistischen (verschiedener Religionen) oder zumindest deistischen Philosophen. Solche - d. h. theistische oder zumindest deistische - Philosophen, mit dem nötigen logischen und argumentationstheoretischen Instrumentarium, nehmen, so scheint mir, zumindest in den letzten Jahrzehnten, zu und zeigen sich auch vermehrt (wenn es sich bei ihnen auch, im Großen und Ganzen betrachtet, gerade auch im Universitätsbetrieb, noch um eine ziemlich marginalisierte Gruppe handelt, darüber sollte man sich keine Illusionen machen). Das gibt m. E. einen gewissen Anlass zur Hoffnung.
Für die folgenden Beweise aus der "Summe der Theologie" (Sth) wird auf Rekonstruktionen, die dem Buch "God’s Existence. Can it be Proven? A Logical Commentary on the Five Ways of Thomas Aquinas", von em. o. Univ.-Prof. [in Salzburg] Dr. Paul Weingartner, entnommen sind, zurückgegriffen. (Eine kurze Anmerkung: Gewisse Junktoren (Konditional, Bikonditional, Negation) ließen sich nicht auf die gewünschte Art im Forum darstellen, aber ich hoffe, man erkennt sie. Ebenso problematisch ist es hier mit den tiefgestellten Zahlen, Buchstaben und Symbolen. Das könnte u. U. beim Lesen des kausalen Beweises für Verwirrung sorgen, leider weiß ich nicht, wie man hier Zeichen tiefer stellen kann.)
Zum ersten Weg, dem Beweis aus der Bewegung, aus der Sth:
(1) Einige Dinge [in der Welt] sind in Bewegung (werden bewegt).
(2) Was auch immer [in der Welt] in Bewegung ist (bewegt ist), ist es durch Anderes in Bewegung gesetzt.
(3) Was auch immer [in der Welt] in Bewegung ist (bewegt ist), ist in Möglichkeit hinsichtlich dessen, was es in Bewegung ist.
(4) Was auch immer das Andere bewegt, ist in dieser Hinsicht in Wirklichkeit.
(5) Es ist nicht möglich, dass das selbe Ding gleichzeitig in Wirklichkeit und in Möglichkeit sein kann in der selben Hinsicht.
(6) Wenn dasjenige, was das Andere bewegt (wenn das, durch das das Andere in Bewegung gesetzt ist), selbst in Bewegung gesetzt ist, dann muss das ebenso durch ein Anderes in Bewegung gesetzt sein etc.
(7) Das kann nicht ins Unendliche weitergehen, da dann kein erster Beweger, und in Konsequenz, kein anderer Beweger wäre.
(8) Soweit irgendwas
(x) durch ein Anderes
(y) bewegt ist, gibt es immer ein drittes Ding
v, so dass
y durch
v bewegt ist, folglich geht die Bewegung ins Unendliche weiter.
(9) Wenn die Bewegung ins Unendliche weitergeht, dann gibt es keinen ersten Beweger und in Konsequenz: Nichts [in der Welt] ist bewegt.
Zu den Konklusionen:
c.1 Was auch immer von einem Anderen bewegt ist, ist unterschiedlich von (nicht identisch mit) diesem Anderen; oder: Nichts bewegt sich selbst (in der selben Hinsicht).
c.2 Was auch immer
x [in der Welt] ist in Bewegung (wird bewegt), wird durch ein anderes
y in Bewegung gesetzt (ist bewegt), so dass:
x ≠ y.
c.3 Aus 1 und 9: Es gibt einen ersten Beweger.
c.4 Bewegung geht nicht ins Unendliche weiter.
(1) 1. ∃
xЄw Md(x) empirische Prämisse
(3,4) 2. ∀
x∀
y [
Myx --> ∃
z (
Pxz ∧
Ayz)]
ontologische Prämisse
(5) 3. ∀
x∀
z ~(
Pxz ∧
Axz)
ontologische Prämisse
4. ∀
x∀
y [(
Myz ∧
x = y) --> ∃
z (
Pxz ∧
Axz)] aus 2.
c.1 5. ∀
x∀
y (
Myx -->
x ≠ y) aus 3., 4.
(2) 6. ∀
xЄw (
Md(x) --> ∃
y Myx)
empirische Prämisse
c.2 7. ∀
xЄw[
Md(x) --> ∃
y (
Myx ∧
x ≠ y)] aus 5., 6.
(8) 8. [∀
xЄw[
Md(x) --> ∃
y (
Myx ∧ x ≠ y)] --> ∃
z (
Mzy ∧
y ≠ z) ∃
v (
Mvz ∧
z ≠ v) ∧ ...] -->
M∞
ontologische Prämisse
(9) 9.
M∞ --> ~∃
z FMz ontologische Prämisse
(9) 10. ~∃
z FMz --> ~∃
xЄw Md(x) ontologische Prämisse
(9) 10.a ~∃
z FMz --> ~∃
x ∃
y Myx ontologische Prämisse
(9) 10.b ∃
x∃
y Myx aus 1., 6.
c.3 11. ∃
z FMz aus 10. 1. (10.a, 10b)
c.4 12. ~
M∞ aus 11, 9.
13.
Dx <-->
def. FMx Nominaldefinition
14. ∃
x Dx aus 11., 13.
Md(x) ... x ist bewegt (ist in Bewegung)
Myx … y bewegt x (x ist von y bewegt)
Pxz … x ist in Möglichkeit hinsichtlich z
Ayz … y ist in Wirklichkeit hinsichtlich z
M∞ … Bewegung geht ins Unendliche
FMz … z ist der erste primäre Beweger
Dx … x ist Gott
(cf. P. Weingarnter, "
God’s Existence. Can it be Proven? A Logical Commentary on the Five Ways of Thomas Aquinas",
Ontos-Verlag, 2.1.2, 54ff)
Zum zweiten Weg, dem kausalen Beweis, aus der Sth:
(1) In der Welt gibt es eine Reihe von Wirkursachen, d. h. etwas verursacht wirksam (oder: ist die Wirkursache von) etwas anderes.
(2) Es gibt keinen Fall in dem ein Ding die Wirkursache seiner selbst ist.
(2a) Angenommen, es wäre so, dann würde es vor sich selbst sein, was unmöglich ist.
(3) Bei den Wirkursachen ist es nicht möglich, ins Unendliche zurückzugehen.
(4) Die erste Ursache ist die Ursache der dazwischenliegenden Ursache (mögen es etliche oder auch nur eine sein) und die dazwischenliegende Ursache ist die Ursache der letzten.
(5) Eine Ursache wegzunehmen, heißt die Wirkung wegzunehmen.
(6) Wenn es keine erste Ursache gibt, wird es keine letzte und keine dazwischenliegende Ursache geben.
(7) Wenn es (bei Wirkursachen) möglich ist, ins Unendliche weiterzugehen, wird es keine erste erste Ursache geben (weder wird es eine letzte Wirkung, noch irgendeine dazwischenliegende Ursache geben).
(8) Das (nämlich, dass es weder eine letzte, noch eine dazwischenliegende Ursache gibt) widerspricht den Tatsachen; d. h. das ist empirisch unmöglich.
(9) Daher ist es notwendig, eine erste Ursache anzunehmen.
(10) Dieser geben alle den Namen Gott.
(1) 1. ∃
xЄw ∃
yЄw Cxy empirische Prämisse
2. ∀
x∀
y [(
Cxy ∧
x = y) -->
Cxx]
Logik
3. ∀
x (~
Cxx)
empirische Prämisse
(2a) 3a. ∀
x∀
y [(
Cxy ∧
x = y) -->
PRxx]
Prämisse
(2a) 3b. ∀
x ~
PRxx x geht x in der Zeit nicht voran
4. ∀
x∀
y [(
Cxy -->
x ≠ y) 2, 3 und 3a, 3b
5. ∃
xЄw ∃
yЄw (
Cxy ∧
x ≠ y) 1,4
(5) 6. ∀
x∀
y [
Cxy --> (~
EXx --> ~
EXy)]
6. ist eine ontologische Prämisse die aussagt, dass Cxy als x ist eine notwendige Bedingung für y, zu verstehen ist.
7.
CNxy <-->
def. [
Cxy ∧ (~
EXx --> ~
EXy)]
8. ∃
xЄw ∃
xЄw CNxy 5,6,7
(4) 9.
FCzy <-->
def. z ≠
y ∧ ~
Czz ∧ ∀
u (~
Cuz) ∧
∧ ∃
x1 ... ∃
xn ∃
x ((
CNzx1 ∧
CNx1x2 ∧ ...
CNxnx ∧
CNxy)
Definition der ersten Ursache
(6) 10. ~∃
z ∀
yЄw FCzy --> ~(∃
z ∃
x1 Єw … ∃
xn Єw ∃
xЄw) (
CNzx1 ∧
CNx1x2 ∧ ... ∧
CNxnx) ∧ ~∃
xЄw ∃
yЄw CNxy ontologische Prämisse
(7) 11.
CN∞ --> ~∃
z ∀
yЄwFCzy
(8) 12.
Die Konsequenz von 10. (dass es weder eine dazwischenliegende, noch eine letzte Ursache gibt) widerspricht den empirischen Tatsachen, wie denen in 1., 5., 8. Demgemäß widerlegt 8. die Antezedens von 10.
13. ∃
z ∀
yЄwFCzy 8, 10
14. ~
CN∞ 11, 13
15.
Dx <-->
def. ∀
yЄwFCxy Nominaldefinition
16. ∃
x Dx 13, 15
Cxy ... x verursacht y (x ist die Ursache von y)
PRxy ... x geht y voran
EXx ... x existiert
CNxy ... x verursacht als notwendige Bedingung y
FCxy ... x ist eine erste Ursache für y
CN∞ … die Verursachung geht ins Unendliche weiter
(cf. P. Weingarnter, "
God’s Existence. Can it be Proven? A Logical Commentary on the Five Ways of Thomas Aquinas",
Ontos-Verlag, 2.2.2, 62f)
Zu einem recht gängigen Einwand von John L. Mackie (der sich u. a. auch im Buch "Gottes Güte und die Übel der Welt" des Atheisten G. Streminger findet):
[quote="J. L. Mackie, "Das Wunder des Theismus. Argumente für und gegen die Existenz Gottes", Reclam-Verlag, Kapitel 5 (b), S. 146"] Entscheidend spricht dann gegen dieses Argument, daß wir keinen Grund haben, diese implizite Annahme [S. 145: "[…] daß Thomas implizit annimmt, daß etwas, dessen Wesen nicht die Existenz einschließt, selbst wenn es unvergänglich ist, in seiner Existenz von anderem abhängen muß."] zu akzeptieren. Weshalb sollte es z. B. keine unvergängliche Urmaterie geben, deren Wesen zwar nicht die Existenz einschließt, die jedoch ihre Existenz von nichts anderem herleitet?
[/quote]
Einmal abgesehen davon, dass er die Urmaterie als etwas Immanentes konzipieren will und muss, da seine Urmaterie andernfalls nur noch ein anderes Wort für Gott wäre, was Prof. Weingartner im genannten Buch unter 1.2.2.4 behandelt (d. h. ob es notwendig ist, die Ursache der Welt, außerhalb der Welt anzunehmen), läuft es darauf hinaus, ein an und für sich kontingentes Sein, ohne ein notwendiges Sein zu konzipieren. Weswegen das nicht geht, zeigt St. Thomas in zumindest zwei Versionen der dritten Variante des kosmologischen Beweises, also des Kontingenzbeweises, die allesamt schlüssig sind (auch die Version in der Sth, mit dem vordergründigen "quantifier shift fallacy", lässt sich auf eine Art verstehen, ohne den Beweis zu verändern, der das genannte Problem beseitigt).