U M Lang, Conversi ad Dominum

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Stephen Dedalus
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U M Lang, Conversi ad Dominum

Beitrag von Stephen Dedalus »

Gesegnete Ostern allen!

Gibt es hier jemanden, der das kleine Buch des Oratorianers U M Lang zur Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung gelesen hat? Ich habe es gerade erhalten (und gelesen) und würde ein paar Fragen ganz gerne diskutieren. Mir geht es jedoch nur um eine Diskussion der Argumentation im Buch, bitte keine Rundumschläge von Seiten der Tradis, das ist zwecklos und führt sowieso zu nix.

Gruß
SD

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, steht aber auf der Liste.
Mich interessiert die Thematik sehr. Kannst du den einen oder andern
Punkt mal knapp skizzieren? Danke!

P.S.: P. Lang lebt ja nicht fern von dir …
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, steht aber auf der Liste.
Mich interessiert die Thematik sehr. Kannst du den einen oder andern
Punkt mal knapp skizzieren? Danke!

P.S.: P. Lang lebt ja nicht fern von dir …
Ja, ich kenne ihn auch und werde ihn bei Gelegenheit mal darauf ansprechen.

Ich habe mich mit diesem Thema noch nicht intensiv beschäftigt, dieses Buch ist sozusagen mein Erstkontakt mit der Frage. Auch ich war bisher davon ausgegangen, daß die Zelebration versus populum der Praxis der Alten Kirche eher entspricht als die Zelebration versus orientem. Genau diese Frage wird im Buch diskutiert. Pater Lang faßt sehr gut und konzise den Stand der Forschung zusammen. Er diskutiert sowohl die schriftlichen Quellen wie auch den (recht dünnen) archäologischen Befund frühchristlicher Kirchen. Dabei stellt er vor allem die Erkenntnisse Nußbaums und Metzgers gegeneinander, die ja interessanterweise auf der gleichen archäologischen Basis zu weitgehend konträren Ergebnissen kommen. (Nußbaum hält in den meisten Fällen die celebratio versus populum für "wahrscheinlich", Metzger versucht dies zu widerlegen).

U M Lang legt m. E. sehr überzeugend dar, warum die Einwände von Metzger gewichtig sind. Insgesamt erscheint mir seine Argumentation im Hinblick auf die Gebetsrichtung der Gemeinde als schlüssig, jedoch deutlich schwächer, wenn er auch die Zelebrationsrichtung des Priesters aus den Quellen zu belegen versucht. Lang argumentiert sehr vorsichtig und abwägend und bleibt an diesem Punkt häufig bei einem "wahrscheinlich" und "möglicherweise" und "es ist anzunehmen" stehen. Mich würde interessieren, ob andere diese Passagen ähnlich gelesen haben.

Interessant ist, daß neben dem archäologischen Befund ausführlich auch die theologische Signifikanz diskutiert. Dabei blickt er auch auf die Entwicklung in England im 19. Jahrhundert, als die "east facing celebration" in der Oxford-Bewegung unter Froude, Keble und Newman zu einer zentralen Frage wurde. Zwar enthält dieser Abschnitt (S. 121-125) in meinen Augen ein paar kleinere sachliche Fehler, aber im wesentlichen trifft zu, was Lang hier über die Bedeutung der Zelebrationsrichtung für die Anglokatholiken schreibt. Einige der anglikanischen Priester ließen sich für die Zelebration versus orientem sogar einkerkern (im traditionellen Ritus des Prayer Book steht der Priester am Nordende des Altars und blickt während der Zelebration nach Süden - das war auch Newmans Praxis bis zu seinem Übertritt nach Rom). Im 20. Jahrhundert regte sich hingegen gegen eine erneute Änderung der Zelebration versus populum kaum Widerstand ...

Nicht gänzlich einverstanden war ich aber dann mit seiner Diskussion der Zelebration versus orientem im Vergleich zur Zelebration versus populum. Hier bringt Lang m. E. einiges durcheinander, weil es seiner Argumentation so besser zupaß kommt. Der theologische und vor allem eschatologische Gehalt der Zelebration versus orientem liegt nach seiner Darstellung klar auf der Hand. Er erwähnt jedoch auch, daß in der landläufigen Wahrnehmung dieser theologische Gehalt heute kaum noch eine Rolle spielt - meist ist davon die Rede, daß im alten Ritus der Priester "der Gemeinde den Rücken zukehrt". Was früher in seiner eschatologischen und latreutischen Bedeutung sinnvoll war, wird heute von der feiernden Gemeinde weithin nicht mehr so wahrgenommen, sondern negativ bewertet.

Zugleich bewertet er die Zelebrationsrichtung im NOM zwar nicht als generell negativ (jede Zelebration ist in seinen Augen eine Zelebration ad Deum, oder besser: sie sollte es sein!), sie wird anhand einiger Zitate aber doch in einen negativen Kontext gestellt ("anthropozentrisch", die Gemeinde feiert sich selbst, die Gemeinde bildet einen geschlossenen Kreis, der den transzendentalen Charakter der Messe und vor allem ihre eschatologische Ausrichtung auf den wiederkommenden Herrn nicht mehr erkennen läßt). Diese Argumente sind ebenfalls theologisch gewichtig, erscheinen mir aber als Kritik an der heute üblichen Zelebrationsform von außen übergestülpt.

Der heute feiernden Gemeinde sind in der Regel weder die positiven Implikationen des alten Ritus wie die hier angesprochen negativen Implikationen des neuen Ritus bewußt. Darin scheint mir ein Kernproblem zu liegen. Dies ist nicht nur eine Frage der liturgischen Bildung, sondern der generellen Wahrnehmung. Die theologischen Bedeutungen beider Zelebrationsformen werden heute gänzlich anders empfunden. Pater Lang warnt an einer Stelle seines Buches deutlich davor, die liturgische Praxis der frühen Jahrhunderte mit der Wahrnehmung von heute beurteilen zu wollen. So etwa die Forderung, daß eine innere Teilnahme am Ritus für den Gläubigen die Sichtbarkeit der Handlung voraussetze - dies war in antiken Religionen generell nicht der Fall. Umgekehrt muß aber m. E. dann auch die Frage erlaubt sein, warum dem modernen Menschen (für den ja diese Sichtbarkeit unleugbar ein wesentliches Moment der inneren Anteilnahme ist), diese vorenthalten werden soll?

Hier hat sich unsere Wahrnehmung völlig verändert. Wenn nun aber in der Wahrnehmung der Gemeinde die theologischen Probleme der Zelebration versus populum nicht extistieren, ebenso aber die theologischen Vorzüge der Zelebration versus orientem nicht wahrgenommen werden (können?) - wie bedeutsam sind sie dann wirklich? Natürlich kann man im Sinne einer lex celebrandi - lex credendi argumentieren, daß die Gemeinde glaubt, wie sie feiert, unabhängig davon, wie sie den theologischen Gehalt selbst wahrnimmt und reflektiert. Das erscheint mir aber zu einfach. Lang weist zureicht auf die Gefahren hin, neigt aber imho dazu, aufgrund der historischen Begründung und alter theologischer Traditionen die Vorzüge der Zelebration versus orientem überzubewerten, während er beim NOM genau das Gegenteil tut.

Soweit meine etwas ungeordneten Gedanken.

Gruß
SD

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Yeti
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Conversi ad Dominum

Beitrag von Yeti »

Ich habe das Buch (noch) nicht gelesen, ich höre auch hier erstmals davon, die Thematik und die Argumente sowohl pro NOM als auch diejenigen contra sind mir jedoch bekannt. Allerdings habe ich in den Vorlesungen für Liturgiewissenschaft noch nie von archäologischen Beweisen für eine Zelebration versus populum in der Ur- oder Frühkirche gehört, auch in der einschlägigen Fachliteratur, die ich für meine Prüfungen durcharbeiten musste, war davon keine Rede. Das soll nicht bedeuten, daß ich solcherlei Anhaltspunkte für schlichtweg nichtexistent halte, ich hörte nur noch nie davon...man lernt halt nie aus; bei Gelegenheit werde ich mir das Buch dann mal greifen.

Über dieses Thema habe ich allerdings ein anderes Buch gelesen, welches zumindest im deutschsprachigen Raum einiges Aufsehen erregt haben soll: "Häresie der Formlosigkeit - Die römische Liturgie und ihr Feind" von Martin Mosebach. Wie der Titel vielleicht verrät, nimmt Mosebach Stellung gegen den NOM-Gottesdienst, wenn auch nicht in einer unduldsamen Form, finde ich. Mosebach scheint kein Theologe zu sein bzw. hat wohl m.W. nicht Theologie studiert. Von daher ist es auch nicht überraschend, wenn sich die Argumentation des Buches weniger an wissenschaftlich-theologischen Termini orientiert. Mein Eindruck ist dieser: wem der Stil Romano Guardinis gefällt, der wird auch an diesem Büchlein Gefallen finden; bei mir war dies der Fall. Interessanterweise argumentiert Mosebach besonders vom anthropologischen Standpunkt aus; im Zusammenhang mit dem beschriebenen Buch von U. M. Lang scheint mir dies deshalb besonders erwähnenswert zu sein, weil er von einer jahrhundertelangen Erfahrung der Kirche mit diesem Ritus und mit den Bedürfnissen der Menschen spricht, während der NOM zumindest auf breiter kirchlicher Basis gerade mal auf 30 Jahre zurückblicken kann; es scheint mir so zu sein, daß dies Lang anzusprechen scheint, zumindest nach Deiner Schilderung des Inhaltes im letzten Abschnitt.

Die "Sünde" beider leider oft extremen Positionen mag wohl darin liegen, daß sie ihre Forderungen mit einer Ausschliesslichkeit hervorbringen, welche in keinem Fall der gesamtheitlichen Realität der religiösen Bedürfnisse der Menschen entspricht. Es wird wohl diesbezüglich schon so sein, wie es der jetzige Papst einmal formuliert hat, daß nämlich die Rezeptionsgeschichte des II. Vatikanums wohl erst begonnen hat.

Was John Henry Newman betrifft, hatte ich immer den Eindruck, daß ihm die die Problematik der Zelebration der Hl. Messe versus orientem bzw. versus populum eher ein Marginalium war (was nicht bedeuten soll, es sei ihm unwichtig gewesen), aber auch schon in seiner Zeit in der Oxford-Bewegung und letztendlich in seinem Entschluß zum Übertritt in die römisch-katholische Kirche war wohl die Frage am wichtigsten, welche Kirche die wahre sei. Wenn ich mich richtig erinnere, stellt er das in seiner "Autobiographie" (das ist es natürlich nur im begrenzenten Maße) "Apologia pro vita sua" heraus. So handelt auch der "Traktat Nr. 90" (der letzte in dieser Reihe als Mitglied der Oxford-Bewegung und Mitglied der anglikanischen Kirche) hauptsächlich davon. Persönlich denke ich, daß er die Zelebrationsform der damaligen römisch-katholischen Kirche nach seiner Konversion wohl ohne größere "Bauchschmerzen" mit übernommen hat. England ist übrigens ein schönes Beispiel für ein Nebeneinander beider kirchlichen Zelebrationsformen ohne unnötige Ideologisierungen; ich habe mehrere Messen im tridentinischen Ritus mitgefeiert und niemals eine Grabenbildung bei den Katholiken erlebt, wie sie hierzulande leider typisch ist.

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie, Freiburg i. Br. 2000, S. 55 ff., hat geschrieben:
HEILIGE ORTE – DIE BEDEUTUNG DES KIRCHENGEBÄUDES

Auch die entschiedensten Gegner des Sakralen, des heiligen Raums in diesem Fall, räumen ein, daß die christliche Gemeinde den Ort der Versammlung braucht und definieren von da aus die Funktion des Kirchengebäudes in einem nicht sakralen, sondern streng funktionalen Sinn: Es ermöglicht das liturgische Miteinander. Das ist unbestreitbar eine wesentliche Funktion des Kirchengebäudes, wodurch es sich auch von der klassischen Gestalt des Tempels in den meisten Religionen unterscheidet. Den Sühneritus im Allerheiligsten des Alten Bundes vollzieht der Hohepriester allein, niemand außer ihm darf es betreten, und auch er nur einmal im Jahr. Ähnlich sind auch die Tempel aller anderen Religionen gewöhnlich nicht Versammlungsräume der Betenden, sondern der Gottheit reservierte Kulträume. Wenn das christliche Kirchengebäude sehr bald den Namen »domus ecclesiae« (Haus der »Kirche«, der Versammlung des Gottesvolkes) erhielt und dann abkürzend das Wort ecclesia (Versammlung, Kirche) nicht nur für die lebendige Gemeinde, sondern auch für das sie bergende Haus verwendet wurde, so zeigt sich eine andere Auffassung: Den »Kult« vollzieht Christus selbst in seinem Stehen vor dem Vater, er wird der Kult der Seinigen, indem sie sich mit ihm und um ihn versammeln. Diese wesentliche Unterscheidung des christlichen Gottesdienstraumes von den »Tempeln« darf allerdings nicht zu einer falschen Entgegensetzung gesteigert werden, in der auch die innere Kontinuität der religiösen Geschichte der Menschheit durchschnitten würde, die im Alten und Neuen Testament bei aller Differenz niemals aufgehoben erscheint. Cyrill von Jerusalem macht in seiner 18. Katechese (23-25) zu Recht darauf aufmerksam, daß die »convocatio« (Synagoge – Ekklesia = Versammlung des zusammengerufenen Gottesvolkes) dort, wo das Wort bei der Bestellung Aarons im Pentateuch erstmals auftaucht, auf Kult hingeordnet ist. Er zeigt, daß dies auch an allen weiteren Stellen der Thora gilt, und auch im Übergang zum Neuen Testament ist diese Zuordnung nicht verlorengegangen. Das Zusammenrufen, die Versammlung hat ein Wozu; dieses Wozu ist der Kult, von dem aus und auf den hin der Ruf ergeht. Er ist es, der die Zusammengerufenen eint, ihrem Miteinander seine Würde und seine Bedeutung gibt, nämlich das Einssein in jenem »Frieden«, den die Welt nicht geben kann. Das wird auch deutlich bei dem alt- und neutestamentlichen Urbild von »Ekklesia« – der Gemeinschaft am Sinai–: Sie kommt zusammen, um Gottes Wort zu hören und es im Opfergeschehen zu besiegeln, so daß »Bund« wird zwischen Gott und dem Menschen.

Aber sehen wir uns statt weiterer grundsätzlicher Erwägungen die konkrete Gestaltwerdung des Kirchenraumes etwas genauer an. Louis Bouyer hat – vor allem in Anschluß an die Forschungen von E. L. Sukenik – gezeigt, wie das christliche Gotteshaus ganz in der Kontinuität mit der Synagoge entsteht und ohne dramatische Brüche durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, dann auch seine spezifisch christliche Neuheit erhält. Dieser enge Anschluß an die Synagoge, ihre architektonische Gestalt und ihre gottesdienstliche Form, widerspricht durchaus nicht dem, was wir vorhin sagten, daß nämlich die christliche Liturgie auch den Tempel in sich einbeziehe und nicht nur die Synagoge fortsetze. Denn die Synagoge selbst verstand sich ganz auf den Tempel hin bezogen. Die Synagoge war nie einfach ein Ort bloßer Unterweisung, eine Art von religiösem Schulzimmer, wie Bouyer sich ausdrückt, sondern immer auf die Gegenwart Gottes ausgerichtet. Diese Gegenwart Gottes aber war (und ist) für den Juden unauflöslich mit dem Tempel verknüpft. Demgemäß war die Synagoge durch zwei Brennpunkte gekennzeichnet. Der eine ist die »Cathedra des Mose«, von der auch der Herr im Evangelium spricht (Mt 23,2). Der Rabbi redet nicht aus Eigenem, er ist auch nicht ein akademischer Lehrer, der intellektuell das Wort Gottes analysiert und reflektiert; er vergegenwärtigt das Wort, das Gott durch Mose an Israel gerichtet hat und heute richtet. Gott spricht durch Mose heute. Die Cathedra des Mose steht dafür, daß der Sinai nicht einfach Vergangenheit ist, daß hier nicht einfach Menschenrede geschieht, sondern daß Gott spricht.

Die Cathedra des Mose steht daher nicht für sich selbst und in sich selbst. Sie ist auch nicht einfach dem Volk zugewandt, sondern der Rabbi blickt – wie jedermann sonst in der Synagoge – zur Bundeslade oder besser: zum Thora-Schrein hin, der die verlorene Bundeslade vertritt. Die Bundeslade war bis zum Exil der einzige »Gegenstand« gewesen, der im Allerheiligsten Platz finden durfte und ihm seine besondere Note gab. Die Lade war verstanden als leerer Thron, auf dem sich die Schekhina – die Wolke der Gegenwart Gottes – niederläßt. Die Cherube, in denen gleichsam die Weltelemente dargestellt sind, figurieren dort als »Thronassistenten«; sie sind nicht mehr selbstmächtige Gottheiten, sondern Ausdruck der den einzigen Gott anbetenden Schöpfungskräfte. »Der du thronst zwischen den Cherubim« wird der Gott angerufen, den die Himmel nicht fassen, der aber die Lade als »Fußschemel« seiner Gegenwart gewählt hat. In dieser Hinsicht verkörpert die Lade so etwas wie die Realpräsenz Gottes unter den Seinen; sie ist zugleich eindrucksvolle Gestalt der Bildlosigkeit des alttestamentlichen Kultes, der Gott in seiner Souveränität beläßt und ihm gleichsam nur den Schemel seines Thrones hinhält. Die Bundeslade war im Exil verlorengegangen, das Allerheiligste fortan leer: So fand es Pompeius, als er, den Tempel durchschreitend, den Vorhang zurückschlug, neugierig ins Allerheiligste eintrat und gerade in dem leeren Raum dem ganz Eigenen der biblischen Religion begegnete: Das leere Allerheiligste war nun auch ein Akt der Erwartung, der Hoffnung geworden, daß Gott selbst seinen Thron wiederherstellen werde.

Wenn die Synagoge im Thora-Schrein eine Art Bundeslade birgt, so ist sie dadurch Raum für eine Art von »Realpräsenz«, da in ihr die Thora-Rollen aufbewahrt werden: das lebendige Wort Gottes, durch das er in Israel unter den Seinen thront. Deswegen wurde der Schrein mit den Zeichen der Ehrfurcht umgeben, die der geheimnisvollen Präsenz Gottes entsprechen: Er war von einem Schleier geschützt, vor dem die sieben Lichter der Menora, des siebenarmigen Leuchters, brannten. Diese Ausstattung der Synagoge mit einer »Bundeslade« bedeutet aber keineswegs, daß nun sozusagen die Ortsgemeinde autark wurde, sich selbst genügte, sondern gerade sie ist der Ort ihrer Selbstüberschreitung auf den Tempel, auf die Gemeinsamkeit des einen Volkes Gottes von dem einen Gott her: Die Thora ist überall ein und dieselbe. So weist die Lade über sich hinaus, auf den einen Ort seiner Gegenwart, den Gott sich erwählt hat – das Allerheiligste im Tempel zu Jerusalem. Dieses Allerheiligste des Tempels blieb, wie Bouyer sich ausdrückt, »der allerletzte Brennpunkt des Gottesdienstes in der Synagoge« (21). »So waren alle Synagogen, zur Zeit unseres Herrn und seither, daraufhin ausgerichtet.« Rabbi und Volk blicken auf die »Bundeslade«, und indem sie dies tun, richten sie sich nach Jerusalem aus, wenden sich dem Allerheiligsten des Tempels als dem Ort von Gottes Gegenwart für sein Volk zu. Das blieb auch nach der Zerstörung des Tempels so. War schon das leere Allerheiligste Ausdruck einer Hoffnung gewesen, so ist es nun der zerstörte Tempel, der auf die Wiederkehr der Schekhina, auf seine Wiedererrichtung durch den kommenden Messias wartet.

Diese Ausrichtung auf den Tempel und so die Verbindung der Wortliturgie der Synagoge mit der Opferliturgie des Tempels zeigt sich in der Form des Gebets. Die Gebete beim Entfalten und Verlesen der Schriftrollen wurden aus den rituellen Gebeten entwickelt, die ursprünglich mit den Opferhandlungen im Tempel zusammenhingen und die nun – gemäß der Tradition der tempellosen Zeit – selbst als ein Äquivalent des Opfers betrachtet werden durften. Das erste der zwei großen Gebete des Synagogenritus gipfelt im gemeinsamen Sprechen des Quiddusch, wozu der Hymnus der Seraphim aus Jes 6 und der Hymnus der Cherubim aus Ez 3 gehören. Bouyer bemerkt dazu: »Wahrscheinlich verhielt es sich so, daß das Einstimmen der Menschen in diesen himmlischen Gesang, in diesen Kult des Tempels ein zentrales Merkmal des täglich, morgens und abends, dargebrachten Weihrauchopfers war« (27). Wen würde das nicht an das Trishagion der christlichen Liturgie, das »dreimal Heilig« am Beginn des Kanons erinnern, in dem nicht die Gemeinde eigene Gedanken oder Poesien vorbringt, sondern über sich hinausgerissen wird, einstimmen darf in den kosmischen Lobpreis der Cherube und der Seraphe? Das andere große Gebet der Synagoge gipfelt »im Rezitieren der Avoda, die nach den Rabbinen früher das Weihegebet beim täglichen Brandopfer im Tempel war« (27). Die ihr angefügte Bitte um die Ankunft des Messias und die endgültige Wiederherstellung Israels könnte nach Bouyer »als der Ausdruck des eigentlichen Wesens des Opferaktes aufgefaßt« werden (28). Erinnern wir uns hier an den Übergang von den Tieropfern zur »logosgemäßen Anbetung«, der den Weg vom Alten ins Neue Testament markiert. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, daß für die Synagoge kein eigener architektonischer Typus geschaffen wurde; man bediente sich der »typisch griechischen Gebäudeform für öffentliche Versammlungen: der Basilika« (23), deren durch Säulenreihen abgetrennte Seitenschiffe das Zirkulieren der Eintretenden ermöglichte.

Ich habe mich bei der Beschreibung der Synagoge so lange aufgehalten, weil die wesentlichen Konstanten des gottesdienstlichen Raumes der Christen bereits hier sichtbar werden und so noch einmal die wesentliche Einheit der Testamente deutlich wird. Es verwundert nicht, daß der innere Zusammenhang von Synagoge und Kirchengebäude, Kontinuität und Neuerung im Geistlichen in den Bauten der semitischen, nichtgriechischen Christenheit, also im Bereich der monophysitischen und nestorianischen Kirchen des Vorderen Asien, die sich im Lauf der christologischen Auseinandersetzungen des 5. Jahrhunderts von der byzantinischen Reichskirche trennten, am meisten in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten blieb.

Es ergeben sich gegenüber der eben skizzierten Gestalt der Synagoge aus dem Wesen des christlichen Glaubens heraus drei Neuerungen, die zugleich das eigentliche und neue Profil der christlichen Liturgie kennzeichnen. Die erste: Man blickt nicht mehr nach Jerusalem, der zerstörte Tempel wird nicht mehr als der Ort der irdischen Gegenwart Gottes angesehen. Der steinerne Tempel drückt nicht mehr die Hoffnung der Christen aus; sein Vorhang ist für immer zerrissen. Man blickt nun nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Das ist kein Sonnenkult, sondern der Kosmos spricht von Christus. Auf ihn wird nun das Sonnenlied des Psalms 19 (18) gedeutet, wo es heißt: »Sie (die Sonne) ist wie ein Bräutigam, der aus seinem Gemach heraustritt . . . Vom Ende des Himmels geht sie aus, und ihr Umlauf reicht wieder bis an sein Ende ...« (Vers 6f). Dieser Psalm geht unvermittelt von einer Rühmung der Schöpfung in einen Lobpreis des Gesetzes über. Das wird nun von Christus her verstanden, der das lebendige Wort, der ewige Logos und so das wahre Licht der Geschichte ist, das in Bethlehem aus dem Brautgemach der jungfräulichen Mutter herausgetreten ist und nun die ganze Welt erleuchtet. Der Osten löst als Symbol den Jerusalemer Tempel ab, Christus – in der Sonne dargestellt– ist der Ort der Schekhina, der wahre Thron des lebendigen Gottes; in der Menschwerdung ist die menschliche Natur wahrhaft zum Thronsitz Gottes geworden, der so für immer der Erde verbunden und unserem Beten zugänglich ist. Das Gebet nach Osten ist in der alten Kirche als eine apostolische Tradition angesehen worden. Auch wenn man den Anfang der Wendung nach Osten, das Abgehen von der Blickrichtung auf den Tempel, zeitlich nicht genau datieren kann, so ist doch sicher, daß dies in die allerfrüheste Zeit zurückreicht und immer als ein wesentliches Merkmal christlicher Liturgie (wie auch des privaten Gebets) angesehen wurde. In dieser » Orientierung« (oriens = Osten; Orientierung heißt daher »Ostung«, [Aus-]Richtung nach Osten hin) des christlichen Betens verbinden sich verschiedene Bedeutungen. Orientierung ist zunächst einfach Ausdruck des Hinschauens auf Christus als den Begegnungsort zwischen Gott und Mensch. Sie drückt die christologische Grundform unseres Betens aus. Daß man Christus in der aufgehenden Sonne symbolisiert findet, weist aber auch auf eine eschatologisch bestimmte Christologie hin. Die Sonne symbolisiert den wiederkehrenden Herrn, den endgültigen Sonnenaufgang der Geschichte. Nach Osten beten bedeutet: dem kommenden Christus entgegengehen. Liturgie, die nach Osten gerichtet ist, vollzieht gleichsam das Eintreten in die Prozession der Geschichte auf ihre Zukunft hin, auf den neuen Himmel und die neue Erde zu, die in Christus uns entgegengehen. Sie ist Gebet der Hoffnung, Beten unterwegs in der Richtung, in die das Leben Christi, seine Passion und seine Auferstehung uns weisen. Weil es so ist, wurde sehr früh schon in Teilen der Christenheit die Ostrichtung durch das Kreuz unterstrichen. Das mochte sich aus einer Verbindung von Apk 1,7 und Mt 24,30 ergeben. In der Offenbarung des Johannes heißt es: »Siehe, er kommt auf den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch jene, die ihn durchbohrten, und wehklagen werden über ihn alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen.« Der Apokalyptiker lehnt sich hier an Joh 19,32 an, wo am Ende der Kreuzigungsszene der geheimnisvolle Prophetentext Sach 12,10 zitiert wird, der nun plötzlich ganz konkreten Sinn gewinnt: »Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben.« Schließlich wird in Mt 24,30 das folgende Herrenwort überliefert: »Dann [am Ende der Tage] wird das Zeichen des Menschensohnes erscheinen, und wehklagen werden alle Stämme der Erde [Sach 12,10]. Und sie werden den Menschensohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels [Dan 7,13] mit großer Macht und Herrlichkeit.« Das Zeichen des Menschensohnes, des Durch-bohrten, ist das Kreuz, das nun zum Siegeszeichen des Auferstandenen geworden ist. So gehen der Symbolismus des Kreuzes und des Orients ineinander über; beide sind Ausdruck ein und desselben Glaubens, in dem die Erinnerung an Jesu Pascha Gegenwart schafft und ihr die Dynamik der Hoffnung gibt, die dem Kommenden entgegengeht. Schließlich bedeutet diese Wendung nach Osten aber auch, daß Kosmos und Heilsgeschichte zusammengehören. Der Kosmos betet mit, auch er wartet auf die Erlösung. Gerade diese kosmische Dimension ist der christlichen Liturgie wesentlich. Sie vollzieht sich nie nur in der selbstgemachten Welt des Menschen. Sie ist immer kosmische Liturgie – das Thema Schöpfung gehört in das christliche Gebet hinein. Es verliert seine Größe, wenn es diesen Zusammenhang vergißt. Deswegen sollte man die apostolische Tradition der Ostung im Kirchenbau wie im Vollzug der Liturgie unbedingt wieder aufgreifen, wo immer es möglich ist. Wir werden auf dieses Thema zurückkommen, wenn wir von der Ordnung des liturgischen Betens sprechen.

Die zweite Neuerung gegenüber der Synagoge besteht darin, daß ein völlig neues Element erscheint, das es in der Synagoge nicht geben konnte: An der Ostwand bzw. an der Apsis steht nun der Altar, auf dem das eucharistische Opfer gefeiert wird. Eucharistie ist – wir sahen es – Eintreten in die himmlische Liturgie, Gleichzeitigwerden mit dem Anbetungsakt Jesu Christi, in den er durch seinen Leib die Zeit der Welt hineinnimmt und zugleich immerfort über sich hinausführt, aus sich herausreißt in die Gemeinschaft der ewigen Liebe hinein. So bedeutet der Altar ein Hereintreten des Orients in die versammelte Gemeinschaft und ein Hinausgehen der Gemeinschaft aus dem Kerker dieser Welt durch den nun offenen Vorhang hindurch, Teilhabe am Pascha, am »Übergang« von der Welt zu Gott, den Christus eröffnet hat. Es ist klar, daß der Altar in der Apsis zum » Oriens« hinblickt und zugleich selbst ein Stück davon ist. Hatte man in der Synagoge über die »Bundeslade«, den Schrein des Wortes, hinweg nach Jerusalem geblickt, so hat sich mit dem Altar ein neuer Schwerpunkt ergeben: In ihm ist – um es zu wiederholen – das nun neu gegenwärtig, was vorher der Tempel bedeutet hatte. Er dient ja unserer Gleichzeitigkeit mit dem Opfer des Logos. Er hält so den Himmel in die versammelte Gemeinschaft hinein, oder vielmehr: Er führt sie über sich hinaus in die Gemeinschaft der Heiligen aller Orte und aller Zeiten. Wir könnten auch sagen: Der Altar ist gleichsam der Ort des aufgerissenen Himmels; er schließt den Kirchenraum nicht ab, sondern auf– in die ewige Liturgie hinein. Wir werden über die praktischen Konsequenzen dieser Bedeutung des christlichen Altars hernach zu sprechen haben, weil ja die Frage nach der richtigen Stellung des Altars im Zentrum der nachkonziliaren Auseinandersetzungen steht.

Zunächst aber müssen wir die aus dem Wesen des christlichen Glaubens folgenden Umgestaltungen der Synagoge noch vervollständigen. Da ist als Drittes zu bemerken, daß der Schrein des Wortes erhalten bleibt, auch was seinen Ort im Kirchengebäude angeht, aber notwendigerweise gibt es auch hier eine wesentliche Neuerung. Zur Thora treten die Evangelien, von denen her sich erst der Sinn der Thora aufschließt: »Über mich hat Mose geschrieben«, sagt Christus (Joh 5,46). Der Schrein des Wortes, die »Bundeslade«, wird nun zum Thron des Evangeliums, das freilich die »Schriften« nicht aufhebt, nicht beiseiteschiebt, sondern sie deutet, so daß sie immerfort auch die »Schriften« der Christen bilden und ohne sie das Evangelium ohne Fundament wäre. Der Synagogenbrauch, den Schrein mit einem Vorhang zu verhüllen, um die Heiligkeit des Wortes auszudrücken, wird beibehalten. Es ergibt sich ganz von selbst, daß auch der neue, zweite heilige Ort, der Altar, mit einem Vorhang umgeben wird, aus dem sich in der Kirche des Ostens die Ikonostase entwickelt hat. Die Zweiheit der heiligen Orte wurde für den Vollzug der Liturgie bedeutsam: Bei der Liturgie des Wortes war die Gemeinde um den Schrein der heiligen Bücher bzw. um die ihm zugeordnete Cathedra versammelt, die ganz von selbst aus der Cathedra des Mose zum Stuhl des Bischofs wurde. Wie der Rabbi nicht aus eigener Vollmacht redete, so auch der Bischof, der nun im Namen und Auftrag Christi die Bibel auslegt, so daß sie aus geschriebenem und vergangenem Wort wieder wird, was sie ist: gegenwärtige Anrede Gottes an uns. Nach dem Abschluß der Wortliturgie, bei der die Gläubigen um den Sitz des Bischofs stehen, pilgern alle gemeinsam mit dem Bischof zum Altar, und nun ertönt der Zuruf: Conversi ad Dominum – Wendet euch dem Herrn zu, das heißt: Blickt nun gemeinsam mit dem Bischof nach Osten, im Sinn des Wortes aus dem Hebräerbrief: »Laßt uns aufblicken zu Jesus, dem Begründer und Vollender des Glaubens ...« (12,2). Die eucharistische Liturgie vollzieht sich im Aufblick zu Jesus, ist Aufblick zu ihm. Die Liturgie hat also im frühen Kirchenbau zwei Orte. Da ist als erstes der Wortgottesdienst in der Mitte des Raumes, bei dem die Gläubigen um das »Bema« gruppiert sind, den erhöhten Bereich, in dem sich der Thron des Evangeliums, der Sitz des Bischofs und die Lesepulte befanden. Die eigentliche Eucharistiefeier hat ihren Ort in der Apsis, beim Altar, den die Gläubigen »umstehen«, die alle gemeinsam mit dem Zelebranten nach Osten, zum kommenden Herrn hingewendet sind.

Schließlich ist ein letzter Unterschied zwischen der Synagoge und dem frühesten Kirchenbau zu erwähnen: In Israel galt nur die Anwesenheit der Männer als konstitutiv für den Gottesdienst. Nur auf sie bezog man das in Ex 19 beschriebene allgemeine Priestertum. Die Frauen konnten daher in der Synagoge nur auf Tribünen oder Logen Platz finden. In der Kirche Christi gab es von den Aposteln, von Jesus her eine solche Unterscheidung nicht. Auch wenn den Frauen der öffentliche Dienst des Wortes nicht anvertraut wurde, so waren sie doch genau wie die Männer in den Gottesdienst als ganzen einbezogen. Deshalb fanden sie nun – freilich getrennt von den Männern – Platz im heiligen Raum selbst, um das Bema so wie um den Altar.

DER ALTAR UND DIE GEBETSRICHTUNG IN DER LITURGIE

Die bisher beschriebene Umgestaltung der Synagoge auf den christlichen Gottesdienst hin läßt – wir sagten es schon – Kontinuität und Neuheit im Verhältnis von Altem zu Neuem Testament auch architektonisch sehr deutlich erkennen. Damit war der räumliche Ausdruck für den eigentlich christlichen Gottesdienst, die Eucharistiefeier, mit dem ihr zugeordneten Dienst des Wortes geschaffen. Es ist klar, daß weitere Entwicklungen nicht nur möglich, sondern nötig wurden. Die Taufe mußte den ihr zugeordneten Raum finden. Das Sakrament der Buße hat einen sehr langen Entwicklungsweg durchlaufen, dessen Ergebnis in die Gestalt des Kirchenbaues eintreten mußte. Die Volksfrömmigkeit hat sich in ihren je verschiedenen Gestalten notwendigerweise auch im Gottesdienstraum ausgedrückt. Die Frage der Bilder war zu klären, die Kirchenmusik in das Raumgefüge einzuordnen. Aber auch der architektonische Kanon von Wort- und Sakramentsgottesdienst, den wir kennenlernten, war nicht starr; freilich muß bei allen Entwicklungen und Neugestaltungen die Frage gestellt werden: Was entspricht dem Wesen des Gottesdienstes und was führt von ihm weg? Für diese Frage richtet die Gestalt der Gottesdiensträume der semitisch sprechenden und denkenden Christenheit, die wir eben betrachtet haben, Maßstäbe auf, die man nicht übergehen darf. Vor allem aber ist über alle Variationen hinaus bis tief ins 2. Jahrtausend hinein für die ganze Christenheit eines klar geblieben: Die Gebetsrichtung nach Osten ist Tradition vom Anfang her und grundlegender Ausdruck der christlichen Synthese von Kosmos und Geschichte, von Verankerung im Einmaligen der Heilsgeschichte und von Zugehen auf den kommenden Herrn. Die Treue zum schon Geschenkten wie die Dynamik des Vorwärtsgehens drücken sich in ihr gleichermaßen aus.

Der heutige Mensch hat wenig Verständnis für eine solche »Orientierung«. Während es für Judentum und Islam nach wie vor selbstverständlich ist, daß man zum zentralen Offenbarungsort hin betet – zu dem Gott, der sich uns gezeigt hat, wie und wo er sich gezeigt hat – ist in der westlichen Welt ein abstraktes Denken herrschend geworden, das in gewisser Hinsicht sogar Frucht der christlichen Entwicklung ist. Gott ist geistig, und Gott ist überall: Heißt das nicht, daß Beten an keinen Ort und an keine Richtung geknüpft ist? In der Tat, wir können überall beten, und Gott ist uns überall erreichbar. Diese Universalität des Gottesgedankens ist Folge der christlichen Universalität, des christlichen Hinschauens zu dem Gott über allen Göttern, der den Kosmos umgreift und uns innerlicher ist als wir uns selbst. Aber dieses Wissen um die Universalität ist doch Frucht von Offenbarung: Gott hat sich uns gezeigt. Nur deswegen kennen wir ihn, nur deswegen können wir vertrauensvoll überall zu ihm beten. Und eben deswegen ist es auch nach wie vor angemessen, daß im christlichen Beten sich die Zuwendung zu dem Gott ausdrückt, der sich uns offenbart hat. Und wie Gott selbst Leib angenommen hat, in Raum und Zeit der Erde eingetreten ist, so ist es dem Gebet – mindestens dem gemeinsamen Gottesdienst – angemessen, daß unser Reden mit Gott »inkarnatorisch« sei, daß es christologisch sei, durch die Vermittlung des Menschgewordenen sich an den dreifaltigen Gott wende. Das kosmische Symbol der aufgehenden Sonne drückt die Universalität über alle Orte aus und hält doch die Konkretheit der Gottesoffenbarung fest. Unser Beten fügt sich so in die Prozession der Völker zu Gott ein.

Aber wie steht es mit dem Altar? Wohin beten wir in der eucharistischen Liturgie? Während im byzantinischen Kirchenbau im großen und ganzen die eben geschilderte Struktur beibehalten wurde, hat sich in Rom eine etwas andere Anordnung entwickelt. Der Bischofsstuhl wurde in die Mitte der Apsis verlegt; demgemäß wurde der Altar in das Kirchenschiff gerückt. So scheint es in der Laterankirche und in Santa Maria Maggiore noch bis ins 9. Jahrhundert gewesen zu sein. In der Peterskirche rückte hingegen unter Gregor dem Großen (590-604) der Altar nahe an den Bischofssitz heran, wohl einfach, weil er möglichst über dem Grab des heiligen Petrus stehen sollte. Daß wir das Opfer des Herrn in der alle Zeiten übergreifenden Gemeinschaft der Heiligen feiern, erfuhr so einen sinnfälligen Ausdruck. Die Sitte, den Altar über den Martyrergräbern zu errichten, reicht wohl weit zurück und entspricht demselben Motiv: Die Martyrer führen die Hingabe Christi die Geschichte hindurch fort; sie sind gleichsam der lebendige Altar der Kirche, der nicht aus Stein besteht, sondern aus den Menschen, die Glieder von Christi Leib wurden und so den neuen Kult ausdrücken: Opfer ist die mit Christus zur Liebe werdende Menschheit. Es scheint, daß die Anordnung der Peterskirche dann auch in vielen römischen Stationskirchen nachgeahmt wurde.

Die umstrittenen Einzelheiten dieser Vorgänge sind für unsere Überlegung nicht wesentlich. Der Disput unseres Jahrhunderts ist vielmehr durch eine andere Neuerung ausgelöst worden. Von den topographischen Umständen her ergab es sich, daß die Peterskirche nach Westen blickte. Wollte also der zelebrierende Priester – wie es die christliche Gebetsüberlieferung verlangt – nach Osten blicken, so stand er hinter dem Volk und schaute demgemäß – so ist die Schlußfolgerung – zum Volk hin. Aus welchen Gründen auch immer kann man im direkten Einflußbereich von St. Peter in einer Reihe von Kirchenbauten diese Anordnung sehen. Die liturgische Erneuerung unseres Jahrhunderts hat diese vermutete Gestalt aufgegriffen und so aus ihr eine neue Idee der gottesdienstlichen Form entwickelt: Eucharistie müsse versus populum (zum Volk hin) zelebriert werden; der Altar müsse – wie es in der normativen Gestalt von St. Peter zu sehen sei – so aufgestellt werden, daß Priester und Volk sich gegenseitig anblicken und gemeinsam den Kreis der Feiernden bilden. Nur das entspreche dem Sinn der christlichen Liturgie, dem Auftrag aktiver Beteiligung. Nur so entspreche man auch dem Urbild des Letzten Abendmahles. Diese Schlußfolgerungen erschienen schließlich so überzeugend, daß nach dem Konzil (das selber nicht von der »Wendung zum Volk hin« spricht) allenthalben neue Altäre errichtet wurden; die Zelebrationsrichtung versus populum erscheint heute geradezu als die eigentliche Frucht der liturgischen Erneuerung durch das II. Vaticanum. In der Tat ist sie die sichtbarste Folge von Neugestaltung, die nicht nur eine äußere Anordnung liturgischer Orte bedeutet, sondern auch eine neue Idee vom Wesen der Liturgie als gemeinschaftlichem Mahl einschließt.

Der Sinn der römischen Basilika und ihrer Aufstellung des Altars ist damit freilich mißverstanden, und auch die Vorstellung vom Letzten Mahl Jesu ist mindestens ungenau. Hören wir dazu Louis Bouyer: »Die Idee, die Feier versus populum sei die ursprüngliche Form und besonders diejenige des Letzten Abendmahls gewesen, beruht ganz einfach auf der irrigen Vorstellung eines christlichen oder auch nicht-christlichen Gastmahls im Altertum. Nie hatte der Vorsitzende der Tafelgesellschaft in der frühchristlichen Zeit seinen Platz den anderen Teilnehmern gegenüber. Alle saßen oder lagen an der konvexen Seite eines Sigma- oder hufeisenförmigen Tisches . . . Nirgends im christlichen Altertum hätte die Idee aufkommen können, der Vorsitzende eines Mahles müsse seinen Platz versus populum einnehmen. Der gemeinschaftliche Charakter eines Mahls wurde gerade durch die gegenteilige Anordnung betont, nämlich durch die Tatsache, daß alle Teilnehmer sich an derselben Seite des Tisches befanden« (54 f).

Dieser Analyse der »Mahlgestalt« ist nun freilich hinzuzufügen, daß die Eucharistie der Christen mit dem Begriff »Mahl« überhaupt nicht zulänglich beschrieben werden kann. Denn der Herr hat das Neue des christlichen Kultes zwar im Rahmen eines jüdischen (Pascha-)Mahles gestiftet, aber nur dies Neue und nicht das Mahl als solches zur Wiederholung aufgetragen. Das Neue hat sich daher sehr bald aus dem alten Kontext gelöst und seine ihm gemäße, eigene Gestalt gefunden, die zunächst schon dadurch vorgegeben war, daß Eucharistie auf das Kreuz zurückverweist und damit auf die Umwandlung des Tempelopfers in den logosgemäßen Gottesdienst. So ergab es sich nun auch, daß die synagogale Wortliturgie, christlich erneuert und vertieft, mit dem Gedächtnis von Christi Tod und Auferstehung zur »Eucharistie« verschmolz und gerade so die Treue zum Auftrag »Tut dies« verwirklicht wurde. Diese neue Gesamtgestalt war als solche nicht einfach vom Mahl abzuleiten, sondern aus dem Zusammenhang von Tempel und Synagoge, von Wort und Sakrament, von kosmischer und geschichtlicher Dimension zu bestimmen. Sie drückt sich eben in der Form aus, die wir in der liturgischen Struktur der frühen Kirchen der semitischen Christenheit fanden. Sie ist selbstverständlich auch für Rom grundlegend geblieben. Ich zitiere dazu noch einmal Bouyer: »Niemals und nirgends zuvor (das heißt vor dem 16. Jahrhundert) findet sich ein Hinweis darauf, daß der Frage, ob der Priester mit dem Volk vor oder hinter sich zelebrierte, die geringste Bedeutung beigemessen oder auch nur Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Professor Cyrille Vogel hat nachgewiesen: wenn überhaupt auf etwas Gewicht gelegt wurde, so darauf, daß der Priester das eucharistische Gebet wie alle anderen Gebete nach Osten hin gewendet sprechen sollte … Selbst wenn die Orientierung der Kirche dem Priester erlaubte, am Altar dem Volk zugewendet zu beten, so dürfen wir nicht vergessen, daß nicht der Priester allein sich nach Osten wandte, sondern die ganze Versammlung mit ihm« (56).

Diese Zusammenhänge waren freilich im Kirchenbau und im liturgischen Vollzug der Neuzeit verdunkelt oder ganz aus dem Bewußtsein gefallen. Nur so läßt es sich erklären, daß nun die gemeinsame Gebetsrichtung von Priester und Volk als »Zelebrieren zur Wand hin« oder »dem Volk den Rücken zeigen« etikettiert wurde und damit jedenfalls als absurd und völlig unannehmbar erscheinen mußte. Nur so ist es zu erklären, daß nun das Mahl – noch dazu in neuzeitlichen Bildern gedacht – zur normativen Idee für die liturgische Feier der Christen wurde. In Wahrheit ist damit eine Klerikalisierung eingetreten, wie sie vorher nie existiert hatte. Nun wird der Priester – der Vorsteher, wie man ihn jetzt lieber nennt – zum eigentlichen Bezugspunkt des Ganzen. Alles kommt auf ihn an. Ihn muß man sehen, an seiner Aktion teilnehmen, ihm antworten; seine Kreativität trägt das Ganze. Verständlich, daß man diese eben erst geschaffene Rolle nun wieder zu reduzieren versucht, indem man vielfältige Aktivitäten verteilt und die »kreative« Gestaltung vorbereitenden Gruppen anvertraut, die vor allem »sich selbst einbringen« wollen und sollen. Immer weniger steht Gott im Blickfeld, immer wichtiger wird alles, was die Menschen tun, die sich hier treffen und schon gar nicht sich einem »vorgegebenen Schema« unterwerfen wollen. Die Wendung des Priesters zum Volk formt nun die Gemeinde zu einem in sich geschlossenen Kreis. Sie ist – von der Gestalt her – nicht mehr nach vorne und oben aufgebrochen, sondern schließt sich in sich selber. Die gemeinsame Wendung nach Osten war nicht »Zelebration zur Wand«, bedeutete nicht, daß der Priester »dem Volk den Rücken zeigt«: So wichtig war er gar nicht genommen. Denn wie man in der Synagoge gemeinsam nach Jerusalem blickte, so hier gemeinsam »zum Herrn hin«. Es handelte sich – wie es einer der Väter der Liturgiekonstitution des II. Vaticanums, J. A. Jungmann, ausdrückte – vielmehr um Gleichrichtung von Priester und Volk, die sich gemeinsam in der Prozession zum Herrn hin wußten. Sie schließen sich nicht zum Kreis, schauen sich nicht gegenseitig an, sondern sind als wanderndes Gottesvolk im Aufbruch zum Oriens, zum kommenden Christus, der uns entgegengeht.

Aber ist das nicht alles Romantik und Schwärmerei für Vergangenes? Kann uns die Urform des christlichen Betens heute noch etwas sagen, oder müssen wir nicht einfach unsere Form, die Form für unsere Zeit finden? Natürlich kann man nicht einfach das Vergangene nachahmen wollen. Jede Zeit muß das Wesentliche neu finden und ausdrücken. So kommt es darauf an, dies Wesentliche durch die wechselnden Erscheinungen hindurch zu entdecken. Es wäre sicher verfehlt, die neuen Gestaltungen unseres Jahrhunderts in Bausch und Bogen zu verwerfen. Es war berechtigt, den oft allzu weit von den Gläubigen entfernten Altar wieder an das Volk heranzurücken, wobei man ja in Domkirchen ohnedies auf die Tradition des Kreuzaltars zurückgreifen konnte, der im Übergang vom Presbyterium zum Schiff seinen Platz gefunden hatte. Wichtig war es auch, den Ort des Wortgottesdienstes wieder deutlich vom eigentlich eucharistischen Gottesdienst abzuheben, denn hier geht es tatsächlich um Anrede und Antwort, und so ist ein Gegenüber von Verkündern und Hörern sinnvoll, die im Psalm das Gehörte verarbeiten, in sich aufnehmen und in Gebet umwandeln, so daß es Antwort wird. Wesentlich bleibt dagegen die gemeinsame Wendung nach Osten beim Hochgebet. Hier geht es nicht um Zufälliges, sondern um Wesentliches. Nicht der Blick auf den Priester ist wichtig, sondern der gemeinsame Blick auf den Herrn. Nicht um Dialog geht es nun, sondern um gemeinsame Anbetung, um den Aufbruch zum Kommenden hin. Nicht der geschlossene Kreis entspricht dem Wesen des Geschehens, sondern gemeinsamer Aufbruch, der sich in gemeinsamer Richtung ausdrückt.

Gegen diese von mir schon früher vorgetragenen Einsichten hat A. Häußling verschiedene Einwände vorgebracht. Den ersten habe ich eben schon berührt. Diese Ideen seien Romantik des Früheren, verfehlte Sehnsucht nach Vergangenem. Es sei merkwürdig, daß ich nur vom Altchristlichen spreche und die ganzen folgenden Jahrhunderte überspringe. Von seiten eines Liturgiewissenschaftlers ist dies ein bemerkenswerter Einwand, denn die Problematik eines großen Teils der modernen Liturgiewissenschaft sehe ich gerade darin, daß sie nur das Alte als ursprungsgemäß und daher maßgebend anerkennen möchte und alles Spätere, das dann im Mittelalter und von Trient her entwickelt wurde, als Abfall ansieht. So kommt man zu fragwürdigen Rekonstruktionen des Ältesten, zu wechselnden Maßstäben und damit zu ständig neuen Gestaltungsvorschlägen, die letztlich die lebendig gewachsene Liturgie auflösen. Demgegenüber ist es wichtig und notwendig zu sehen, daß nicht das Alte an sich und als solches Maßstab sein kann und daß das später Gewordene nicht automatisch als ursprungsfremd eingestuft werden darf. Es kann durchaus lebendige Entwicklung sein, in der der Same des Ursprungs reift und Frucht trägt. Wir werden auf diesen Gedanken gleich noch einmal zurückkommen müssen. In unserem Fall aber geht es, wie schon gezeigt, gerade nicht um romantische Flucht ins Alte, sondern um das Wiederentdecken des Wesentlichen, in dem christliche Liturgie ihre bleibende Richtung ausdrückt. Häußling meint freilich, die Wendung nach Osten, zur aufgehenden Sonne hin – das könne man doch heute nicht mehr in die Liturgie einzubringen versuchen. Wirklich nicht? Geht uns heute der Kosmos nicht mehr an? Sind wir heute wirklich rettungslos in unseren eigenen Kreis eingehaust? Ist es nicht gerade heute wichtig, mit der ganzen Schöpfung zu beten? Ist es nicht gerade heute wichtig, der Dimension der Zukunft, der Hoffnung auf den wiederkommenden Herrn Raum zu geben, die Dynamik auf die neue Schöpfung wieder als Wesensform der Liturgie zu erkennen, zu leben?

Ein weiterer Einwand ist, man brauche nicht auf den Osten und nicht auf das Kreuz hinzuschauen, sondern wenn Priester und Gläubige sich gegenseitig anblickten, so würden sie ja gerade im Menschen das Bild Gottes anschauen, und deshalb sei die Zuwendung zueinander die richtige Gebetsrichtung. Es fällt mir schwer zu glauben, daß der berühmte Rezensent diese Einrede ernst gemeint hat. Denn so einfach sieht man das Bild Gottes im Menschen nicht. »Bild Gottes« ist im Menschen ja nicht das, was man fotografieren oder was man mit dem bloßen fotografischen Zublick sehen kann. Sicher, man kann es sehen, aber nur mit dem neuen Sehen des Glaubens. Man kann es sehen, so wie man in einem Menschen die Güte, die Redlichkeit, die innere Wahrheit, die Demut, die Liebe sehen kann – das, was ihn gottähnlich macht. Aber eben dazu muß man das neue Sehen lernen, und dazu ist die Eucharistie auch da.

Wichtiger ist ein praktischer Einwand. Sollen wir nun wieder alles umstellen? Nichts ist für die Liturgie schädlicher als das ständige Machen, auch wenn es sich um wirkliche Erneuerung zu handeln scheint. Ich sehe einen Ausweg in einem Hinweis, der sich im Anschluß an Einsichten von Erik Peterson ergibt. Die Richtung nach Osten wurde, wie wir hörten, mit dem »Zeichen des Menschensohns« in Verbindung gebracht, mit dem Kreuz, das die Wiederkunft des Herrn ankündigt. So wurde der Osten sehr früh mit dem Kreuzeszeichen verbunden. Wo die direkte gemeinsame Zuwendung zum Osten nicht möglich ist, kann das Kreuz als der innere Osten des Glaubens dienen. Es sollte in der Mitte des Altares stehen und der gemeinsame Blickpunkt für den Priester und für die betende Gemeinde sein. So folgen wir dem alten Gebetsruf, der an der Schwelle der Eucharistie stand: »Conversi ad Dominum« – Wendet euch zum Herrn hin. So schauen wir zusammen auf den, dessen Tod den Tempelvorhang aufgerissen hat – auf den, der für uns vor dem Vater steht und uns in seine Arme schließt, uns zum lebendigen neuen Tempel macht. Zu den wahrhaft absurden Erscheinungen der letzten Jahrzehnte zähle ich es, daß man das Kreuz auf die Seite stellt, um den Blick zum Priester freizugeben. Stört das Kreuz bei der Eucharistie? Ist der Priester wichtiger als der Herr? Diesen Irrtum sollte man so schnell wie möglich korrigieren; das geht ohne neuerliche Umbauten. Der Herr ist der Bezugspunkt. Er ist die aufgehende Sonne der Geschichte. Daher kann es sich sowohl um ein Passionskreuz handeln, das den Leidenden vergegenwärtigt, der seine Seite für uns durchbohren ließ, aus der Blut und Wasser – Eucharistie und Taufe – strömen, wie es sich um ein Triumphkreuz handeln kann, das den Gedanken der Wiederkunft ausdrückt und den Blick auf sie hinlenkt. Denn immer ist es der eine Herr: »Christus gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8).
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Entschuldigt das ausführliche Zitat, aber es lohnt sich, denke ich,
auch wenn der heutige Bischof von Rom hier nicht fachwissen-
schaftlich argumentiert, sondern die Erkenntnisse der Disziplin
voraussetzt, vermittelt und weitere Betrachtungen daran knüpft.

Zugleich soll das Zitat natürlich auch eine Werbung für das ganze
Buch sein.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Stephen Dedalus
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Re: Conversi ad Dominum

Beitrag von Stephen Dedalus »

Yeti hat geschrieben:Allerdings habe ich in den Vorlesungen für Liturgiewissenschaft noch nie von archäologischen Beweisen für eine Zelebration versus populum in der Ur- oder Frühkirche gehört, auch in der einschlägigen Fachliteratur, die ich für meine Prüfungen durcharbeiten musste, war davon keine Rede.
U M Lang geht ausführlich auf das Buch von Nußbaum ein, das offenbar recht einflußreich war und klar die These vertritt, daß in der Frühen Kirche eine Zelebration versus populum üblich war (wenn auch nicht ausschließlich). Sicher findest Du das Buch in der Bibliothek in Freiburg.


Über dieses Thema habe ich allerdings ein anderes Buch gelesen, welches zumindest im deutschsprachigen Raum einiges Aufsehen erregt haben soll: "Häresie der Formlosigkeit - Die römische Liturgie und ihr Feind" von Martin Mosebach.
Ich wiederum habe das Buch von Mosebach nicht gelesen, sondern kenne nur Artikel von ihm. Mir scheint allerdings der Hauptunterschied zwischen beiden Büchern darin zu liegen, daß Mosebach in erster Linie ästhetisch und kulturgeschichtlich argumentiert, während Pater Lang ganz klar eine liturgiegeschichtliche und theologische Argumentation hat. Ich habe mal einen längeren Artikel von Mosebach gelesen und hatte den Eindruck, daß bei ihm ein gehöriges Maß an Nostalgie mitspielte. Mosebach mag erbaulich sein, aber das Buch von Lang ist imho wesentlich relevanter.

Was John Henry Newman betrifft, hatte ich immer den Eindruck, daß ihm die die Problematik der Zelebration der Hl. Messe versus orientem bzw. versus populum eher ein Marginalium war (was nicht bedeuten soll, es sei ihm unwichtig gewesen), aber auch schon in seiner Zeit in der Oxford-Bewegung und letztendlich in seinem Entschluß zum Übertritt in die römisch-katholische Kirche war wohl die Frage am wichtigsten, welche Kirche die wahre sei.
Newman war mit der klassischen "Prayer Book Celebration" nicht glücklich, aber es war für ihn auch kein Problem, sie beizubehalten, solange er Anglikaner war. Man muß sehen, daß Newman, Froude und Keble in der Frühphase des Oxford Movement auch keinerlei Änderungen am Ritus vorgenommen haben. Das Hauptanliegen der Traktarianer war in diesen Jahren, durch theologische Reflexion den katholischen Gehalt der anglikanischen Tradition wieder freizulegen (oder zurückzugewinnen - je nach Blickwinkel). Die natürliche Folge davon war, daß man die katholischen Inhalte später auch im Ritus umsetzen wollte. Dies war aber die zweite Generation, das sog. Cambridge Movement, von dem die liturgische Ausgestaltung der Kirchen und die gesamte Architektur beeinflußt wurde (ein wunderbares Beispiel ist etwa die Kirche All Saints Margaret Street in London). Mit diesem anglikanischen Ritualismus kam auch die Zeit der großen Schauprozesse um Fragen der Zelebration (Kerzen, Weihrauch, Elevation, Kniebeugen, eastward celebration etc.). Meines Wissens waren aber diese Prozesse erst ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, da war Newman schon längst über den Tiber...

Viele Grüße
SD

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Yeti
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Re: Conversi ad Dominum

Beitrag von Yeti »

Stephen Dedalus hat geschrieben:U M Lang geht ausführlich auf das Buch von Nußbaum ein, das offenbar recht einflußreich war und klar die These vertritt, daß in der Frühen Kirche eine Zelebration versus populum üblich war (wenn auch nicht ausschließlich). Sicher findest Du das Buch in der Bibliothek in Freiburg.
Das stimmt, in der UB ist sogar schon die dritte Auflage vorhanden. Wundert mich auch nicht, als meine britische Verlobte hier englischsprachige (!) Fachbücher suchte, fand sie es sofort, wogegen sie in ihrer Uni in Cambridge danach vergeblich suchte. Ganz so schlecht wie immer geredet wird scheint der Studienstandort Deutschland doch nicht zu sein :) . In einem Monat wenn ich zeitlich wieder freier bin werd ich's durchlesen. Ich habe über Langs Buch nun auch eine Rezension gelesen.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Ich wiederum habe das Buch von Mosebach nicht gelesen, sondern kenne nur Artikel von ihm. Mir scheint allerdings der Hauptunterschied zwischen beiden Büchern darin zu liegen, daß Mosebach in erster Linie ästhetisch und kulturgeschichtlich argumentiert, während Pater Lang ganz klar eine liturgiegeschichtliche und theologische Argumentation hat. Ich habe mal einen längeren Artikel von Mosebach gelesen und hatte den Eindruck, daß bei ihm ein gehöriges Maß an Nostalgie mitspielte. Mosebach mag erbaulich sein, aber das Buch von Lang ist imho wesentlich relevanter.
Es geht ja gar nicht um ein irgend wie auch immer geartetes "Konkurrenzverhältnis" dieser beiden Bücher, im Gegenteil, nach dem Lesen Deiner obigen Rezension und derjenigen, welche ich verlinkt habe, habe ich viel eher den Eindruck, daß beide, sowohl Lang als auch Mosebach, in "dieselbe Kerbe hauen", sprich daß beide zu recht ähnlichen Schlußfolgerungen kommen, allerdings natürlich mit verschiedenen Methoden, wobei Ästhetik und Kulturgeschichte in der Liturgiewissenschaft eine sehr große Rolle spielen, Deiner Rezension nach scheint sich Lang auch auf die archäologische Komponente zu berufen. Daß bei Texten von Mosebach speziell zu diesem Thema auch die Nostalgie eine Rolle spielt, kann sicher nicht ausgeschlossen werden, schliesslich ist er Schriftsteller und hat damit ein wesentlich breiteres sprachliches Instrumentarium an Stilmitteln zur Hand als jemand, der "lediglich" auf die vergleichsweise nüchterne Sprache der Wissenschaft angewiesen ist. Das heißt aber nicht, daß es für einen Theologen nicht würdig wäre es zu lesen, im Gegenteil. Mosebach schreibt ja davon, was ihn und offenbar auch andere Menschen bewegt; ohnehin läuft jeder Theologe große Gefahr, von den Gläubigen nicht mehr verstanden zu werden. Offenbar aber wird auch "Nostalgie" als solche vor allem mit etwas Negativem verbunden, hier gibt es auch Berührungspunkte mit der inhaltlichen Wandlung von Begriffspaaren (alt=schlecht, neu=gut). Ein deutsches Wort als Widerpart zu "Nostalgie" (in diesem Fall also die Sehnsucht nach dem was noch nicht ist, also in der Zukunft) fällt mir nicht ein, theologisch würde ich lediglich sagen "eschatologische Hoffnung". Es kann aber auch daran liegen, daß Mosebachs Buch generell von einigen pauschal verurteilt worden ist. Mag es auch an Maßstäbe für wissenschaftliche Literatur nicht herankommen (das will es auch gar nicht), so scheint es doch viele Menschen berührt zu haben, die in der totalen Verbannung des tridentinischen Ritus nach dem Konzil (was das Konzil nicht wollte) aus dem kirchlichen Leben einen großen geistlichen Verlust sahen und sehen; diese Gruppe - stellenweise ist sie ja schon zur Bewegung geworden - wird immer größer. Daß Mosebachs Buch - vielleicht auch wegen seiner "Nostalgie" oder sagen wir "Einfachheit" - mehr Verbreitung gefunden hat ist auch aus der Rezension ersichtlich. Im Internet wirst Du viele Rezension aus "beiden Lagern" dazu finden können.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Zugleich bewertet er die Zelebrationsrichtung im NOM zwar nicht als generell negativ (jede Zelebration ist in seinen Augen eine Zelebration ad Deum, oder besser: sie sollte es sein!), sie wird anhand einiger Zitate aber doch in einen negativen Kontext gestellt ("anthropozentrisch", die Gemeinde feiert sich selbst, die Gemeinde bildet einen geschlossenen Kreis, der den transzendentalen Charakter der Messe und vor allem ihre eschatologische Ausrichtung auf den wiederkommenden Herrn nicht mehr erkennen läßt). Diese Argumente sind ebenfalls theologisch gewichtig, erscheinen mir aber als Kritik an der heute üblichen Zelebrationsform von außen übergestülpt.
Das glaube ich weniger. Ich glaube eher behaupten zu können, daß sie theologisch gewichtig und zumindest von einem nicht geringen Teil der Gläubigen mitgetragen werden. Ich denke daß man nicht vergessen dürfte, daß ein großer Teil der heutigen Kirchgänger in einem Alter ist, welches es ihnen das bewusste Mitfeiern einer Messe im tridentinischen Ritus noch wenigstens in ihrer Kindheit ermöglichte. Natürlich spielt auch hier die Nostalgie eine Rolle, deshalb muß man sich davor hüten, sie mit dem Stigma des Anachronismus zu behaften, es handelt sich hierbei ja um spirituelle Wünsche einer gar nicht so kleinen Gruppe; mittlerweile ja auch vieler jüngerer Menschen, vor allem in einigen Gruppen der sog. Charismatischen Erneuerung.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Hier hat sich unsere Wahrnehmung völlig verändert. Wenn nun aber in der Wahrnehmung der Gemeinde die theologischen Probleme der Zelebration versus populum nicht extistieren, ebenso aber die theologischen Vorzüge der Zelebration versus orientem nicht wahrgenommen werden (können?) - wie bedeutsam sind sie dann wirklich? Natürlich kann man im Sinne einer lex celebrandi - lex credendi argumentieren, daß die Gemeinde glaubt, wie sie feiert, unabhängig davon, wie sie den theologischen Gehalt selbst wahrnimmt und reflektiert. Das erscheint mir aber zu einfach. Lang weist zureicht auf die Gefahren hin, neigt aber imho dazu, aufgrund der historischen Begründung und alter theologischer Traditionen die Vorzüge der Zelebration versus orientem überzubewerten, während er beim NOM genau das Gegenteil tut.
Auch hier würde ich differenzieren. Die Wahrnehmung Einzelner hat sich verändert, nach dem Konzil und davor. Das ist vollkommen legitim, denn schliesslich wurde die heute vorherrschende Form der Zelebration im und mit dem Konzil legitimiert - wenn auch immer falsch verstandener Weise als ausschliessliche Zelebrationsform. Insofern könnte man sagen, daß sich die Wahrnehmung verändert hat - und zwar vor allem beim Diözesanklerus und den Seelsorgern - nämlich dahingehend daß ganz konkrete Nachfragen nach dem alten Ritus - sei es von Laien oder Theologen - selbst mit einem legitimen theologisch-spirituellem Bedarf abgelehnt oder zumindest verhindert werden, im günstigsten Falle toleriert werden; ein Gebaren übrigens, welches zumindest Außenstehenden mitunter den Eindruck eines gewissen nachkonziliaren Klerkalismus vermitteln kann. Offenbar geht es in vielen Fällen gar nicht mehr tatsächlich um die theologische Begründung bzw. den tatsächlichen theologisch-liturgischen Bedarf am alten Ritus versus orientem, sondern um eine Verweigerungshaltung. Selbst die Koexistenz des tridentinischen Ritus - nach dem Konzil begeht hoffentlich niemand mehr den Fehler der ausschliesslichen Gültigkeit - wird oft nicht zugestanden. Insofern müsste die Frage nach der überhaupt vorhandenen Problematik der Zelebration versus populum ja aufgrund der Empirie zu lösen sein.

Daß die Ausschliesslichkeit des Messritus versus populum mit dem einhergehenden nahezu im Verschwinden sich befindenden tridentinischen Ritus ein spiritueller, theologischer und liturgischer Verlust für die Kirche ist, meint sogar der des Traditionalismus sicher unverdächtige (s. Notifikation )Liturgiewissenschaftler Reinhard Meßner. Der in Innsbruck lehrende Theologe schreibt:

"Die ältester christlicher Tradition entstammende Gebetsrichtung nach Osten gibt das Ziel der Eucharistie wie der Weltgeschichte an: Die Gemeinde (auch der Priester) wendet sich dem zur Vollendung der Zeiten wiederkehrenden Christus zu, der als die wahre Sonne der Gerechtigkeit (Mal 3,20) im Gottesreich aufgehen wird, zugleich dem durch Christus wieder aufgeschlossenen Paradies, (das singen wir jedes Jahr in einem schönen Weihnachstlied, so könnte man das z.B. v.a. Kindern vermitteln, schön symbolisch; pers. Anm.) dem Garten im Osten (Gen 2,8 ). Die Gebetsorientierung hat somit eminent eschatologische Bedeutung, sie gibt der christlichen Existenz ihre Ausrichtung auf den kommenden Christus vor. Ihr derzeit fast allgemeiner Verlust in der römisch-katholischen Kirche ist ein eschatologisches Defizit." Quelle: Meßner, Reinhard: Einführung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn 2001; hier: S. 196

Meßner erwähnt übrigens zu diesem Thema u.a. auch das Buch von U. W. Lang.

Abschliessend möchte ich noch zu bedenken geben, daß ich bezweifle, ob der theologische Gehalt in seiner ganzen Breite des nachkonziliaren Ritus bei allen Gläubigen bzw. Messbesuchern präsent ist. Natürlich ist dies erst recht für den tridentinischen Ritus anzunehmen (übrigens alles Umstände, die durch eine gute Kateches bzw. eine als Katechese gehaltene Predigt behoben werden können); dies allerdings kann kaum oder zumindest nicht ein Hauptkriterium sein, da man sonst sämtliche sakramentale Handlungen und Riten in der Kirche wegfallen lassen könnte. Ich halte es nämlich für unwahrscheinlich, daß jeder Täufling (ich denke natürlich an die Erwachsenentaufe) oder Firmling, ja sogar jedes Brautpaar sich dessen bewusst ist, was Christus durch die Kirche an ihnen vollzieht. Dennoch hielte ich es für falsch einem Täufling seinen Taufwunsch aufgrund seines fehlenden Glaubensverständnisses vorzuenthalten (von der Vorenthaltung wird sogar ausdrücklich abgeraten (s. Sakramentenpastoral im Wandel, 1993). Da die Eucharistie auch im tridentinischen Ritus wie auch alle anderen Sakramente letztlich - ohne magisches Verständnis - sich in den Bereich der Wirkmächtigkeit der Gnade Gottes begibt, muß ich selbst bei fehlendem Wissen die Hoffnung nicht verlieren. Das gilt auch gewiss in dem Fall, wenn ich obschon unkundig der theologischen und liturgischen Inhalte des tridentinischen Ritus dennoch eine solche Messe aus einer wie auch immer gearteten Sehnsucht oder vielleicht auch Nostalgie mitfeiern möchte.

Gruß, Yeti

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