Hier nun eine Stellungnahme von Propst Gert Kelter, Ökumenebeauftragter der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, per news-letter dieser lutherischen Kirche:
KOMMENTAR:
Die römisch-katholische Kirche hat seit dem 13. März 213 einen neuen Papst: Papst Franziskus. Zu dessen erster Ansprache hat Propst Gert Kelter eine erste Analyse verfasst.
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Ein Kommentar von Gert Kelter, Pfarrer in Görlitz und Propst im Sprengel Ost sowie Ökumenereferent der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK).
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Bischof Franziskus von Rom
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...“ sagte Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“. Das gilt wohl auch für die ersten Worte eines neugewählten Papstes, mit denen er sich kurz nach seiner Wahl an die Öffentlichkeit wendet. Es ist schwer zu beurteilen, ob die Worte, die der neugewählte Papst Franziskus gestern an die auf dem Petersplatz versammelten Menschen richtete, wirklich bewusste Programmatik oder doch eher Ausdruck eigener Bewegtheit und Spontaneität waren. Vielleicht sollte man die Worte dieser ersten Kurzadresse daher auch nicht auf die Goldwaage legen.
Eine Diözese hat einen neuen Bischof
Dennoch: Wer mit „theologischen Ohren“ hörte, bekam einiges von Gewicht zu hören: „Ihr wisst“, begann der Papst, „es war die Aufgabe des Konklaves, Rom einen Bischof zu geben.“ Das gehörte zwar zweifellos auch zu den Aufgaben des Konklaves. Dennoch lässt es aufmerken, wenn der neue Papst gerade diese Aufgabe betont und als einzige nennt. Bei einer Aufgabenbeschreibung eines Konklaves hätte man durchaus die Wahl des geistlichen Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche, also des Papstes, in den Vordergrund stellen können, wie es sicherlich die weltweit medial teilnehmende Öffentlichkeit auch erwartete.
Stattdessen die Feststellung von Franziskus: „Die diözesane Gemeinschaft von Rom mit seinem Bischof.“ So der Wortlaut nach Radio Vatikan. Andere Übersetzungen bieten auch an: „Die Diözese Rom hat nun seinen Bischof.“ (kathpress)
Unbestreitbar ist der Papst immer auch Bischof von Rom und dies gilt auch umgekehrt. Bemerkenswert ist jedoch die Akzentuierung, die der bisherige Erzbischof von Buenos Aires hier vornimmt, indem er als ihm offenbar wichtigstes Resultat seiner Wahl feststellt: Die Diözese Rom hat einen neuen Bischof. Und nicht etwa: Die römisch-katholische Kirche hat einen neuen Papst. In derselben Weise wendet er sich im nächsten Satz seinem Vorgänger zu, den er als „emeritierten Bischof Benedikt XVI.“ bezeichnet. Auch Benedikt XVI. erwies in seiner Habemus-Papam-Ansprache am 19. Mai 25 seinem verstorbenen Vorgänger die Reverenz, bezeichnete ihn aber als „großen Papst Johannes Paul II“ und nicht etwa als „verewigten Bischof von Rom“.
Vorsitzender in der Liebe
Dann weitet der bisherige Kardinal Bergoglio den Blick von der Diözese Rom auf die ganze Kirche, indem er fortfährt: „Und jetzt beginnen wir diesen Weg – Bischof und Volk –, den Weg der Kirche von Rom, die den Vorsitz in der Liebe führt gegenüber allen Kirchen.“ Selbstverständnis und Terminus des „Vorsitzes in der Liebe“ findet man auch in Reden anderer Päpste. Der Begriff geht auf Ignatius von Antiochia zurück, der ihn um das Jahr 11 n. Chr. in seinem Brief an die Römer verwendet, um damit den Status des Bischofs von Rom gegenüber den anderen Bischöfen zu kennzeichnen.
Der Bischof von Rom als „Vorsitzender in der Liebe“, der sich zusammen mit dem „Volk“ nun auf einen „Weg der Brüderlichkeit, der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens“ begibt, wie Franziskus diesen Gedanken dann entfaltet: Ein solches Selbstverständnis des Petrusdienstes könnte ganz neue innerkirchliche, vor allem aber auch ökumenische Perspektiven eröffnen. Als Primus inter pares, als Gleicher unter Gleichen, dem aufgrund allgemeiner Übereinkunft ein Ehrenvorrang in der Liebe, ein Sprecheramt unter den Bischöfen und Ortskirchen zukommt, könnte sich Franziskus vermutlich insbesondere auch bei den Ostkirchen viel Sympathie und theologische Zustimmung sichern. Auch für Altkatholiken und nicht zuletzt für Lutheraner wäre ein so akzentuiertes päpstliches Selbstverständnis eine Gesprächsbasis.
Es sei nicht nur an das Luther-Zitat erinnert, in dem dieser bekundet, er wolle dem Papst die Füße küssen, wenn dieser nur das Evangelium zuließe, sondern auch an den Zusatz, mit dem Melanchthon 1537 die Schmalkaldischen Artikel unterschrieben hat: „Die vorgestellten Artikel halte ich auch für recht und christlich, vom Papst aber halte ich, wenn er das Evangelium zulassen wollte, daß ihm dann um des Friedens und der allgemeinen Einigkeit willen, von denjenigen Christen, die bisher unter ihm sind und auch künftig sein möchten, seine Oberhoheit über die Bischöfe, die er nach menschlichem Recht hat, auch von uns zugestanden werden soll.“
Man darf jedenfalls gespannt sein, ob dieser Versuch einer Analyse weniger erster Worte nur dem „Zauber des Anfangs“ erlegen ist oder ob sich hier tatsächlich neue Perspektiven, gerade auch für das ökumenische Gespräch und im Blick auf das römische Selbstverständnis des Papstamtes ergeben.
Welcher „Franz“ stand Pate?
Und noch ein letzter Gedanke: Es liegt nahe, die Namenswahl des neuen Papstes auf den heiligen Franz von Assisi zu beziehen und daraus – wie es gestern in den Medien bereits zu hören war – Rückschlüsse auf ein bevorstehendes Reform- wenn nicht gleich ein „Revolutionspontifikat“ zu ziehen. Man wird gewiss in allernächster Zeit nähere Informationen über den Hintergrund der Namenswahl erhalten.
Spontan fiele mir aber als Namenspate noch ein ganz anderer Franz ein: Der heilige Franz von Sales, der einem Jesuiten möglicherweise noch eher in den Sinn kommen konnte als der Begründer des Franziskanerordens. Franz von Sales (1567-1622) war Jesuitenkollegiat, Fürstbischof von Genf und Ordensgründer. Er gilt als sanfter, liebenswürdiger, den Menschen sehr zugewandter Heiliger. Einfachheit und Bescheidenheit sind Ideale, die die „beiden Fränze“ teilten und lebten. Franz von Sales zählte zu den großen Vorbildern Papst Johannes XXIII. Ihm wird der Satz zugeschrieben „Gib dir jeden Tag eine Stunde Zeit zur Stille, außer wenn du viel zu tun hast ... dann gib dir zwei.” Gelassenheit, Bescheidenheit, Stille, Gebet: Wer die Habemus-Papam-Ansprache Franziskus' mitverfolgt hat, kann sich des Eindruckes nicht ganz erwehren, dass diese Form der Spiritualität ihn geprägt hat. Freilich: Franz von Sales, menschlich-liebenswürdiger Seelenführer, Evangelist, begnadeter Prediger, Lehrer und Pädagoge („Schutzpatron der Journalisten“!) wäre auch unter ökumenischen Gesichtspunkten ein interessanter Namenspate: Er hatte nämlich maßgeblichen Anteil an der Rekatholisierung des calvinistisch gewordenen Genfer Bistums. Dabei verzichtete er auf die damals übliche konfessionelle Polemik und überzeugte durch Argumente, die er aufgrund seiner intensiven theologischen Beschäftigung mit dem Calvinismus liebenswürdig vorzubringen wusste.
Sollte es denn nicht vorrangig Franz von Assisi sondern Franz von Sales gewesen sein, an den der neue Papst bei seiner Namenswahl dachte, könnte möglicherweise zu den Zielen des neuen römischen Bischofs nicht nur die in seiner Ansprache erwähnte „Evangelisierung dieser schönen Stadt“ (Rom), sondern auch die Rekatholisierung seines süd- bzw. lateinamerikanischen Heimatkontinentes gehören, der in den letzten Jahrzehnten zwar nominell ein Wachstum der römisch-katholischen Kirche zu verzeichnen hatte, faktisch jedoch durch protestantische, charismatisch-calvinistische Gemeinschaften und Sekten förmlich überschwemmt wurde. Bereits 27 meldete beispielsweise das statistische Institut Brasiliens (IBGE), von den nominell 155 Millionen römischen Katholiken des Landes seien faktisch weit über 4 Millionen „evangelikale“ Brasilianer.
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Ein Kommentar von selk_news [14.3.213]
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