Ich schulde noch eine Antwort zu einigen Rückfragen ...
asderrix hat geschrieben: Statt dessen ist theologische Grundlage ausschließlich die (protestantische) Heilige Schrift in einer meist biblizistischen Lesart.
Was ist die protestantische Heilige Schrift?
Ich denke du meinst die Bibel ohne Apokryphen, richtig?
Wie akribisch dies gehandhabt wird, lässt sich an der Elberfelder Übersetzung ablesen, die ausdrücklich von diesen Brüdern erstellt worden ist, da ihnen alle anderen Übersetzungen nicht genau genug waren.
Und die allgemein anerkannt, die genauste Übersetzung ist, habe ich mir von vielen Seiten bestätigen lassen.
Ja, die Elberfelder Übersetzung ist unglaublich exakt im lexikalischen Sinn. Dass heißt, dass man versucht hat, Wort für Wort "absolut korrekt" zu übersetzen. Darin ist sie konkurrenzlos, allerdings ist das auch gleichzeitig das Problem.
Der Punkt ist der: zugunsten der wörtlichen Genauigkeit gehen im Zweifel der literarische Ausdruck und der Gefühlswert verloren !
Wenn ich selber dolmetsche (z.B. engl. -> dt.), dann lege ich großen Wert darauf, das Original nach Sprachebene, Stil, Gefühlswert und Unterton richtig rüber zu bringen. Als Beispiel: "It's raining cats and dogs" würde ich niemals mit Katzen und Hunden übersetzen, sondern mit Bindfäden: "Es regnet Bindfäden".
Für mich ist es wichtiger, die Untertöne richtig wieder zu geben als den Wortlaut ! - Der Ton macht die Musik, auch bei der Bibel.
Man könnte meinen, bei den Versammlungen (analog bei der Elberfelder Bibel) würde die Bibel grundsätzlich wie ein juristischer Text gelesen.
Da kommt es auf den exakten Wortlaut an, und ein einmal definiertes Wort bedeutet an allen Stellen immer das selbe ... - Nur: so kann man mit der Bibel nicht umgehen, denn die besteht ja aus ganz verschiedenen Literaturgattungen und muss folglich auch durch die jeweils richtige, auch historisch richtige Brille gelesen werden !
Man folgt einseitigen, oft ungeschriebenen Vorgaben, die theologisch ungefähr der
Chicagoer Erklärung entsprechen (allerdings davon unabhängig sind): einer Art Verbalinspiration, die niemand in Frage stellen darf.
Und vor allem: man legt sich keine Rechenschaft über die geistigen Quellen solcher Vorentscheidungen ab ! - Fragen hinsichtlich der Wurzeln des Denkens sind verpönt und philosophische Reflexion wird als "ungeistlich" geächtet.
Bei Widersprüchen in der Bibel oder anderen Zweifeln wird dann eben so lange herum gedeutelt, bis die Welt wieder in Ordnung ist.
Bei dieser Grundhaltung würden die Spätschriften des AT, die im katholischen Kanon enthalten sind, natürlich unüberwindbare Probleme aufwerfen. Von daher definiert man einfach den lutherischen Kanon - ganz axiomatisch ! - als inspiriert, und fertig. Gleichzeitig wird die Entstehungsgeschichte der Hl. Schrift - in der und durch die katholische Kirche ! - konsequent so weit verkürzt, dass sie keine Fragen mehr aufwirft, die das eigene Bibel- und Weltbild in Frage stellen könnten.
Die Mischung aus nicht eingestandenen Vor-Entscheidungen, dogmatischen Festlegungen (die nicht hinterfragbar sind !) und einer ahistorischer Sichtweise, die die katholische Tradition leugnet, ergibt zusammen das Bild eines fast sektenhaften Biblizismus. Das sind die Einschränkungen.
asderrix hat geschrieben:Grundsätzlich ist nach ihrer Lesart nur jemand, der sich ausdrücklich zu Christus bekehrt hat, überhaupt ein Christ.
Das ist Lesart der Bibel, bzw. Christi.
Genau solches Absolutsetzen der eigenen Lesart ist dann die Folge ...
Hier wieder: Das Denken in solchen Mustern wurzelt zu wesentlichen Teilen in nicht reflektierten (aber gesellschaftlich verankerten) Dogmen des Individualismus und des Humanismus, die hier gerade deshalb besonders wirksam und gefährlich sind, weil sie niemals hinterfragt werden.
Man meint, man folge im Denken der Bibel, und bemerkt nicht die materialistischen Denkmuster der Aufklärung, in denen man kreist ! - weil man die eigenen Gedankenwege nicht philosophisch hinterfragt (das wäre ja nicht "geistlich" !), und die Korrektur durch eine lebendige, jahrhundertealte Tradition ablehnt.
Man bemerkt die faulen Inspirationsquellen nicht, sondern hält sie womöglich sogar für den "Heiligen Geist" !
Geht Christsein wirklich nur über die "Bekehrung" (= Lebensentscheidung für Christus) ?
Ist nicht nicht schon Abraham mit seinem ganzen Haus berufen worden, mit Mann und Maus, Knecht und Gefolge ? - da war nichts mit "persönlicher Entscheidung für Gott": die ganze Meute wurde beschnitten, soweit sie männlich war.
Oder bei Josua: "Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen" sagt der Clanchef, und das reicht.
Auch wenn im NT dieses "wer glaubt und getauft wird" im Vordergrund steht, stimmt die Einengung auf eine Lebensübergabe an Christus einfach nicht !
Schon in der Pfingstpredigt schließt Petrus ganz selbstverständlich die ganzen Familien in das Heilsgeschehen mit ein, ohne eine "Bekehrung" des Einzelnen zu fordern:
Apg 2,38 f: Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.
Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.
Der Zauberer Simon wurde gläubig und ließ sich taufen, ohne dass er so richtig kapiert hatte, worum es ging (Apg. 8:9,13,18f). Er wollte danach sogar dem Apostel den Heiligen Geist abkaufen ! - es gab also auch in der Urgemeinde schon ziemlich "wilde Zustände". Und trotzdem waren sie Christen, genau wie heute in der Kirche.
Bei den Missionsreisen des Paulus wird über Lydia in Philippi ausdrücklich berichtet:
Apg 16,15 Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da.
Da ist sie wieder: die stellvertretenden Entscheidung der Chefin für den gesamten Haushalt, egal wer da nun dazu gehörte. Auf jeden Fall unabhängig von einer eigenen "Entscheidung für Christus". Das selbe wird beim Gefängnisaufseher (V. 33) gleich noch einmal berichtet.
Überhaupt, wenn man Apg. 8:15-16 , Apg. 10:46-48, Apg. 19:5-6 und andere ernst nimmt, dann war damals eher die Kombination von Taufe und Empfang des Heiligen Geistes das Lebensentscheidende, und nicht so sehr die eigene Bekehrung.
Nein, die Idee, eine individuelle "Entscheidung für Christus" so in den Mittelpunkt zu stellen, wurzelt eher bei dem Humanisten Erasmus von Rotterdam als bei dem Heiligen Paulus !
Paulus betont eigentlich immer die Taufe als wirksames Handeln Gottes, schon in seiner Tempelpredigt (Apg. 22:16) und natürlich in seinen Briefen.
In 1.Kor. 12:13 sagt er ausdrücklich (!) dass die Taufe die Eingliederung der Gläubigen in die Kirche bewirkt, durch den Heiligen Geist:
Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, ...
Auf 1. Kor. 15:29 hatte ich schon hingewiesen: dieser Bezug ergibt nur einen Sinn,
weil Paulus und die Korinther damals unverbrüchlich an die Heilswirksamkeit der Taufe glaubten.