Fragesteller hat geschrieben:Naja, dass die real exisitierende römisch-katholische Kirche des 16. Jahrhunderts dringend einer "Reformation" bedurfte, ist ja wohl überkonfessionell anerkannt, da hat Rom mit dem Tridentinum auch seine Konsequenzen gezogen. Ob das, was Luther & Co. dann taten, eine solche Reformation war, wo sie darüber hinausgingen und welche dieser Punkte evtl. problematisch sínd, bedarf einer differenzierteren Diskussion, und die Wahrheit liegt hier nicht so klar am Licht. Dass in dieser Situation jeder vorläufig der "Partei", in die hinein er sozialisiert wurde, den größeren Vertrauensvorschuss gibt, sollte auch niemanden wundern. Schwarz-Weiß-Malerei ist da nicht angemessen ("evangelischs" Relativismus - den man beiderseits des konfessionellen Grabens antrifft, auf evangelischer Seite eher offiziell - allerdings auch nicht).
Dass die Reform zur damaligen Zeit angebracht war, ist ja durchaus historische Wahrheit und gehört auch zur kirchlichen Entwicklung. Reformbedarf ist auch etwas, was die Kirche aus Sicht mancher Menschen permanent begleitet. Also kein einmaliges historisches Moment, sondern etwas, was auch heute immer und immer passiert. Natürlich nicht mit den drastischen Auswirkungen, die es in der deutschen Geschichte gab.
Heutzutage halte ich jedoch viele Punkte, die zur Reformation führten, für nicht mehr aktuell. Die Kirche hat sich mit der Zeit angepasst und manche Traditionalisten bezeichnen die heutige Messe etwas bitter als Luthermesse. Wenn ich also heute Mitglied der evangelischen Kirche werde, stehe ich nicht mehr vor Gründen, die zur Zeit der Reformation eine Rolle spielten. Die heutige Situation würde zu keiner Kirchentrennung mehr führen, was letztlich auch durch den zunehmenden Ökumene-Gedanken unter Beweis gestellt wird.
Wenn ich mich also entscheide, Mitglied der evangelischen Kirche zu werden (reden wir natürlich nicht von Menschen, die zu ihrer Kindheit protestantisch sozialisiert wurden und nun einfach auch eine Bindung an ihre Gemeinde haben und deshalb natürlich nicht konvertieren), tue ich das doch bewusst. Und so eine bewusste Entscheidung ist gerade in der heutigen Zeit auch eine Entscheidung gegen die katholische Kirche. Das ist vielleicht unbequem, ist aber die tiefere Wahrheit von Entscheidungen, dass sie sich auch immer gegen etwas richten.
Davon ausgehend ist für mich eben fraglich, ob es Ökumene geben muss: denn Protestanten sind für mich Protestanten, weil sie eine klare Entscheidung dafür getroffen haben. Würden sie sich an den Glauben der Katholischen Kirche annähern wollen, hätten sie auch in die Katholische Kirche gehen können. Taten sie aber nicht, ich finde diese Entscheidung respektabel. Aber warum muss es die Suche nach einer Gemeinsamkeit mit einer Gruppe geben, deren Mitglieder sich eben bewusst für ihre Konfession entschieden haben? Ich kann das vollumfänglich respektieren und nehme die Menschen eben in ihrer Selbst- und Glaubenswahrnehmung ernst.