Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Ostkirchliche Themen.
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ad-fontes
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Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von ad-fontes »

Mal ein paar Fragen an alle, die nicht zu einer kanonisch orthodoxen Kirche gehören:
Was befremdet euch am meisten? Was schreckt euch ab? Was hält euch ab, in volle Gemeinschaft mir einer von ihnen zu treten?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Ralf

Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Ralf »

Was mich befremdet:

- Die Uneinigkeit der verschiedenen orthodoxen Kirchen (aktuelles Beispiel: die nach meinem Wissen immer noch existierende Exkommunikation des Patriarchates von Bukarest durch das Patriarchat von Jerusalem; die verschiedenen Jurisdiktionen und der daraus folgende Streit zwischen Konstantinopel und Moskau) - für mich gute Belege für die Notwendigkeit eines Einheitssdienstes
- das Monospirituelle der Orthodoxie (Wüstenväter als einzige anerkannte Quelle des Geistlichen Lebens jenseits der Hl. Schrift, alle späteren berufens sich auf diese). Eben keine anerkannte (wenn auch bestimmt existierende) Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
- die für mich(!) fehlende über alle Kirchengrenzen hinaus kohärente Sakramententheologie
- die "phänotypisch" kaum sichtbare diakonische Struktur (was ich auch nie verstanden habe warum)

Was mir dagegen sehr gut gefällt

- die Kirchendisziplin in Askese und Liturgie
- das absolute Fehlen einer Anpassung an Moden und Mehrheiten auch durch Verfolgung hindurch
- die inkulturierende Kraft

Pilgerer
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Pilgerer »

ad-fontes hat geschrieben:Mal ein paar Fragen an alle, die nicht zu einer kanonisch orthodoxen Kirche gehören:
Was befremdet euch am meisten? Was schreckt euch ab? Was hält euch ab, in volle Gemeinschaft mir einer von ihnen zu treten?
Zunächst einmal ist der HERR zweifellos stolz auf die orthodoxe Kirche. Das gilt jedoch auch für andere Glieder seines Leibes, sodass es nicht notwendig ist, dass alle Christen orthodox werden. Denn der lebendige Christus schafft zusammen mit dem Heiligen Geist Seine Kirche, wo Er will.
Es gibt nichts, was an der "inneren" orthodoxen Kirche kritisiert werden kann, die vor dem Antlitz Gottes lebt. Kritisiert werden können jedoch jene Teile der Kirche, die das Innere meiden, weil sie mit dem Herzen an der Welt hängen oder die Religion an sich vergötzen. Doch diese Teile gibt es auch in anderen christlichen Kirchen/Konfessionen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

PigRace
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von PigRace »

Sehr coole Frage!

Ich verstehe nicht die "göttliche Logik" einer autokephalen Struktur. Oder anders gesagt, wieso es Sinn machen sollte, Kirchen entlang nationalstaatlicher Grenzen zu definieren. Da finde ich die "römische" Organisationsform ("alles auf Rom hin") viel leichter/intuitiver zu verstehen.

PigRace, null Ahnung von der Orthodoxie, aber "irgendwie" mag ich sie... ;)

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Ilija
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Ilija »

Hallo :)

Ich finde die Frage sehr gut und bin auf andere Antworten sehr gespannt.

LG

Ilias

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martin v. tours
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von martin v. tours »

Die Aussagen von Ralf decken sich mit meinen.
Die Sache mit den autokephalen Strukturen machen mir auch Kopfzerbrechen.
Wenn jemand z.B. in Deutschland orthodox werden will muss er sich einer z.B. russischen oder serbischen Kirche anschliessen. Deutsch orthodox gibt es nicht.
Die orthodoxen Kirchen scheinen gleichwertig zu sein aber dennoch sind manche gleicher?
Ich habe in Erinnerung das hier irgendwann einmal über Aussagen des ök. Patriarchen von Konstantinopel diskutiert wurde. Das wurde dann relativiert mit dem Hinweis, das wäre ja nur der…
(als Ahnungsloser habe ich das so verstanden: Dieser Patriarch ist nur so etwas wie ein Grüßaugust - die wirklich wichtigen Dinge werden in Moskau geklärt)

Es gäbe noch vieles das ich in der Orthodoxie wunderbar und gut finde - aber das wäre dann einen neuen Strangtitel wert.
Nach dem sie nicht erreicht hat, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.
Nicolás Gómez Dávila

Mary
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Mary »

martin v. tours hat geschrieben: (als Ahnungsloser habe ich das so verstanden: Dieser Patriarch ist nur so etwas wie ein Grüßaugust - die wirklich wichtigen Dinge werden in Moskau geklärt)
Hier mal eine kurze Entgegnung:
Weder Patriarch Bartholomäus, noch Patriarch Kyrill von Moskau kann für die GESAMTE Orthodoxie sprechen. Es ist immer der lokale Bischof, der "das Sagen" hat. Wobei dies niemals Glaubensfragen betrifft... sondern Fragen der Kirchendisziplin und Organisation. Der Glaube ist überall derselbe.
:ja:
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

Raphael

Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Raphael »

Im engeren Sinne ist es keine Befremdung, die ich hinsichtlich der Orthodoxie äußern möchte. :hmm:

Aber in der Tat hielte ich es für eine gute Idee, wenn sich das kirchliche Gebilde, welches sich derzeit auf Panorthodoxen Konferenzen trifft, als byzantinisch-katholische Kirche wieder in den Leib Christi eingliedern würde:
ut omnes unum sint, sicut tu Pater in me, et ego in te, ut et ipsi in nobis unum sint : ut credat mundus, quia tu me misisti.
(Joh 17, 21). :)

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Sarandanon
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Sarandanon »

Hm... Müssten dazu nicht erstmal die Verhältnisse wieder auf den Stand vor dem Schisma hergestellt werden, bevor eine RKK und die OK sich wieder vereinigen können? Davon ganz abgesehen ist die Orthodoxie ein Teil des Leibes Christi. Und es erscheint mir, dass diese in ihrer erhaltenen Ursprünglichkeit IHM treuer war als manch andere Kirche.

Da ich keine Kenntisse zu Glaubenslehre und Liturgie der Orthodoxie besitze, da habe ich wahrlich noch Nachholbedarf, habe ich nur einen politischen Punkt an dem ich mich störe. Das ist die Gemeinmachung der russichen Ortskirche mit Putin.
Zuletzt geändert von Sarandanon am Mittwoch 18. Dezember 2013, 00:15, insgesamt 1-mal geändert.
Dich, o Herr, kann nur verlieren, wer dich verlässt.
(Augustinus Aurelius)

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taddeo
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von taddeo »

Mary hat geschrieben:Der Glaube ist überall derselbe.
:ja:
Das dachte ich auch immer, aber seit ich den Kreuzgang kenne, bezweifle ich das aufs Heftigste.
Und das ist etwas, was mich "an der Orthodoxie" befremdet (auch wenn ich selber zu einer kanonischen orthodoxen Kirche gehöre, die ähnliche Probleme hat).

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taddeo
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von taddeo »

Pilgerer hat geschrieben:Zunächst einmal ist der HERR zweifellos stolz auf die orthodoxe Kirche.
Das glaubst Du doch wohl selber nicht? Seit wann soll die Sünde des Stolzes eine Eigenschaft Gottes sein können?? :hmm:
(Mal ganz unabhängig vom Objekt des Stolzes.)

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Nassos
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Nassos »

martin v. tours hat geschrieben:Es gäbe noch vieles das ich in der Orthodoxie wunderbar und gut finde - aber das wäre dann einen neuen Strangtitel wert.
Den Strang gibt es schon :)
Ich glaube; hilf meinem Unglauben

Pilgerer
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Pilgerer »

taddeo hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Zunächst einmal ist der HERR zweifellos stolz auf die orthodoxe Kirche.
Das glaubst Du doch wohl selber nicht? Seit wann soll die Sünde des Stolzes eine Eigenschaft Gottes sein können?? :hmm:
(Mal ganz unabhängig vom Objekt des Stolzes.)
Sünde ist der Stolz auf sich selbst, eigene Leistungen oder das Irgendwas-Sein. Sich Gottes zu rühmen, ist dagegen gut. Darüber hinaus schreibt Paulus: "dass wir euer Ruhm sind, wie auch ihr unser Ruhm seid am Tage unseres Herrn Jesus." (2. Korinther 1,14).
Die orthodoxe Kirche ist ein Weg in den Himmel. Das ist ein Satz, der mit Blick auf die Auferstehung Bestand hat.
Alle Christen haben das Problem, dass "jeder ins Seine" zerstreut ist, wie Jesus den Jüngern vorhersagte. Das ist die Schattenseite nicht nur der orthodoxen, sondern auch der katholischen und protestantischen Christen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Mary
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Mary »

taddeo hat geschrieben:
Mary hat geschrieben:Der Glaube ist überall derselbe.
:ja:
Das dachte ich auch immer, aber seit ich den Kreuzgang kenne, bezweifle ich das aufs Heftigste.
Och... Zweifel gehören zum Leben....
und die paar Orthodoxen hier sind definitiv auch nicht repräsentativ für "die Orthodoxie".

Dennoch: Zeige mir eine orthodoxe Kirche, die nicht dem Glaubensbekenntnis von Nizäno-Konstantinopel folgt?
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

Mary
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Mary »

ad-fontes hat geschrieben: Was befremdet euch am meisten? Was schreckt euch ab? Was hält euch ab, in volle Gemeinschaft mir einer von ihnen zu treten?
Jetzt weiss ich auch, was mich an der Eröffnungsfrage irritiert hat. Befremden ist stillschweigend vorausgesetzt.
ad-fontes hat geschrieben:Was schreckt euch ab? Was hält euch ab, in volle Gemeinschaft mir einer von ihnen zu treten?
Was ist der Sinn Deiner Fragen? Solidarisierung? Bekehrung und Unterweisung/Korrektur??
ad-fontes hat geschrieben:Mal ein paar Fragen an alle, die nicht zu einer kanonisch orthodoxen Kirche gehören:
Nuja, da ich nicht gefragt wurde, :huhu:
mal gucken, was noch kommt
Mary
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Ilija
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Ilija »

taddeo hat geschrieben:
Mary hat geschrieben:Der Glaube ist überall derselbe.
:ja:
(auch wenn ich selber zu einer kanonischen orthodoxen Kirche gehöre, die ähnliche Probleme hat).
???

Habe ich etwas verpasst oder meinst du die römische Kirche damit? :)

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taddeo
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von taddeo »

Natürlich. :ja:

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Ilija
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Ilija »

:daumen-rauf:

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taddeo
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von taddeo »

:hmm:






:pfeif: :D
(Ich bin mir grad nicht sicher, ob wir uns richtig verstehen.)

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Ilija
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Ilija »

Was hast du den jetzt erwartet von mir? Alles gut.... :)

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Anselmus
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Registriert: Sonntag 20. September 2009, 19:26

Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Anselmus »

Ralf hat geschrieben: - das Monospirituelle der Orthodoxie (Wüstenväter als einzige anerkannte Quelle des Geistlichen Lebens jenseits der Hl. Schrift, alle späteren berufens sich auf diese). Eben keine anerkannte (wenn auch bestimmt existierende) Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
Eine kurze Erläuterung dazu:

Die Orthodoxe Kirche ist sehr viel vorsichtiger im geistlichen Leben, vor allen Dingen, was die Methode anbelangt, weil sie um die Gefahr weiß, in eine geistliche Verblendung zu geraten, in der man meint, man lebe in der Gnade Gottes, ist aber derweil fest in der Hand der Dämonen. Auf Slawisch heißt der Begriff dafür Prelest, auf Griechisch Plani. Das ist ein wirklich zentraler Begriff der Orthodoxen asketischen Literatur.

Einige Praktiken, der von dir angesprochenen spirituellen Schulen sind aus Orthodoxer Sicht höchst problematisch und gefährlich.

Leider scheint im Westen kein großes Bewusstsein für die Gefahr der Verblendung zu bestehen. Besonders evident wird dies wohl in charismatischen Kreisen.

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Florianklaus
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Florianklaus »

Mich befremdet, daß eine theologische Ansicht zu einem Randthema, gemeint ist der Palamismus, von einigen orthodoxen Christen zu einer kirchentrennenden Grundsatzfrage hochstilisiert wird.

TillSchilling

Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von TillSchilling »

Anselmus hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben: - das Monospirituelle der Orthodoxie (Wüstenväter als einzige anerkannte Quelle des Geistlichen Lebens jenseits der Hl. Schrift, alle späteren berufens sich auf diese). Eben keine anerkannte (wenn auch bestimmt existierende) Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
Eine kurze Erläuterung dazu:

Die Orthodoxe Kirche ist sehr viel vorsichtiger im geistlichen Leben, vor allen Dingen, was die Methode anbelangt, weil sie um die Gefahr weiß, in eine geistliche Verblendung zu geraten, in der man meint, man lebe in der Gnade Gottes, ist aber derweil fest in der Hand der Dämonen. Auf Slawisch heißt der Begriff dafür Prelest, auf Griechisch Plani. Das ist ein wirklich zentraler Begriff der Orthodoxen asketischen Literatur.

Einige Praktiken, der von dir angesprochenen spirituellen Schulen sind aus Orthodoxer Sicht höchst problematisch und gefährlich.

Leider scheint im Westen kein großes Bewusstsein für die Gefahr der Verblendung zu bestehen. Besonders evident wird dies wohl in charismatischen Kreisen.
Interessant.

Heisst das, dass es in orthodoxen Kirchen charismatische Kreise nicht gibt bzw. nicht willkommen sind?

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Anselmus
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Anselmus »

So weit ich weiß, gibt es zumindest keine charismatischen Gruppen in größerem Ausmaß. Der selige Vater Seraphim (Rose) schrieb in seinem Buch "Orthodoxie und die Religion der Zukunft", wie sich einige Orthodoxe (wohl hauptsächlich in Amerika), charismatischen Gruppen angeschlossen haben, und er erläutert auch, dass das nicht wirklich mit der Orthodoxen asketischen Tradition zusammenpasst.

Insgesamt ist das Thema Charismatische Erneuerung in der Orthodoxie im Großen und Ganzen überhaupt kein Thema. Zumindest aus Russland habe ich ehrlich gesagt noch gar nichts zu dem Thema mitbekommen.

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Linus
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Linus »

TillSchilling hat geschrieben:
Anselmus hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben: - das Monospirituelle der Orthodoxie (Wüstenväter als einzige anerkannte Quelle des Geistlichen Lebens jenseits der Hl. Schrift, alle späteren berufens sich auf diese). Eben keine anerkannte (wenn auch bestimmt existierende) Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
Eine kurze Erläuterung dazu:

Die Orthodoxe Kirche ist sehr viel vorsichtiger im geistlichen Leben, vor allen Dingen, was die Methode anbelangt, weil sie um die Gefahr weiß, in eine geistliche Verblendung zu geraten, in der man meint, man lebe in der Gnade Gottes, ist aber derweil fest in der Hand der Dämonen. Auf Slawisch heißt der Begriff dafür Prelest, auf Griechisch Plani. Das ist ein wirklich zentraler Begriff der Orthodoxen asketischen Literatur.

Einige Praktiken, der von dir angesprochenen spirituellen Schulen sind aus Orthodoxer Sicht höchst problematisch und gefährlich.

Leider scheint im Westen kein großes Bewusstsein für die Gefahr der Verblendung zu bestehen. Besonders evident wird dies wohl in charismatischen Kreisen.

Interessant.

Heisst das, dass es in orthodoxen Kirchen charismatische Kreise nicht gibt bzw. nicht willkommen sind?
Es gibt sie, zumindest in Russland - allerdings sind die da ziemlich klein. (Hae von charismatischen gruppen in St. Petersburg und Moskau gehört)
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
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Nassos
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Nassos »

Ist es eigentlich in Ordnung, wenn etwas hier Geschriebenes von uns kommentiert wird?

So ist zum Beispiel die von Martin erwähnte Autokephalie eine "funktionelle" Sache, aber in der Orthodoxie nicht ontologisch. Ich glaube, dass es aber sehr wesentlich ist, sich mit der Ekklesiologie (und dem Unterschied zur Ekklesiologie des Westens) zu beschäftigen, weil diese ontologisch ist und sich Kirche darüber definiert und vesteht, als von äußeren Formen. Aus dem Kirchenverständnis erklären sich wohl die großen Differenzen).
Die Autokephalie hat sich historisch entwickelt. Mir wäre es auch lieber, wenn es die Begrifflichkeitne "russisch-orthodox, griechisch-orthodox etc." nicht gäbe, sondern man von den Kirchen (Kirchen im Sinne von Bistümern bzw Eparchien) in Russland/Griechenland etc sprechen würde. Mißverständnisse gehen sehr oft ein mit sprachlichen Bedeutungen, und was jeder darunter versteht.


Frohe Adventszeit und ein gesegnetes Fest allen.
Nassos
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Alexej Veselov
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Alexej Veselov »

Eine sehr interessante Frage, vielen Dank! Ohne auf die Frage antowrten zu wollen, ein paar Anmerkungen.
Ralf hat geschrieben:- Die Uneinigkeit der verschiedenen orthodoxen Kirchen (aktuelles Beispiel: die nach meinem Wissen immer noch existierende Exkommunikation des Patriarchates von Bukarest durch das Patriarchat von Jerusalem; die verschiedenen Jurisdiktionen und der daraus folgende Streit zwischen Konstantinopel und Moskau) - für mich gute Belege für die Notwendigkeit eines Einheitssdienstes
Das ist eben das Konziliare Prinzip. Grade als Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft verstehen wir, dass jeder seine eigenen Ansichten und seinen eigenen Standpunkt hat. Auch mit einem gemeinsamen Beschluß sind nicht immer alle Seiten glücklich. Mit einem Monarchen könnte man auch nur eine scheinbare Einigkeit erreichen. Zum einen verfolgt dieser seine eigenen Interessen (bzw. die seines Volkes), zum anderen hören doch nicht alle in der Welt auf ihn (wie etwa die deutsche Bischöfe auf den Papst). Schaut man jedoch auf die Geschichte der Orthodoxen Kirche hin, so sieht man, dass es zwar immer wieder Uneinigkeit bei bestimmten Fragen gab, diese jedoch auf längere Sicht immer geklärt wurden, und zwar im Heiligen Geist und in brüderlicher Liebe.
Ralf hat geschrieben:- das Monospirituelle der Orthodoxie (Wüstenväter als einzige anerkannte Quelle des Geistlichen Lebens jenseits der Hl. Schrift, alle späteren berufens sich auf diese). Eben keine anerkannte (wenn auch bestimmt existierende) Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
Das sehe ich nicht so. Leider - werden ins Deutsche nur Texte der Wüstenväter über das Herzensgebet übersetzt. Wenn man sich aber die BKV ansieht, entdekt man ein größeres Spektrum von Vätern, aus verschiedenen Zeiten, sowohl wüstenväter, als auch Hierarchen und Theologen. Es gibt auch viele Väter aus dem zweiten Jahrtausend, in jeder Autokephalen Kirche. Auf der anderen Seite stimmt es schon, dass die meisten Väter eines Geistes waren. Es kann nur einen Gott geben, nur einen Glauben - kann es denn verschiedene Spiritualitäten gäben?
Ralf hat geschrieben:- die für mich(!) fehlende über alle Kirchengrenzen hinaus kohärente Sakramententheologie
Wir haben alle die gleiche Liturgie (man beachte auch die Priestergebete), welche das geistliche Zentrum der Orthodoxie ist. Also haben wir auch eine gemeinsame Sakramententheologie. Oder war etwas anderes gemeint?
Ralf hat geschrieben:- die "phänotypisch" kaum sichtbare diakonische Struktur (was ich auch nie verstanden habe warum)
Ich weiss nicht, wie es in den anderen Ländern war/ist, aber in Rußland gehörten bis zur Oktoberrevolution die meisten Alten- und Weisenheime, sowie Schulen zur Kirche. 1917 wurde das alles der Kirche weggenommen und es begann ein Überlebenskampf. In jüngster Zeit gibt es in Russland immer mehr diakonische initiativen und Strukturen. Aber - die Hauptaufgabe der Kirche ist das Evangelium Christi zu verkünden und die Menschen in die Errettung zu führen.
martin v. tours hat geschrieben:Wenn jemand z.B. in Deutschland orthodox werden will muss er sich einer z.B. russischen oder serbischen Kirche anschliessen. Deutsch orthodox gibt es nicht.
Noch nicht. Die Situation in Deutschland ist eine Folge der Globalisierung und der Migration, die es vor unserem Jahrhundert so nicht gegeben hat. Es hat sich eben historisch so ergeben. Ja, man muss sich entscheiden. Etwa so, wenn man katholisches Mönch werden möchte - welchem der tausend Orden schliese ich mich an? Doch letztlich habe alle 1000 den gleichen Glauben.
martin v. tours hat geschrieben:Die orthodoxen Kirchen scheinen gleichwertig zu sein aber dennoch sind manche gleicher?
Ich habe in Erinnerung das hier irgendwann einmal über Aussagen des ök. Patriarchen von Konstantinopel diskutiert wurde. Das wurde dann relativiert mit dem Hinweis, das wäre ja nur der…
(als Ahnungsloser habe ich das so verstanden: Dieser Patriarch ist nur so etwas wie ein Grüßaugust - die wirklich wichtigen Dinge werden in Moskau geklärt)
Der Patriarch von Konsantinopel hat Tatsächlich keine Befugnisse, die nicht ein jeder andere Patriarch hat. Entscheidungen, die von übergreifender Bedeutung sind, werden auf panorthodoxen Konzilien getroffen.

Pilgerer
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Pilgerer »

Eine generelle Gefahr christliche Religiösität ist die implizite Vergötzung der Religion bzw. der Kirche. Das zeigt sich darin, wenn Christen ihre Kraft nicht von Gott empfangen, sondern darin geschwächt sind. Auch dieses Phänomen ist konfessionsübergreifend, es ist eine Art "Pharisäertum" im christlichen Gewand.
Ein Schritt zur Vergötzung der Religion ist das Einsperren Gottes und der christlichen Tradition in der Vergangenheit und in schriftlichen Überlieferungen, als dürfe er dieselben nicht verlassen. Dabei ist der dreieinige Gott höchst lebendig und gegenwärtig. Ihn zu kennen ist notwendig, um seine Gesinnung nachzuvollziehen und möglichst zu übernehmen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Fragesteller
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Fragesteller »

Anselmus hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben: [...] Vielfalt der Wirkmächigkeit des Hl. Geistes wie bei den Katholiken (natürlich auch Wüstenväter, aber eben auch benediktinisch, dominikanisch, ignatianisch, franziskanisch, augustinisch, karmelitisch etc.)
Eine kurze Erläuterung dazu:

Die Orthodoxe Kirche ist sehr viel vorsichtiger im geistlichen Leben, vor allen Dingen, was die Methode anbelangt, weil sie um die Gefahr weiß, in eine geistliche Verblendung zu geraten, in der man meint, man lebe in der Gnade Gottes, ist aber derweil fest in der Hand der Dämonen. Auf Slawisch heißt der Begriff dafür Prelest, auf Griechisch Plani. Das ist ein wirklich zentraler Begriff der Orthodoxen asketischen Literatur. [...]
Falls sich das kurz anreißen lässt: Was empfiehlt die Orthodoxie als Gegenmittel gegen diese Gefahr?

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Alexej Veselov
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Alexej Veselov »


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Anselmus
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Anselmus »

Fragesteller hat geschrieben:Falls sich das kurz anreißen lässt: Was empfiehlt die Orthodoxie als Gegenmittel gegen diese Gefahr?
Das wirksamste Mittel dagegen ist wohl die Demut. Das Gebet sollte nicht mit dem Ziel begonnen werden, hohe Früchte des Gebets zu erreichen, wie sie nur geistlich sehr weit fortgeschrittenen möglich sind (die Süße des Gebetes spüren, Einblick in geistige Wahrheiten, andere Gaben der Gnade Gottes), sondern das Ziel des Gebetes sollte sein, die eigenen Sünden zu erkennen, dieselben immer tiefer bereuen und beweinen zu können. Weiterhin warnen die Väter davor, dass man Erscheinungenn (Gedanken oder gar "Engel" oder "Heilige", die einem erscheinen) die man im Gebet wahrnimmt, keine Aufmerksamkeit beiwohnen sollte. Ich glaube, dass das die zwei wichtigsten Ratschläge sind: Demut und das Bereuen und Beweinen der eigenen Sünden sowie Skepsis und Nichtbeachtung alles "Übernatürlichen", was man im Gebet bemerkt, so lange man noch nicht frei von Leidenschaften ist (und wahrscheinlich werden viele "normale" Menschen die Leidenschaftslosigkeit in diesem Leben auch noch nicht vollständig erreichen, befürchte ich)...

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Protasius
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Re: Was befremdet euch an der Orthodoxie am meisten?

Beitrag von Protasius »

Anselmus hat geschrieben:
Fragesteller hat geschrieben:Falls sich das kurz anreißen lässt: Was empfiehlt die Orthodoxie als Gegenmittel gegen diese Gefahr?
Das wirksamste Mittel dagegen ist wohl die Demut. Das Gebet sollte nicht mit dem Ziel begonnen werden, hohe Früchte des Gebets zu erreichen, wie sie nur geistlich sehr weit fortgeschrittenen möglich sind (die Süße des Gebetes spüren, Einblick in geistige Wahrheiten, andere Gaben der Gnade Gottes), sondern das Ziel des Gebetes sollte sein, die eigenen Sünden zu erkennen, dieselben immer tiefer bereuen und beweinen zu können. Weiterhin warnen die Väter davor, dass man Erscheinungenn (Gedanken oder gar "Engel" oder "Heilige", die einem erscheinen) die man im Gebet wahrnimmt, keine Aufmerksamkeit beiwohnen sollte. Ich glaube, dass das die zwei wichtigsten Ratschläge sind: Demut und das Bereuen und Beweinen der eigenen Sünden sowie Skepsis und Nichtbeachtung alles "Übernatürlichen", was man im Gebet bemerkt, so lange man noch nicht frei von Leidenschaften ist (und wahrscheinlich werden viele "normale" Menschen die Leidenschaftslosigkeit in diesem Leben auch noch nicht vollständig erreichen, befürchte ich)...
Aber sollte man nicht auch darum beten zu erkennen, welchen Platz einem Gott im irdischen Leben zugedacht hat (z.B. ob man zum Welt-/Ordenschristen berufen ist oder ob man als Laie Zeugnis geben soll)?
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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