Atheismus und Ethik

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
anselm
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Beitrag von anselm »

@Felix Culpa,

ich meine z.B. folgende Philosophen: die Sophisten sowie Sokrates und Epikur.

Zu deinem Vorwurf:
<ich meine, wir können hier natürlich ruhig und gepflegt darüber reden. Aber <eigentlich beziehen Atheisten jeglicher Couleur eine Menge ihres <aggressiven Potenzials (das reicht vom Lächerlichmachen des <Gesprächsgegners bis zu den Psychiatrischen Anstalten der Sowjetunion)

--> Christen und Atheisten haben sich haben sich in der Vergangenheit (und Gegenwart) in dieser Beziehung wirklich nichts geschenkt. Ich würde an deiner Stelle aber nicht nur andere zeigen (z.B. Kommunisten) sondern auch auf die sehr zahlreichen Fanatiker und Gewaltpropheten im eigenen "Lager".

Mit unserer Diskussion hat dies aber nichts zu tun: wir sind ja friedlich.

Im übrigen sind Beweise in allen Wissenschaften seit geraumer Zeit ziemlich gefragt. Von einer einseitigen Behandlung der Theologie kann nur insofern die Rede sein, als die Theologie sich gerne mit unbewiesenen Spekulationen abgibt und diese zu ihrem (nicht mehr hinterfragbaren) Kern erklärt.

Zur Begründung einer atheistischen Ethik: einen Beweis dafür, dass sich ohne Christentum die wichtigsten Werte vielleicht genauso oder auch ganz anders entwickelt hätten lässt naturgemäß nicht führen.

Allerdings sind wohl die zentralen ethischen Regeln (Verbot zu Töten, Verbot zu Lügen) in vielen Gesellschaften (mit jeweils deutlich unterschiedlichen Weltauffassungen) sehr ähnlich. Daher mag der Schluss erlaubt sein, dass sich auch ohne Christentum ähnliche Wertvorstellungen durchgesetzt hätten.

Dr. Dirk
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Beitrag von Dr. Dirk »

anselm hat geschrieben:@Felix Culpa,
Im übrigen sind Beweise in allen Wissenschaften seit geraumer Zeit ziemlich gefragt. Von einer einseitigen Behandlung der Theologie kann nur insofern die Rede sein, als die Theologie sich gerne mit unbewiesenen Spekulationen abgibt und diese zu ihrem (nicht mehr hinterfragbaren) Kern erklärt.
Bitte nicht vergessen, dass es in der Naturwissenschaft sowas wie Axiome gibt, auf die sie aufgebaut ist. Dieser Kern ist auch nicht beweisbar.

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Felix Culpa
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Beitrag von Felix Culpa »

Zur Begründung einer atheistischen Ethik: einen Beweis dafür, dass sich ohne Christentum die wichtigsten Werte vielleicht genauso oder auch ganz anders entwickelt hätten lässt naturgemäß nicht führen.

Allerdings sind wohl die zentralen ethischen Regeln (Verbot zu Töten, Verbot zu Lügen) in vielen Gesellschaften (mit jeweils deutlich unterschiedlichen Weltauffassungen) sehr ähnlich. Daher mag der Schluss erlaubt sein, dass sich auch ohne Christentum ähnliche Wertvorstellungen durchgesetzt hätten.
Hallo Anselm, ich schau gerade herein, daher sofort die kleine Korrektur. Es geht mir gar nicht primär um «das Christentum» sondern um die Frage, ob sich aus Nützlichkeitserwägungen eine Ethik zimmern lässt - und zwar letzten Endes aus Nützlichkeitserwägungen allein … und ohne den Rückgriff auf etwas, das sich eigentlich nur in dem Begriff ausdrücken lässt. Das ist mir heilig.

Im übrigen sind Beweise in allen Wissenschaften seit geraumer Zeit ziemlich gefragt.
Wie sind die Eroberungszüge Caesars in Gallien, wie die Existenz Karl des Großen zu beweisen? – Ich fürchte aber, dass dieser Teil der Diskussion sich auf ganz ausgetretene Wege begibt; ich habe daran kein allzugroßes Interesse.

Von einer einseitigen Behandlung der Theologie kann nur insofern die Rede sein, als die Theologie sich gerne mit unbewiesenen Spekulationen abgibt und diese zu ihrem (nicht mehr hinterfragbaren) Kern erklärt.
Tja, das ist interessant. Nun ist die Existenz Gottes aber keine Spekulation, sondern geglaubtes Geheimnis. Das bedeutet, das auch die Theologie da, wo sie die Sprache der Philosophie spricht, sich bescheiden muss. Ich halte das für einen wichtigen, aber entscheidenden Unterschied. Daher rührt ja auch deine Freiheit, nicht zu glauben, sprich: dich von dem in der Theologie angesprochenen Gott nicht ansprechen zu lassen. Im Wettbewerb des Diskurses mit anderen Wissenschaften gibt sich die Theologie, wo sie ehrlich ist, keinen Vorteil. Da ist sie an alle ihr zur Verfügung stehenden Wissenschaften gebunden.

Das Geheimnis – oder der Umgang mit dem Geheimnis, von dem ich sprach, lässt sich weniger als Spekulation – denn die ist eigentlich noch ganz dem rein menschlichen Erkenntnisvermögen zugeordnet –, sondern mehr als Dialog zu bezeichnen. So wie zum Beispiel die Confessiones des Augustinus ganz auf das Du Gottes hin geschrieben sind.

Aber das sind alles hobbytheologische Spekulationen eines Grafikers.
Zuletzt geändert von Felix Culpa am Dienstag 13. Juli 2004, 13:29, insgesamt 2-mal geändert.

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

anselm hat geschrieben:Zur Begründung einer atheistischen Ethik: einen Beweis dafür, dass sich ohne Christentum die wichtigsten Werte vielleicht genauso oder auch ganz anders entwickelt hätten lässt naturgemäß nicht führen.

Allerdings sind wohl die zentralen ethischen Regeln (Verbot zu Töten, Verbot zu Lügen) in vielen Gesellschaften (mit jeweils deutlich unterschiedlichen Weltauffassungen) sehr ähnlich. Daher mag der Schluss erlaubt sein, dass sich auch ohne Christentum ähnliche Wertvorstellungen durchgesetzt hätten.
Das aber ist nicht die Frage. Denn diese anderen "deutlich unterschiedlichen Weltauffassungen" waren ihrerseits an ihrer Wurzel religiös geprägt. Zumindest ist in der Kulturgeschichte meines Wissens allgemeiner Konsens, dass es bislang keine Kultur gab, an deren Wiege nicht Religion als Geburtshelfer stand. Der Atheismus will nun aus eigenem ethische Regeln schaffen. Das ist die Frage, um die es in dieser Diskussion geht. Ist er dazu in der Lage? So stellt sich das Problem. Woher nimmt der Atheismus die Basis seiner Werte? Worauf baut seine Ethik auf? Nützlichkeit?


Als kleine Anmerkung zur Behauptung auch ohne Christentum hätten sich "ähnliche Wertvorstellungen" durchgesetzt, ein Zitat von Heinrich Böll:

Doch die andere Vorstellung ist weit gespenstischer: wie diese Welt aussähe, hätte sich die nackte Walze einer Geschichte ohne Christus über sie hinweggeschoben; Baal und Mammon, die aztekischen Götter. Ich überlasse es jedem einzelnen, sich den Alptraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder einer Welt, in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde: den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen. Nirgendwo im Evangelium finde ich eine Rechtfertigung für Unterdrückung, Mord, Gewalt; ein Christ, der sich ihrer schuldig macht, ist schuldig... (Aber) unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich...

Ich weiß: die Geschichte der Kirchen ist voller Greuel; Mord, Unterdrückung, Terror wurden ausgeübt und vollzogen, aber es gab auch Franziskus, Vincent, Katharina...

Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab, für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie Liebe, für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen...

Quelle: Heinrich Böll, in "Was halten Sie vom Christentum", List Bücher, Nr. 105, S. 22, München, 1961.


Böll, der alte Querdenker, hat diese Sätze übrigens ausgerechnet für einen Sammelband verfasst, als dessen Herausgeber Karl-Heinz Deschner fungierte.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt mach´s wie deine Brüder", so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor."

anselm
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Beitrag von anselm »

Dirk hat geschrieben: Bitte nicht vergessen, dass es in der Naturwissenschaft sowas wie Axiome gibt, auf die sie aufgebaut ist. Dieser Kern ist auch nicht beweisbar.
Ja, aber Axiome sind keine Dogmen und können prinzipiell geändert werden. Und das ist in der Geschichte der Wissenschaften auch schon häufig vorgekommen. Außerdem steht es Wissenschaftlern prinzipiell frei, Theorien auf Basis anderen Axiome aufzustellen.

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Felix Culpa
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Beitrag von Felix Culpa »

Anselm hat geschrieben:ich meine, wir können hier natürlich ruhig und gepflegt darüber reden.
Hier – ja. Das sieht andernorts auch wieder anders aus. In dem wilden Haus, das ich ansprach, würde mein Avatar seine Mütze nicht mal eben so entspannt in der Bildecke liegenlassen, um sich die Beine zu vertreten.

Dennoch, großen Respekt davor, dass du dich als Einzelwolf so ungeschützt unter die Schafe traust … :mrgreen:

anselm
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Beitrag von anselm »

Felix Culpa hat geschrieben:... sondern geglaubtes Geheimnis.
Das ist genau das, was ich mit Spekulation meine.

anselm
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Beitrag von anselm »

Erich Dumfarth hat geschrieben: Das aber ist nicht die Frage. Denn diese anderen "deutlich unterschiedlichen Weltauffassungen" waren ihrerseits an ihrer Wurzel religiös geprägt. Zumindest ist in der Kulturgeschichte meines Wissens allgemeiner Konsens, dass es bislang keine Kultur gab, an deren Wiege nicht Religion als Geburtshelfer stand.
Mir war noch gar nicht bewusst, dass du dich mit allen Religionen identifizierst. ;)
Dass am Anfang Religion steht heisst ja noch lange nicht, dass eine Weiterentwicklung nicht sinnvoll ist. 8)
Einerseits sind historische und gegenwärtige Religionen sehr unterschiedlich. Die ethischen Auffassung sind verblüffenderweise wesentlich ähnlicher als die inhaltlichen Unterschiede vermuten lassen. Auch Atheisten fügen sich in diesen Reigen ählicher ethischer Regeln ein.
Das scheint mir ein starker Hinweis auf ähnliche menschliche Interessen in Bezug auf der Zusammenleben hinzuweisen.

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Felix Culpa
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Beitrag von Felix Culpa »

anselm hat geschrieben:
Felix Culpa hat geschrieben:... sondern geglaubtes Geheimnis.
Das ist genau das, was ich mit Spekulation meine.
Da nimmst du einen Begriff heraus und vernachlässigst den Rest. Dann also meinetwegen: Spekulation.

anselm
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Beitrag von anselm »

Felix Culpa hat geschrieben:...
Das Geheimnis – oder der Umgang mit dem Geheimnis, von dem ich sprach, lässt sich weniger als Spekulation – denn die ist eigentlich noch ganz dem rein menschlichen Erkenntnisvermögen zugeordnet –, sondern mehr als Dialog zu bezeichnen. So wie zum Beispiel die Confessiones des Augustinus ganz auf das Du Gottes hin geschrieben sind.
Ok, du willst es nicht anders ;D .

Du sprichts hier von einem Geheimnis. Also etwas nicht bekanntem. Und von dem Umgang mit dem Nicht-Bekannten. Und außerdem stellt sich für dich das Geheimnis als Dialog dar.

Tschuldigung, aber du sprichst in Rätseln.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Ich schalt mich ein, auch wenn Peter eigentlich angesprochen ist ...

Ist es nicht einfach so, dass es ja ein Geheimnis sein muss, da es offenbar nicht verstanden wird? Wäre es bekannt und durchschaubar, erhöbe sich nun wiederum nicht die Forderung nach nachvollziehbaren Erklärungen. Das dreht sich jetzt irgendwie im Kreis, Anselm.

Liebe - und ich rede in dem religiösen Zusammenhang stes von einer Beziehung, einer Liebesbeziehung - ist den Außenstehenden immer ein Geheimnis, das sie höchstens verwundert wahrnehmen können, das ihnen aber verschlossen bleibt.

Da es sich um zwei verschiedene Wahrnehmungsebenen handelt, ist aber die eine nicht verpflichtet, sich der anderen zu erklären, zumal jede Erklärung nichts nutzt, weil alles Erklärende zu kurz greift.

Ich will aber noch mal auf die Ethik kommen. Ich bin ja der Meinung (das habe ich hier auch schon öfter geschrieben), dass man nicht unbedingt getaufter Christ sein muss, um ein guter Mensch zu sein. Es laufen tausendfach gute Menschen auf der Welt umher, die nicht kirchlich gebunden sind. Deren Gutsein speist sich aus einer Quelle, die zwar letztlich auch allein Gottes Geist und Wirken ist, aber aus verschiedensten Gründen nichts mit unserer Kirche zu tun hat.

Wenn wir aber den Atheismus als Grundlage nähmen - woher soll diese Denkrichtung, die sich ja nur aus Ablehnung speist, etwas Positives hervorbringen - etwas auf Dauer Positives, beständig gutes? Ich halte den Atheismus für ein reduziertes Weltbild. Aber wir können ja mal - nur so aus Lust am Gespräch - die Eigenschaften aufzählen, auf denen irgendein beliebig atheistischer Mensch seine Ethik aufbauen würde und woran er sie letzen Endes messen würde. Und wo sie anfällig wäre und porös. Ich meine eine Ethik über den privaten Bereich hinaus, die gesellschaftlich prägend wäre.

Geronimo

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Erich_D
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Beitrag von Erich_D »

anselm hat geschrieben:Mir war noch gar nicht bewusst, dass du dich mit allen Religionen identifizierst. ;)
Nun, eigentlich versuche ich bloss zur Sache zu diskutieren. Und der Titel dieses Themas lautet bekanntlich "Atheismus und Ethik". Insofern der Atheismus Religion - gleich welcher Art - ablehnt, kann ich mich durchaus im Rahmen der Diskussion auf andere Religonen berufen bzw. auf diese hinweisen.
Dass Beispiel mit den Religionen sollte Dir eigentlich auch nur signalisieren, was nach meiner Kenntnis bislang stets am Beginn eines ethischen Gebäudes stand: eben eine Religion. Wie Religionen ihre Ethik begründen, ist gut erforscht. Sehr grob und vereinfacht zusammengefasst: mit dem Verweis auf den Willen Gottes (wie immer dieser Gott - oder diese Götter - auch genannt wird/werden).

Meine Frage - und Inhalt dieses Themas - ist, auf welchem Wege der Atheismus sich die Basis für eine Ethik schafft, ob er überhaupt imstande ist dies zu leisten. Und als Ex-Atheist gesprochen: meiner Ansicht nach schafft er es nicht. Wo er es versucht, gleitet er entweder in humanistische Sentimentalität ab, oder greift mehr oder minder automatisch und unbewusst auf das ethische Gebäude einer Religion zurück, ohne allerdings diesen Rückgriff mit dem Verweis auf den Willen Gottes "unterfüttern" zu können.

Meine These in einem Satz: eine sozusagen rein atheistische Ethik gibt es nicht, hat es nicht gegeben und kann es auch nicht geben, allenfalls wechselnde Nützlichkeit und Angst vor Strafe.
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt mach´s wie deine Brüder", so sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor."

anselm
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Beitrag von anselm »

Geronimo hat geschrieben: Ist es nicht einfach so, dass es ja ein Geheimnis sein muss, da es offenbar nicht verstanden wird? Wäre es bekannt und durchschaubar, erhöbe sich nun wiederum nicht die Forderung nach nachvollziehbaren Erklärungen. Das dreht sich jetzt irgendwie im Kreis, Anselm.

Liebe - und ich rede in dem religiösen Zusammenhang stes von einer Beziehung, einer Liebesbeziehung - ist den Außenstehenden immer ein Geheimnis, das sie höchstens verwundert wahrnehmen können, das ihnen aber verschlossen bleibt. ....
Na ja, vieles an Liebesbeziehungen ist gar nicht so geheimnisvoll. Die Partner sind bekannt (im Gegensatz zur Religion), die Gespräche und Handlungen prinzipiell protokollierbar :mrgreen: , es gibt Zeugen (wenn auch nicht für alles :kiss: ), selbst die chemischen Vorgänge im Gehirn können teilweise analysiert werden. Und jeder, der schon einmal geliebt hat, kann prinzipielle nachvollziehen, was Liebende empfinden. So unterschiedlich sind die Menschen nun auch wieder nicht.
Geheimnis ist Liebe vor allem dann, wenn die Frage danach zu unkonkret formuliert ist.

anselm
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Beitrag von anselm »

Erich Dumfarth hat geschrieben:....
Meine These in einem Satz: eine sozusagen rein atheistische Ethik gibt es nicht, hat es nicht gegeben und kann es auch nicht geben, allenfalls wechselnde Nützlichkeit und Angst vor Strafe.
Das ist jetzt aber witzig: wenn ich mich nicht irre wird ja gerade einer christlichen Ethik unterstellt, dass sie aus der Angst vor dem "Höllenfeuer" und der Belohnung durch den "Himmel" motiviert ist.

Nur um ein Missverständnis zu vermeiden: mit atheistischer Ethik meine ich nicht, dass sich ein paar eingeschworene Atheisten an den grünen Tisch setzen und ein ethisches Regelwerk entwerfen.

Ich meine mit atheistischer Ethik, dass sich alleine durch die (relativ ähnlichen) Interessen von Menschen ethische Regeln herausbilden können, die ohne Bezug zu Gott Bestand haben und respektiert werden. Nämlich deshalb, weil sie Interessen der Menschen entsprechen. Und weil Menschen nicht so völlig unterschiedlich sind (von relativ wenigen Ausnahmen abgesehen). Wenn sich die Menschen extrem stark voneinander unterscheiden würden, wäre eine solche (implizite) Einigung allerdings nicht möglich.

Eine Gesellschaft kann sich durchaus ohne Rekurs auf Religion so verhalten, dass z.B. Mord und Lügen gesellschaftlich geächtet sind. Alleine deshalb, weil das den meisten Menschen schadet und die entsprechende Norm das Zusammenleben verbessert.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Nun, Anselm, da muss ich dir widersprechen - das was erkennbar ist bei Liebe, sind äußerliche Phänomene. Du wirst jedoch niemals nachvollziehen, warum ich meine Ehefrau liebe, sondern nur konstatieren können, dass ich es tue. Warum ich es tue, ist ein Geheimnis, in das niemand hineinsehen kann.

Das Geheimnis der Liebe zeigt sich nur vermittelt, in dem, was sie letzlich bewirkt, aber nicht in ihrer Beschreibung oder Aufzeichnung oder Protokollierbarkeit.

Nun ist natürlich die Liebe zu Gott noch mal anders gelagert: Du kannst sie als Aussage von mir wahrnehmen oder evtl. in bestimmten Handlungen. Dazu gehörte aber bereits, dass du Gott als mein Gegenüber nicht bezweifelst.
Wenn du indes behauptest, es gäbe Gott nicht, dann ist auch für dich nichts bei mir wahrzunehmen. Dann erscheine ich dir lediglich als Hohlkopf, der unverständliches Zeug plappert.

Du siehst also, dass es sich hier um reine Wahrnehmungsebenen handelt. Negiert man die eine einfach und behandelt sie als von vornherein nicht einfach, ist jede Mühe um Erkenntnis von vornherein vergeblich.

Geronimo

anselm
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Beitrag von anselm »

Geronimo hat geschrieben:...
Wenn du indes behauptest, es gäbe Gott nicht, dann ist auch für dich nichts bei mir wahrzunehmen. Dann erscheine ich dir lediglich als Hohlkopf, der unverständliches Zeug plappert.

Du siehst also, dass es sich hier um reine Wahrnehmungsebenen handelt. Negiert man die eine einfach und behandelt sie als von vornherein nicht einfach, ist jede Mühe um Erkenntnis von vornherein vergeblich.

Geronimo
Hallo Geronimo,
ich will es mal direkt auf den Punkt bringen. Wenn man das zu Erkennende (also Gott) voraussetzen muss um es zu erkennen, dann halte ich das für eine (mehr oder weniger subtile) Form der Selbstsuggestion.

Ich bin weit entfernt zu behaupten, dass diejenigen, die glauben, Gottes Gegenüber "zu spüren", das nicht auch wirklich glauben. Das sagt mir aber noch nichts darüber, ob da auch wirklich etwas anderes ist. Denn es ist ja nicht unabhängig erkennbar.
Zumindest halte ich die Gefahr für sehr groß, dass man bei so einem Vorgehen leicht einer Selbstsuggestion zum Opfer fällt.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

anselm hat geschrieben:ich will es mal direkt auf den Punkt bringen. Wenn man das zu Erkennende (also Gott) voraussetzen muss um es zu erkennen, dann halte ich das für eine (mehr oder weniger subtile) Form der Selbstsuggestion.
Und da du dies so siehst (was dir ja unbenommen ist) stehst du halt mit deinen Fragen nach Erklärbarem auf diesem Gebiet auf verlorenem Posten, denn Antworten kann es naturgemäß fürdich nicht geben.

Mehr wollte ich auch gar nicht klarmachen, als dass derartige Gespräche stets im Kreis herumführen (müssen) ;)

Man könnte nun ja auch das, was du als Selbstsuggestion bezeichnest, auch als Fähigkeit bezeichnen, über seinen eigenen Horizont zu schauen und nicht sklavisch dem eigenen Denken verhaftet zu sein ...

Auch du bewegst dich mit deinen Argumenten im Bereich der Willkürlichkeit, vor allem wenn du schreibst "Ich halte das ..." Ja, du - aber das kann keinen Anspruch erheben auf Wahrheit, sondern ist bloß eine persönliche Annahme von dir.

Aber kommen wir doch mal wirklich auf die Ethik zurück ...


Geronimo

Peter
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Beitrag von Peter »

Anselm hat geschrieben:Eine Gesellschaft kann sich durchaus ohne Rekurs auf Religion so verhalten, dass z.B. Mord und Lügen gesellschaftlich geächtet sind. Alleine deshalb, weil das den meisten Menschen schadet und die entsprechende Norm das Zusammenleben verbessert.Nach oben
Was tust du aber, wenn Mord und Lügen nicht den meisten Menschen schadet – sondern einer Minderheit? Und die Mehrheit ganz gut damit leben kann, dass der Miderheit Schaden zugefügt wird? Allen kann es ohnehin nicht recht gemacht werden … dann ist es gut, wenn der Bann wenigstens zielgerichtet eine gesellschaftlich definierte Gruppe trifft …

Wir hatten diesen Fall einige Male im zwanzigsten Jahrhundert. Die krassesten Beispiele boten atheistische Regime, beziehungsweise regime, die ihr Wertesystem von einem bestimmten, utopischen Menschenbild her aufbauten.

(Ich muss hinzufügen. Mir ist es hier nicht um das Christentum zu tun! Ich habe gerade kein Interesse daran, das Christentum als Alternative anzubieten; mir geht es um den Atheismus.)

Peter
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Beitrag von Peter »

anselm hat geschrieben:
Felix Culpa hat geschrieben:...
Das Geheimnis – oder der Umgang mit dem Geheimnis, von dem ich sprach, lässt sich weniger als Spekulation – denn die ist eigentlich noch ganz dem rein menschlichen Erkenntnisvermögen zugeordnet –, sondern mehr als Dialog zu bezeichnen. So wie zum Beispiel die Confessiones des Augustinus ganz auf das Du Gottes hin geschrieben sind.
Ok, du willst es nicht anders ;D .

Du sprichts hier von einem Geheimnis. Also etwas nicht bekanntem. Und von dem Umgang mit dem Nicht-Bekannten. Und außerdem stellt sich für dich das Geheimnis als Dialog dar.

Tschuldigung, aber du sprichst in Rätseln.
Mag sein, aber ich habe nur philosophisch und theologisch dilettiert. Ich denke, ich möchte das Seitenthema hier gerne einstellen.

Ralf

Beitrag von Ralf »

anselm hat geschrieben:Du sprichts hier von einem Geheimnis. Also etwas nicht bekanntem. Und von dem Umgang mit dem Nicht-Bekannten. Und außerdem stellt sich für dich das Geheimnis als Dialog dar.
Nach über sechs Jahren Medizinstudium ist der Mensch für mich immer noch ein Geheimnis geblieben (ein Geheimnis ist etwas anderes als ein Rätsel!), den meisten mir bekannten Psachologen und Psychotherapeuten geht es ebenso.

Muss ich jetzt den Menschen beweisen, um einen Dialog mit so einem Geheimnis führen zu dürfen?

Zwischen Nicht-Bekannt und Bekannt liegen unendlich viele Ebenen. Schwarz-Weiß-Denken führt nicht weiter.

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platon
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Beitrag von platon »

anselm hat geschrieben:Der größte Teil des Buches beschäftigt sich dann damit, ob ethische Regeln durch das Interesse der Menschen begründet werden können. Seiner Meinung nach geht das. Ethische Regeln sind dann nach wie vor solche Regeln, die allgemein Zustimmung erfahren. Sie finden aber nur deshalb Zustimmung, weil sie sich (implizit) auf das Interesse der Beteiligten stützen können.
Hallo Anselm,

in der Ethik ist der Begriff des moralischen und des legalen Handelns prägend. Wer im Kaufhaus nicht klaut, weil er befürchtet dafür bestraft zu werden, sagt damit, er würde klauen, wenn er mit keiner Strafe rechnet. Hingegen das moralische Handeln besagt, man würde immer stets das Gute tun, selbst wenn man dafür Strafe zu erwarten hätte.

Das kantianische Gesetz, handle stets so, daß Dein Handeln stets zum allgemeinen Gesetz erhoben wissen willst, ist eine Regel, die frei nach dem Motto funktioniert, was Du nicht selbst für Dich willst, das tue niemand an. Damit versetzt man sich in die Lage des anderen, fühlt und leidet auf diese Weise mit. Über diese theoretische Regel hinaus kommt Kant nicht hinaus, und zum Schluß kommt er zu keiner einzigen konkreten ethischen Imperative, die verallgemeinernd gilt. Kant weißt nicht zu begründen, warum denn der Selbstmord unsittlich ist.

Ethische Regeln subjektiv definieren zu wollen führen sodann zum Begriff der Autonomie, wobei man sagen muß, daß für Kant die Vernunft sich bei der Bildung von ethischen Maximen nie produktiv verhält, sondern vielmehr konstatierend die apriori gegebene Denkmuster plötzlich bei sich entdeckt. Man stellt fest, daß ein Gedanke plötzlich da ist, aber nur deshalb, - so müßte man es konsequenterweise sagen - weil die Vernunft es in sich entdeckt. Toll! Und ich habe schon mal den Gedanken des Seeungeheuers schon mal gehabt, aber gleichwohl weiß ich auch, daß es diese nicht gibt. Woher also der Wahrheitsgehalt?

Wären ethische Regeln autopoietisch (=im ontologischen Sinne selbstsetzend) anstatt Freiheitsenscheidung (=selbstsetzend im Sinne einer Entscheidung), d.h. Enscheidung zwischen der Lüge und dem, was an sich gilt, ich aber nur entdecken muß, was wahr gilt. Autonomie ist ein mißverständlicher Begriff, denn einerseits kann man ihn dazu benutzen, um etwa die Emanzipation der Frauen vor dem Diktat der Männer zu bezeichnen, oder auch dazu, Richter und Henker eines ethischen Grundsatzes zu sein. Autopoiesis will heißen, da man im Tranzendentalidealismus davon ausgeht, die Dinge haben ihre Bedeutung nicht daher, weil sie sie in sich hätten, sondern weil die Vernunft sie so gedacht hat. Das Sein richtet sich nach der Vernunft. Wenn ich also denken will, daß ich einem Kind sein Eis willkürlich wegnehme, dies gut sei, weil ich das so sehen will, dann richtet sich die Sittlichkeit nach meiner Sichtweise. Auf diese Weise aber hätten wir Tür und Tor offen für die Barberei.

Gilt aber, daß das Sittliche etwas in sich Göttliches (wie Platon das so sehen wollte) darstellt, die Würde in etwa kann sich niemand selbst wegnehmen. Man kann nur gegen die Würde handeln, aber nicht sie sich selbst wegnehmen. Die "hat" man aufgrund der Eigenschaft als Mensch. Sie gilt sozusagen absolut, und kein Lebensumstand vermag dies zu ändern. Obdachlose haben alle eine Würde, auch wenn die Gesellschaft so tut, als sei das nicht. Die Würde also "hat" man, aber man hat sie nicht "aus sich".

Grüße, Carlos
Fides quaerens intellectum
(Anselm von Canterbury)

anselm
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Beitrag von anselm »

Sorry, die vielen Anmerkungen, Antworten ... überfordern mich derzeit etwas (natürlich nur zeitlich :mrgreen:).

Bei der ganzen Diskussion ist mir allerdings aufgefallen, dass ich zwar intellektuell atheistische Positionen ansprechend finde, aber nicht gefühlsmäßig dahinter stehe. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich gerade Probleme mit dem Antworten auf einige der Fragen habe.

Peter
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Beitrag von Peter »

Sorry, die vielen Anmerkungen, Antworten ... überfordern mich derzeit etwas (natürlich nur zeitlich ).
Kann ich verstehen. Umgekehrt ginge es mir genauso. Auf jeden Fall. Respekt, Anselm …


Viele Grüße, Peter
(Ex-Felix)

anselm
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Beitrag von anselm »

platon hat geschrieben: in der Ethik ist der Begriff des moralischen und des legalen Handelns prägend. Wer im Kaufhaus nicht klaut, weil er befürchtet dafür bestraft zu werden, sagt damit, er würde klauen, wenn er mit keiner Strafe rechnet. Hingegen das moralische Handeln besagt, man würde immer stets das Gute tun, selbst wenn man dafür Strafe zu erwarten hätte.
Hm, wenn man bestimmte Regeln internalisiert hat (z.B. durch Erziehung), dann wird man nicht klauen, weil man dabei ein schlechtes Gewissen hätte (es sei denn z.B. wenn es sich um einen existenziellen Notfall handelt). Menschen können auch dann ein normativ ausgerichtetes Gewissen haben, wenn sie nicht auf Gott bezug nehmen.
platon hat geschrieben: Das kantianische Gesetz, handle stets so, daß Dein Handeln stets zum allgemeinen Gesetz erhoben wissen willst, ist eine Regel, die frei nach dem Motto funktioniert, was Du nicht selbst für Dich willst, das tue niemand an. Damit versetzt man sich in die Lage des anderen, fühlt und leidet auf diese Weise mit. Über diese theoretische Regel hinaus kommt Kant nicht hinaus, und zum Schluß kommt er zu keiner einzigen konkreten ethischen Imperative, die verallgemeinernd gilt. Kant weißt nicht zu begründen, warum denn der Selbstmord unsittlich ist.
Bei Kant scheint mir das größte Problem darin zu bestehen, dass bei ihm Moral = Pflicht gilt. Wenn man etwa Freude dabei empfindet, Gutes zu tun, dann würde Kant das nicht unter "Moral" packen.
Dass z.B. Selbstmord (oder vorehelischer Geschlechtsverkehr oder Homosexualität) unsittlich sind, würde bei einer nicht christlich begründeten Ethik sicherlich nur dann herauskommen, wenn dadurch andere Menschen geschädigt würden. Also z.B. weil Selbstmord die Hinterbliebenen in großes Leid stürzt.
platon hat geschrieben: Ethische Regeln subjektiv definieren zu wollen führen sodann zum Begriff der Autonomie, wobei man sagen muß, daß für Kant die Vernunft sich bei der Bildung von ethischen Maximen nie produktiv verhält, sondern vielmehr konstatierend die apriori gegebene Denkmuster plötzlich bei sich entdeckt. Man stellt fest, daß ein Gedanke plötzlich da ist, aber nur deshalb, - so müßte man es konsequenterweise sagen - weil die Vernunft es in sich entdeckt. Toll! Und ich habe schon mal den Gedanken des Seeungeheuers schon mal gehabt, aber gleichwohl weiß ich auch, daß es diese nicht gibt. Woher also der Wahrheitsgehalt?
Ähem, ethische Regeln sind Phantasiegebilde sondern kommen durch die Interessen (Vorlieben, Wünsche, Schmerzen, Freude,....) der Menschen zustande.
platon hat geschrieben: Wären ethische Regeln autopoietisch (=im ontologischen Sinne selbstsetzend) anstatt Freiheitsenscheidung (=selbstsetzend im Sinne einer Entscheidung), d.h. Enscheidung zwischen der Lüge und dem, was an sich gilt, ich aber nur entdecken muß, was wahr gilt. Autonomie ist ein mißverständlicher Begriff, denn einerseits kann man ihn dazu benutzen, um etwa die Emanzipation der Frauen vor dem Diktat der Männer zu bezeichnen, oder auch dazu, Richter und Henker eines ethischen Grundsatzes zu sein. Autopoiesis will heißen, da man im Tranzendentalidealismus davon ausgeht, die Dinge haben ihre Bedeutung nicht daher, weil sie sie in sich hätten, sondern weil die Vernunft sie so gedacht hat. Das Sein richtet sich nach der Vernunft. Wenn ich also denken will, daß ich einem Kind sein Eis willkürlich wegnehme, dies gut sei, weil ich das so sehen will, dann richtet sich die Sittlichkeit nach meiner Sichtweise. Auf diese Weise aber hätten wir Tür und Tor offen für die Barberei.
Ich glaube, bspw. Singer und Hoerster gehen von einer eher "evolutionstheoretischen" Überlegung aus, also etwa "Gute Regeln setzen sich durch", eben weil sie zu günstigen Konsequenzen für die Gesellschaft führen.
platon hat geschrieben: Gilt aber, daß das Sittliche etwas in sich Göttliches (wie Platon das so sehen wollte) darstellt, die Würde in etwa kann sich niemand selbst wegnehmen. Man kann nur gegen die Würde handeln, aber nicht sie sich selbst wegnehmen. Die "hat" man aufgrund der Eigenschaft als Mensch. Sie gilt sozusagen absolut, und kein Lebensumstand vermag dies zu ändern. Obdachlose haben alle eine Würde, auch wenn die Gesellschaft so tut, als sei das nicht. Die Würde also "hat" man, aber man hat sie nicht "aus sich".
Die Gegenposition wäre, dass Würde, Menschenrechte etc. eben von Menschen gesetzte Werte sind, die eingeführt wurden, weil sie im Interesse vieler Menschen sind. Aber die Überlegungen von Singer, Hoerster etc. sind natürlich nicht aus sich heraus wahr, sondern sollten einer empirischen Überprüfung unterzogen werden.

anselm
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Beitrag von anselm »

Peter hat geschrieben:Was tust du aber, wenn Mord und Lügen nicht den meisten Menschen schadet – sondern einer Minderheit? Und die Mehrheit ganz gut damit leben kann, dass der Miderheit Schaden zugefügt wird? Allen kann es ohnehin nicht recht gemacht werden … dann ist es gut, wenn der Bann wenigstens zielgerichtet eine gesellschaftlich definierte Gruppe trifft …
Ist dann denn so? Doch wohl eher nicht. Klar kann man sich Situationen vorstellen, in denen einige Menschen oder Gruppen derart dominant sind, dass sie andere einfach völlig unterdrücken können. Sowas soll es ja schon häufiger gegeben haben. Es gibt aber heutzutage keine keine ernstzunehmende Theorie mehr, die Diskriminierung jeglicher Art begründen würde. Die Richtung geht doch seit vielen Jahrzehnten in die genau entgegengesetzte Richtung (jedenfalls weltweit gesehen). Versuche, Unterdrückung durchzusetzen, wird es sicherlich immer wieder geben, aber moralisch begründen lässt sich das doch nicht. Es kann zwar die Oberhand gewinnen, bleibt aber Unrecht.
Peter hat geschrieben: Wir hatten diesen Fall einige Male im zwanzigsten Jahrhundert. Die krassesten Beispiele boten atheistische Regime, beziehungsweise regime, die ihr Wertesystem von einem bestimmten, utopischen Menschenbild her aufbauten.
Ja. Das waren Regime, die von der objektiven Wahrheit ihrer Ideen überzeugt waren. Das bedeutet doch vor allem, sich vor Fanatikern in Acht zu nehmen.
Peter hat geschrieben: (Ich muss hinzufügen. Mir ist es hier nicht um das Christentum zu tun! Ich habe gerade kein Interesse daran, das Christentum als Alternative anzubieten; mir geht es um den Atheismus.)
Das verstehe ich nicht: die Religionen sind doch nicht so ähnlich, dass man a priori ähnliche Resultate für die Ethik erwarten sollte. Aber die Regeln sind ähnlich. Deshalb ist mir nicht klar, was hier die Unterscheidung Religion vs. Atheismus aussagen soll.

anselm
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Beitrag von anselm »

[quote="Ralf"]...
Muss ich jetzt den Menschen beweisen, um einen Dialog mit so einem Geheimnis führen zu dürfen?/quote]
Das sind aber ganz verschiedene Argumentationsebenen:
- um einen Dialog zu führen muss ich nicht alle Geheimnisse der Person mir gegenüber beantworten. Aber im Gegensatz zu "Gott" sehe ich die Person, kann mit ihr sprechen, höre Antworten, ....

- klar, dass ich eigentlich nicht viel über "den Menschen" weiss. Z.b sind ja schon die Antworten auf die einfachen Fragen des Woher, Wohin, Wozu seit Menschengedenken heftig umstritten. Aber trotzdem kann man z.B. Verhalten von Menschen beobachten, interpretieren und daraus Schlüsse ziehen. Z.b. den Schluss, dass Menschen qua Natur ähnliche Interessen und Vorlieben haben (z.B. am Leben zu bleiben, nicht gefoltert zu werden, in Gemeinschaft zueinander positiv eingestellter Mitmenschen zu leben, ...). Was sich ja auch darin zeigt, dass zumindest die wesentlichen Regeln ethischer Lebensführung weltweit so verschieden nicht sind.

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platon
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Beitrag von platon »

anselm hat geschrieben:Ich glaube, bspw. Singer und Hoerster gehen von einer eher "evolutionstheoretischen" Überlegung aus, also etwa "Gute Regeln setzen sich durch", eben weil sie zu günstigen Konsequenzen für die Gesellschaft führen.
Du meinst nicht in ernst Peter Singer? Oder wen meinst Du denn?
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Peter
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Beitrag von Peter »

Anselm hat geschrieben:Was sich ja auch darin zeigt, dass zumindest die wesentlichen Regeln ethischer Lebensführung weltweit so verschieden nicht sind.
Da ziehst du dich aber einfach aus der Affaire. Anhand deiner Beispiele könnte ich auch auf das Naturrecht verweisen, dem du doch (vermutlich) eher skeptisch gegenüberstehst.

Nur — fehlt mir noch eine wirklich einleuchtende Begründung dafür, dass mich ein konsequent gelebter Atheismus davor bewahrt, bei Wahrnemung meiner vitalen Interessen (oder der Interessen des Gemeinwesens) Menschen, die mir im Weg stehen, nicht aus dem Weg zu räumen. Mir scheint, um jetzt doch wieder das Beispiel aus dem Bereich der Ränder des menschlichen Lebens zu nehmen, dass reiner Pragmatismus dazu führt, dass die Sache mit dem Lebenlassen doch nicht so genau genommen wird. Bis hin zu den, nur aus einem ideologischen Rechtspositivismus zu verstehenden Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1993, das Embryonen zwar den Status der Menschenwürde, aber nicht den Schutz des Gesetzes zusagt.

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platon
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Beitrag von platon »

Peter Singer ist der, der behauptet hat, das Leben von ausgewachsenen Schweinen sei wertvoller als das ungeborene Leben. Daß der Mann nicht ganz dicht ist, dürfte damit wohl klar sein, und seine Theorien, wenn er welche hat, helfen ihn nicht dazu, seine Perversität zu erkennen. Du meinst nicht etwa ihn????
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anselm
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Beitrag von anselm »

platon hat geschrieben:Peter Singer ist der, der behauptet hat, das Leben von ausgewachsenen Schweinen sei wertvoller als das ungeborene Leben. Daß der Mann nicht ganz dicht ist, dürfte damit wohl klar sein, und seine Theorien, wenn er welche hat, helfen ihn nicht dazu, seine Perversität zu erkennen. Du meinst nicht etwa ihn????
Doch, den meine ich. Dass seine Überlegungen sehr(!) umstritten sind ist schon klar. Aber seine Argumentation ist gar nicht so einfach zu widerlegen.
Er geht eben nicht von Arten oder Rassen von Lebewesen aus sondern von deren Eigenschaften z.B,. hinsichtlich Empfindungsfähigkeit, Bewusstsein, Zukunftsfähigkeit....
Außerdem sagt er z.B. nicht, dass (bestimmte) Menschen auf das heute niedrige ethische Niveau von Tieren herabsinken, sondern dass bestimmte Tiere auf das hohe Niveau von Menschen angehoben werden sollten.

anselm
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Beitrag von anselm »

Peter hat geschrieben: Nur — fehlt mir noch eine wirklich einleuchtende Begründung dafür, dass mich ein konsequent gelebter Atheismus davor bewahrt, bei Wahrnemung meiner vitalen Interessen (oder der Interessen des Gemeinwesens) Menschen, die mir im Weg stehen, nicht aus dem Weg zu räumen.
Dass Menschen Verbrechen begehen heisst doch noch lange nicht, dass sie damit im Recht sind. Die Argumentation zielt darauf, wie bestimmte Normen im Bewusstsein von Menschen und Gesellschaften entstehen und verankert werden können. Nicht aber darauf, dass alle Menschen dann plötzlich keine Normverstöße mehr begehen.

Peter
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Beitrag von Peter »

Nein, nein, Anselm. Ich rede nicht von Normverstößen. Sondern ich rede davon, ob es möglich ist, aus reinem Pragmatrismus eine Ethik aufzubauen, die interessengesteuert ist – was sonst könnte einer atheistischen Ethik zugrundeliegen als Interessen? – ohne auf atavistische Tabus zurückzugreifen.

So wie Peter Singer, wenn ich das richtig verstanden habe, das Tabu um ungeborenes Leben auflöst, so müssten sich doch andere Tabus auflösen lassen. (Dabei bist du dir ebenso wie ich hoffentlich darüber klar, dass ich hier nur fallweise rede – ich gehe ja auch bei dir davon aus …)

Was, um ganz hart bei der Ausgangsfrage zu bleiben, könnte eine Gesellschaft bewegen, sich zum Beispiel nicht ihrer Alten zu entledigen, sobald, rein innerweltlich betrachtet, der Tod für sie ein sanfterer Zustand wäre, zumal wenn es die Rentenkassen enorm entlasten, ja, vor dem Kollaps bewahren würde?

Bei einer atheistischen Ethik müsste ich eine solche Möglichkeit ausgewogen und ernsthaft prüfen. Täte ich das nicht, wäre ich in diesem Augenblick schon kein Atheist mehr.

Du verstehst vielleicht an dieser Stelle, warum Erich und ich ganz unbefangen jede religiöse Ethik gegen die reine Lehre des Atheismus gesetzt haben.

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