Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
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Siard
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Siard »

Dieter hat geschrieben:Die Zeiten, dass die Lutheraner die Reformierten vereinnahmen konnten, sollten vorbei sein.
Die sind spätestens seit der Altpreußischen Union vorbei.

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

Die Vereinnahmung geschah und geschieht an der Basis. Dies war besonders nach dem Krieg der Fall, als Millionen von Lutheranern aus dem Osten Deutschlands in die traditionell reformierte Gebiete und Städte kamen. Zunächst besuchten die Lutheraner ganz bescheiden den reformierten Gottesdienst. Dann kam die Bemerkung "Ein paar Kerzen wären doch schön", und die Reformierten stellten Kerzen auf. Dann: "Ein Kreuz gehört doch in jede Kirche", und die Reformierten stellten ein Kreuz auf den Abendmahlstisch (von den Lutheranern konsequent "Altar" genannt). Dann: "Wir vermissen die Wechselgesänge" und auch die wurden vereinzelt von den Reformierten eingeführt.

Als dann die Reformierten in der absoluten Minderheit waren, wurde das Presbyterium der reformierten Gemeinde zum Teil von Lutheranern übernommen, die dann einige Jahre später beschlossen, aus ihrer Gemeinde eine "unierte" zu machen....

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Siard
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Siard »

Was hier alles Lutheraner genannt wird …
Umgekehrt war es schon lange so, gerne auch mit Hilfe preußischen Militärs.

TillSchilling

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von TillSchilling »

Dieter hat geschrieben:Die Vereinnahmung geschah und geschieht an der Basis. Dies war besonders nach dem Krieg der Fall, als Millionen von Lutheranern aus dem Osten Deutschlands in die traditionell reformierte Gebiete und Städte kamen. Zunächst besuchten die Lutheraner ganz bescheiden den reformierten Gottesdienst. Dann kam die Bemerkung "Ein paar Kerzen wären doch schön", und die Reformierten stellten Kerzen auf. Dann: "Ein Kreuz gehört doch in jede Kirche", und die Reformierten stellten ein Kreuz auf den Abendmahlstisch (von den Lutheranern konsequent "Altar" genannt). Dann: "Wir vermissen die Wechselgesänge" und auch die wurden vereinzelt von den Reformierten eingeführt.

Als dann die Reformierten in der absoluten Minderheit waren, wurde das Presbyterium der reformierten Gemeinde zum Teil von Lutheranern übernommen, die dann einige Jahre später beschlossen, aus ihrer Gemeinde eine "unierte" zu machen....
Du hast das noch miterlebt? Kannst dich noch gut erinnern?

Fragesteller
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:Die Reformierten müssen aufpassen, dass sie sich vor lauter ökumenischer Gesinnung nicht selbst überflüssig machen!

Als Beispiel blicke man auf Wuppertal, das früher einmal eine durch und durch reformiert geprägte Stadt war. Dann kam die Ökumene und die Reformierten machten Zugeständnis nach Zugeständnis. Heute gibt es in Wuppertal nur noch zwei echte reformierte Gemeinden, Ronsdorf und Schöler.

Die Zeiten, dass die Lutheraner die Reformierten vereinnahmen konnten, sollten vorbei sein. Heute kann es nur ein friedliches und ökumenisches Nebeneinander geben, gerade weil nur etwa 10 % der evangelischen Landeskirchler in Deutschland reformiert sind.
Selbst wenn es nur um Geschmacksfragen ginge, könnte man sich überlegen, ob sich hier die Zeiten nicht ändern können und ob bestimmte kulturelle Phänomene nicht auch mal aussterben dürfen, wenn sie aus eigener Kraft nicht mehr überleben können. Hier aber, lieber Dieter, geht es um die Wahrheit. Da ist ein Unter-Naturschutz-Stellen gefährdeter Minderheiten völlig unangemessen.

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Florianklaus
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Florianklaus »

Dieter hat geschrieben:Die Vereinnahmung geschah und geschieht an der Basis. Dies war besonders nach dem Krieg der Fall, als Millionen von Lutheranern aus dem Osten Deutschlands in die traditionell reformierte Gebiete und Städte kamen. Zunächst besuchten die Lutheraner ganz bescheiden den reformierten Gottesdienst. Dann kam die Bemerkung "Ein paar Kerzen wären doch schön", und die Reformierten stellten Kerzen auf. Dann: "Ein Kreuz gehört doch in jede Kirche", und die Reformierten stellten ein Kreuz auf den Abendmahlstisch (von den Lutheranern konsequent "Altar" genannt). Dann: "Wir vermissen die Wechselgesänge" und auch die wurden vereinzelt von den Reformierten eingeführt.

Als dann die Reformierten in der absoluten Minderheit waren, wurde das Presbyterium der reformierten Gemeinde zum Teil von Lutheranern übernommen, die dann einige Jahre später beschlossen, aus ihrer Gemeinde eine "unierte" zu machen....
Da geht es doch nur um ein bißchen lutherische Folklore, bekenntnistreues Luthertum gibt es in Deutschland doch nur noch bei der SELK und einigen Versprengten in den Landeskirchen. Spätestens seit Leuenberg haben die Kalvinisten doch auf ganzer Linie gewonnen.
Zuletzt geändert von Florianklaus am Mittwoch 19. November 2014, 17:56, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Weiß nicht, ob das die Calvinisten sind, die ja mindestens in Deutschland tatsächlich in der Minderheit sind. Vielleicht eher semisäkulare Strömungen, wobei da natürlich gewisse Wahlverwandtschaften bestehen.

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Jarom1
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Jarom1 »

Wo haben die Calvinisten "auf ganzer Linie" gewonnen? Die Reformierte Landeskirche ist genau so säkularisiert wie die anderen (lutherischen) Mitgliedskirchen der EKD. Calvinisten findet man in Deutschland wohl am ehesten in der SERK (http://www.serk-heidelberg.de/).
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Florianklaus
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Florianklaus »

Jarom1 hat geschrieben:Wo haben die Calvinisten "auf ganzer Linie" gewonnen?
Dann frag doch mal einen landeskirchlichen "Lutheraner" ob er an die Realpräsenz glaubt.

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

An Realpräsenz glaubt aber auch der "moderne aufgeklärte Mensch" nicht. Und da der klassische Reformierte im Gegensatz zu diesem etwa an Prädestination und Jungfrauengeburt glaubt, der zeitgenössische Landeskirchenlutheraner jedoch tendentiell nicht, ist davon auszugehen, dass eher der Aufklärer als der Reformierte für den Glaubenswandel des Lutheraners verantwortlich ist. Es mag gewisse Wahlverwandtschaften, Kontinuitätslinien und kleine Beeinflussungen geben. Aber dass der gegenwärtige Zustand des deutschen Luthertums entscheidend auf Einwirkung der gegenwärtigen Reformierten zurückgehe, scheint mir auch angesichts der geringen Anzahl der Reformierten hierzulande zu kurz gedacht.
Florianklaus hat geschrieben:Da geht es doch nur um ein bischen lutherische Folklore, bekenntnistreues Luthertum gibt es in Deutschland doch nur noch bei der SELK und einigen Versprengten in den Landeskirchen.
Was dieses Resultat angeht, ist Dir freilich zuzustimmen.

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

Die Reformierten sind in den meisten Fällen eher weniger säkularisiert, jedenfalls in Deutschland.

Warum?

Die Regionen, in denen die Reformierte Kirche Volkskirchencharakter hat (Grafschaft Bentheim, Ostfriesland) sind eher ländlich geprägt. Das Kirchenvolk dort will eine traditionelle Predigt hören.

In vielen großstädtischen Gemeinden, vor allem dann, wenn es sich um Hugenottengemeinden handelt, pflegt man aus historischen Gründen die Tradition und verändert bewusst nichts. In der Hauptkirche des reformierten Protestantismus, der Französischen Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin, gibt man sich politisch eher progressiv (Mitgliedschaft in Attac usw) , spirituell aber eher konservativ. Gottesdienstbesucher von außerhalb haben dort oft den Eindruck, in einer "frommen" Gemeinde zu sein.
Zuletzt geändert von Dieter am Mittwoch 19. November 2014, 18:05, insgesamt 1-mal geändert.

Fragesteller
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:gibt man sich politisch eher progressiv (Mitgliedschaft in Attac usw) , spirituell aber eher konservativ.
Meinst Du mit "spirituell" die äußere Gestalt des Gottesdienstes? Dann scheint das den Berliner Edelprotestantismus (auch Dom, St. Marien) generell zu charakterisieren. Die Frage wäre: Wie bezieht man theologisch Position? Vermutlich doch auch eher progressiv.

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

Für deutsche Reformierte sind Frauenordination und Homosexualität keine Themen mehr, vor allem nicht in Berlin. Wie im Berliner Dom und in St. Marien ist auch in der Französischen Kirche die Liturgie Sonntag für Sonntag die gleiche, was ja auch der Sinn von Liturgien ist. Die Gottesdienste in diesen drei Kirchen (und auch noch in anderen) sind würdevoll und haben Stil. Sozialpädagogische Spielchen und "die kleine Anne-Sophie, die die Besucher mit ihrer Blockflöte erfreut", sind dort undenkbar.

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:Für deutsche Reformierte sind Frauenordination und Homosexualität keine Themen mehr
Ja sicher. Aber wie sieht es mit theologischen Kernfragen aus (Gottessohnschaft Christi, Realität der Auferstehung, Heilsrelevanz des Glaubens etc.)? Wohl auch nicht viel konservativer als bei diesen Sex-Fragen.

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

Fragesteller hat geschrieben:
Dieter hat geschrieben:Für deutsche Reformierte sind Frauenordination und Homosexualität keine Themen mehr
Ja sicher. Aber wie sieht es mit theologischen Kernfragen aus (Gottessohnschaft Christi, Realität der Auferstehung, Heilsrelevanz des Glaubens etc.)? Wohl auch nicht viel konservativer als bei diesen Sex-Fragen.


Ich habe -in Deutschland- noch in keinem reformierten Gottesdienst erlebt, dass diese Dinge verbal in Frage gestellt wurden.

Allerdings werden diese Punkte auch nicht in jedem Gottesdienst (über-)betont.

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

"bei diesen Sex-Fragen"

Ich hatte keine "Sex-Fragen" angesprochen. Bei der Frauenordination handelt es sich um eine Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, bei der Homosexualität um eine Frage, wie die sexuelle Orientierung eines Menschen theologisch einzuordnen ist. Mit genitalen Sexakten hat dies erst einmal nichts zu tun!

Tinius
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Tinius »

Hier wird generell ein verzerrtes Bild von der Realität in Gemeinden der Kirchen der EKD unterstellt. Es ist doch Quatsch, dass reformierte Landeskirchler mehr an die Jungfrauengeburt und die Prädestination glauben.
Die Jungfrauengeburt ist aus heutiger Sicht ein antikes Symbol und die Prädestination als doppelte ist längst verschwunden.

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Tinius hat geschrieben:Hier wird generell ein verzerrtes Bild von der Realität in Gemeinden der Kirchen der EKD unterstellt. Es ist doch Quatsch, dass reformierte Landeskirchler mehr an die Jungfrauengeburt und die Prädestination glauben.
Das hat niemand behauptet. Es ging mir darum, dass diese Dinge klassischerweise zum reformierten Glauben gehören. Wenn Lutheraner also aufgehört haben, an die Realpräsenz zu glauben, ohne die Jungfrauengeburt beizubehalten und die doppelte Prädestination hinzuzunehmen, ist die Quelle für den Wandel der Abendmahlslehre anderswo zu suchen als bei den Reformierten. Der parallele Wandel der Lehre bei diesen stützt die Annahme zusätzlich.
Tinius hat geschrieben: aus heutiger Sicht
Hör auf zu pauschalisieren und überleg dir mal ne Antwort auf das hier. Ohne die Prämissen zu klären, ist keine vernünftige Diskussion möglich.

Fragesteller
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Dieter hat geschrieben:Die Gottesdienste in diesen drei Kirchen (und auch noch in anderen) sind würdevoll und haben Stil. Sozialpädagogische Spielchen und "die kleine Anne-Sophie, die die Besucher mit ihrer Blockflöte erfreut", sind dort undenkbar.
Sowas würde ja auch dem bildungsbürgerlichen Stilempfinden zuwiderlaufen. Theologisch begründen können und wollen diese Leute den Verzicht auf solche Spielchen nicht und können darum auch mit Leuten, die sowas mögen, sehr gut koexistieren.
Dieter hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:Gottessohnschaft Christi, Realität der Auferstehung, Heilsrelevanz des Glaubens etc.
Ich habe -in Deutschland- noch in keinem reformierten Gottesdienst erlebt, dass diese Dinge verbal in Frage gestellt wurden.
Lehrveränderungen laufen heute auch eher über Ignoranz als über Widerspruch. Im 19. Jh. haben sich die Liberalos noch ehrlich gewehrt, das Apostolicum verwenden zu müssen. Heute geht das viel subtiler.
Dieter hat geschrieben:Allerdings werden diese Punkte auch nicht in jedem Gottesdienst (über-)betont.
Was im Zentrum steht, kann man schlecht überbetonen.
Dieter hat geschrieben: Mit genitalen Sexakten hat dies erst einmal nichts zu tun!
Ich habe nicht von Genitalien gesprochen.

Tinius
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Tinius »

Fragesteller hat geschrieben:
Tinius hat geschrieben:Hier wird generell ein verzerrtes Bild von der Realität in Gemeinden der Kirchen der EKD unterstellt. Es ist doch Quatsch, dass reformierte Landeskirchler mehr an die Jungfrauengeburt und die Prädestination glauben.
Das hat niemand behauptet. Es ging mir darum, dass diese Dinge klassischerweise zum reformierten Glauben gehören. Wenn Lutheraner also aufgehört haben, an die Realpräsenz zu glauben, ohne die Jungfrauengeburt beizubehalten und die doppelte Prädestination hinzuzunehmen, ist die Quelle für den Wandel der Abendmahlslehre anderswo zu suchen als bei den Reformierten. Der parallele Wandel der Lehre bei diesen stützt die Annahme zusätzlich.
Tinius hat geschrieben: aus heutiger Sicht
Hör auf zu pauschalisieren und überleg dir mal ne Antwort auf das hier. Ohne die Prämissen zu klären, ist keine vernünftige Diskussion möglich.
@ Fragesteller

Du scheinst da ein Problem zu haben. Welcher netten Religionsgemeinschaft gehörst du eigentlich derzeit an?

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

Tinius hat geschrieben:Welcher netten Religionsgemeinschaft gehörst du eigentlich derzeit an?
EKD. Schon immer. Landeskirchen waren es je nach Wohnort schon unterschiedliche.

TillSchilling

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von TillSchilling »

Florianklaus hat geschrieben:
Jarom1 hat geschrieben:Wo haben die Calvinisten "auf ganzer Linie" gewonnen?
Dann frag doch mal einen landeskirchlichen "Lutheraner" ob er an die Realpräsenz glaubt.
Frag doch mal einen römisch-katholischen Gläubigen. Oder einen Priester. Da kannst du erstaunliche Antworten hören.

TillSchilling

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von TillSchilling »

Fragesteller hat geschrieben: Es ging mir darum, dass diese Dinge klassischerweise zum reformierten Glauben gehören. Wenn Lutheraner also aufgehört haben, an die Realpräsenz zu glauben, ohne die Jungfrauengeburt beizubehalten und die doppelte Prädestination hinzuzunehmen, ist die Quelle für den Wandel der Abendmahlslehre anderswo zu suchen als bei den Reformierten. Der parallele Wandel der Lehre bei diesen stützt die Annahme zusätzlich.
Genau. Im lutherischen Skandinavien sieht es genauso schlimm aus wie in deutsch- oder holländischsprachigen Landen. Und dass die römisch-katholischen Spanier, Portugiesen und Italiener noch substanziell gläubiger wären als die Norddeutschen, die Schweden oder die Holländer wird doch niemand ernsthaft behaupten wollen. Von Frankreich und Belgien ganz zu schweigen.

Luther, dessen Wirken die Säkularisierung wahrscheinlich um mehr als 100 Jahre aufgehalten hat, hat geahnt was kommt, als er schrieb
das wort sie sollen lassen stahn
Wo die Schrift nicht als Wort Gottes anerkannt wird, wo die Offenbarung geleugnet wird, fehlt die Kraft und die Methode sich dem Glaubensverfall entgegenzustellen.

Raphael

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Raphael »

TillSchilling hat geschrieben:Luther, dessen Wirken die Säkularisierung wahrscheinlich um mehr als 100 Jahre aufgehalten hat, hat geahnt was kommt, als er schrieb
das wort sie sollen lassen stahn
Wenn's nicht so traurig wäre, könnte man über diese völlige Verdrehung der Tatsachen lachen! :|

Dieter
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Dieter »

Am letzten Sonntag wurde in der Französischen Friedrichstadtkirche ("Französischer Dom") anlässlich der Taufe einer 86jährigen Frau das Apostolicum gebetet.

Ganz so säkularisiert kann diese Gemeinde also wohl nicht sein.

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Jarom1
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Jarom1 »

Raphael hat geschrieben:
TillSchilling hat geschrieben:Luther, dessen Wirken die Säkularisierung wahrscheinlich um mehr als 100 Jahre aufgehalten hat, hat geahnt was kommt, als er schrieb
das wort sie sollen lassen stahn
Wenn's nicht so traurig wäre, könnte man über diese völlige Verdrehung der Tatsachen lachen! :|
Wieso Verdrehung? Sogar Nietzsche hat sich "beschwert", dass Luther mit seinem religiösen Eifer verhindert hat, dass das Christentum sang- und klanglos in der Renaissance aufgeht.
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Raphael

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Raphael »

Jarom1 hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
TillSchilling hat geschrieben:Luther, dessen Wirken die Säkularisierung wahrscheinlich um mehr als 100 Jahre aufgehalten hat, hat geahnt was kommt, als er schrieb
das wort sie sollen lassen stahn
Wenn's nicht so traurig wäre, könnte man über diese völlige Verdrehung der Tatsachen lachen! :|
Wieso Verdrehung?
Das Tridentinum besann sich auf die Wurzeln des katholischen Glaubens und ermöglichte damit ein Wiedererstarken der Kirche. Umgesetzt wurde das Reformprogramm durch die Gegenreformation und nicht - wie weithin fälschlicherweise vermutet wird - durch die Reformation.
Der Protestantismus überlebte lediglich wegen starker weltlicher Unterstützung mit den zwangsläufig einhergehenden säkularisierenden Tendenzen für die übernommene Glaubenssubstanz.
Ein Ende dieser Entwicklung ist der von Dir erwähnte nietzscheanische Nihilismus.

Völlig absurd wird das obige Lutherzitat, wenn man es auf Bultmann'sche "Bibelarbeiten" bezieht. :patsch:
Jarom1 hat geschrieben:Sogar Nietzsche hat sich "beschwert", dass Luther mit seinem religiösen Eifer verhindert hat, dass das Christentum sang- und klanglos in der Renaissance aufgeht.
So what? 8)
Wird nietzscheanischer Geschichtsdeutung in protestantischen Kreisen Unfehlbarkeit zugesprochen? :detektiv:
Zuletzt geändert von Raphael am Donnerstag 20. November 2014, 21:47, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Jarom1 »

Raphael hat geschrieben:
Jarom1 hat geschrieben:Sogar Nietzsche hat sich "beschwert", dass Luther mit seinem religiösen Eifer verhindert hat, dass das Christentum sang- und klanglos in der Renaissance aufgeht.
So what? 8)
Wird nietzeanischer Geschichtsdeutung in protestantischen Kreisen Unfehlbarkeit zugesprochen? :detektiv:
So weit sind wir noch nicht ;D
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Fragesteller »

TillSchilling hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben: Es ging mir darum, dass diese Dinge klassischerweise zum reformierten Glauben gehören. Wenn Lutheraner also aufgehört haben, an die Realpräsenz zu glauben, ohne die Jungfrauengeburt beizubehalten und die doppelte Prädestination hinzuzunehmen, ist die Quelle für den Wandel der Abendmahlslehre anderswo zu suchen als bei den Reformierten. Der parallele Wandel der Lehre bei diesen stützt die Annahme zusätzlich.
Genau. Im lutherischen Skandinavien sieht es genauso schlimm aus wie in deutsch- oder holländischsprachigen Landen. Und dass die römisch-katholischen Spanier, Portugiesen und Italiener noch substanziell gläubiger wären als die Norddeutschen, die Schweden oder die Holländer wird doch niemand ernsthaft behaupten wollen. Von Frankreich und Belgien ganz zu schweigen.

Luther, dessen Wirken die Säkularisierung wahrscheinlich um mehr als 100 Jahre aufgehalten hat, hat geahnt was kommt, als er schrieb
das wort sie sollen lassen stahn
Wo die Schrift nicht als Wort Gottes anerkannt wird, wo die Offenbarung geleugnet wird, fehlt die Kraft und die Methode sich dem Glaubensverfall entgegenzustellen.
Ich würde den Bedeutungsverlust der Schrift aber mehr als Symptom denn als Ursache sehen. Auch nicht sola-scriptura-mäßig begründete Dogmen der RKK und auch Glaubensinhalte anderer Religionen, soweit diese der westlichen Einflusssphäre angehören, verlieren an Popularität, wenn sie dem, was aus aufgeklärter Sicht sinnvoll erscheint, widersprechen.

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Jarom1
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Jarom1 »

Das sehe ich ebenso. Viele heutige Pastoren sind der sogenannten Bibelkritik verpflichtet oder versuchen, den Text der Bibel zu "dekonstruieren". Zudem treibt der Historizismus sein Unwesen, also der Unglaube, dass die Aussagen der Bibel immer im Kontext ihrer Zeit gesehen werden müssen und daher aufgrund neuer Erkenntnisse und des Fortschritts an die heutige Zeit angepasst werden müssen.
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TillSchilling

Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von TillSchilling »

Fragesteller hat geschrieben: Ich würde den Bedeutungsverlust der Schrift aber mehr als Symptom denn als Ursache sehen.
Scheint mir ein bisschen Henne-Ei-Problem-mässig. Selbst wenn die Bibelkritik zuerst nur Symptom, nur Reaktion war wurde sie dann doch zur Ursache noch weitergehender Angriffe auf die traditionelle Verständnis von der Schrift als Wort Gottes.
Fragesteller hat geschrieben:Auch nicht sola-scriptura-mäßig begründete Dogmen der RKK und auch Glaubensinhalte anderer Religionen, soweit diese der westlichen Einflusssphäre angehören, verlieren an Popularität, wenn sie dem, was aus aufgeklärter Sicht sinnvoll erscheint, widersprechen.
Bei Sola Scriptura geht es nur um das Verhältnis der Quellen von Lehre und Praxis. Auch die römisch-katholische Kirche hat eine Theologie der Offenbarung. Auch für die römisch-katholische Kirche war die Schrift das Wort Gottes, siehe hier. Diese Meinung spielt aber, genau wie in der universitären protestantischen Theologie, auch in der universitären römisch-katholischen Theologie immer weniger eine Rolle.

Tritonus
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Re: Rauhes Reformiertentum - laues Luthertum ?

Beitrag von Tritonus »

TillSchilling hat geschrieben:Bei Sola Scriptura geht es nur um das Verhältnis der Quellen von Lehre und Praxis. ...
Till, mir scheint (aus eigener Erfahrung), dass "Sola Scriptura" zwar keine ganz schlechte Idee ist, aber selten zu halbwegs eindeutigen Ergebnissen führt. (Etwas grob ausgedrückt: Ich halte sie nicht für praxistauglich.) Wenn es anders wäre, dann gäbe es keine zig evangelischen Richtungen und Konfessionen.

Nehmen wir mal als Beispiel die unterschiedlichen Taufverständnisse einiger evangelischer Richtungen. Und alle diese Richtungen berufen sich auf "Sola Scriptura":
- Kindertaufe einschließlich "Nottaufe" bei Lebensgefahr (z.B. Lutheraner) oder Erwachsenen-/Gläubigentaufe (z.B. Baptisten, Mennoniten ...),
- Taufe durch Besprengung (z.B. Lutheraner) oder Taufe durch Untertauchen (z.B. Baptisten) oder wahlweise (z.B. FEG),
- Taufe zur Vergebung der Sünden (wird sehr betont z.B. in den "Gemeinden Christi"),
- usw. usw.

Das führt zu recht eigenartigen Konsequenzen, selbst wenn ich evangelisch bleibe und nur mal, z.B. bei einem Umzug ins Ausland, die Gemeinde/Konfession wechsle. (Und wozu eigentlich Konfessionen, wenn ich doch sowieso nur die Schrift brauche?) Da stellt sich z.B. die Frage, ob meine evangelisch-lutherische Kindertaufe in einer Täufergemeinde (Baptisten, Mennoniten ...) überhaupt als "gültig" anerkannt wird, oder ob ich mich da erneut taufen ("wiedertaufen") lassen muss, um überhaupt als getaufter Christ zu gelten.

Sorry (nicht als Provokation gemeint, sondern eher als Frage!), aber gerade die Spaltung der Sola-Scriptura-Anhänger in hunderte Konfessionen und Splittergruppen spricht doch nicht gerade dafür, dass "Sola Scriptura" für die christliche Kirche überhaupt funktionieren kann, oder?

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