Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Ostkirchliche Themen.
Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Danke für Deine Erläuterungen, lieber Nietenolaf!

Da ich mich nicht so gut auf die Zitierfunktion bei Listen verstehe, schreibe ich meine Antworten einfach in Deinen Text hinein. Ich hoffe, es wird dadurch nicht unübersichtlich.

1. Du schreibst: "Ousia" (und insb. "homoousios") sind Begriffe, die dem Platonismus entlehnt sein mögen. Darin besteht das erwähnte "revolutionäre" an der Theologie der Kappadokier. Inhaltlich fußen diese Begriffe aber vollständig auf der Offenbarung. Du mußt in Deiner Apologie der Philosophen eher einsteigen, nämlich bei den Kappadokiern.

Ich beginne schon beim NT, sogar schon beim AT. Es geht mir nicht um eine Apologie der Gottlosigkeit der Philosophen sondern darum, dass wir uns klar machen: Wir werden schon in eine Begrifflichkeit, die philosophisches Denken widerspiegelt, hineingeboren.

2. Du schreibst: Ich habe keine anti-westkirchliche Position.

Das freut mich, ehrlich. :schmatz:

3. Du referierst jenen Dozenten: "Der Mensch hat ein Recht darauf, fundamentale Menschenrechte aufgrund seines Menschseins nicht vorenthalten zu bekommen." Und: "Die Grundlage der Konzepte "Menschenrechte" und "Menschenwürde" bildet die humanistische Tradition des christlichen Abendlandes."

Dafür ist nicht der Humanismus die Ursache, glaube ich, sondern die westkirchliche Auffassung, dass jeder Mensch als Gottes Ebenbild eine Person sei. Der Begriff wurzelt ja in der Alten Kirche, auch in Anwendung auf den Menschen. Einen wichtigen Schritt hin zum heutigen Begriff der Person findet sich dann bei Thomas von Aquin und seinem Gewissensbegriff. Und dann spielen für die Konzeption der Menschenrechte sicher sehr stark die Erfahrungen des 30jährigen Krieges bzw. überhaupt der kriegerischen Folgen der Reformationsgeschichte und der dadurch forcierten Aufklärungsphilosophie eine Rolle. Weil die westliche Welt sich dieser Geschichte stellen musste, kam es zum Gedanken der Menschenrechte. Eine einfache Ablehnung derselben wird deshalb schwer möglich sein, weil wir diese Geschichte nicht loswerden. Man kann diese Entwicklung deshalb auch als eine Entfaltung des Personbegriffs verstehen. So tut es z.B. der katholische Philosoph Robert Spaemann. Wie die Ostkirche zum Gedanken der Menschenrechte steht, weiß ich nicht.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Lieber Miserere Nobis Domine,

wie ich eben bemerkt habe, bin ich Dir noch eine Antwort schuldig geblieben. Bitte entschuldige!
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Denn es gab ja weiterhin viele Theologen, die keine Palamiten waren. Diese wurden nicht exkommuniziert. Und die gibt es ja auch meinen Informationen nach heute noch, wenn auch der Neopalamismus seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stark an Bedeutung gewonnen hat.
An wen denkst du konkret?
"Viele Theologen" muss ich wohl einschränken, da ich ja nicht weiß, wieviele es waren. Aber in der Literatur steht ja, dass sich der Palamismus nach und nach durchsetzte. Diese Entwicklung dauerte ja offensichtlich ein paar Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte oder noch länger. Nach und nach nahmen auch andere orthodoxe Kirchen diese Lehrentscheidungen an, habe ich gelesen.

Zum Neopalamismus: In der Literatur, die ich gelesen habe, wird damit eine Bewegung bezeichnet, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden ist. Der orthodoxe Kongress 1938 in Athen scheint hier besonders bedeutsam zu sein, und Jean Meyendorff scheint einer ihrer profiliertesten Vertreter gewesen zu sein. Allerdings stieß jene Bewegung offenbar auch auf Widerstand in der orthodoxen Welt, besonders in Russland.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Lieber Evagrios,

1938 hatte die Kirche in Russland wohl eher andere Probleme als einen Kongress in Athen...

Trotzdem wäre die Frage interessant, ob es tatsächlich heute orthodoxe Theologen gibt (oder 1938 gab), die nichtpalamistisch lehren.

Wenn du etwas dazu findest, wäre ich sehr dankbar.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:... Trotzdem wäre die Frage interessant, ob es tatsächlich heute orthodoxe Theologen gibt (oder 1938 gab), die nichtpalamistisch lehren.

Wenn du etwas dazu findest, wäre ich sehr dankbar.
Da bin ich selber am Suchen und durchstöbere derzeit meine Bücher. Der Begriff Neopalamismus oder Neupalamismus, den man ja auch im Internet recherchieren kann und dort, wie gesagt, auf jenen Kongress 1938 und den Namen Jean Meyendorff trifft, habe ich dann noch in meiner "Ökumenischen Dogmatik" (erschienen 1983) von Edmund Schlink gefunden (S. 549). An jener Stelle schreibt Schlink:

"Eine Auseinandersetzung der Reformatoren mit der palamitischen Lehre hat nicht stattgefunden, da sie ihnen unbekannt war. Wohl aber ist sie heute angesichts des in der Ostkirche sich ausbreitenden Neopalamismus unumgänglich geworden."

In seiner Dogmatik nimmt Schlink an vier Stellen Bezug auf Gregorios Palamas. Schlink war auf evangelischer Seite einer der besten Kenner der Ökumene, u.a. als Delegierter der Vollversammlungen des Ökumenischen Rates der Kirchen und als offizieller Berichterstatter der Evangelischen Kirche in Deutschland beim Zweiten Vatikanischen Konzil. In der Wikipedia findet man einen kleinen Einblick in sein Leben und Werk.

P.S.: Hier habe ich noch eine kurze zusammenfassende dogmengeschichtliche Darstellung der Wirkung von Gregor Palamas, speziell im Hinblick darauf, dass er vergessen wurde und dann im Neopalamismus eine Renaissance erfahren habe, gefunden: http://books.google.de/books?id=3gPJmdT ... us&f=false

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Evagrios, der Begriff "Neopalamismus" läßt sich eben nicht allzu sehr recherchieren. Man trifft ihn mitunter in externen Betrachtungen und kirchenfernen Werken, die meist philosophischer oder gar psychologischer Art sind. Mitunter bezeichnen diese Quellen die Theologen der "Pariser Emigration" und ein paar moderne Religionsphilosophen so. Meyendorff hat zu Palamas promoviert und viel über diesen (aber dann im Kontext byzantinischer Theologie) geschrieben. Hast Du etwas von ihm gelesen? (Ich gebe zu, er gehört zu meinen Lieblingsautoren.) -- Ich persönlich lehne den Begriff "Neopalamismus" ab. Er ist unsinnig. Barlaam und Akyndinos sind widerlegt. Der "Palamismus" ist keine gegen etwas anderes abzugrenzende Schule der orthodoxen Theologie. Vielleicht wäre er das in der Westkirche. Dort würde das besser passen.
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Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Im Link, den ich in meinem letzten Posting eingefügt habe, wird am Neopalamismus als Hauptmerkmal hervorgehoben, dass er von einer essenzialistischen Konzeption abrücke, die Gottes unerkennbares Wesen als in sich geschlossen verstehe. Demgegenüber meine der Neopalamismus, dass sich in den "freien personalen Akten" Gottes, womit offenbar dort die Energien gemeint sind, Gottes Wesen äußere.

Mir leuchtet ein, dass der Autor jener Passage schreibt, dass hier mit einer Konzeption, die vom Existentialismus herkommt, versucht wird, Gregor Palamas Energienlehre verstehbar zu machen. Denn der Existentialismus vermeidet ja, den Menschen von einem Seinsbegriff her zu verstehen und definiert ihn als freien Entwurf. Menschsein sei die Freiheit, sich selbst zu entwerfen, jeder Mensch schaffe sich selbst aktual neu, so meine ich es bei Sartre einmal gelesen zu haben (Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus?). Insofern würde der Neopalamismus dieses Modell auf die Gotteslehre übertragen.

Ob der Autor jenes Links Recht hat, kann ich nicht beurteilen, da ich Meyendorff nicht gelesen habe. Aber den Gedankengang im Link kann ich nachvollziehen und er leuchtet mir als solcher ein, wenn er dem Denken Meyendorffs tatsächlich entsprechen sollte. Ansonsten kann ich nur zur Kenntnis nehmen, dass z.B. Schlink den Begriff Neopalamismus als geprägten Begriff verendet, den er aus diesem Grund in seiner "Ökumenischen Dogmatik" nirgends einführt oder erläutert. Ob dies gerechtfertigt ist oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Klar ist, dass der Begriff keine Selbstbezeichnung ist, sondern dass er von Theologen geprägt wurde, die z.B. Meyendorff in der eben beschriebenen Art verstehen. Insofern kann ich Deine Ablehnung des Begriffs nachvollziehen.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Klar ist, dass der Begriff keine Selbstbezeichnung ist, sondern dass er von Theologen geprägt wurde, die z.B. Meyendorff in der eben beschriebenen Art verstehen. Insofern kann ich Deine Ablehnung des Begriffs nachvollziehen.
Ja, und diese Theologen waren nichtorthodox. Eine orthodoxe Alternative zur Lehre des Palamas ist mir eben zumindest nicht bekannt.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Klar ist, dass der Begriff keine Selbstbezeichnung ist, sondern dass er von Theologen geprägt wurde, die z.B. Meyendorff in der eben beschriebenen Art verstehen. Insofern kann ich Deine Ablehnung des Begriffs nachvollziehen.
Ja, und diese Theologen waren nichtorthodox. Eine orthodoxe Alternative zur Lehre des Palamas ist mir eben zumindest nicht bekannt.
Natürlich, das stimmt schon. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass jene Analyse, die den Unterschied zwischen Gregorios Palamos und Jean Meyendorff als existentiale Interpretation eines ursprünglich essentialistischen Modells beschreibt, auch von einem orthodoxen Theologen als zutreffend bezeichnet werden könnte. Ich erkenne nicht, worin jene Analyse von einer konfessionellen Vorentscheidung geprägt sein soll.


Gerne möchte ich noch eine Ergänzung zu meiner These bringen, dass die Unterscheidung von Wesen und Energie zwar legitim, aber nicht wahr im ausschließlichen und somit ausschließenden Sinne sei. Ich habe ja gemeint, dass die Wahrheit jener Unterscheidung in einem andere Theologien ausschließenden Sinne nach orthodoxem Verständnis nur ein ökumenisches Konzil feststellen dürfe. Es ist interessant, was Bischof Hilarion Alfejev in seinem Buch "Geheimnis des Glaubens" schreibt, auf das Nietenolaf oben hingewiesen hat (S. 120f):

"Nach dem Bruch zwischen West und Ost im Jahre 1054 wurde der Bischof von Rom im Westen zum einzigen Haupt aller Kirchen, während im Osten jede Lokalkirche von ihrem Patriarchen geleitet wird. Die höchste Gewalt in der Ostkirche wird üblicherweise Christus selbst zugeschrieben. Beschlüsse, die allgemeinverbindlich für die gesamte orthodoxe Welt sind, können nur durch ein Ökumenisches Konzil gefasst werden."

Von dieser Definition her kann ein Lokalkonzil nie den Anspruch erheben, ein Ökumenisches Konzil zu sein. Die Synode von 1351 war von dieser Definition her eine Lokalsynode.

Dies unterstreicht Alfejevs Fußnote zu der von mir zitierten Passage:

"Die Tatsache, dass Ökumenische Konzilien im Osten in einem Zeitraum von zwölf Jahrhunderten nicht einberufen worden sind [!!], stellt die Orthodoxe Kirche vor die Frage nach der höchsten Vollmacht, die im Grunde genommen fehlt…“ Dies sei die brennende Frage unserer Zeit.

Alfejev spricht mit dieser Aussage ganz klar aus, dass die Synode von 1351 kein Ökumenisches Konzil ist und dass somit ihre Beschlüsse jenen allgemeinverbindlichen Charakter der Sieben Ökumenischen Konzilien nicht haben. Und so verwundert es auch nicht, dass er in seinem Buch, soweit ich bisher sehe, das ganze Gewicht auf Vätertexte vor der Jahrtausendwende legt. Darauf geht er auch in seinem Vorwort ein, wo er mit großem Nachdruck die Bedeutung der Väter unterstreicht.

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Monergist hat geschrieben:die Erwähnung des Begriffes "Hölle" im Neuen Testament wird von der Orthodoxie ja nicht in Abrede gestellt :) ... Daraus kann das Verstehen-Müssen dieses Begriffs auf räumliche Weise aber nicht abgeleitet werden. Die von Dir auch angeführte Parabel von Lazarus und dem reichen Mann ist im Übrigen nun gerade ein Beleg dafür, dass diejenigen in der "Hölle" nicht in der Gottesferne schmoren, sondern einem gegenüber den Geretteten identischen Eindruck ausgesetzt sind, der sich bei ihnen indes unterschiedlich manifestiert.
Ich darf hier vielleicht darauf hinweisen, dass hier auch etwas anderes in der Parabel eine sehr wichtige Rolle spielt.
Unseren Toten und uns selber, wenn es mal soweit ist, wünschen wir "Ewiges Gedenken".
Dies bezieht sich selbstverständlich nicht auf das Gedenken auf Erden, denn diese ist vergänglich, sondern das Gedenken im ewigen Himmel.

Man beachte, dass Lazarus in der Parabel bei Namen genannt wird, während der reiche Prasser anonym bleibt, also sein Name vergessen ist. Schon das allein drückt "Hölle" aus. Was gibt es Schlimmeres, als dass jemand, den wir so sehr lieben und verehren unseren Namen vergisst?
Ich glaube; hilf meinem Unglauben

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Haiduk
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Haiduk »

Kirchenjahr hat geschrieben:
Miserere Nobis Domine hat geschrieben: In den Lehren ... des Bulgakov finden sich nach orthodoxer Auffassung gravierende Mängel.
Welche Mängels sind das konkret? Immerhin war Sergej Bulgakov orthodoxer Theologe. Oder hat Bulgakov etwa falsch argumentiert (Argument: "Zuweilen wird dieser Gedanke auch in der orthodoxen Theologie in den Termini des Anselm von Canterbury als Genugtuung (satisfactio) ausgedrückt)"?

Bulgakow soll die Doktrin der Apocatastasis vertreten haben, vmtl. hier mit diesem Buch: Apocatastasis and Transfiguration.

In Kritik geraten war er auch wegen seiner Lehre von der Sophia, der Weisheit Gottes.
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:"Nach dem Bruch zwischen West und Ost im Jahre 1054 wurde der Bischof von Rom im Westen zum einzigen Haupt aller Kirchen, während im Osten jede Lokalkirche von ihrem Patriarchen geleitet wird. Die höchste Gewalt in der Ostkirche wird üblicherweise Christus selbst zugeschrieben. Beschlüsse, die allgemeinverbindlich für die gesamte orthodoxe Welt sind, können nur durch ein Ökumenisches Konzil gefasst werden."

Von dieser Definition her kann ein Lokalkonzil nie den Anspruch erheben, ein Ökumenisches Konzil zu sein. Die Synode von 1351 war von dieser Definition her eine Lokalsynode.
Kein Konzil sagt von sich "wir sind jetzt hier ein Ökumenisches Konzil, das für alle verbindlich ist". Alfejews Fußnote, Ökumenische Konzilien seien "nicht einberufen" worden, ist eine retrospektive Position, keine Beschreibung eines Verfahrens, demzufolge man Ökumenische Konzilien "einberuft".

Die Klassifikation "Ökumenisch" ist in erster Linie die Aufgabe der späteren Rezeption dieses jeweiligen Konzils, neben einigen anderen Anzeichen wie z.B. der Zusammensetzung. Was die Rezeption der "palamitischen" Konzilien angeht (1351 bildete lediglich den Abschluß, es ging aber bereits 1341 los - die entsprechenden Verdammung der Antipalamiten und die Preisungen der Verteidiger des Glaubens all dieser Konzilien bilden eine Einheit), sind diese bzw. ist dieses natürlich "Ökumenisch". Auch, was die Zusammensetzung angeht. Das Konzil 1341 wurde ja sogar von einem Kaiser einberufen.

Warum die meisten (z.B. Alfejew) dennoch bei der Siebenzahl der Ökumenischen Konzilien bleiben und die palamitischen Konzilien nicht dazu zählen, läßt sich m.E. nicht aus dem erklären, was Du oben von Alfejew zitierst. Bestenfalls noch kann man das durch das Ausscheiden Roms und eines entsprechenden organischen (nicht dogmatischen) Verlustes einer antiken "Fülle" begreifen.
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Pilgerer
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Pilgerer »

Bei der Rechtfertigungslehre geht es auch um das Gewissen. Wie kann ein orthodoxer Christ ein reines Gewissen vor Gott bekommen?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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ad-fontes
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von ad-fontes »

Pilgerer hat geschrieben:Bei der Rechtfertigungslehre geht es auch um das Gewissen. Wie kann ein orthodoxer Christ ein reines Gewissen vor Gott bekommen?
Durch die Beichte!?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

TillSchilling

Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von TillSchilling »

Mary in einem anderen Thread, in welchem dieses Thema OT war, hat geschrieben: Welches Menschenbild, Verständnis der Willensfreiheit und Fähigkeit der Gottsuche siehst denn Du als biblisch an?
Hier ging es 23 Seiten lang schon mal um dieses Thema.

Eine sehr gute Zusammenfassung der Thematik und Darstellung der orthodoxen Sicht unter: http://www.stpaulsirvine.org/html/Justification.htm. From there:
1. Original Guilt

The Western Church tended to be more pessimistic about humankind’s plight than was the Eastern Church; it taught a doctrine of original sin that included the conception of humankind’s physical solidarity with Adam and its participation in Adam’s sinful act. This was largely absent in Eastern thinking.[7]



[A]ll men who are born according to the course of nature are conceived and born in sin. That is, all men are full of evil lust and inclinations from their mothers’ wombs and are unable by nature to have true fear of God and true faith in God. Moreover, this inborn sickness and hereditary sin is truly sin … .[Augsburger Konfession]



In order to discuss justification, one must first examine theological anthropology, specifically postlapsarian[9] theological anthropology; i.e., one cannot speak about how we are justified or saved in Christ without understanding what is wrong with us in our current state. The Joint Declaration [des Lutherischen Weltbunds under römisch-katholischen Kirche zur Rechtfertigung] does this as well, at the beginning of its explication of the common understanding (section 4). A comparison between the Joint Declaration and traditional Orthodox theology reveals immediate differences, in two distinct areas: 1) implicitly, the concept of inherited original guilt, and 2) explicitly, the understanding of free will, or human freedom.

Pilgerer
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Pilgerer »

Bei den lutherischen Worten über die Verderbtheit der Sünde ist vor allem das Spektrum der "Gedankensünden" enthalten, die ein normaler Mensch auch dann begeht, wenn er in den Taten die 1 Gebote vollumfänglich hält. Luther sagte in einer Predigt:
Christus spricht hier: Ob jemand gleich mit der Hand nicht totschlägt, kann er dennoch ein Mörder und Übertreter dieses Gebotes vor Gott sein. Ursache, Gott hat nicht allein den Totschlag, welcher mit der Hand geschieht, sondern auch den Zorn im Herzen, ein zornig Wort, einen zornigen Anblick in diesem Gebote verboten. ... Gottes Gebote lassen sich mit den bloßen Werken nicht erfüllen; es muß das Herz rein sein von allem Zorn, Haß und Neid, Unzucht und allerlei bösen Lüsten. Wer es dahin bringen kann, der mag sagen, er sei fromm. Weil aber im Herzen die Sünde und böse Lüste noch nicht alle tot sind, sondern regen sich, so hüte dich, daß du dich für fromm halte ist, oder in den Himmel zu kommen denkest.
Luther sieht es als die "Gerechtigkeit der Pharisäer" an, dass sie sich ihrer Werke rühmen, obwohl das Herz noch trüb ist. Was ist die bessere Gerechtigkeit, die Gott laut Luther sehen will?
Diese, da Werke und Herz zugleich fromm und nach Gottes Wort gerichtet ist: das nicht allein die Hand totschlage, sondern auch das Herz von allem Zorn frei ist; das nicht allein du mit dem Werke nicht ein Ehebrecher werdest, sondern dein Herz ganz rein sei, ohne alle böse Lust und Begierde.
Es ist also ein Missverständnis, wenn die westliche Kirche in der Gestalt der Augsburger Konfession als pessimistisch beschrieben wird. Luther sah die Menschen tatsächlich als fähig an, Gutes zu tun. Er nannte die Pharisäer als Beispiel dafür. Doch solange sie nicht vollkommen sind wie die Engel oder Jesus, haben sie keine Chance auf das Himmelreich und können Gott nicht gefallen. Solange das Herz nicht erlöst ist, kann niemand vollkommen werden. Das Herz wird bei Luther nur durch den christlichen Glauben erlöst.
Also sollen wir ihm tun: wir sollen den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht gleich werden, daß wir uns unserer Werke wegen für fromm hielten; sondern neben allem Guten, daß wir tun und können, sollen wir uns vor Gott demütigen und sprechen: Lieber Herr, ich bin ein armer Sünder, sei du mir gnädig, und richte mich nicht nach meinen Werken, sondern nach deiner Gnade und Barmherzigkeit, die du in Christus uns verheißen und geleistet hast.
http://www.glaubensstimme.de/doku.php?i ... t._5_2-26
Durch den Glauben Anteil an Gottes Gerechtigkeit geschenkt bekommen, ist eine größere Gerechtigkeit als jene, die durch eigenmächtige Werke erlangt werden kann.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Oi, bei Martin Luther und Sünde bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Der gute Mann scheint ja dahingehend höllische Ängste zu haben, die auch seinem Abt im Augustinerkloster aufgefallen sind
He confessed daily, often for six hours. He continued to search and research his memory to be certain that no sin had been forgotten. At times Staupitz became frustrated with Luther. At one point he told Luther that it was not God who was angry at him but Luther who was angry at God. Staupitz appears to have put his finger on a central problem in Luther's psychological make-up — he thought that Luther's preoccupation with sin was the indication of a "sick soul."
Mehr ist hier zu lesen. Wir treffen dort wieder Augustinus und seine Prädestination.
His despair then brings him to the most frightening thought of all — what if God is not just? Luther spent much time reading St. Augustine and was influenced greatly by St. Augustine's doctrine of predestination and original sin. The thought of the possibility that God is not just is interconnected with his reading of St. Augustine, despite the fact that St. Augustine claims that the "justice of God" is preserved in predestination. .... Luther's fear that he was predestined to damnation was the result of the influence of Staupitz and St. Augustine.
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Fragesteller
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Fragesteller »

Nassos hat geschrieben:Oi, bei Martin Luther und Sünde bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Der gute Mann scheint ja dahingehend höllische Ängste zu haben, die auch seinem Abt im Augustinerkloster aufgefallen sind
Dass die kleinen oder gedanklichen Sünden tatsächlich schlimme Sünde sind, ist nicht psychisch bedingte Skrupulosität Luthers, sondern entspricht dem Befund Jesu (Mt. 5 20ff). Übertriebene Höllenangst ist da natürlich angesichts des Evangeliums dennoch nicht angemessen, aber gerade das ist ja auch Luthers späterer Ansatz.

TillSchilling

Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von TillSchilling »

Nassos hat geschrieben:Oi, bei Martin Luther und Sünde bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Der gute Mann scheint ja dahingehend höllische Ängste zu haben, die auch seinem Abt im Augustinerkloster aufgefallen sind
Sünde trennt halt eben nun mal von Gott und führt zu Tod und Hölle. Ein flaues Gefühl im Magen ist da völlig angebracht. Luther hat einfach Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit ernstgenommen.

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Zarahfication
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Zarahfication »

[quote="Miserere Nobis Domine"] Ich persönlich nehme dann auch lieber Rückschritte im ökumenischen Dialog in Kauf, als an Gott als einen rachsüchtigen Tyrannen zu glauben.?[/quot]

Mann oh mann dieser Satz strotzt nur sowas von Selbstherrlichkeit und Hochmut. Ich wusste nicht, dass orthodoxe Christen auch an den unbiblischen lieben Kuschel-Gott glauben, der außer lieb, apathisch und gleichgültig zu sein nix tut: Eine Liebe, die Unterdrückung, Ausbeutung, die Mord, Folter, Vergewaltigung, Ungerechtigkeit, Bosheit und überhaupt Sünde, ignoriert ist keine Liebe, sondern Gleichgültigkeit und Kälte. Wenn dein Kind oder deine Frau z.B. ermordet, gefoltert oder vergewaltigt wird gehst du ja auch zum Richter damit der Täter bestraft wird. Bist du dann auch ein rachsüchtiger Tyrann, weil du Gerechtigkeit willst? Ein Richter, der ein Mörder, Räuber oder Vergewaltiger nicht bestraft und davonkommen lässt, ist nicht liebend, sondern korrupt und verwerflich.Ein Richter, der ein Täter nicht bestraft, bestraft immer die Opfer. Gottes Liebe und Barmherzigkeit erweisen sich niemals auf Kosten der Gerechtigkeit oder mit blindem Erlassen der Sünde.

Laut Bibel erfreut sich die Liebe an die Gerechtigkeit. Liebe straft auch. Nicht zu bestrafen kann auch Unbarmherzigkeit bedeuten. Kinder, die niemals bestrafen werden, werden zu Tyrannen. Menschen werden zu Monsters, wenn sie mit allem durchkommen und niemals bestraft werden. Siehe Diktatoren, Nazis. Gott ist nicht nur Liebe sondern auch gerecht und heilig. Gott kann Sünde nicht ungeahndet sein lassen, sonst würde er seine Natur verleugnen und vergewaltigen. Gott der Bibel ist ein souveräner Richter, vor dem sich jeder Mensch verantworten muss und Rechenschaft ablegen WIRD. Sünde nimmt Gott todernst und das scheint dir und vielen Christen nicht zu passen. Die Souveränität Gottes wird daher gerne als Tyrannei Gottes abgestempelt.

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

@ Zarahfication: Wenn man Gott nicht als einen "rachsüchtigen Tyrannen" ansieht, heißt das noch lange nicht, dass man glaubt, dass Gott Sünde egal ist, oder dass Sünde ohne Folge ist.

Aber es ist ein großer Unterschied, ob man Gott als unbarmherzigen Richter ansieht, der wie ein menschlicher Richter paragraphengetreu den Menschen verurteilt, oder man ihn als einen liebenden Vater ansieht, den es schmerzt, dass seine Kinder so in die Irre gehen und ihnen hinterhergeht und versucht alles zu tun, um sie auf den richtigen Weg zu bringen. Und das hat ganz und gar nichts mit einem Kuschelgott zu tun.

Ich kann zu diesem Thema jedem nur folgenden Text ans Herz legen: Kalomiros: River of fire (leider jedoch nur auf Englisch). Die Orthodoxie bekräftigt, dass die Hölle sehr real ist und es wird in der geistlichen Literatur auch viel davor gewarnt, dass man bei entsprechender Lebensführung Gefahr läuft, dort hinzukommen. Aber wie sich die Kirche die Hölle vorstellt, und was darin die Bestrafung ist, das ist doch etwas ganz Anderes als das, was im Westen daraus leider geworden ist. Ich möchte ehrlich gesagt keine Vorstellung von Hölle und Strafe, wie das z.B. im Islam ist, und einige traditionell katholische Vorstellungen sind davon leider nicht weit entfernt...

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

Weiterhin lade ich dazu ein, die früheren Beiträge dieses Stranges zu lesen, vor allen Dingen die Beiträge des Users "Monergist", der hier schon mit sehr guten Worten dargelegt hat, wie die Orthodoxie diese Dinge sieht...

Pollux
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Pollux »

Nach dem Evangelium des Johannes ist "Gott Liebe und wer in der Liebe ist, der ist in Gott."Die Erbsündenlehre stammt m.E. vom Kirchenvater Augustinus. Danach wird ein Mensch in Sünde geboren und in Sünde empfangen. An anderer Stelle in der Bibel heißt es:"Wer sein Kind liebt, der züchtigt es."Man kann aber auch mit Worten und Blicken strafen. "Strafe muss sein" ist ein alter Erziehungsgrundsatz. Aber Gott straft "als wolle er belohnen, so richtet er die Welt", wie es in einem KIrchelied der ev. Kirche heißt.

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Anselmus hat geschrieben:Weiterhin lade ich dazu ein, die früheren Beiträge dieses Stranges zu lesen, vor allen Dingen die Beiträge des Users "Monergist", der hier schon mit sehr guten Worten dargelegt hat, wie die Orthodoxie diese Dinge sieht...
Yep... :daumen-rauf:

Leider sieht man Monergist nicht mehr, und Evagrius auch nicht. :( (oder habe ich was verpasst?)
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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Zarahfication hat geschrieben:
Miserere Nobis Domine hat geschrieben: Ich persönlich nehme dann auch lieber Rückschritte im ökumenischen Dialog in Kauf, als an Gott als einen rachsüchtigen Tyrannen zu glauben.?
Mann oh mann dieser Satz strotzt nur sowas von Selbstherrlichkeit und Hochmut. Ich wusste nicht, dass orthodoxe Christen auch an den unbiblischen lieben Kuschel-Gott glauben, der außer lieb, apathisch und gleichgültig zu sein nix tut: Eine Liebe, die Unterdrückung, Ausbeutung, die Mord, Folter, Vergewaltigung, Ungerechtigkeit, Bosheit und überhaupt Sünde, ignoriert ist keine Liebe, sondern Gleichgültigkeit und Kälte. Wenn dein Kind oder deine Frau z.B. ermordet, gefoltert oder vergewaltigt wird gehst du ja auch zum Richter damit der Täter bestraft wird. Bist du dann auch ein rachsüchtiger Tyrann, weil du Gerechtigkeit willst? Ein Richter, der ein Mörder, Räuber oder Vergewaltiger nicht bestraft und davonkommen lässt, ist nicht liebend, sondern korrupt und verwerflich.Ein Richter, der ein Täter nicht bestraft, bestraft immer die Opfer. Gottes Liebe und Barmherzigkeit erweisen sich niemals auf Kosten der Gerechtigkeit oder mit blindem Erlassen der Sünde.

Laut Bibel erfreut sich die Liebe an die Gerechtigkeit. Liebe straft auch. Nicht zu bestrafen kann auch Unbarmherzigkeit bedeuten. Kinder, die niemals bestrafen werden, werden zu Tyrannen. Menschen werden zu Monsters, wenn sie mit allem durchkommen und niemals bestraft werden. Siehe Diktatoren, Nazis. Gott ist nicht nur Liebe sondern auch gerecht und heilig. Gott kann Sünde nicht ungeahndet sein lassen, sonst würde er seine Natur verleugnen und vergewaltigen. Gott der Bibel ist ein souveräner Richter, vor dem sich jeder Mensch verantworten muss und Rechenschaft ablegen WIRD. Sünde nimmt Gott todernst und das scheint dir und vielen Christen nicht zu passen. Die Souveränität Gottes wird daher gerne als Tyrannei Gottes abgestempelt.
Vorsicht: unterscheide bitte das Strafen eines Egoisten, weil sein Kind ihm nicht gehorcht hat, und das Strafen eines liebenden Vaters (aus pädagogischen Gründen) zum Wohle des Kindes (was auch schmerzhaft für das Kind sein kann)
MND schloss ersteres aus (er hätte es besser ausdrücken können, außer die Aussage ist aus dem Zusammenhang gerissen, ich habe mir nicht die Mühe gemacht nachzuschauen). Ansonsten wäre Gott, so wie von Augustinus/Anselm v. Canterbury dargestellt, Seiner eigenen Gerechtigkeit unterworfen.
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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

TillSchilling hat geschrieben:
Nassos hat geschrieben:Oi, bei Martin Luther und Sünde bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Der gute Mann scheint ja dahingehend höllische Ängste zu haben, die auch seinem Abt im Augustinerkloster aufgefallen sind
Sünde trennt halt eben nun mal von Gott und führt zu Tod und Hölle. Ein flaues Gefühl im Magen ist da völlig angebracht. Luther hat einfach Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit ernstgenommen.
Ich stimme Deinen ersten zwei Sätzen zu.
Beim dritten nicht. Luther litt unter einer Höllenangst vor Gott, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Phobie ist des Teufels (anstatt nämlich auf Gott zu hoffen und zu vertrauen, wenn man sich Ihm wieder in Reue nähern will). Daher das oben erwähnte flaue Gefühl...
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Fragesteller
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Fragesteller »

Pollux hat geschrieben:Nach dem Evangelium des Johannes ist "Gott Liebe und wer in der Liebe ist, der ist in Gott."Die Erbsündenlehre stammt m.E. vom Kirchenvater Augustinus.
Im Kern nein, vgl. Röm 5,12ff. Dort siehst Du auch, dass diese Lehre nicht unbedingt im Widerspruch gedacht werden muss zur Gnade Gottes (für die sich Augustin ja auch sehr interessiert!).

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Im Kern sehr wohl. Leider.
...Nevertheless, with Augustine begins a series of huge problems on the subject of evil, which continue to torment both East and West, to this day. You will understand what I mean, when I mention that Augustine is, on the one hand, the one who linked evil to the renowned (as named by him during the year 396) "Original Sin" which, to him is a historical event - much like the siege of Troy or the Persian wars - an entirely inconceivable notion for the Hellenic-speaking Patristic tradition however. So now it is Sin that "gives birth" to Evil, and not vice-versa. To understand the difference, I will point out that for Saint Maximos the Confessor (for example) the cause of Evil is the "ex nihilo" creation of the world; in other words, it exists, not only towards the direction of Being, but also in another direction - towards the "decomposition" (apogenesin) of beings: evil -fundamentally- is a deterioration of the being, and not a "moral" event. Thus, while for Saint Maximos (or Athanasius the Great) it is precisely the primeval seed of nihil inside the bowels of the being that gives birth to the potential of sin and consequently of evil (if and provided it is activated by Man's free will), for Augustine it -reversely- is the moral decision of humans (Adam and Eve) that gave birth to evil (with all its guilt); Augustine is the... father of guilt, in the West.

This has an immense impact at the level of ontology. And yet, with all the above, evil was regarded by Augustine as something "invented" by man (abetted of course by the devil, whose position however is not a powerful enough one - something not so unusual in Augustine's work), even though this invention reveals a complete and witting destruction of man's nature. In other words, with this invention man showed that his nature - albeit created innocent and good by God - wittingly became evil in essence, especially female nature; because woman (even before her encounter with the Serpent-Devil) already had within her the thirst for power and the audacity for an easy acquisition of divinity, into which she guilefully dragged Adam also, thus proving him to be similar to her. In plain words, according to Augustinian theology man is not evil because he wittingly or after being fooled participates in - and abandons himself to - the worldly deterioration that is already under way, but because he himself finds deterioration within his own nature. (I am not ignorant of the possibility that we can find similar positions in the Hellenic-speaking Fathers, however, I think that these do not prevail theoretically in the Patristic tradition, inasmuch as they probably have the character of a kerygma). Thus was born the idea of inherited guilt, as well as that of absolute predestination. Given that man's nature is now absolutely perverted, it is impossible for man to truly seek God and His Grace - the latter can only be an involuntary and irresistible (a word that Augustine characteristically uses) gift of God, to those whom He - for unknown reasons - prefers. the rest are just a doomed crowd: "massa damnata". But this way, very little is mentioned about man's freedom. Indeed, human freedom is of minimal significance here; or, rather, there is no freedom at all - as a choice - but only as a compulsory acceptance of the irresistible Grace of God.
Quelle

(Die "massa damnata" dürfte Luther in die absolute Verzweiflung gestürzt haben.)
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Pilgerer
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Pilgerer »

Nassos hat geschrieben:
TillSchilling hat geschrieben:
Nassos hat geschrieben:Oi, bei Martin Luther und Sünde bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Der gute Mann scheint ja dahingehend höllische Ängste zu haben, die auch seinem Abt im Augustinerkloster aufgefallen sind
Sünde trennt halt eben nun mal von Gott und führt zu Tod und Hölle. Ein flaues Gefühl im Magen ist da völlig angebracht. Luther hat einfach Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit ernstgenommen.
Ich stimme Deinen ersten zwei Sätzen zu.
Beim dritten nicht. Luther litt unter einer Höllenangst vor Gott, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Phobie ist des Teufels (anstatt nämlich auf Gott zu hoffen und zu vertrauen, wenn man sich Ihm wieder in Reue nähern will). Daher das oben erwähnte flaue Gefühl...
Diese Höllenangst litt er, bevor er das Prinzip "allein aus Glauben" gerechtfertigt zu sein, erkannte. Umso entschiedener hielt er später an dem Trost fest, den ihm der Glaube und das seligmachende Vertrauen in Christus brachte. Das bekannte Weihnachtslied "Vom Himmel hoch", von Luther gedichtet, fasst das vielleicht besser in Worte als lange Texte:
2.
Euch ist ein Kindlein heut geborn
von einer Jungfrau auserkorn,
ein Kindelein so zart und fein,
das soll eur Freud und Wonne sein.

3.
Es ist der Herr Christ, unser Gott,
der will euch führn aus aller Not,
er will eur Heiland selber sein,
von allen Sünden machen rein.

4.
Er bringt euch alle Seligkeit,
die Gott der Vater hat bereit',
daß ihr mit uns im Himmelreich
sollt leben nun und ewiglich.
...
12.
Das hat also gefallen dir,
die Wahrheit anzuzeigen mir,
wie aller Welt Macht, Ehr und Gut
vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.

13.
Ach mein herzliebes Jesulein,
mach dir ein rein sanft Bettelein,
zu ruhen in meins Herzens Schrein,
daß ich nimmer vergesse dein.

14.
Davon ich allzeit fröhlich sei,
zu springen, singen immer frei
das rechte Susaninne schön,
mit Herzenslust den süßen Ton.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Was Luther suchte, gab es in der Ostkirche, aber daran hatte er nicht gedacht und dann nahmen seine Gedanken ihre eigene Dynamik auf, indem es andere "weiterentwickelten".

Aber wir sind offtopic. Luther ist ja nicht der Vater der Rechtfertigungslehre.
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Pilgerer
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Pilgerer »

Haben orthodoxe Christen denn viel Angst vor dem Jüngsten Gericht oder haben sie diesbezüglich Gewissheiten am Ende ihres Lebens?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Mary »

Pilgerer hat geschrieben:Haben orthodoxe Christen denn viel Angst vor dem Jüngsten Gericht oder haben sie diesbezüglich Gewissheiten am Ende ihres Lebens?
Ich antworte mal mit Johannes (3,16f)
16 Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Darf ich noch ergänzen: aus den Morgengebeten (8. Gebet)

Mein gnädigster und barmherzigster Gott, Herr Jesus Christus,
der Du in Deiner großen Liebe herabgestiegen bist und Fleisch angenommen hast, um alle zu retten.
So bitte ich Dich, o Heiland, rette auch mich durch deine Gnade.
Denn würdest Du mich ob meiner Taten retten, wäre dies nicht Gnade oder Gabe,
sondern Schuldigkeit sogar.
Ja, Du Gnadenreicher und unausprechlich Gütiger, Du hast gesagt,
wer an mich glaubt, wird leben und den Tod auf ewig nicht sehen.
Wenn nun der Glaube an Dich die Verzweifelten rettet, so glaube auch ich;
errette Du mich, denn Du bist mein Gott und Schöpfer.
Der Glaube möge mir anstelle von Taten angerechnet werden, mein Gott,
denn Du wirst keine Taten an mir finden, die mir zur Rechtfertigung gereichen könnten.
Doch dieser mein Glaube möge mir stattdessen für alles genügen;
er soll mich rechtfertigen, er soll mich zum Teilhaber Deiner ewigen Herrlichkeit werden lassen,
damit mich nicht der Satan verführe und sich nicht rühme,
mich Deiner Hand und Deinem Schutz entrissen zu haben, o Wort Gottes.
Und ob ich es nun will, oder nicht, Christus, mein Heiland, errette mich schnell,
komme mir zuvor, der ich verloren bin.
Denn Du bist mein Gott vom Mutterleib an. Würdige mich, Herr,
Dich jetzt so zu lieben, wie ich einst die Sünde geliebt habe und Dir ohne Trägheit
eifrig zu dienen, wie ich einst dem arglistigen Satan gedient habe.
Vielmehr möchte ich Dir, meinem Herrn und Gott Jesus Christus,
nun alle Tage meines Lebens dienen, jetzt und immerdar
und in alle Ewigkeit. Amen.


(deutschsprachiges Gebetsbuch der ROK des MP)

Und aus den Ektenien der Göttlichen Liturgie des Hl. Johannes Chrysostomus

D: Verzeihung und Nachlaß unserer Sünden
und Verfehlungen laßt vom Herrn uns erflehen.
V: Gewähr' es, o Herr.
D:Das Gute und Heilsame für unsere Seelen
und den Frieden der Welt laßt vom Herrn uns
erflehen.
V: Gewähr' es, o Herr
D: Daß wir die übrige Zeit unseres Lebens in
Frieden und Buße vollenden, laßt vom Herrn uns
erflehen.
V: Gewähr' es, o Herr.
Daß wir die übrige Zeit unseres Lebens in
Frieden und Buße vollenden, laßt vom Herrn uns
erflehen.
V: Gewähr' es, o Herr.
D: Ein christliches Ende unseres Lebens, ohne
Qual und Schande und in Frieden, und eine gute
Verantwortung vor dem furchtbaren Richt-
stuhl Christi
lasst uns erflehen.
V: Gewähr' es, o Herr.

...


Wir haben Angst (furchtbarer Richtstuhl) und wiegen uns nie in Sicherheit. Aber wir haben auch starke Hoffnung, denn die Errettung erfolgt nicht aus uns, sondern aus Christus, der uns retten will. Ich hoffe, das wird mit diesen zwei quotes als Ergänzung zu Marys Zitaten klarer.
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