Stephen Dedalus hat geschrieben:Marcus hat geschrieben:
Es gibt sogar Exegeten, die zu der Überzeugung gekommen sind, dass Jesus Christus nicht am Kreuze gestorben sein konnte und es ebenso keine Jungfrauengeburt gab.
Mit diesem Argument kann man natürlich jegliche Exegese plattmachen. Es ist aber nicht wegzudiskutieren, daß die
seriöse Exegese heute die Interpretation des Römerbriefes nicht mehr deckt, die als Kronzeuge für die lutherische Lehre hergenommen wurde. Wir wissen heute wesentlich mehr über das Judentum zur Zeit Pauli und über dessen theologischen Hintergrund. Wir können daher weitaus besser einordnen, welchen Parteiuungen innerhalb des Judentums die paulinische Polemik galt. Luther las diese Stellen vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzungen mit dem Katholizismus seiner Zeit. Ihm schien die "Werkgerechtigkeit" der katholischen Kirche identisch zu sein mit der, die Paulus im Römerbrief ablehnt. Dem ist jedoch keineswegs so. Dies ist in der Exegese heute m. W. unumstritten. Interessant ist jedoch, daß man sich in lutherischen Kreisen weithin weigert, die Konsequenzen daraus zu ziehen und diesen Befund wenigstens anzuerkennen.
Sehr schön faßt der Bischof von Durham, N T Wright dies in seinem Buch "What St Paul really said" zusammen, aber seine Darstellung fußt auf einer ganzen Generation von Exegeten. N T Wright ist übrigens keineswegs Anglokatholik, sondern entschieden "evangelisch". Wright selbst geht sogar so weit zu sagen, daß Luther für die richtige Sache kämpfte, allerdings mit der falschen exegetischen Grundlage.
Außerdem erläutert nicht zuletzt die Apologie sehr ausführlich, weshalb die evangelisch-lutherische Rechtfertigungslehre die evangeliumsgemäße Lehre ist.
Non sequitur. In meinen Augen ist die lutherische Zuspitzung der Rechtfertigungslehre unbiblisch.
Was sind seriöse Exegeten? Für die Ranke-Heinemänners und Lüdermänners mit Sicherheit jene, welche die Bibel als rein menschliches Märchenbuch für Erwachsene verkaufen wollen. Für evangelikale Fundamentalisten nur solche, welche die Bibel buchstäblich verstehen. Ist es seriös die Bibel radikal historisch-kritisch, oder gemäßigt historisch-kritisch, oder vielleicht historisch-sachgemäß oder wörtlich, gar buchstäblich auszulegen? Das müsste erst einmal geklärt werden. Übrigens gibt es auch seriöse Exegeten, welche für das Papsttum, vor allem für den Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes keine biblische Legitimation erkennen können. Darunter finden sich auch römisch-katholische Theologen. Jeder dogmatische Katholik wird hier aber sofort widersprechen. Bei allen Exegesen muss man letztlich mehr oder weniger feststellen, dass in vielen Fällen das Ergebnis schon allein aus konfessionellen Gründen bereits schon feststeht und lediglich nach einem Weg dorthin gesucht wird. Übrigens sind die Motive Luthers letztlich nicht so wichtig. Entscheidend ist es, dass mit Luther das Evangelium Christi wieder in den Mittelpunkt gerückt worden ist und man heute auch als Lutheraner zumindest feststellen kann, dass auch für römischen Katholiken der Glaube den wesentlichen Teil der Rechtfertigung ausmacht. Wir halten schließlich nicht Luther für unfehlbar, sondern sind vielmehr davon überzeugt, dass unsere Bekenntnisschriften, der biblischen Lehre entsprechen.
Übrigens kann sich kein Lutheraner, der sich weigern möchte, gute Werke zu verrichten, auf lutherische Bekenntnisschriften berufen. Luther schrieb z. B. in seinem Schmalkaldischen Artikel:
Was ich davon bisher und stetiglich gelehrt habe, das weiss ich gar nicht zu ändern, nämlich daß wir durch den Glauben (wie St. Petrus sagt) ein ander, neu, rein Herz kriegen, und Gott um Christus’ willen, unsers Mittlers, uns für ganz gerecht und heilig halten will und hält. Obwohl die Sünde im Fleisch noch nicht gar weg oder tot ist, so will er sie doch nicht rächen [*rechnen (zurechnen)] noch wissen. Und auf solchen Glauben, Verneürung und Vergebung der Sünden folgen dann gute Werke. Und was an demselben [denselben] auch noch sündlich oder Mangel ist, soll nicht für Sünde oder Mangel gerechnet werden eben um desselben Christi willen, sondern der Mensch soll ganz, beide nach der Person und seinen Werken, gerecht und heilig heissen und seinen Werken, gerecht und heilig heissen und sein aus lauter Gnade und Barmherzigkeit in Christo, über uns ausgeschüttet und ausgebreitet. Darum können wir nicht rühmen viel Verdienst und Werke, wo sie ohne Gnade und Barmherzigkeit angesehen werden, sondern wie geschrieben steht 1 Kor. 1: "Wer sich rühmet, der rühme sich des Herrn", das ist, daß er einen gnädigen Gott hat. So ist’s alles gut Sagen auch weiter, daß, wo gute Werke nicht folgen, so ist der Glaube falsch und nicht recht.
Ich denke, dass man daher auch aus lutherischer Sicht sagen kann, dass der Glaube eines Menschen, der nur schlechte Werke hervorbringt oder sich permanent weigert gute Werke zu verrichten, obwohl andere Menschen in seinem Umfeld dringend Hilfe benötigen und er abhelfen könnte, und darauf sogar noch stolz ist, wie tot und somit wertlos und nicht seligmachend ist. Das las ich sogar schon im Katechismus der Evangelisch-Lutherischen Freikirche. Gute Werke selbst tragen aber nicht zur Rechtfertigung mit bei, sondern sind als Früchte des Glaubens zu verstehen. Und da auch ein guter Baum seine Zeit braucht, bis Früchte heranwachsen, ist es auch konsequent zu sagen, dass man auch ohne gute Werke selig werden kann, vor allem dann, wenn das Leben als Christ nach der Taufe zu kurz war, um ein gutes Werk zu verrichten.
Es soll ja niemand denken, man würde Lutheraner, weil man zu träge sei, etwas Gutes tun so wollen. Außerdem verträgt sich die lutherische Lehre auch gut mit Polykarp:
Ich habe mich gar sehr mit euch gefreut in unserem Herrn Jesus Christus, dass ihr die Abbilder der wahren Liebe aufgenommen und dass ihr, wie es sich für euch gehört, das Geleite gegeben habt denen, die mit Banden gefesselt sind, die den Heiligen zustehen und die ein Schmuck sind der wahrhaft von Gott und unserem Herrn Auserwählten; und weil gefestigt ist die Wurzel eures Glaubens, der seit ursprünglichen Zeiten verkündet wird, bis heute fortlebt und Früchte bringt für unseren Herrn Jesus Christus, der es auf sich nahm, für unsere Sünden bis in den Tod zu gehen, den Gott auferweckt hat, nachdem er die Leiden der Unterwelt gelöst hatte; an den ihr, ohne ihn gesehen zu haben, glaubet in unaussprechlicher und herrlicher Freude, in die viele einzugehen wünschen, weil sie wissen, dass ihr durch die Gnade erlöst seid nicht kraft der Werke vielmehr nach dem Willen Gottes durch Jesus Christus.
Quelle: Brief des Polykarp von Smyrna an die Gemeinde von Philippi, 1. Kapitel
Die Rechtsgläubigkeit der lutherischen Bekenntnisschriften anhand der frühen Kirchenväter nachzuweisen ist mittlerweile mein Hobby...