Die Anglikaner

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Stephen Dedalus
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Die Anglikaner

Beitrag von Stephen Dedalus »

Dieser Beitrag wurde aus einem andern Strang abgetrennt,
weil er das Zeug hat, ein neues Thema zu eröffnen.

Der Administrator


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Alexander hat geschrieben:>>>Hier, nur zwei Sakramente, auch nach dem BOOK OF COMMON PRAYER (hab ein amerikanisches Exemplar studiert). Mit der Wandlung ist es auch keine offizielle Lehre. Oder kannst Du mir offizielle kirchliche Dokumente zitieren, die dem widersprechen, Stephen? So, ich muß jetzt weg, bis heute Abend.

Hallo Alexander,

der Link, den Du da gesetzt hast, gibt nicht den Glauben der Anglikaner wieder, sondern nur den Inhalt des sog. Lambeth Quadrilateral von 1888. In diesem Beschluß hat die Kirche von England festgelegt, was sie sozusagen als Mindestanforderungen für eine Kirchenunion mit einer anderen Kirche ansieht. Und das sind eben diese vier Punkte:

1. Die Schriften des AT und NT
2. Die historischen Glaubenbekenntnisse (Apostolikum und Nizänum)
3. Die beiden Herrensakramente Taufe und Eucharistie
4. Das Bischofsamt in historischer (apostolischer) Sukzession

Den Text des Lambeth Quadrilateral findest Du hier: Lambeth Quadrilateral 1888

In der Tat haben die Anglikaner sieben Sakramente. Die Annahme, es wären doch nur zwei, geht auf Art. 25 der sog. 39 Artikel zurück, die ein wichtiges Dokument der Reformationszeit waren. In diesem Artikel werden die beiden Hauptsakramente Taufe und Eucharistie herausgestellt. Von den anderen fünf Riten ("commonly called sacraments") wird aber nur gesagt, daß sie eben nicht gleichwertig seien mit Taufe und Eucharistie. Trotzdem wurden sie in der Kirche als sakramentale Riten beibehalten. Siehe dazu HIER oder den Auszug aus einem modernen Katechismus:
Über die Sakramente Für wie wichtig die fünf "minor Sacraments" oder sakramentalen Riten erachtet werden, hängt auch von der Prägung ab. Die High Church legt Wert auf alle fünf, die Low Church wird sie nicht alle in der gleichen Form praktizieren.

Es entspricht nicht dem Charakter der Kirche von England, ihren Glauben in unzähligen Dokumenten festzuschreiben. Die Kirche hat mit Bedacht immer darauf geachtet, keine verbindlichen Glaubensdokumente zu produzieren, die sie von der katholischen Tradition entfernen könnten. Man sieht generell die verbindlichen Konzilien der ersten Jahrhunderte, die Schriften der Väter und natürlich die Bibel als ausreichend an.

Das zentrale Element ist und bleibt allerdings - und darin dürftest Du als orthodoxer Christ Dich wiederfinden - die Liturgie. Die großen Streitigkeiten in der Kirche von England sind historisch betrachtet nie Lehrdiskussionen gewesen, sondern Streitigkeiten um die Liturgie. Das Book of Common Prayer legte den Glauben nicht in Lehrsätzen fest (die 39 Artikel waren damals zwar wichtig, sind aber bis heute umstritten und werden allenfalls als historisches Dokument beachtet), sondern in der Liturgie, die verbindlich ist. Wer wissen will, was Anglikaner glauben, muß ihren Gottesdienst und ihre Liturgie kennen. Daraus erschließt sich der Rest.

Wenn Du uns also nach der Bedeutung der Wandlung in der Eucharistie fragst, kann ich dies eigentlich nur mit Zitaten aus unserer Liturgie beantworten.

In jedem der Hochgebete gibt es nach dem Sanctus eine Epiklese wie diese hier:
Lord, you are holy indeed, the source of all holiness;
grant that by the power of your Holy Spirit,
and according to your holy will,
these gifts of bread and wine
may be to us the body and blood of our Lord Jesus Christ;


Oder so:
Pour out your Holy Spirit as we bring before you
these gifts of your creation;
may they be for us the body and blood of your dear Son.

As we eat and drink these holy things in your presence,
form us in the likeness of Christ,
and build us into a living temple to your glory.

[Remember, Lord, your Church in every land.
Reveal her unity, guard her faith,
and preserve her in peace …]

Bring us at the last with [N and] all the saints
to the vision of that eternal splendour
for which you have created us;
through Jesus Christ, our Lord,
by whom, with whom, and in whom,
with all who stand before you in earth and heaven,
we worship you, Father almighty, in songs of everlasting praise:


Vor der Austeilung beten wir das Prayer of Humble Access:
We do not presume
to come to this your table, merciful Lord,
trusting in our own righteousness,
but in your manifold and great mercies.
We are not worthy
so much as to gather up the crumbs under your table.
But you are the same Lord
whose nature is always to have mercy.
Grant us therefore, gracious Lord,
so to eat the flesh of your dear Son Jesus Christ
and to drink his blood,
that our sinful bodies may be made clean by his body
and our souls washed through his most precious blood,
and that we may evermore dwell in him, and he in us.
Amen.


Der Priester lädt zur Kommunion ein:
Draw near with faith.
Receive the body of our Lord Jesus Christ
which he gave for you,
and his blood which he shed for you.


Und das Dankgebet lautet:
Almighty God,
we thank you for feeding us
with the body and blood of your Son Jesus Christ.
Through him we offer you our souls and bodies
to be a living sacrifice.


Über die genaue Art, wie die reale Gegenwart des Herrn in Brot und Wein zustande kommt, hat es in der Tat in der Geschichte unterschiedliche Ansichten gegeben und die Details werden auch sicher von unterschiedlichen Flügeln der Kirche noch heute unterschiedlich beantwortet. Eine bloße luth. Konsubstantiation ist es nicht, in der der Leib des Herrn auf geheimnisvolle Weise zum Brot hinzutritt und danach sich wieder davon entfernt (daher gibt es in luth. Kirchen keine Tabernakel, bei uns aber sehr wohl!). Zugleich ist uns aber die TSL auch nicht so behaglich, weil nach dieser das Brot ja gar kein Brot mehr ist und der Wein kein Wein mehr. Trotzdem singen wir allerdings auch das "pange lingua" des Thomas von Aquin, das dieses Wunder beschreibt. Die Wandlung ist uns ein Mysterium, das geglaubt und erlebt werden muß. In einer unserer eucharistischen Hymnen heißt es: "Thou art here, we ask not how."

Noch ein Wort zum sakramentalen Charakter der Priesterweihe:

Nur gültig bischöflich geweihte Priester dürfen in einer anglikanischen Kirche die Eucharistie zelebrieren, die Sündenvergebung zusprechen und den Segen spenden. Andere und Laien dürfen das nicht. Sie müssen in der Liturgie (wenn es ein Wortgottesdienst ist und kein geweihter Priester anwesend) andere Formeln verwenden.

Gruß
Steve
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Alexander
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Beitrag von Alexander »

Johannes Chrysotomos hat geschrieben:
die Anaphora
Diakon: lasset uns stehen in schöner Weise, lasset uns stehen mit Ehrfurcht, lasset uns aufmerken, das heilige Opfer in Frieden darzubringen

Volk: Erbarmen des Friedens, Opfer des Lobes.

Priester: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Volk: Und mit deinem Geiste.

Priester: Lasset uns Dank sagen dem Herrn.

Volk: Es ist würdig und recht, anzubeten den Vater, Sohn und den Heiligen Geist, die wesensgleiche und untrennbare Dreiheit.

Priester ("mystikon"): Würdig ist es und recht, dich zu preisen, dich zu segnen, dich zu loben, dir Dank zu sagen und dich anzubeten an jedem Orte deiner Herrschaft. Denn du bist der unaussprechliche, unergründliche, unsichtbare und unbegreifliche Gott, der Immerseiende und Gleichbleibende: du und dein einziggezeugter Sohn und dein Heiliger Geist. Du hast uns aus dem Nicht-Sein ins Dasein geführt und uns, da wir gefallen waren, wiederum aufgerichtet, und hast nicht nachgelassen, alles zu tun, bis du uns in den Himmel emporgeführt und uns dein künftiges Königtum in Gnaden geschenkt hattest. Für all das danken wir dir und deinem einziggezeugten Sohne und deinem Heiligen Geiste, für alle uns erwiesenen Wohltaten, die wir kennen und die wir nicht kennen, die offenbaren und die verborgenen. Wir danken dir auch für diese Liturgie, die du aus unseren Händen anzunehmen geruhest, obgleich dich Tausende von Erzengeln und Zehntausende von Engeln umgeben, die Cherubim und die Seraphim, die sechsflügeligen, vieläugigen, hochschwebenden, beschwingten, die
(laut): den Siegeshymnus singen, rufen, jauchzen und sprechen:

Volk: Heilig, heilig, heilig, Herr Sabaoth, erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Hosanna in den Höhen. Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in den Höhen.

Priester("mystikon"): Mit diesen seligen Mächten, menschenliebender Gebieter, rufen auch wir und sprechen: Heilig bist du und allheilig, du und dein einziggezeugter Sohn und dein Heiliger Geist. Heilig bist du und allheilig, und hocherhaben ist deine Herrlichkeit, der du deine Welt so sehr geliebt, daß du deinen einziggezeugten Sohn hingegeben hast, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Dieser ist gekommen und hat die ganze Heilsordnung für uns erfüllt. In der Nacht, da er überliefert wurde, vielmehr aber sich selbst überlieferte für das Leben der Welt, nahm er Brot in seine heiligen, allreinen und untadeligen Hände, dankte und segnete, heiligte, brach und gab es seinen heiligen Jüngern und Aposteln und sprach:
(laut):Nehmet, esset, dies ist mein Leib, der für euch gebrochen wird zur Vergebung der Sünden.

Volk: Amen.

Priester ("mystikon"): Ebenso nahm er auch den Kelch nach dem Mahle und sprach:
(laut): Trinket alle daraus: dies ist mein Blut des neuen Bundes, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Volk: Amen.

Priester("mystikon"): Eingedenk also dieses heilbringenden Gebotes und all dessen, was für uns geschehen ist, des Kreuzes, des Grabes, der Auferstehung am dritten Tage, der Auffahrt in die Himmel, des Sitzens zur Rechten und der zweiten, erneuten Wiederkunft in Herrlichkeit,-
(laut): das Deinige vom Deinigen dir darbringend, gemäß allem und wegen allem,

Volk: preisen wir dich, segnen wir dich, danken wir dir, o Herr, und beten zu dir, unser Gott.

Priester("mystikon"):[Epiklese]
So bringen wir dir diesen geistigen und unblutigen Dienst der Anbetung dar und rufen und beten und flehen zu dir: Sende herab deinen Heiligen Geist auf uns und diese vorliegenden Gaben hier. Und mache dieses Brot zum kostbarem Leib deines Christus. Amen. Und was in diesem Kelche ist, zum kostbaren Blut deines Christus. Amen. Sie verwandelnd durch deinen Heiligen Geist. Amen, Amen, Amen.

Auf daß sie denen, die daran teilnehmen, zur Nüchternheit der Seele gereichen, zur Vergebung der Sünden, zur Gemeinschaft deines Heiligen Geistes, zur Fülle des Königstums der Himmel, zum Freimut vor dir, nicht aber zum Gericht oder zur Verdammnis.

Auch bringen wir diesen geistigen Dienst der Anbetung dar für die im Glauben Ruhenden, die Vorväter, Väter, Patriarchen, Propheten, Apostel, Verkündiger, Evangelisten, Martyrer, Bekenner, Asketen und für jeden gerechten Geist, der im Glauben vollendet ist.
(laut): Insbesondere für unsere allheilige, allreine, über alles gesegnete, glorreiche Gebieterin, die Gottesgebärerin und stete Jungfrau Maria.

Volk: Würdig ist es in Wahrheit, seligzupreisen dich, die Gottesgebärerin, die immer Seliggepriesene und Allmakellose und Mutter unseres Gottes. Die du geehrter bist als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim, die du unversehrt Gott, das Wort, geboren hast, dich, die wahrhafte Gottesgebärerin, wir hochpreisen.

Priester("mystikon"): Für den heiligen Propheten, Vorläufer und Täufer Johannes, die heiligen, glorreichen und allgerühmten Apostel, den/die heilige(n) (Name des/der Tagesheiligen), dessen/deren Gedächtnis wir begehen, und alle deine Heiligen. Auf ihre flehentlichen Fürbitten suche uns heim, o Gott. Gedenke auch aller, die entschlafen sind in der Hoffnung auf die Auferstehung zum ewigen Leben und schenke ihnen Ruhe, wo wacht das Licht deines Angesichts. Auch rufen wir dich an: Gedenke, Herr, des ganzen Episkopats der Orthodoxen, derer, die das Wort deiner Wahrheit recht verwalten, der ganzen Priesterschft, des Diakonates in Christus und jedes geistlichen Standes. Auch bringen wir dir diesen geistigen Dienst der Anbetung dar für den Erdkreis, für die heilige, katholische und apostolische Kirche, für die, welche einen reinen und ehrbaren Lebenswandel führen, für unser gottbehütetes Land, für die, welche es regieren und für sein Heer, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
(laut): Vor allem gedenke, Herr, unseres heiligsten Patriarchen (Name) und unseres hochgeweihten Bischofs (Name), gnädig erhalte sie deinen heiligen Kirchen in Frieden, Heil, Ehre, Gesundheit, langem Leben und in der rechten Verwaltung des Wortes deiner Wahrheit.

Volk: Und eines jeden, und einer jeden.

Priester ("mystikon"): Gedenke, Herr, dieser Stadt (dieses Dorfes), in der (dem) wir wohnen, jeder Stadt und allen Landes und der Gläubigen, die darin leben. Gedenke, Herr, der Reisenden zu Wasser, zu Lande [und in der Luft], der Kranken, der Notleidenden, der Gefangenen und ihrer Errettung. Gedenke, Herr, derer, die Früchte bringen und Gutes wirken in deinen heiligen Kirchen und die der Armen gedenken, und auf uns alle sende herab deine Erbarmungen.
(laut): Und gib uns, mit einem Munde und einerm Herzen zu verherrlichen und zu besingen deinen allverehrten und majestätischen Namen, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Volk: Amen.

Priester: Und die Erbarmungen unseres großen Gottes und Erretters Jesus Christus seien mit euch allen.

Volk: Und mit deinem Geiste.
Nun denn, Stephen, was und wie Du schreibst, gefällt mir sehr, Du bist ja fast Orthodox.

Als erstes muß ich aber eine apostolische Sukzession mit Frauenpriestertum grundsätzlich in Frage stellen. Ganz zu schweigen von den anderen "sittlichen Fortschritten" der Anglikaner in der letzten Zeit.

In dem von dir verlinkten Katechismus wird sogar an das eucharistische Opfer geglaubt. Beeindruckend.

Eine Tatsache ist aber, daß die 39 Artikel mit ihrem schrecklichen kalvinistischen Inhalt (auch in der Eucharistie, mit der rein "geistiger" Teilnahme) sehr lange die offizielle Lehre der anglikanischer Kirche waren. So weit ich weiß, ist ihre Verbindlichkeit durch einen Parlamentbeschluß abgeschafft worden. Sie wurden aber nicht verurteit. Und die Low Church hält fest an diesem Glauben, oder täusche ich mich?
Mein Eindruck (vielleicht ein Vorurteil?) von der anglikanischer Kirche ist der, daß dort ein absoluter Glaubensrelativismus herrscht. Was immer man glaubt, man kann trotzdem zu ihr gehören. Ob High Church oder die Kalvinisten von der Low Church... wie die Pharisäer und Sadduzäer im selben Synedrion.
Ich hörte mal von einem Skandal um einen anglikanischen Bischof. Er hatte ein Buch geschrieben (Honest to God), in welchem er die Existenz eines persölichen Gottes verworfen hatte. Auf Beschwerden von Gläubigen soll der Bischof von Canterbury geantwortet haben, daß es nun mal eine theologische Meinung des Bischofs sei, in der er frei ist.
Mensch, mit deiner Einstellung wärest Du in der Orthodoxen Kirche gerade richtig.
Die von dir zitierten liturgischen Texte sind schön. Nur sind die Worte "for us" in "may they be for us the body and blood of your dear Son" ein bißchen doppeldeutig.
Mit Liebe in Christo,
Alexander
Zuletzt geändert von Alexander am Montag 21. November 2005, 23:01, insgesamt 3-mal geändert.
Herr Gott,
großes Elend ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich erdrücken,
ich weiß nicht ein noch aus.
Gott, sei gnädig und hilf.
Gib Kraft zu tragen, was du schickst,
laß die Furcht
nicht über mich herrschen.
(D. Bonhoeffer)

Stephen Dedalus
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Beitrag von Stephen Dedalus »

Alexander hat geschrieben:Nun denn, Stephen, was und wie Du schreibst, gefällt mir sehr, Du bist ja fast Orthodox.
Hallo Alexander,

das freut mich!

Alexander hat geschrieben:Als erstes muß ich aber eine apostolische Sukzession mit Frauenpriestertum grundsätzlich in Frage stellen. Ganz zu schweigen von den anderen "sittlichen Fortschritten" der Anglikaner in der letzten Zeit.

Das sind zwei zentrale Dinge.

Zum Frauenpriestertum: Ich persönlich habe theologisch damit gar keine Probleme und kann eigentlich keine Gründe finden, die dagegen sprechen, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. Ich habe schon verschiedentlich Messen besucht, die von Frauen zelebriert wurden, und die Erfahrungen waren eigentlich durchweg gut. Ein ganz großes Problem sehe ich allerdings darin, daß die Weihe von Frauen zu Priesterinnen uns von den Katholiken und den Orthodoxen entfernt hat. Hier wäre es besser gewesen, die Sache gemeinsam zu entscheiden. Es war eine Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Warten und damit die Spaltung riskieren oder nicht warten und damit die Distanz zu Orthodoxen und Katholiken vergrößeren. Ich persönlich hätte Option eins nicht schlimm gefunden, aber andere Teile der Kirche schon.

Neulich las ich übrigens, daß im Dialog mit den Orthodoxen hier unter Umständen eine Möglichkeit besteht, die Weihe von Frauen zu Priesterinnen als "Theologoumenon" zu behandeln, also als etwas, das theologisch zwar denkbar ist, von den Orthodoxen aber aus guten Gründen nicht praktiziert wird. Damit hätte man wenigstens das Problem vom Tisch, daß eine Kirche, die Frauen weiht, generell als *häretisch* anzusehen ist. Wie realistisch das ist, weiß ich nicht. Kannst Du dazu etwas sagen?

Die anderen "sittlichen Fortschritte" sind im Moment ja ein Riesenproblem. Hier steht noch aus, was die Lambeth Conference 2008 (Konzil aller angl. Bischöfe der Welt, tagt alle 10 Jahre) bringen wird. Es kann zu einer Spaltung kommen. Auch hier wäre es sicher besser gewesen, die Entscheidung gemeinsam zu treffen und nicht (wie die US-Anglikaner) gegen den erklärten Willen der Bischöfe und des Erzbischofs von Canterbury zu handeln. Die Quittung haben sie jetzt.
Alexander hat geschrieben:In dem von dir verlinkten Katechismus wird sogar an das eucharistische Opfer geglaubt. Beeindruckend.
O ja, in einigen unserer Hochgebete kommt das Wort "Opfer" ("sacrifice") öfter vor, als es ein NOM-Katholik im ganzen Jahr hört. Mit einem rechten Verständnis des Messopfers haben wir überhaupt kein Problem.
Alexander hat geschrieben:Eine Tatsache ist aber, daß die 39 Artikel mit ihrem schrecklichen kalvinistischen Inhalt (auch in der Eucharistie, mit der rein "geistiger" Teilnahme) sehr lange die offizielle Lehre der anglikanischer Kirche waren. So weit ich weiß, ist ihre Verbindlichkeit durch einen Parlamentbeschluß abgeschafft worden. Sie wurden aber nicht verurteit. Und die Low Church hält fest an diesem Glauben, oder täusche ich mich?
Ja, die 39 Artikel sind und bleiben ein interessantes Phänomen. Dazu muß ich ein bißchen ausholen. Die Kirche von England ist und war nie eine "Konfessionskirche". Die 39 Artikel hatten niemals den Status eines "offiziellen Bekenntnisses", wie dies etwa für die CA bei den Lutheranern gelten kann. Man darf daher nicht den Fehler machen, diese Artikel heute zu zitieren und zu meinen, man könne damit den Glauben der Anglikaner definieren. Gerade die Deutschen, unter ihnen besonders die Protestanten, meinen immer, man müsse sich nur diese Artikel anschauen und könne damit den "Bekenntnisstand" der Anglikaner definieren. Schon das Wort "Bekenntnisstand" würde kein Anglikaner allerdings verstehen. Wenn man einem Priester mit Art. 25 versucht, den Tabernakel, die Aussetzung oder eine Fronleichnamsprozession zu verbieten, wird er nur die Schulter zucken und sich vor dem Tabernakel auf die Knie werfen.

An einem Beispiel kann ich das vielleicht verdeutlichen:
Die 39 Artikel wurden in der Reformationszeit formuliert mit den Ziel, bestimmte Mißstände, die man im Katholizismus der damaligen Zeit sah, abzustellen. Bei der gesamten Liturgiereform der damaligen Zeit ging es in erster Linie darum, bestimmte Traditionen der Alten Kirche wieder freizulegen. So hatte sich im Mittelalter die Praxis herausgebildet, äußerst selten zu kommunizieren. Das Messopfer wurde zwar beständig zelebriert, aber das Ziel war nicht mehr die Kommunion der Gläubigen, sondern die dadurch erwirkte Versöhung mit Gott und die Verehrung des eucharistischen Brotes. Dies hat die Reformation als falsch verurteilt, weil es dem Sinn des Sakramentes nicht mehr entsprach. Das "Book of Common Prayer" legte daher fest, daß die Leute zur regelmäßigen Kommunion ermuntert werden sollten (dazu bietet es zahlreiche "exhortations"). Zugleich ging es darum, die Aufmerksamkeit vom geweihten Brot wieder auf Christus, der in Brot und Wein lebendig gegenwärtig ist, zu lenken. Und ganz wichtig: Der Priester durfte die Eucharistie nur noch zelebrieren, wenn Leute da waren, die auch kommunizieren wollten, damit Sinn und Ziel der Feier wieder klarer zur Geltung kamen. Vor diesem Hintergrund etwa ist Artikel 25 zu lesen.

Die 39 Artikel sind formal nie außer Kraft gesetzt worden. Immer noch ist das Book of Common Prayer (ergänzt durch Common Worship) verbindlich. Aber man würde den Artikeln viel zu viel Gewicht beimessen, wenn man heute erwarten würde, daß sich davon jemand offiziell distanziert oder sie außer kraft setzt. Die Mühe macht sich niemand. Im Gegenteil: Als vor einiger Zeit ein Freund zum Priester geweiht wurde und ich mir die "Declaration of Assent" ansah, die er zu unterzeichnen hatte, war ich überrascht, daß die 39 Artikel darin erwähnt wurden. Ich fragte ihn, wie er das unterschreiben könne (er ist "high anglo-catholic"). Die Frage war schon wieder zu deutsch gedacht. Er meinte sinngemäß, daß es um die historische Bedeutung der Artikel gehe und heute niemand mehr an ihren Inhalt glaube. In Deutschland würde man wahrscheinlich lieber auf den Scheiterhaufen gehen, statt die Sache so pragmatisch zu behandeln.
Alexander hat geschrieben: Mein Eindruck (vielleicht ein Vorurteil?) von der anglikanischer Kirche ist der, daß dort ein absoluter Glaubensrelativismus herrscht. Was immer man glaubt, man kann trotzdem zu ihr gehören. Ob High Church oder die Kalvinisten von der Low Church...
Es ist vollkommen richtig, daß die Anglikaner sehr zurückhaltend darin sind, jemanden aufgrund seines Glaubens auszuschließen oder scharfe Grenzen ihres Glaubens festzulegen. Jeder, der die historischen Bekenntnisse (Apostolikum, Nizänum etc.) und die Tradition der Kirche annimmt, kann seinen Platz finden. Das wird uns von manchen als großes Manko angerechnet, andere wiederum sehen es als unsere große Stärke.
Harte Calvinisten dürfte es allerdings kaum geben. Die ertragen die Liturgie nicht und wurden in den großen Wellen unter Königin Elisabeh I. und 1662 unter Charles II. alle in den Dissent gedrängt.

Alexander hat geschrieben: Ich hörte mal von einem Skandal um einen anglikanischen Bischof. Er hatte ein Buch geschrieben (Honest to God), in welchem er die Existenz eines persölichen Gottes verworfen hatte. Auf Beschwerden von Gläubigen soll der Bischof von Canterbury geantwortet haben, daß es nun mal eine theologische Meinung des Bischofs sei, in der er frei ist.

Das war John Shelby Spong, ein US-amerikanischer Bischof. Ich weiß allerdings nicht, ob er noch im aktiven Dienst war, als das Buch erschien. Ich habe es nicht gelesen. Es hat für unglaublichen Wirbel gesorgt. Ich habe aber auch schon gehört, daß es Spong nicht darum ging, den historischen Glauben komplett abzulehnen, sondern in erster Linie eine Neuformulierung zentraler Glaubenssätze für das 21. Jahrhundert zu finden. Insgesamt ist der Kerl mir aber auch höchst suspekt.
Die von dir zitierten liturgischen Texte sind schön.
Deine aber auch!
Nur sind die Worte "for us" in "may they be for us the body and blood of your dear Son" ein bißchen doppeldeutig.
Ist interessant, daß Du das so siehst. Ich habe mich auch schon gefragt, ob dahinter wohl ein Vorbehalt steckt, aber bisher konnte ich dafür keinen Beleg finden. Es muß dafür irgendeine westliche liturgische Tradition geben. Denn auch in der kath. Messe heißt es in der Epiklese "damit sie uns werden Leib und Blut ..." Da steckt ein lateinisches "nobis" drin, das weit zurückreichen muß. Den Ursprung kenne ich nicht, aber das weiß vielleicht einer der Theologen hier besser?

Liebe Grüße zurück
SD
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Stephen Dedalus
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"Nobis"

Beitrag von Stephen Dedalus »

Hallo Alexander,

zur Frage des "nobis" oder "to us" habe ich noch ein wenig recherchiert. Es kommt tatsächlich aus der westkirchlichen, lateinischen Tradition.

In der tridentinischen lateinischen Messe gibt es ja keine "echte" Epiklese. Der Teil des Kanon, der der Sache am nächsten kommt, ist das Gebet "Quam oblationem":
Missa tridentina hat geschrieben:Quam oblationem tu Deus, in omnibus quaesumus, benedictam, adscriptam, ratam, rationabilem, acceptabilemque facere digneris: ut nobis Corpus, et Sanguis fiat dilectissimi Filii tui Domini nostri Iesu Christi.
Die erste Ausgabe des Book of Common Prayer 1549 griff auf die lat. Messtradition (vor allem auf den in England gebräuchlichen Sarum Rite) zurück. Der entsprechende Teil im BCP lautet in der lateinischen Form:
BCP 1549 hat geschrieben:Exaudi nos, quaesumus, misericors pater, et cum tuo sancto Spiritu, et uerbo, Et dignare benedicere et sanctificare haec dona, et creaturas tuas, panis, et uini, ut nobis fiant corpus, et sanguis dilecti Filii tui, Domini nostri Iesu Christi,
Und die englische Version:
BCP 1549 hat geschrieben:Heare us (O merciful father) we besech thee; and with thy holy spirite and worde, vouchsafe to blesse and sanctifie these thy gyftes, and creatures of bread and wyne, that they maie be unto us the bodye and bloude of thy moste derely beloved sonne Jesus Christe.
Interessant ist, daß der epikletische Charakter hier viel deutlicher ist als in der tridentinischen Messe. Aber klar ist auch, daß die Formulierung "unto us" (in neueren Ausgaben "to us") eine Übersetzung aus dem Lateinischen ist. In den Revisionen von 1552 und 1662 wurde dieser Text aber nochmals verändert und der epikletische Charakter ging ziemlich verloren. Die deutlichen Epiklesen kamen erst 1980 und 2000 durch das Alternative Service Book und Common Worship wieder in die Liturgie.

Als der NOM geschaffen wurde und in die Hochgebete die Epiklesen aufgenommen wurden, hat man die Formulierung aus dem "Quam oblationem" übernommen und das "nobis" stehen lassen, sodaß die Formulierungen heute im NOM auch heißen, damit sie uns werden Leib und Blut ...

Ob dieses "nobis" allerdings in griechischen Liturgien bereits Vorläufer hat, müßtest Du klären :)

LG
SD
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Alexander
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Re: "Nobis"

Beitrag von Alexander »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Ob dieses "nobis" allerdings in griechischen Liturgien bereits Vorläufer hat, müßtest Du klären :)

LG
SD
In den beiden bei uns gängigen Liturgien hl. Basilius des Großen (zehn mal im Jahr) und des hl. Johannes Chrysostomus gibt es keine Entsprechung. Den Text der ältesten Liturgie (des hl. Jakobus, Bruders des Herrn, auf aramäisch verfaßt, sehr selten gefeiert) hab ich nicht zur Hand.
Aber ich weiß ja, die Lateiner meinen es mit dem "nobis" nicht relativistisch. Mit einem bißchen vom reformatorischen "guten Willen" könnte man es aber mißverstehen.
Zuletzt geändert von Alexander am Sonntag 28. August 2005, 01:02, insgesamt 2-mal geändert.
Herr Gott,
großes Elend ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich erdrücken,
ich weiß nicht ein noch aus.
Gott, sei gnädig und hilf.
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laß die Furcht
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(D. Bonhoeffer)

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Beitrag von Alexander »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Zum Frauenpriestertum: Ich persönlich habe theologisch damit gar keine Probleme und kann eigentlich keine Gründe finden, die dagegen sprechen, Frauen zu Priesterinnen zu weihen.

Vielleicht hast Du nicht gesucht? Paulus hat dazu ja schon genug gesagt. Das Gebot gilt nun mal. Die Idee vom historisch bedingten Erlauben, den Geboten nicht zu gehorchen, ist in der Orthodoxie sehr wenig populär, um es gelinde auszudrücken.
Stephen Dedalus hat geschrieben:Neulich las ich übrigens, daß im Dialog mit den Orthodoxen hier unter Umständen eine Möglichkeit besteht, die Weihe von Frauen zu Priesterinnen als "Theologoumenon" zu behandeln, also als etwas, das theologisch zwar denkbar ist, von den Orthodoxen aber aus guten Gründen nicht praktiziert wird. Damit hätte man wenigstens das Problem vom Tisch, daß eine Kirche, die Frauen weiht, generell als *häretisch* anzusehen ist. Wie realistisch das ist, weiß ich nicht. Kannst Du dazu etwas sagen?
Jaja, man kann reden, schöne Fotographien machen lassen...

Bild

Tatsache ist, daß die Angikaner Anfang des XX. Jh. fast so weit waren, sich mit der Orthodoxie zu vereinigen. Aber der nachfolgende Relativismus-Ruck einschließlich Frauenpriestertum hat dazu geführt, daß die heutigen theologischen Treffen kaum etwas mehr sind, als gemütliche Plauderstündchen. Wenn die Anglikaner ihre Einstellung nicht ändern, dann gibt es wenig Raum für Fortschritt.
Stephen Dedalus hat geschrieben: Ja, die 39 Artikel sind und bleiben ein interessantes Phänomen. Dazu muß ich ein bißchen ausholen. Die Kirche von England ist und war nie eine "Konfessionskirche". Die 39 Artikel hatten niemals den Status eines "offiziellen Bekenntnisses", wie dies etwa für die CA bei den Lutheranern gelten kann. Man darf daher nicht den Fehler machen, diese Artikel heute zu zitieren und zu meinen, man könne damit den Glauben der Anglikaner definieren. Gerade die Deutschen, unter ihnen besonders die Protestanten, meinen immer, man müsse sich nur diese Artikel anschauen und könne damit den "Bekenntnisstand" der Anglikaner definieren. Schon das Wort "Bekenntnisstand" würde kein Anglikaner allerdings verstehen. Wenn man einem Priester mit Art. 25 versucht, den Tabernakel, die Aussetzung oder eine Fronleichnamsprozession zu verbieten, wird er nur die Schulter zucken und sich vor dem Tabernakel auf die Knie werfen.
...

Die 39 Artikel sind formal nie außer Kraft gesetzt worden. Immer noch ist das Book of Common Prayer (ergänzt durch Common Worship) verbindlich. Aber man würde den Artikeln viel zu viel Gewicht beimessen, wenn man heute erwarten würde, daß sich davon jemand offiziell distanziert oder sie außer kraft setzt. Die Mühe macht sich niemand. Im Gegenteil: Als vor einiger Zeit ein Freund zum Priester geweiht wurde und ich mir die "Declaration of Assent" ansah, die er zu unterzeichnen hatte, war ich überrascht, daß die 39 Artikel darin erwähnt wurden. Ich fragte ihn, wie er das unterschreiben könne (er ist "high anglo-catholic"). Die Frage war schon wieder zu deutsch gedacht. Er meinte sinngemäß, daß es um die historische Bedeutung der Artikel gehe und heute niemand mehr an ihren Inhalt glaube. In Deutschland würde man wahrscheinlich lieber auf den Scheiterhaufen gehen, statt die Sache so pragmatisch zu behandeln.
Alexander hat geschrieben: Mein Eindruck (vielleicht ein Vorurteil?) von der anglikanischer Kirche ist der, daß dort ein absoluter Glaubensrelativismus herrscht. Was immer man glaubt, man kann trotzdem zu ihr gehören. Ob High Church oder die Kalvinisten von der Low Church...
Es ist vollkommen richtig, daß die Anglikaner sehr zurückhaltend darin sind, jemanden aufgrund seines Glaubens auszuschließen oder scharfe Grenzen ihres Glaubens festzulegen. Jeder, der die historischen Bekenntnisse (Apostolikum, Nizänum etc.) und die Tradition der Kirche annimmt, kann seinen Platz finden. Das wird uns von manchen als großes Manko angerechnet, andere wiederum sehen es als unsere große Stärke.
Da können ruhig Protestanten mit ihren Schrullen (Low Church), Nestorianer und Monophysiten (die ja das Nicäum bekennen) alle mitmachen, keiner wird ausgestoßen. Wie Du Deinen Glauben zum Vorschein bringst, ist sehr schön, doch sind in Deiner Kirche Leute, die ganz anders glauben. Deine High-Church- Einstellung ist Deine Privatmeinung. Und es gibt sehr wenig Verbindliches. Dabei ist die Frage des Bekenntnisses keine müßige Frage: der Glaube ist lebenswichtig.
Herr Gott,
großes Elend ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich erdrücken,
ich weiß nicht ein noch aus.
Gott, sei gnädig und hilf.
Gib Kraft zu tragen, was du schickst,
laß die Furcht
nicht über mich herrschen.
(D. Bonhoeffer)

Tacitus
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Beitrag von Tacitus »

Die Vielfalt der Anglikanischen Kirche hat mich immer fasziniert, ist m.E. typisch englisch und für mich ein Schatz, ein Reichtum, dieser Glaubensgemeinschaft.

Das Problem liegt im Ursprung der Anglikanischen Kirche begründet: Ein König hat Frauenprobleme. Nichts besonderes, schon garnicht in England. :D
Dadurch, dass die Kirche vom König selbständig gemacht wurde, kam eine gewisse Zwitterposition heraus: nicht mehr ganz katholisch, nicht ganz protestantisch. Vielleicht wäre eine klare Abspaltung besser gewesen, wer weiß.
Bei den Anglikanern kommt es mir immer so vor, als müssten sie mit dem Kopf theologisch das aufbauen, was Henry VIII. genital eingerissen hat. Aber die Engländer wären nicht Engländer, wenn sie dies nicht sehr gut gemacht hätten.

Die Zwitterstellung wird auch im Zweiten Vaticanum im Dekret über den Ökumenismus "Unitatis redintegratio" deutlich: Sie wird nicht im Zusammenhang mit den Orthodoxen Kirchen, sondern mit den reformatorischen erwähnt, aber - so "Unitatis redintegratio" - Unter denjenigen von ihnen (scil. den reformatorischen Gemeinschaften) bei denen katholische Traditionen und Strukturen zum Teil fortbestehen, nimmt die Anglikanische Gemeinschaft einen besonderen Platz ein.

Diese Unklarheit spürt man auch in Eurer bisherigen Diskussion, lieber Stephen und lieber Großinquisitor Alexander.

Stephen Dedalus
Beiträge: 5449
Registriert: Dienstag 7. September 2004, 15:28

Beitrag von Stephen Dedalus »

Tacitus hat geschrieben:Die Vielfalt der Anglikanischen Kirche hat mich immer fasziniert, ist m.E. typisch englisch und für mich ein Schatz, ein Reichtum, dieser Glaubensgemeinschaft.

Das ist einerseits richtig, andererseits muß man natürlich sehen, daß diese Vielfalt auch das Ergebnis langer Prozesse ist (Reformation dauerte in England über 100 Jahre!) und außerdem immer wieder bedroht wird - heute vielleicht mehr als je zuvor. Denn was in der Vielfalt lebt, droht auch immer wieder zu zerbrechen, weil manche Leute diese Vielfalt eben nicht ertragen und lieber mehrere nebeneinander bestehende Monokulturen wünschen. Gleichzeitig fasziniert mich auch immer wieder, daß die Vielfalt sich doch im Zentralen immer wieder trifft: In der Liturgie und Eucharistie.
Das Problem liegt im Ursprung der Anglikanischen Kirche begründet: Ein König hat Frauenprobleme. Nichts besonderes, schon garnicht in England. :D
Das ist ein angebliches historisches Faktum, das genausowenig auszurotten sein wird wie die Behauptung, Kolumbus hätte Amerika entdeckt. Heinrich VIII hat die Anglikanische Kirche überhaupt nicht gegründet. Er hat lediglich ihren Status verändert. Niemand (außer ein paar wirrköpfigen Freikirchlern) käme auf die Idee, zu behaupten, Konstantin hätte die römisch-katholische Kirche gegründet. Genausowenig hat Heinrich das mit der Kirche von England getan. Er hat lediglich den Einfluß des Papstes in England unterbunden - über die Gründe darüber kann man ebenfalls diskutieren. Natürlich war er ein schlimmer Finger, aber die Eheproblematik war ja nur der Anlass für die Trennung von Rom. Mit ihr kam eine Entwicklung zum Abschluss, die in England auch schon das Mittelalter durchzogen hatte: Der Konflikt zwischen weltlicher und kirchlicher Macht (Investiturstreit).

Heinrich hat sonst an und in der Kirche nichts Wesentliches geändert, wenn man mal von seiner Berufung Cranmers zum Erzbischof von Canterbury absieht, der dann nach Heinreichs Tod ([Punkt]) die Herausgabe des ersten BCP mit veranlasst hat. Heinrich selbst hat durch die Trennung von Rom allerdings den Weg dafür freigemacht, daß in der Folgezeit Reformen durchgeführt werden konnten, die von der Reformation beeinflußt waren. Gott sei dank wurde dabei aber das katholische Erbe nicht wie auf dem Kontinent großteils entsorgt, sondern beibehalten.
Dadurch, dass die Kirche vom König selbständig gemacht wurde, kam eine gewisse Zwitterposition heraus: nicht mehr ganz katholisch, nicht ganz protestantisch.
Dieser Fakt liegt imho weniger an der Trennung Heinrichs von Rom, sondern daran, daß man in England versucht hat, die Natur der Kirche als katholische Kirche zu bewahren und gleichzeitig Mißstände des Mittelalters abzubauen und einige Anliegen der Reformation umzusetzen. Das geschah natürlich nicht im luftleeren Raum (wenn auch auf einer Insel). Der Gedankenaustausch mit dem Kontinent war immer da. Das Ergebnis war, daß die Kirche von England sowohl den Protestanten zu katholisch war und sie beständig für eine Vollendung der Reformation kämpften (Puritaner). Ebenso war sie den Katholiken zu protestantisch (weil ohne Papst). Diese Problematik besteht bis heute - obwohl die katholische Kirche im Grunde mit dem 2. Vaticanum die gleichen Reformen durchgeführt hat wie die Kirche von England im 16. Jahrhundert (zumindest in liturgischer Hinsicht). Unsere Gottesdienste sind heute daher im liturigischen Ablauf fast identisch.
Die Zwitterstellung wird auch im Zweiten Vaticanum im Dekret über den Ökumenismus "Unitatis redintegratio" deutlich: Sie wird nicht im Zusammenhang mit den Orthodoxen Kirchen, sondern mit den reformatorischen erwähnt, aber - so "Unitatis redintegratio" - Unter denjenigen von ihnen (scil. den reformatorischen Gemeinschaften) bei denen katholische Traditionen und Strukturen zum Teil fortbestehen, nimmt die Anglikanische Gemeinschaft einen besonderen Platz ein.
Na, immerhin. :D

Gruß
Stephen
If only closed minds came with closed mouths.

Stephen Dedalus
Beiträge: 5449
Registriert: Dienstag 7. September 2004, 15:28

Beitrag von Stephen Dedalus »

Alexander hat geschrieben:Jaja, man kann reden, schöne Fotographien machen lassen...
Hallo Alexander,

Jaja, es sind durch Gespräche schon ganz faszinierende Dinge ans Licht gekommen. Wenn ich zum Beispiel die jüngsten Ergebnis der Gespräche zwischen Anglikanern und Römern über die Hl. Jungfrau Maria (Mary: Grace and Hope in Christ) hernehme. Da hätte auch niemand gedacht, daß man soweit zueinander kommt. Man kann natürlich Gespräche auch unterlassen, weil man im Vorhinein meint, der Partner ist ein Erzhäretiker. Dann wird man allerdings niemals entdecken, wie man doch zueinander kommt.
Da können ruhig Protestanten mit ihren Schrullen (Low Church), Nestorianer und Monophysiten (die ja das Nicäum bekennen) alle mitmachen, keiner wird ausgestoßen. Wie Du Deinen Glauben zum Vorschein bringst, ist sehr schön, doch sind in Deiner Kirche Leute, die ganz anders glauben.
Nö, die können nicht alle mitmachen. Schließlich gilt bei uns auch noch das Quicumque vult (Athanasianum), und mit dem dürften die teilweise doch ihre Probleme haben.

Ja, es gibt in meiner Kirche Leute, die anders glauben als ich. Muß mir das Sorgen machen? Ich glaube nicht. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum ich hingehen sollte und jemanden, der neben mir in der Kirchenbank kniet, herauswerfen soll, weil er zu irgendeinem Thema eine andere Glaubensüberzeugung hat. Und letztlich läuft es darauf hinaus, auch wenn die Formen nicht so harsch sind. Solange wir mit ganzem Herzen die Liturgie zusammen feiern können, soll er mir willkommen sein! Eine Bandbreite von Glaubenseinstellungen gibt es überall. Seit ich mich in katholischen Internetforen herumtreibe, weiß ich, daß diese Bandbreite überall da ist, auch in der katholischen Kirche. Der große Unterschied ist allerdings, daß es aufgrund des Corpus an Lehrdokumenten der kath. Kirche ein größeres Spielfeld gibt, auf dem man sich dann gegenseitig vorwerfen kann, nicht "katholisch" zu sein. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr mich das oft abstößt.

LG
Steve
If only closed minds came with closed mouths.

Stephen Dedalus
Beiträge: 5449
Registriert: Dienstag 7. September 2004, 15:28

Beitrag von Stephen Dedalus »

Alexander hat geschrieben: Deine High-Church- Einstellung ist Deine Privatmeinung. Und es gibt sehr wenig Verbindliches. Dabei ist die Frage des Bekenntnisses keine müßige Frage: der Glaube ist lebenswichtig.
Hallo Alexander,

Dem letzten Satz kann ich gut zustimmen. Aber ich denke jetzt seit geraumer Zeit über den Satz nach: "Deine High-Church-Einstellung ist Deine Privatmeinung." Was genau willst Du damit zum Ausdruck bringen? Ich komme nicht hinter die Bedeutung von "Privatmeinung". Kann mein Glaube eine Privatmeinung sein, auch wenn ich ihn mit Millionen anderer Christen der katholischen Tradition teile? Ist er eine Privatmeinung, weil ich ihn vertrete, obwohl die offiziellen Dokumente meiner Kirche mir einen gewissen Spielraum darin lassen? Ist nicht der Glaube jedes Christen in einem gewissen Maße seine "Privatmeinung"? Meine Erfahrung aus Diskussionen und Lektüre von Konvertitenberichten ist ja gerade die: Diejenigen, die die angeblich fehlende Lehrautorität in der Kirche von England am schärfsten kritisieren, sind die größten Opfer ihrer eigenen Privatmeinungen.

Gruß
Steve
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Knecht Ruprecht
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