Origenes: Apokatastasislehre et al.

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Zwischendurch was anderes. Ich hatte es schon mehrfach angesprochen, ohne Reaktion. Kommt es hier keinem merkwürdig vor, daß Origenes sich selber entmannt hat?

Wenn euch einer als großer Meister des Glaubens verkauft wird, und ihr hört, daß der Mann sich selber die Eier abgeschnitten hat: Bimmeln da bei euch nicht sämtliche Alarmglocken?

Seid ihr denn noch normal, Himmeldonnerwetter noch mal?
O Mann - schon mal was von dem Schriftwort gehört: "Es gibt Verschnittene,die sich um des Himmelreiches willen selbst verschnitten haben." Und von den russischen Skopzen auch nie was gehört? Es gab auch Leute, die hockten jahrzehntelang auf einer Säule. Waren halt andere Zeiten damals - hitzköpfiger und radikaler als heute.

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PS: Tut im übrigen auch gar nichts zur Sache.

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Seid ihr denn noch normal, Himmeldonnerwetter noch mal?
Falls das eine Anfrage sein soll, ob bei mir noch alles dran ist, danke ich freundlich: das kann ich Dir definitiv bestätigen. Ich bin noch vollkommen ganz und normal (ausser dem bewussten Körperteil sind bei mir sogar noch Blinddarm und Mandeln dran und drin).

Aber Scherz beiseite, ich denke, die Argumente sind ausgetauscht, und wirklich Neues scheint nicht mehr zutage zu treten. Vielleicht, wenn sich noch andere, kundigere Stimmen als meine, an der Diskussion beteiligt hätten ....

Ach ja, noch eines, Robert: Du musst nicht immer glauben, dass mir Widerspruch, sei er von mir, sei er von Dir gegeben, Grund für ein Beleidigtsein ist. Für mich war die Diskussion zu diesem Thema eine der Besten hier (auch wenn Du leider immer noch bei Deiner Fehleinschätzung verharrst :mrgreen:).

In diesem Sinne schließe ich die Diskussion zu Origenes meinerseits vorerst mal ab. Vielleicht, dass ich in einigen Wochen, wenn ich mein Literaturpensum an Werk und dessen Interpretation etwas erweitert habe, mich nochmals zu Worte melde, um Dir dann Gelegenheit zu geben Deinen Irrtum zu korrigieren .... :D
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Geronimo hat geschrieben:»Und von den russischen Skopzen auch nie was gehört?«
Sag mal, du willst mir doch jetzt nicht die Skopzy als Vorbild hinstellen? Viel abstrusere Sekten lassen sich ja kaum finden.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Wladimir Sergejewitsch Solowjow [Владимир Сергеевич Соловьёв] (in: »Sophia und Weltseele, Weltschöpfung und Weltprozeß«) hat geschrieben:»… So wird es eine ungeheure gemischte Sphäre geben, die unentschieden bleibt zwischen Gott und seinem Widersacher, wodurch sie diesem die Mittel gibt, seinen Haß zu nähren, seine Empörung zu verwirklichen und seinen Kampf zu verlängern. Seine Existenz wird also nicht unbeweglich und leer sein, er wird unermüdlich und auf die verschiedensten Weisen handeln, aber die allgemeine Richtung und die innere Eigenart seines ganzen Wirkens sind von vornherein bestimmt durch den ursprünglichen Akt seines Willens, der ihn von Gott getrennt hat. Diesen Akt abzuändern, zu Gott zurückzukehren, ist für ihn eine absolute Unmöglichkeit. Die entgegengesetzte, von der Kirche verworfene Lehre des Origenes zeigt, daß dieser bei aller Tiefe seines Geistes und allem Reichtum seiner Begabung doch nur eine recht dürftige Vorstellung vom Wesen des moralisch Bösen hatte, was er übrigens auch bei anderer Gelegenheit bewiesen hat, indem er ein rein materielles und äußeres Verfahren anwandte, um sich von bösen Leidenschaften zu befreien.«
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Zwischendurch was anderes. Ich hatte es schon mehrfach angesprochen, ohne Reaktion. Kommt es hier keinem merkwürdig vor, daß Origenes sich selber entmannt hat?
Wobei aber gar nicht 100%ig sicher ist, ob diese Story stimmt.
Gruß Jürgen

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Niels
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Beitrag von Niels »

Hans Gerhard Hödl hat geschrieben:Nach Eusebius hat sich O.damals in buchstäblicher Auslegung von Mt 19,12 selbst entmannt (aufgrund von Widersprüchlichkeiten in der Darstellung des Eusebius wurde dies zuweilen, so schon von Schnitzer, 1835, XXXVI in Zweifel gezogen; vgl. E. Früchtel, 1974, 10 f)
http://www.bautz.de/bbkl/o/origenes.shtml
Weiter heißt es:
Hans Gerhard Hödl hat geschrieben:Die These, daß es zwei verschiedene Personen mit dem Namen O. gegeben hätte, einen Neuplatoniker und einen Christen, wurde u.a. von K.O. Weber, 1962 vertreten.
Was ist davon zu halten?
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

An der Selbstkastration des Origenes zu zweifeln sehe ich keinen plausiblen Anlaß, zumal wir die Nachricht von Euseb wissen, nicht von einem Gegner. (Àpropos 100%ige Sicherheit, Jürgen: Das ist kein sinnvoller Begriff in der Geschichtswissenschaft. Wie ich andern schon riet, die die Existenz Jesu bezweifelten: Beweise mal „100%ig“, daß Plato existiert hat.)

Natürlich hat es, Niels, sogar mehr als zwei Origeneis gegeben. Zwei sind für die damalige Zeit hervorzuheben. Der eine, heidnischer Philosoph, war gemeinsam mit Plotin und einem gewissen Herennius nicht nur Schüler, sondern „Syndiadoch“ des Ammonius Saccas. Porphyr berichtet, daß er einmal bei Plotin in dessen römischer Schule in den Unterricht platzte.

Von diesem Heiden Origenes ist der Christ zu unterscheiden, der gleichfalls eine Zeitlang Schüler des Ammonius war und den Porphyr übrigens persönlich kannte (was von dem Heiden Origenes ungewiß ist, denn Porphyr berichtet nicht, ob dessen Besuch bei Plotin in Rom in seiner, Porphyrs, Gegenwart stattfand oder ob er davon nur vom Hörensagen wußte.)

Zurückzuweisen ist Heinrich Dörries These, den beiden Origeneis entsprächen auch zwei Ammonii, der Christ Origenes sei also niemals Schüler des Ammonius Saccas gewesen. Dörrie verkennt, daß Euseb, auf den er sich hier stützt, ohne eigene Kenntnis gegen Porphyrius polemisiert, während dieser, wie gesagt, zumindest den Christen Origenes persönlich kannte.

Daß Porphyr die beiden Origeneis verwechselt habe, wie Dörrie meint, ist ganz unmöglich, es wäre denn Porphyr ein ausgemachter Idiot gewesen. Dörrie meint nämlich, Porphyr habe eigentlich nur den Heiden gekannt und erst spät, als der Christ Origenes berühmt wurde, die Nachrichten über diesen irrig mit dem Heiden zusammengebracht. Nun war aber der Christ Origenes schon damals, als Porphyr nach eigener Aussage einen Origenes kennenlernte, so berühmt, daß an eine Verwechslung schlechterdings nicht zu denken ist, wenn wir es bloß mit einem halbwegs informierten Zeitgenossen zu tun haben.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:An der Selbstkastration des Origenes zu zweifeln sehe ich keinen plausiblen Anlaß, zumal wir die Nachricht von Euseb wissen, nicht von einem Gegner.
Ja, Euseb hat eine entsprechende Notiz in seiner Kirchengeschichte und prinzipiell ist daran erstmal nicht zu zweifeln.

Aber das Thema ist auch eher nebensächlich, - lassen wir es damit gut sein.
Gruß Jürgen

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Raphael

Beitrag von Raphael »

Joseph Kardinal Ratzinger gibt in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ (S. 25 ff.) einen kurzen Überblick über die spätantiken und gnostischen Seelenlehren und setzt sie in das Verhältnis zur christlichen Seelenlehre:

Bevor wir das näher zu klären versuchen, müssen wir aber noch auf die zweite und in vieler Hinsicht wichtigere Alternative achten, die sich im Schema von exitus und reditus verbirgt. Da gibt es zunächst die Vorstellung, die vielleicht am eindrücklichsten bei dem spätantiken Philosophen Plotin ausgearbeitet ist, aber in verschiedenen Formen weite Teile der nichtchristlichen Kulte und Religionen bestimmt. Der exitus, durch den überhaupt nichtgöttliches Sein erscheint, wird nicht als Ausgang, sondern als Fall, als ein Absturz aus der Höhe des Göttlichen verstanden, der den Fallgesetzen entsprechend in immer größere Tiefen, in immer weitere Entfernung vom Göttlichen hinuntertreibt. Das bedeutet: Das nichtgöttliche Sein ist selbst und als solches gefallenes Sein; die Endlichkeit ist selbst schon eine Art Sünde, das Negative, das geheilt werden muß durch die Rückholung ins Unendliche. Die Heimkehr - der reditus - besteht dann eben darin, daß in der letzten Tiefe der Sturz abgefangen wird, daß nun der Pfeil nach oben weist. Am Ende löst sich die »Sünde« des Endlichen, des Nicht-Gott-Seins auf, und in diesem Sinne wird »Gott alles in allem«. Der Weg des reditus bedeutet Erlösung, und Erlösung bedeutet Befreiung von der Endlichkeit, die als solche die eigentliche Last unseres Seins ist. Der Kult hat dann mit der Kehre der Bewegung zu tun: Er ist das Innewerden des Sturzes, gleichsam der Augenblick der Reue des verlorenen Sohnes, das Wieder-Hinschauen zum Ursprung hin. Weil nach vielen dieser Philosophien Erkenntnis und Sein überhaupt ineinanderfallen, ist der neue Blick auf den Anfang zugleich auch schon neuer Aufstieg dorthin. Kult als Aufschauen zu dem, was vor allem Sein und über allem Sein ist, ist seinem Wesen nach Erkenntnis und als Erkenntnis Bewegung, Heimkehr, Erlösung. Freilich gehen da dann auch die Wege der Kultphilosophien auseinander. Es gibt nun die Theorie, nur die Philosophen, nur die zu höherem Denken befähigten Geister seien zu der Erkenntnis fähig, die Weg ist. Nur sie seien fähig zum Aufstieg, zur vollen Vergöttlichung, die Erlösung und Befreiung von der Endlichkeit ist. Für die anderen, die einfacheren Seelen, die den vollen Aufblick noch nicht vermögen, gebe es die verschiedenen Liturgien, die ihnen eine gewisse Erlösung zu bieten vermöchten, ohne sie ganz auf die Höhe der Göttlichkeit führen zu können. Über diese Unterschiede tröstet dann häufig die Lehre von der Seelenwanderung hinweg, die ja die Hoffnung gibt, daß irgendwann in der Wanderung der Existenzen der Punkt erreicht werde, an dem endlich der Ausweg aus der Endlichkeit und ihrer Qual gelinge. Weil hier Erkenntnis (= Gnosis) die eigentliche Macht der Erlösung und damit auch die höchste Form von Erhebung, nämlich Vereinigung mit der Gottheit ist, nennt man die so gearteten - im einzelnen sehr verschiedenen - Denk- und Religionssysteme »Gnosis«. Für das werdende Christentum bedeutet die Auseinandersetzung mit der Gnosis das entscheidende Ringen um seine eigene Identität. Denn die Faszination solcher Anschauungen ist groß, und sie scheinen so leicht mit der christlichen Botschaft identifizierbar. Die »Erbsünde« zum Beispiel, sonst so schwer verstehbar, wird mit dem Sturz ins Endliche selbst identisch, und so erscheint auch klar, daß sie allen anhaftet, die im Kreislauf der Endlichkeit stecken. Erlösung ist Befreiung aus der Last der Endlichkeit wird einsichtig usw. Auch heute ist auf vielfache Weise die Faszination des Gnostischen neu am Werk: Die fernöstlichen Religionen tragen das gleiche Grundmuster in sich. Die Formen angewandter Erlösungslehre, die sie anbieten, sind darum höchst einfeuchtend. Die Übungen körperlicher Entspannung und seelischer Leere erscheinen als Zugänge auf die Erlösung hin. Sie zielen auf Befreiung von der Endlichkeit, ja, nehmen sie augenblicksweise voraus und haben so heilende Kraft.
Das christliche Denken hat, wie gesagt, das Schema von exitus und reditus durchaus aufgenommen, aber es hat darin zwei Bewegungen voneinander unterschieden. Exitus ist nicht zunächst Abfall aus dem Unendlichen, die Entzweiung des Seins und damit die Ursache allen Elends der Welt, sondern exitus ist zunächst etwas durchaus Positives: der freie Schöpfungsakt des Schöpfers, der positiv will, dass es das Geschaffene als etwas Gutes ihm gegenüber gebe, aus dem eine Antwort der Freiheit und der Liebe zu ihm zurückkommen kann. Nichtgöttliches Sein ist daher nicht in sich schon etwas Negatives, sondern ganz im Gegenteil positive Frucht eines göttlichen Wollens. Es beruht nicht auf einem Sturz, sondern auf einer Setzung Gottes, die gut ist und Gutes schafft. Der Seinsakt Gottes, der geschaffenes Sein bewirkt, ist ein Freiheitsakt. Insofern ist im Sein selbst von seinem Grund her das Prinzip Freiheit anwesend. Der exitus - oder besser: der freie Schöpfungsakt Gottes - zielt in der Tat auf reditus, aber damit ist nun nicht die Rücknahme des geschaffenen Seins gemeint, sondern was wir oben beschrieben haben: daß das Zu-sich-selbst-Kommen des in sich selbst stehenden Geschöpfs in Freiheit auf Gottes Liebe antworte, Schöpfung als sein Liebesgebot annehme, und daß so ein Dialog der Liebe entstehe, jene ganz neue Einheit, die allein die Liebe schaffen kann. In ihr wird das Sein des anderen nicht absorbiert, nicht aufgelöst, sondern gerade im Sich-Geben wird er ganz er selber. Es entsteht Einheit, die höher ist als die Einheit des nicht mehr teilbaren Elementarteilchens. Dieser reditus ist »Heimkehr«, aber er löst die Schöpfung nicht auf, sondern gibt ihr vollends ihre Endgültigkeit. Das ist die christliche Idee des »Gott alles in allem«. Aber das Ganze ist eben an Freiheit geknüpft, und die Freiheit des Geschöpfes ist es nun, die den positiven exitus der Erschaffung umbiegt, ja, gleichsam umbricht in den Fall: in das Nicht-abhängig-sein-Wollen, in das Nein zum reditus. Liebe wird nun als Abhängigkeit verstanden und abgelehnt; an ihre Stelle tritt die Autonomie und Autarkie: nur aus sich und in sich selber zu sein, aus Eigenem ein Gott zu sein. So bricht der Bogen von exitus zu reditus auseinander. Einkehr wird nicht mehr gewollt, und der Aufstieg aus eigener Kraft erweist sich als unmöglich. Wenn »Opfer« seinem Wesen nach einfach Einkehr in die Liebe ist und so Vergöttlichung, so muß nun in den Kult das Moment der Heilung der verwundeten Freiheit, der Sühne, der Reinigung und der Lösung aus der Entfremdung eintreten. Das Wesen des Kultes, des »Opfers« als Prozeß der Verähnlichung, des Liebewerdens und so des Weges in die Freiheit bleibt unverändert. Aber es nimmt nun das Moment der Heilung in sich auf, der liebenden Umwandlung der gebrochenen Freiheit in die durchlittene Weise des Versöhnens. Zu ihm gehört nun - gerade weil alles auf das Selbersein, auf die Unbedürftigkeit vom anderen abgestellt war - das Verwiesensein auf den anderen, der mich aus der Schlinge lösen muß, die ich selbst nicht mehr aufknüpfen kann. Erlösung braucht nun den Erlöser: Die Väter haben das im Gleichnis vom verirrten Schaf ausgedrückt gefunden. Dieses Schaf, das im Dornstrauch verfangen ist und den Rückweg nicht mehr weiß, ist für sie ein Bild des Menschen überhaupt, der aus seinem Dorngestrüpp nicht mehr herauskommt und auch den Weg zu Gott nicht mehr selber finden kann. Der Hirt, der es holt und heimträgt, ist für sie der Logos selbst, das ewige Wort, der ewige, im Sohn Gottes wohnende Sinn des Alls, der sich selbst auf den Weg macht zu uns und der nun das Schaf auf die Schultern nimmt, das heißt Menschennatur annimmt und als Gottmensch das Geschöpf Mensch wieder heimträgt. So wird reditus möglich, die Heimkehr schenkt. Damit nimmt nun freilich das Opfer die Form des Kreuzes Christi an, der sich im Tod verschenkenden Liebe, die nichts mit Zerstörung zu tun hat, sondern ein Akt der Neuschöpfung ist, der die Schöpfung wieder zu sich selber bringt. Und aller Kult ist nun Beteiligung an diesem »Pascha« Christi, an diesem seinen »Übergang« vom Göttlichen zum Menschlichen, vom Tod zum Leben, zur Einheit von Gott und Mensch. Christlicher Kult ist so konkretes Einlösen und Verwirklichen des Wortes, das Jesus am ersten Tag der großen Woche, am Palmsonntag, im Tempel zu Jerusalem ausgerufen hat: »Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen« (Joh 12,32).
Kosmischer und geschichtlicher Kreis sind nun unterschieden: Das geschichtliche Element hat von der Gabe der Freiheit als Mitte des göttlichen wie des geschaffenen Seins her seine eigene und unwiderrufliche Bedeutung, aber es wird deswegen vom Kosmischen nicht losgerissen. Beide Kreise bleiben trotz ihrer Differenz letztlich der eine Kreis des Seins: Die geschichtliche Liturgie des Christentums ist und bleibt - ungetrennt und unvermischt-kosmisch, und nur so steht sie in ihrer ganzen Größe. Es gibt die einmalige Neuheit des Christlichen, und doch stößt es das Suchen der Religionsgeschichte nicht von sich ab, sondern nimmt alle bestehenden Motive der Weltreligionen in sich auf und bleibt auf solche Weise mit ihnen verbunden.


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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Danke für diesen Ratzinger-Auszug, Raphael.
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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:... Euseb wissen ...
Hähehm. Räuser. Hüstel.

Euseb? Eusebius? Na, das ist doch schön, dass Eusebius nun doch eine vertrauenswürdige Quelle in Hinblick auf den schätzenswerten Origenes ist. Man denke nur an dessen großen Mannes Bekennermut, dessen Glaube auch der Folter widerstand, wie Eusebius so trefflich berichtet ...


ups! sagte ich nicht erst kürzlich, ich wolle vorerst zu Origenes nichts mehr schreiben?
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Erich Dumfarth hat geschrieben:»Hähehm. Räuser. Hüstel.«
Vielleicht biete ich demnächst mal ’ne Übung in historischer Quellenkritik an … Grundsätzlich sind Quellen erst mal ernst zu nehmen. Wenn ich einer Quelle mißtraue, dann sollte ich konkrete Anhaltspunkte für mein Mißtrauen nennen können. Das gilt auch für Euseb von Cæsarea, der fraglos eine herausragend wichtige Quelle für die alte Kirchengeschichte darstellt.

Teils läßt sich die Zuverlässigkeit Eusebs sogar positiv nachweisen, insbesondere da, wo er andere Autoren oder Akten zitiert. Ihm stand ja reiches Material zur Verfügung. Vieles kennen wir zwar nur eben durch Eusebs Zitation, wo wir aber anhand von Parallelüberlieferungen die Probe machen können, da zeigt sich in aller Regel, daß Euseb zuverlässig zitiert.

Wo er nicht zitiert und nicht einmal Quellen oder Gewährsleute nennt, da darf man – angesichts seiner hervorragenden Quellenlage – zwar schon mal fragen, weshalb nicht, braucht aber noch nicht von vornherein zu mißtrauen. Kritischer wird es da, wo erkennbar Eusebs eigenes Interesse an einer bestimmten Darstellung kontroverser Sachverhalte durchscheint. Wenn dann andere Quellen oder sonstige Anhaltspunkte hinzukommen, die Eusebs Darstellung der Dinge entgegenstehen, dann ist kräftiges Mißtrauen geboten. Beide Seiten sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen.

Berichtet Euseb dagegen Sachverhalte, die seinem eigenen Darstellungsinteresse in einer kontroversen Situation eher nicht förderlich sind, weshalb sollte ich ihm dann mißtrauen?
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Beitrag von Raphael »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Danke für diesen Ratzinger-Auszug, Raphael.
Gern geschehen! :ja:

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Erich Dumfarth hat geschrieben:»Hähehm. Räuser. Hüstel.«
Vielleicht biete ich demnächst mal ’ne Übung in historischer Quellenkritik an … Grundsätzlich sind Quellen erst mal ernst zu nehmen. ...
Ist ja gut!

Ein historisches Argument für oder gegen die Notitz bei Eusebius läßt sich schwerlich finden. Es ist mehr oder weniger die einzige Quelle. (Neben Euseb erwähnt Hieronymus ep 84,8 die Sache auch.)

Andererseits möchte ich einfach mal die Frage stellen, ob jemand, der sich im Alter von etwa 17 Jahren selbst entmannt hat, in der Lage gewesen wäre, in der Philosophie oder Theologie oder überhaupt so produktiv zu sein, wie es Origenes war.

Das ist aber eher eine Frage, die besser Mediziner oder Psychologen beantworten können, denn Historiker.

Aber wie ich Robert kenne, wird er dennoch was dazu zu sagen haben.
Gruß Jürgen

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Ralf

Beitrag von Ralf »

Das kommt physiologisch gesehen auf die genaue Art des Entmannens an - sprich was danach fehlte - aber Details kann man sich sparen.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Jürgen hat geschrieben:»Aber wie ich Robert kenne, wird er dennoch was dazu zu sagen haben«
Nicht aus Erfahrung … Aber Eunuchen mit beachtlicher Schaffenskraft gab es genug in der Geschichte. Denk zum Beispiel an Narses, den Feldherrn Justinians und Gegenspieler Belisars.
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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ralf hat geschrieben:Das kommt physiologisch gesehen auf die genaue Art des Entmannens an - sprich was danach fehlte - aber Details kann man sich sparen.
Wenn man Hieronymus glauben schenken darf, dann hat er darzu ein Messer benutzt......

Schnipp - Schnapp - ................. ab
Gruß Jürgen

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Lucia

Beitrag von Lucia »

Juergen hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:Das kommt physiologisch gesehen auf die genaue Art des Entmannens an - sprich was danach fehlte - aber Details kann man sich sparen.
Wenn man Hieronymus glauben schenken darf, dann hat er darzu ein Messer benutzt......

Schnipp - Schnapp - ................. ab
Ja watt dann nu? Penis, Hoden oder alles?

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

Lucia Hünermann hat geschrieben:
Juergen hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:Das kommt physiologisch gesehen auf die genaue Art des Entmannens an - sprich was danach fehlte - aber Details kann man sich sparen.
Wenn man Hieronymus glauben schenken darf, dann hat er darzu ein Messer benutzt......

Schnipp - Schnapp - ................. ab
alles?
Bei alles, Lucia, wäre der Mann sofort gestorben. Bemerkenswert übrigens (nicht speziell an Dich gerichtet), auf welch großes Interesse diese spezielle Episode aus des Origenes Leben hier stößt. Dass lässt schon einige interessante, wenngleich natürlich nur rein spekulative Rückschlüsse zu ...
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Erich Dumfarth hat geschrieben:
Bei alles, Lucia, wäre der Mann sofort gestorben. ...
Wieso? Meinst Du wegen des Blutverlustes? Nö, den kann man (Mann geht ja nicht mehr...) stoppen, sieht eh meistens schlimmer aus als es ist (ich meine jetzt Blutverlust generell).

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Juergen
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Beitrag von Juergen »

Ralf hat geschrieben:
Erich Dumfarth hat geschrieben:
Bei alles, Lucia, wäre der Mann sofort gestorben. ...
Wieso? Meinst Du wegen des Blutverlustes? Nö, den kann man (Mann geht ja nicht mehr...) stoppen, sieht eh meistens schlimmer aus als es ist (ich meine jetzt Blutverlust generell).
Aha,
was die angehenden und seienden Ärzte so alles lernen, wissen, ...
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Die Methode war üblicherweise dieselbe, wie sie heute noch in Indien verbreitet ist: Alles ab. Die Mortalität war recht hoch. Es gibt verschiedene alte Abhandlungen darüber, in denen es vor allem um die therapeutische Seite ging: also wie man den Verschnittenen am Leben hält, Blutverlust mindert, Harnröhre offenhält etc. Die (un)kulturgeschichtliche Seite des Eunuchenwesens wäre noch mal ein Thema für sich, aber ein höchst unerfreuliches und grausames. Das erspare ich mir.
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Ralf

Beitrag von Ralf »

Sicher ist die Blutung ein Problem, zumal wenn alles bis auf den kleinsten Rest ab ist (man hat dann ja nichts mehr zum Komprimieren), aber die Infektionsrate trug das Ihrige dazu bei, dass die Mortalität hoch war (wie übrigens auch bei ... ach lassen wir das).

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Was ist das? Szenen aus der Forumsklinik? :sleep: :kratz: :sleep:


Geronimo

Raphael

Beitrag von Raphael »

Geronimo hat geschrieben:Was ist das? Szenen aus der Forumsklinik? :sleep: :kratz: :sleep:


Geronimo
Is' halt ein echtes Männerthema! :roll:

Neben den grausamen Details einer Selbstkastration, stellt sich die Frage, warum Origenes diese wohl vorgenommen hat.
Eine plausible Erklärung wäre aus meiner Sicht eine Mischung von jugendlichem Leichtsinn und geistlichem Hochmut. Das eine Selbstkastration – so sie denn tatsächlich geschehen ist – die Schaffenskraft nicht beeinträchtigt, dürfte das lebenslange Arbeitspensum des Origenes wohl belegen. Aber auch wenn man sich andere heilige Gestalten aus der Frühzeit der Kirche ansieht, muß man die heute geltenden Maßstäbe erst einmal beiseite lassen, um zu einem angemessenen Urteil zu kommen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach kannte Origenes zu dem Zeitpunkt der Selbstkastration auch noch nicht die Auslegungsmethode der Bibel im allegorischen Sinne. Hieran kann man erkennen, daß eine frühzeitige exegetische Ausbildung derartig rabiate Eingriffe verhindern helfen kann! :mrgreen:

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Schade, daß interessante Themen manchmal derart auf Nebengeleise geraten …
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taddeo
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Origenes

Beitrag von taddeo »

Eine Sensation?

Spektakulärer Fund: Griechische Predigten des Origenes entdeckt
Die wertvollen Abschriften aus dem Mittelalter seien bei der Katalogisierung griechischer Handschriften aus der Büchersammlung Johann Jakob Fuggers entdeckt worden, teilte die Bayerische Staatsbibliothek am Montag mit. Es seien die ersten griechischen Texte des Theologen, die weltweit entdeckt wurden. Seine Predigten und Auslegungen zu den Psalmen hätten bisher nur bruchstückhaft und in lateinischer Übersetzung vorgelegen.

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lifestylekatholik
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Re: Origenes

Beitrag von lifestylekatholik »

Oh! Die Zeitung ist heute wieder mal randvoll mit unwichtigen Kinkerlitzchen, aber diese Meldung fehlt. Mal kucken, ob sie morgen noch kommt. :)
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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taddeo
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Re: Origenes: Apokatastasislehre et al.

Beitrag von taddeo »

Nachtrag: Hier der Bericht der Bayerischen Staatsbibliothek: http://www.bsb-muenchen.de/Einzeldarste ... 989..html
Dort steht auch, daß die Handschrift bereits digitalisiert und online einsehbar ist.

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