Protestanten und der Papst

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Re: Autismus

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Clemens hat geschrieben:
hanna hat geschrieben:Es gibt da, wie Du leicht recherchieren kannst, eine Handvoll "Stammbäume", deren frühester Bezugspunkt ein italienischer Kardinal aus dem 15. Jh ist. Ist dieser "Stammahn" durch einer Kette gültiger Weihen mit irgendeinem Bischof der Alten Kirche verbunden?
Unwahrscheinlich.
Das Problem ist nicht, dass der Historiker von den Weihen im Mittelalter nichts wüsste, sondern dass er eine ganze Menge weiß: es wurde nämlich in großem Stil "unordentlich" (also: in eklatantem Verstoß gegen Kirchenrecht) geweiht.
Interessanterweise gab unser Gesprächspartner im Vatikan das umstandslos zu. Und fügte hinzu: Sukzession ist ja auch nicht das, sondern die Gemeinschaft mit dem (jetzigen) Papst.
Was antwortet ein glaubenstreuer Katholik auf diese These/Behauptung/Unterstellung?
Worin bestanden diese Unregelmäßigkeiten?
Gibt es wirklich historisch begründete Ursachen, die Gültigkeit (im römischen Sinne) der katholischen (und ostkirchlichen und orientalischen?) Sukzessionen in Frage zu stellen?
[/color]
Der „Bezugspunkt“, den Hanna meint, ist Kardinal Scipio Rebiba. Der lebte allerdings nicht im 15. sondern im 16. Jht. Unabhängig von ihm gibt es noch einige weitere Sukzessionslinien, richtig ist aber, daß der weitaus größte Teil aller heutigen lateinischen Bischöfe auf die Rebiba-Linie zurückgeht.

Wer Rebiba geweiht hat, ist nicht überliefert, wenngleich mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß es sein Förderer Johannes Petrus Carafa selbst war, nachmals Papst Paul IV. Der „Weihevater“ Pauls IV. ist aber auch nicht gewiß.

Nun muß man einerseits wissen, daß die Namen der Bischofskonsekratoren aus dieser Zeit und früher (aber auch oft noch weit später) nur im Ausnahmefall ausdrücklich überliefert sind. Andererseits verfügen wir hinsichtlich der Theologie und der liturgischen Praxis der Bischofsweihe aber über eine sehr reichhaltige Litteratur, welche zweifelsfrei belegt, welchen Wert man der apostolischen Sukzession beimaß, so daß von Zweifeln an der Sukzession generell gar keine Rede sein kann. Die gegen den Trend denn doch überlieferten konkreten Beispiele belegen das.

Abgesehen davon sind die oben angesprochenen Sukzessionslinien ohnedies nur ein Behelfskonstrukt. Sie beinhalten immer nur die „Hauptkonsekratoren“. Das ist aber eine arge Verkürzung. Von durch Notfälle begründeten Ausnahmen abgesehen mußten immer mindestens drei weihende Bischöfe dem zu Konsekrierenden die Hand auflegen. Bis Rom das Verfahren weitgehend an sich gezogen hatte (und oft noch länger) waren es meist alle Bischöfe einer Kirchenprovinz, die dem Erwählten die Hand auflegten.

Hannas Behauptung, es sei »im Mittelalter … in großem Stil "unordentlich" (also: in eklatantem Verstoß gegen Kirchenrecht) geweiht« worden, ist nicht nur unbelegt, sondern auch ausgesprochen schwammig und unseriös. Was soll das heißen? Welches Kirchenrecht ist gemeint? Das Kirchenrecht formte sich ja gerade im Widerstreit der Kräfte, mit andern Worten: im hierarchischen Kompetenzgerangel. Was da wogegen verstößt, ist meist eine Frage des Standpunkts. Welcher Bischof z. B. bei einer Doppelwahl der rechte war, entschied sich an der Machtfrage. Das hat aber nichts zu tun mit der sakramentalen Gültigkeit einer Weihe. Abgesehen davon waren solche Fälle auch nie der Normalfall, sondern die seltene Ausnahme.

Oder meint Hanna Laieninvestitur gegen die römische Hildebrandspartei? Oder jene katharisch angehauchten Exzesse aus dem Geiste der Mailänder Pataria, welche die Weihen unwürdiger Prälaten für ungültig erklärten und teilweise – sich häretisch gegen die ganze Tradition der Kirche stellend – sogar Neuweihen durchsetzten? – Das ist die einzige „Unordentlichkeit“ größeren Stils, die ich erkennen kann, und die stellt die ungebrochene Sukzession keinesfalls in Frage.

Vielleicht ist das Problem, daß »der Historiker«, von dem Hanna redet, offenbar ein schlechter Gewährsmann ist. Ich würde mir einen andern suchen oder selber in die Quellen blicken.

Im übrigen erhellt die Qualität von Hannas Ausführungen bereits aus dem folgenden Spruch:
Hanna hat geschrieben:Als ekklesiologischen Autismus bezeichne ich nicht eine Macke oder ein Defizit Ratzingers sondern ein Phänomen das schon im 2.Vatikanum sichtbar war. Es ist die totale Unfähigkeit des (offiziellen) Katholizismus, sich als Konfession sehen zu können, also: als eine Kirche unter anderen Kirchen.
„Ekklesiologischer Autismus“ sei also die Weigerung, die protestantische Ekklesiologie zu übernehmen und den apostolischen Kirchenbegriff der ungeteilten Kirche fahren zu lassen. Ich danke sehr. Auf solche Weise begibt man sich jeder Möglichkeit eines konstruktiven, über gegenseitiges Abklatschen hinausgehenden Gesprächs. (Zum Stichwort „Konfession“ benutze man die Kreuzgang-Suche.)
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Clemens
Beiträge: 3581
Registriert: Dienstag 2. Oktober 2007, 18:16
Wohnort: Bayern

Beitrag von Clemens »

Danke, Robert!

Meine (von manchen hier - übrigens im Gegensatz zu meinem katholischen Dekan - als bedeutungslos betrachtete) Weihesukzessionslinie geht auch mehrfach auf Rebiba, bzw. Carafa zurück. Und die von dir angelinkte Weihedatensammlung war mir bei der Ausarbeitung meines "Stammbaums" auch sehr hilfreich.

Mein Hauptgrund, katholisch zu denken, ist tatsächlich die Frage nach der Segensvollmacht, wo ich die protestantische Position schlichtweg falsch finde. Deshalb ist mir dieser Punkt auch so wichtig. Aber nach allem, was ich mir bisher angelesen habe, wäre ich auch sehr überrascht gewesen, wenn die katholischen Bischofsweihen im MA nicht mit ausreichender Sorgfalt vorgenommen worden wären.

Liebe Grüße,
Clemens

Benutzeravatar
Lutheraner
Beiträge: 3914
Registriert: Donnerstag 9. November 2006, 10:50

Beitrag von Lutheraner »

Clemens hat geschrieben:Danke, Robert!

Meine (von manchen hier - übrigens im Gegensatz zu meinem katholischen Dekan - als bedeutungslos betrachtete) Weihesukzessionslinie geht auch mehrfach auf Rebiba, bzw. Carafa zurück. Und die von dir angelinkte Weihedatensammlung war mir bei der Ausarbeitung meines "Stammbaums" auch sehr hilfreich.

Mein Hauptgrund, katholisch zu denken, ist tatsächlich die Frage nach der Segensvollmacht, wo ich die protestantische Position schlichtweg falsch finde. Deshalb ist mir dieser Punkt auch so wichtig. Aber nach allem, was ich mir bisher angelesen habe, wäre ich auch sehr überrascht gewesen, wenn die katholischen Bischofsweihen im MA nicht mit ausreichender Sorgfalt vorgenommen worden wären.

Liebe Grüße,
Clemens
Alle katholischen Sukzessionslisnien sind nur max. bis ins 15. Jahrhundert nachweisbar. Davor liegen 1500 Jahre Unsicherheit - das ist zu viel bei einem Glauben, der so sehr von einer gültigen Kette von Handauflegungen abhängt. Es gibt mit fast absoluter Sicherheit wohl keine ununterbrochene Kette von Handauflegungen von den Aposteln bis heute. Das weiß natürlich auch die katholische Kirche.
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Weshalb das grober, ahistorischer Unsinn ist, habe ich oben erläutert.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

Das davor ist mW bei einem Brand vernichtet worden.
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Es ist immer wieder mal was bei Bränden vernichtet worden. Es gab aber natürlich die allermeiste Zeit kein „Zentralarchiv“ aller Bischofs- oder sonstigen Weihen.

Die Vorstellung solcher Protestonkel und -tanten wie „Lutheraner“, es müsse alles schwarz auf weiß dokumentiert sein, erweist lediglich deren retardierten Entwicklungsstand, der irgendwo im Positivismus des 19. Jht.s feststeckt.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Die Vorstellung solcher Protestonkel und -tanten wie „Lutheraner“, es müsse alles schwarz auf weiß dokumentiert sein,
Naja, schließlich ist Gott nicht als Mensch auf die Erde gekommen, sondern als Buch vom Himmel gefallen. :D
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
asderrix
Moderator
Beiträge: 3520
Registriert: Montag 21. Februar 2005, 17:15

Beitrag von asderrix »

Linus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Die Vorstellung solcher Protestonkel und -tanten wie „Lutheraner“, es müsse alles schwarz auf weiß dokumentiert sein,
Naja, schließlich ist Gott nicht als Mensch auf die Erde gekommen, sondern als Buch vom Himmel gefallen. :D
Wenn ich das so lese, ist die Vermutung nicht sehr unrealistisch dass du grad dort standest und es mit dem Kopf abgefangen hast. :/
Jedes Gedächtnismahl sagt: Das Beste kommt noch!

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

asderrix hat geschrieben:
Linus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Die Vorstellung solcher Protestonkel und -tanten wie „Lutheraner“, es müsse alles schwarz auf weiß dokumentiert sein,
Naja, schließlich ist Gott nicht als Mensch auf die Erde gekommen, sondern als Buch vom Himmel gefallen. :D
Wenn ich das so lese, ist die Vermutung nicht sehr unrealistisch dass du grad dort standest und es mit dem Kopf abgefangen hast. :/
Bö, ich war schon Richtung Krippe unterwegs :P

Fröhliche Weihnacht, möge der Buchstabe durch den Heiligen Geist für dich zum Fleisch des Erlösers werden.

Linus
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
asderrix
Moderator
Beiträge: 3520
Registriert: Montag 21. Februar 2005, 17:15

Beitrag von asderrix »

Linus hat geschrieben: Fröhliche Weihnacht, möge der Buchstabe durch den Heiligen Geist für dich zum Fleisch des Erlösers werden.
Linus
Dankeschön, das wünsche ich mir auch, dass das Wort Gottes durch die Wirkung des Heiligen Geistes, mir echt lebendig wird, so dass es in meine und meiner Umgebung aktuelle Situation spricht.

Ich wünsche dir auch ein gesegnetes Christfest.
Jedes Gedächtnismahl sagt: Das Beste kommt noch!

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema