Lutheraner hat geschrieben:So wie ich das verstehe, wurde sie gerade dadurch, dass sie (angeblich) frei von der Erbsünde war, in den Zustand versetzt völlig frei entscheiden zu können. Ihre Entscheidung für Gott wäre demnach völlig aus freiem Willen geschehen und nicht auf die Gnade Gottes zurückzuführen.
Hallo Lutheraner,
ich versuche mal zu antworten, aber das dauert etwas länger.
Dass Maria - im römisch-katholischen Verständnis - frei von der Erbsünde war (immaculata conceptio=unbefleckte Empfängnis) ist auch allein auf die Gnade Gottes zurückzuführen. Wenn wir das mal lutherisch übertragen wollen (und ich glaube das kann man durchaus), dann könnte man sagen, dass Gott sich sein Gefäß gereinigt hat, durch das er in diese Welt kommen wollte. Dieses "Gefäß" musste gereinigt werden, weil er durch Maria die ganze Menschheit annehmen wollte. Wenn man so will: Die ganze menschliche Natur in Christus stammt von Maria, der reinen Jungfrau. Die Zitate aus den lutherischen Bekenntnisschriften, die ich oben genannt habe, sprechen genau diese Sprache.
Nun wieder katholisch: Vom Makel der Erbsünde befreit, ist Maria sozusagen in den menschlichen "Urstand" vor dem Sündenfall zurück versetzt, durch den sie sich tatsächlich gegen die Sünde entscheiden kann, was dem natürlichen Menschen nach dem Sündenfall ja nicht mehr möglich ist. Sie als einzige hatte also die freie Wahl, ob sie sich für oder gegen Gott entscheidet. Somit wird sie tatsächlich zum "Gegenkonzept" Evas, die sich für den "Apfel" entscheidet und damit gegen Gott.
An diesem Punkt trennen sich lutherische und katholische Lehre tatsächlich. Lutheraner würden den menschlichen Willen immer der Gnadenwahl Gottes unterstellen und somit (im Sinne von "De servo") niemals von einem "freien Willen" in geistlichen Dingen sprechen. Diese Konzeption ist jedoch in "katholischem Sinne" undenkbar, da Gott in lutherischer Sicht den Menschen ja in seine Gegenwart zwingen würde. Vielmehr muss der Mensch sein "begnadetes JA" zu Gottes Werben sprechen können. Maria muss nun aber mehr von sich geben als "nur" ein "begnadetes JA", sie vererbt ja die menschliche Natur an Christus. Daher muss sie selbst auch eine durch Gott (insofern doch wieder Gnade) gereinigte menschliche Natur besitzen.
Diesen letzten Punkt finde ich zumindest im dogmatischen Bereich der Zwei-Naturen-Lehre interessant. Soweit ich weiß schreibt übrigens auch Johann Gerhard in seiner großen Dogmatik zu dieser Frage etwas, was gar nicht so weit von dem entfernt ist, was wir heute im "Katechismus der katholischen Kirche" finden. Nun gut, natürlich ist das Bild vom Gefäß deutlich passiv veranlagt, was Maria in der
immaculata conceptio nicht ist, aber da unterscheiden wir uns dann wohl auch voneinander.
Wenn wir "Evangelischen" aber Maria nicht einfach nur zur Unperson erklärt hätten, könnten wir m.E. für unsere Christologie viel lernen. Die Grundunterscheidung in der Mariologie liegt, und da würde ich Marcus widersprechen wollen, nicht bei der Rechtfertigungs- oder der dezidierten Sündenlehre (was ist Sünde?), sondern in der Frage nach dem freien Willen, also in der Anthropologie (was macht die Sünde mit dem Menschen) und der Frage nach der Gnade und dem Glauben (sola gratia und sola fide im Sinne von
ausschließlich durch die Gnade/den Glauben, oder im Sinne von
zuerst...). Hier akzentuiert das Luthertum einfach anders als es die römische Kirche tut.
Mir sind in diesem ganzen Zusammenhang zwei Dinge wichtig:
1. Die rkK müssen wir von ihrer offiziellen Lehre her wahr nehmen, nicht von dem, was irgendeiner mal über Maria gesagt und gedacht hat. Diese Ehrlichkeit reklamieren wir für uns selber ja auch! Das bedeutet aber eben, dass wir differenzieren müssen, was wirklich katholisch ist und was wir nur dafür halten.
2. Wir müssen uns gelegentlich auch mal selber auf Vorurteile überprüfen, durch die wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Soll in dem konkreten Fall heißen: Nur weil es in bestimmten Bereichen der gelebten Marienfrömmigkeit bisweilen Irrungen und Wirrungen gab und gibt, dürfen wir uns der Gottesmutter nicht einfach entledigen! Denn das verstöße schlicht und ergreifend gegen das eindeutige Zeugnis der Heiligen Schrift und auch gegen unser eigenes Bekenntnis. Maria nimmt, besonders bei Johannes, aber auch bei Lukas, eine wichtige Rolle ein. Und manche Schriftstelle würde sich uns wahrscheinlich besser erschließen, wenn wir das antimarianische Brett vor unserem Kopf mal abnehmen würden.
Ich hoffe, ich konnte es so einigermaßen klar darstellen.
Ein gesegnetes neues Jahr noch!