Reformation als Revolution?

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overkott
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Reformation als Revolution?

Beitrag von overkott »

Gerade im Blick auf Ende Oktober stellt sich die Frage, nach der Bewertung der Reformation nach 500 Jahren. Alle Christen sind sich sicher einig, dass der Zerfall der Einheit in der Vielfalt des Glaubens in Deutschland und Europa verheerende Wirkung hatte. 30 Jahre Krieg wühlten den Kontinent auf. Ja, die Reformation war eine Revolution, ein gewaltsamer Umbruch, den Luther nicht gewollt hat. Ich glaube, gerade wir Katholiken sollten Luther da mal in Schutz nehmen.

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cantus planus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von cantus planus »

Ich glaube, ich sollte als Katholik mal anmerken, dass ich es sehr gewagt finde, diesen Thread ausgerechnet in der Klausnerei zu eröffnen.

Ferner wäre erstmal zwischen dem religiösen und dem politischen Bereich zu differenzieren. Ich sehe eigentlich keinen Bereich, wo die Reformation etwas Positives bewirkt hätte.
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

cantus planus hat geschrieben:Ich sehe eigentlich keinen Bereich, wo die Reformation etwas Positives bewirkt hätte.
Na komm, denk mal scharf nach. Da müssten dir schon ein paar Sachen einfallen. Ich probiere es mal stellvertretend für dich: das Konzil von Trient, das Ende des Laien-Kelchverbots nach Vat.2, die schöne Kirchenmusik, die Wiederentdeckung des urkirchlichen Diakonissenamtes, die Bewahrung vieler alter Kirchen vor "Volksaltar-Umbauten", das Kreuzgang-Forum, u.s.w. u.s.f.
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HeGe
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von HeGe »

Lutheraner hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Ich sehe eigentlich keinen Bereich, wo die Reformation etwas Positives bewirkt hätte.
[...]das Kreuzgang-Forum, u.s.w. u.s.f.
Der Kreuzgang ist ein Produkt der Reformation? :panisch:

Robert! Hilfe! Schließung! :irritiert:
- Nutzer nicht regelmäßig aktiv. -

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lutherbeck
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von lutherbeck »

Lutheraner hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Ich sehe eigentlich keinen Bereich, wo die Reformation etwas Positives bewirkt hätte.
Na komm, denk mal scharf nach. Da müssten dir schon ein paar Sachen einfallen. Ich probiere es mal stellvertretend für dich: das Konzil von Trient, das Ende des Laien-Kelchverbots nach Vat.2, die schöne Kirchenmusik, die Wiederentdeckung des urkirchlichen Diakonissenamtes, die Bewahrung vieler alter Kirchen vor "Volksaltar-Umbauten", das Kreuzgang-Forum, u.s.w. u.s.f.
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

HeGe hat geschrieben:Der Kreuzgang ist ein Produkt der Reformation? :panisch:
Ja. Ohne der Reformation und der daraus entstandenen religiösen Vielfalt in der westlichen Welt, wäre es vielleicht nicht möglich so offen über seine religiösen Anschauungen zu diskutieren und problemlos seine Konfession zu wechseln.
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taddeo
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von taddeo »

Lutheraner hat geschrieben:
HeGe hat geschrieben:Der Kreuzgang ist ein Produkt der Reformation? :panisch:
Ja. Ohne der Reformation und der daraus entstandenen religiösen Vielfalt in der westlichen Welt, wäre es vielleicht nicht möglich so offen über seine religiösen Anschauungen zu diskutieren und problemlos seine Konfession zu wechseln.
Ohne die Reformation wär das aber auch nicht nötig.
Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert.
Falls es daneben wirklich noch "positive" Randerscheinungen geben sollte, fallen die demgegenüber nicht mehr ins Gewicht.

Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

taddeo hat geschrieben:Ohne die Reformation wär das aber auch nicht nötig.
Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert.
Meinst Du jetzt die Reformation oder die Gegenreformation? ;)
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asderrix
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von asderrix »

taddeo hat geschrieben: Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert..
Irren is halt nun mal katholisch, dieses selige Ereignis ist das Ergebnis der Realität, dass es in der rkK Milliarden von geistlich Toten gab.
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taddeo
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von taddeo »

asderrix hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben: Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert..
Irren is halt nun mal katholisch, dieses selige Ereignis ist das Ergebnis der Realität, dass es in der rkK Milliarden von geistlich Toten gab.
Darauf möchte ich zwar nicht wetten, aber in der Klausnerei habt ihr selbstverständlich Recht! ;D

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asderrix
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von asderrix »

taddeo hat geschrieben:
asderrix hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben: Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert..
Irren is halt nun mal katholisch, dieses selige Ereignis ist das Ergebnis der Realität, dass es in der rkK Milliarden von geistlich Toten gab.
Darauf möchte ich zwar nicht wetten, aber in der Klausnerei habt ihr selbstverständlich Recht! ;D
Dein Glück :ikb_tomcat:
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Christiane
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Christiane »

asderrix hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben: Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert..
Irren is halt nun mal katholisch, dieses selige Ereignis ist das Ergebnis der Realität, dass es in der rkK Milliarden von geistlich Toten gab.
Echt? Soviele Katholiken gab es damals? Am Ende noch mehr als damals Menschen auf der Erde lebten. Der Wahnsinn! :panisch:


Abgesehen davon ist die "Reformation" ungefähr so selig wie die Französische Revolution.
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Lioba
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lioba »

Taddeo und Asderrix gehen wohl eher von einer langfristigen Sicht aus. Zu Luthers Zeiten gab es vermutlich nicht mal eine Milliarde Leutchen auf dem ganzen Planeten.
Noch ein positiver Aspekt der Reformation- die Evangelen sind ein wunderbarer Sündenbock für Probleme bei Katholens. "Das haben sie sich alles bei den Evangelen abgeguckt" ist doch eine beliebte Erklärung. Wie betriebsblinde Eltern, die mit Dummheiten ihrer Sprösslinge konfrontiert werden. ;)
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Edi
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Edi »

asderrix hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben: Dieses unselige Ereignis hat der Welt hauptsächlich Millionen von physisch Toten und Milliarden von geistlich Toten beschert..
Irren is halt nun mal katholisch, dieses selige Ereignis ist das Ergebnis der Realität, dass es in der rkK Milliarden von geistlich Toten gab.
Unabhängig von diesem Thread habe ich mir schon seit längerer Zeit die Frage gestellt, wie denn Luther jemand gewesen sein soll, der die Menschen zur Umkehr brachte. In keinem Kirchengeschichtsbuch habe ich irgendetwas darüber gelesen. Luther war mehr oder weniger ein Reformator der Missbräuche in der Kirche angegangen hat, schoss aber auch über das Ziel hinaus, hat vielleicht aber auch dazu beigetragen, dass letzlich die Kirche sich wieder auf Wesentlicheres besonnen hat, aber jemand, der den echten Glauben als solchen lehrte, sehe ich in ihm nicht. Er hat ja sogar gegen die Wiedertäufer getobt. Ergo es ging ihm mehr um Glaubensrichtigkeiten aus seiner Sicht gesehen, weniger um eine wahre Umkehr der Menschen.

Wenn jemand nachweisen kann, dass die durch Luther letzlich begründete damalige protestanische Kirche geistlicher war, als die katholische, dann werde ich das auch glauben. Nur ist von Luther selber bekannt, dass er sich nach einiger Zeit über die reformatorische Kirche beklagt hat, sei sie noch unmoralischer als die katholische.

Daher ist für mich die Aussage die Reformation habe einen erneuerten Glauben an sich gebracht, nicht nachvollziehbar. Diese Aussage mag auf einige Bewegungen innerhalb der reformatorischen Richtungen zutreffen, aber hat wohl mit der Reformation an sich wenig zu tun.
Thomas von Kempen und andere sind bereits schon vor Luther gegen die Verweltlichung der Kirche angegangen, demnach gab es innerhalb der Kirche vor Luther schon Bestrebungen wieder mehr auf ein gottseliges Leben des einzelnen Christen hinzuwirken.
Zuletzt geändert von Edi am Donnerstag 21. Oktober 2010, 23:02, insgesamt 2-mal geändert.
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taddeo
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von taddeo »

Luther wäre ja an sich auch nur ein Protagonist dieser innerkatholischen Reformbestrebungen gewesen. Als solcher hätte er womöglich sogar segensreich wirken können.
Das Problem ist, daß "die Reformation" als Gesamtereignis weniger eine Frage der Religion als der Politik war, und daß Luther letztlich im politischen Strudel der Ereignisse untergegangen ist. Die religiösen Fragen waren nur der praktische Vorwand, um politische Entscheidungen zu erzwingen, die ohnehin im Raum standen.

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Edi
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Edi »

taddeo hat geschrieben:Das Problem ist, daß "die Reformation" als Gesamtereignis weniger eine Frage der Religion als der Politik war, und daß Luther letztlich im politischen Strudel der Ereignisse untergegangen ist. Die religiösen Fragen waren nur der praktische Vorwand, um politische Entscheidungen zu erzwingen, die ohnehin im Raum standen.
Genau. Ohne die Unterstützung und den Rückhalt gewisser Fürsten, die reichlich Eigeninteressen verfolgten, wäre die Reformation nicht sehr weit gediehen. Wir sehen an den ev. Kirchen ja heute noch die Landesgrenzen zum Teil von damals (Landeskirchen). Die Katholiken kamen den Protestanten schliesslich in manchen theologischen Streitfragen deutlich entgegen.
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Lioba
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lioba »

Ich frage mich ob es nicht auch ohne Luther irgendwann richtig gescheppert hätte in der Politik. Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser, Rom und den einzelnen Fürsten - auch ausserhalb des heutigen Deutschland - hat es schon lange gegeben. Wäre das dann immer so weitergegangen mit Scharmützeln hier und da oder war der Supergau letztlich sowieso unvermeidlich?
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

taddeo hat geschrieben:Das Problem ist, daß "die Reformation" als Gesamtereignis weniger eine Frage der Religion als der Politik war, und daß Luther letztlich im politischen Strudel der Ereignisse untergegangen ist. Die religiösen Fragen waren nur der praktische Vorwand, um politische Entscheidungen zu erzwingen, die ohnehin im Raum standen.
Ja, dank der Reformation gab es nach 1500 Jahren endlich wieder eine Grenze zwischen Römern und nordischen Völkern, die dem historischen Limes entsprach. :breitgrins:
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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

Edi hat geschrieben:Unabhängig von diesem Thread habe ich mir schon seit längerer Zeit die Frage gestellt, wie denn Luther jemand gewesen sein soll, der die Menschen zur Umkehr brachte. In keinem Kirchengeschichtsbuch habe ich irgendetwas darüber gelesen.
Jeder gute Prediger bringt die Menschen zur Umkehr.
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Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Lioba hat geschrieben:Ich frage mich ob es nicht auch ohne Luther irgendwann richtig gescheppert hätte in der Politik. Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser, Rom und den einzelnen Fürsten - auch ausserhalb des heutigen Deutschland - hat es schon lange gegeben.
Beispiel England: Hier führte der Konflikt zwischen Monarchie und Papsttum zur Trennung von Rom ganz ohne Luther.
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Ja, was wäre wenn...

Die Reformation ist sicher eine causa permixta.
So wie bisher hätte es nicht weitergehen dürfen und können.
Aber neben manchen guten Gedanken steckten eben auch fast von Anfang an grundfalsche Ideen in den Köpfen der Reformatoren.
Ohne die (eigennützige) Hilfe der Fürsten wäre die Reformation wohl gleich im Ansatz gescheitert. Andererseits haben dieselben Fürsten die Reformation zugleich, indem sie sie retteten, kaputt gemacht.

Ich meine: eine (nicht unbedingt die) Reformation war nötig. Die wesentlichen Gravamina hat die RKK jedoch inzwischen zumeist selbst abgeschafft (hätte sie das auch ohne die Reformation?). Nun, da der Auftrag (fast - es fehlt noch der Laienkelch und die Priesterehe) erfüllt ist, wird es Zeit für die Reste der evangelischen Kirche, wieder heimzukehren und den Aufstand gegen Gott, seine Kirche und seine Gebote zu beenden.
Von allen Gottesgaben ist die Intelligenz am gerechtesten verteilt. Jeder ist zufrieden mit dem, was er hat und freut sich sogar, dass er mehr hat, als die anderen.

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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Lioba hat geschrieben:Ich frage mich ob es nicht auch ohne Luther irgendwann richtig gescheppert hätte in der Politik. Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser, Rom und den einzelnen Fürsten - auch ausserhalb des heutigen Deutschland - hat es schon lange gegeben.
Beispiel England: Hier führte der Konflikt zwischen Monarchie und Papsttum zur Trennung von Rom ganz ohne Luther.
Ich vermute, dass ohne Calvin der englische Aufstand wie der Gallikanismus irgendwann wieder zusammengebrochen wäre. Der Abfall Englands war m.E. nur möglich im Windschatten des deutschen und nordeuropäischen. Er war eben nicht nur (wie in Frankreich) ein Aufstand gegen die Machtfülle des Papstes, sondern auch gegen seine Theologie. Und nur das geistliche Anliegen trug und trägt diesen Aufstand bis heute.
Von allen Gottesgaben ist die Intelligenz am gerechtesten verteilt. Jeder ist zufrieden mit dem, was er hat und freut sich sogar, dass er mehr hat, als die anderen.

Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Die englische Reformation speiste sich aus vielen Quellen, aber den Ausschlag gab eben nicht - wie bei Calvin oder Luther - ein alternatives theologisches System.

Der über Jahrhunderte schwelende Machtkonflikt zwischen Königtum und Papsttum entlud sich in einem nie dagewesenen Akt der Trennung von Rom unter Heinrich VIII. Richtig ist sicher, daß theologische Zweifel am päpstlichen Primat, wie sie auch in der kontinentalen Reformation zu finden waren, die Legitimation für diesen Akt der Trennung lieferten. Aber der Ausgangspunkt ist grundverschieden: Während für Luther und Calvin der Papst zum Antichristen wurde, weil er eine falsche Lehre vertrat, war für die Anglikaner der Papst vor allem abzulehnen, weil Macht für sich beanspruchte, die ihm nicht zustand.

Im späteren Verlauf der Reformation kam es freilich zu einer Mischung aus politischen und theologischen Motiven, wobei auch kontinentaleuropäische Einflüsse eine Rolle spielten. Es ist aber gerade dieser Fundamentale Unterschied zwischen protestantischer Reformation in Europa und der politischen Reformation in England, der das spätere Gesicht der Anglikanischen Kirche als katholisch und reformiert prägt - indem sich der katholische Flügel darauf berufen konnte, die römische Kirche nicht aufgrund ihrer Lehre abgelehnt zu haben.

Für einen lutherischen Pastor ist allerdings die Verwendung der Begriffe "Austand" und "Abfall" bemerkenswert. Dies impliziert, daß die Ansprüche des Papstes gerechtfertigt gewesen sei. Das weisen wir zurück.
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Verstehe ich dich recht?:
Die Weigerung des Papstes, Henry's Scheidungs- und Neuverheiratungsgelüsten zu willfahren, war ungerechtfertigt?

Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Clemens hat geschrieben:Verstehe ich dich recht?:
Die Weigerung des Papstes, Henry's Scheidungs- und Neuverheiratungsgelüsten zu willfahren, war ungerechtfertigt?
Clemens, kennst Du denn die Geschichte wirklich so schlecht?
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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Mit Detailkenntnissen zur englischen (Reformations-)Geschichte bin ich tatsächlich nicht so üppig bestückt.
Und bestimmt weißt du dazu mehr, als ich.
Also: was willst du mir damit sagen? Klär mich auf! :ja:
(Bisher gehe ich davon aus, dass H.VIII., der ja noch einige Jahre zuvor gegen Luther geschrieben(!) hatte, sich - als der Papst seine Scheidung von (Kath.?) v.Aragon nicht genehmigt hatte - 1532 von der RKK trennte und seine eigene Kirche aufmachte, zu deren ideologischer Untermauerung er sich reformierte Theologen vom Festland holte. Dass dabei noch ein paar andere alte Rechnungen aus der Zeit des Streits zwischen Konziliarismus und Papalismus mitbeglichen wurden, ist mir natürlich auch klar.)

Miserere Nobis Domine
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Clemens hat geschrieben: Nun, da der Auftrag (fast - es fehlt noch der Laienkelch und die Priesterehe) erfüllt ist, wird es Zeit für die Reste der evangelischen Kirche, wieder heimzukehren und den Aufstand gegen Gott, seine Kirche und seine Gebote zu beenden.
Ich bin zwar kein Lutheraner, aber wenn ich so in die CA schaue, gäbe es da noch mehr Aufträge. Zum Besipiel wäre nach Art. 28 der Vatikanstaat aufzulösen.
Clemens hat geschrieben: (Bisher gehe ich davon aus, dass H.VIII., der ja noch einige Jahre zuvor gegen Luther geschrieben(!) hatte, sich - als der Papst seine Scheidung von (Kath.?) v.Aragon nicht genehmigt hatte
Mit Verlaub, aber es wäre gar nicht möglich gewesen, eine Scheidung zu genehmigen. Tatsächlich ging es um eine Annulierung.
Clemens hat geschrieben: - 1532 von der RKK trennte und seine eigene Kirche aufmachte, zu deren ideologischer Untermauerung er sich reformierte Theologen vom Festland holte.)
Nein, die protestantischen Einflüsse auf die Kirche von England kamen später und haben mit der jurisdiktionellen Trennung nicht direkt etwas zu tun.

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Clemens
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Clemens »

Was meinst du mit "später"? Spontan fällt mir ein:
- Thomas Cranmer war in Deutschland und heiratete 1532 sogar die Nichte meines Ahnen Andreas Osiander.
- Bullingers Theologie war in den 1550ern sehr einflussreich in England.


Und betr. Scheidung vs. Annulierung: du hast natürlich recht; aber in jenem Fall wäre der Effekt derselbe gewesen. Die wunschgemäße Annulierung der Ehe hätte zur Scheidung der Eheleute geführt und das war es, was Heiner wollte.

Benedikt

Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Benedikt »

Clemens hat geschrieben:Die wunschgemäße Annulierung der Ehe hätte zur Scheidung der Eheleute geführt und das war es, was Heiner wollte.
:hae?:

Stephen Dedalus
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Ich kann's hier nur skizzieren, die Geschichte war in der Tat kompliziert:

Heinrich hatte in jungen Jahren (ich denke er war 12 Jahre alt) auf Wunsch seines Vaters die Witwe seines Bruders (König Arturs) geheiratet, Katharina von Aragon. Diese Ehe war nach damaligem Kirchenrecht nicht erlaubt, jedoch durch einen besonderen päpstlichen Dispens ermöglicht worden. Um diesen Dispens zu erlangen, mußten königliche Hofdamen aussagen, daß die Ehe zwischen König Artur und Katharina niemals vollzogen worden sei. (Diese Tatsache jedoch wurde späterhin bestritten).

Die Ehe zwischen Heinrich und Katharina blieb jedoch ohne männlichen Erben: Alle Kinder waren Mädchen, männliche Nachkommen starben kurz nach der Geburt. Für Heinrich war dies ein großes Problem und er kam zu der Überzeugung, daß die Ehe mit der Witwe seines Bruders ein Verstoß gegen göttliches Gebot war und niemals hätte geschlossen werden dürfen. Das Ausbleiben eines männlichen Erben sah er als göttliche Strafe für das Eingehen dieser blutschänderischen Ehe.

(Nun kann man über Heinrich und seinen Charakter sehr viel sagen. Außer Frage steht aber, daß er einer der gebildetsten Herrscher seiner Zeit war, sehr fromm und an theologischen Fragen ausgesprochen interessiert. Es ist in der Forschung unumstritten, daß das o.g. Anliegen Heinrich ernst war und er wirklich zu dieser Überzeugung gelangte. Dafür spricht auch die außergewöhnliche Hochachtung, die er Katharina von Aragon entgegenbrachte.)

Um eine (rechtmäßige) Ehe mit Anne Boleyn eingehen zu können, mußte aber die Ehe mit Katharina von Aragon annuliert werden. Heinrich VIII. verfolgte die Strategie, den seinerzeit gewährten Dispens anzufechten: Er sei gegen göttliches Recht zustandegekommen und aufgrund falscher Angaben. Papst Clemens VII. war in der Sache nicht abgeneigt, geriet jedoch in einen Loyalitätskonflikt. Er stand unter Druck Kaiser Karls V. (Sacco di Roma - Flucht des Papstes aus Rom etc.). Kaiser Karl war der Onkel Katharinas von Aragon - ein päpstlicher Dispens zur Annulierung der Ehe hätte den Friedensschluß zwischen Papst und Kaiser unmöglich gemacht.

Natürlich zog sich dies alles über Jahre hin mit theologischen Gutachten und Gegengutachten und viel Diplomatie usw.

Am Ende jedoch stand für Heinrich die Erkenntnis, daß der Papst den Dispens zu dieser Ehe niemals hätte geben dürfen, daß er unrechtmäßig war und daher die Weigerung zur Annulierung bedeutungslos.
Zuletzt geändert von Stephen Dedalus am Freitag 22. Oktober 2010, 13:04, insgesamt 1-mal geändert.
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NurNochKatholisch
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von NurNochKatholisch »

Clemens hat geschrieben:Ja, was wäre wenn...
Ich meine: eine (nicht unbedingt die) Reformation war nötig. Die wesentlichen Gravamina hat die RKK jedoch inzwischen zumeist selbst abgeschafft (hätte sie das auch ohne die Reformation?).
Dem kann man wohl zustimmen. Ohne Reformation hätte es wahrscheinlich kein Konzil von Trient gegeben, in der wesentlich Missbräuche abgeschafft wurden, bei dem allerdings auch Luther und die Lutheraner (man müsste eigentlich aber sagen ein bestimmtes und missverstandenes Luthertum; vgl Martin Chemnitz Erwiderung auf die Konzilsbeschlüsse) mit dem Anathema belegt wurden.
Clemens hat geschrieben:Nun, da der Auftrag (fast - es fehlt noch der Laienkelch und die Priesterehe) erfüllt ist, wird es Zeit für die Reste der evangelischen Kirche, wieder heimzukehren und den Aufstand gegen Gott, seine Kirche und seine Gebote zu beenden.
Das ist allerdings eine sehr gute Frage, ob das alles ist.
Zuerst einmal könnte man diese zwei Punkte von römischer Seite leicht aushebeln: Die dauerhafte Entziehung des Kelchs ist in der Institutio Generalis des neuen Missale Romanums ausdrücklich aufgehoben und sogar empfohlen worden (IGMR/GORM Nr. 85). Erst Letztens berichtete mir mein katholischer Amtsbruder, dass in seinem Pastoralen Raum bei allen Wochtagsmessen unter beiderlei Gestalt kommuniziert werden könnte.
Auch der Zölibat ist kein Gesetz der Meder und Perser (siehe besonders die Priesterehe in den mit Rom unierten byzantinischen Kirchen), aber auch in den Regelungen mit anglikanischen oder dem Umgang mit evangelischen Konvertiten.

Aus meiner Sicht liegt der Hauptdissens bei diesen zwei Punkten:
1. Trotz der GER scheint mir die Frage nach der Rechtfertigungslehre nicht abschließend geklärt zu sein. Das Dokument verwendet sehr bewusst derartig schwammige Formulierungen, dass damals jede Seite unterschreiben konnte, obwohl man sich im Kern eben nicht einig war.
2. Die Duldung von massiven Missbräuchen innerhalb der Kirche, besonders heute von liberaler Theologie bis hin zur Leugnung der Auferstehung, Leugnung der Realpräsenz, Duldung von spiritistischen Irrwegen usw. macht für mich eine Konversion derzeit nicht möglich. Da muss ich täglich nur einmal kreuz.net lesen, dann weiß ich wieder, warum ich noch nicht konvertiert bin.

Rom im deutschsprachigen Raum ist in Teilen derzeit keine Alternative, nicht weil sie so katholisch sind sondern weil sie im Grunde nicht katholisch genug sind.
Zuletzt geändert von NurNochKatholisch am Freitag 22. Oktober 2010, 12:08, insgesamt 1-mal geändert.
Ehemals "KatholischAB" ist nun "NurNochKatholisch" und glücklich in die vollen Gemeinschaft der Kirche aufgenommen zu werden

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Lutheraner
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Re: Reformation als Revolution?

Beitrag von Lutheraner »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Lioba hat geschrieben:Ich frage mich ob es nicht auch ohne Luther irgendwann richtig gescheppert hätte in der Politik. Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser, Rom und den einzelnen Fürsten - auch ausserhalb des heutigen Deutschland - hat es schon lange gegeben.
Beispiel England: Hier führte der Konflikt zwischen Monarchie und Papsttum zur Trennung von Rom ganz ohne Luther.
Ohne der Gründung selbständiger evang.-luth. und reformierter Kirchentümer in Mittel- und Nordeuropa hätte sich Heinrich VIII wohl kaum getraut die Anglikanische Kirche zu gründen. Daher ist auch die Anglikanische Kirche eine Folge der Reformation.
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