Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

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Kirchenjahr
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Kirchenjahr »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Nun aber die Probleme des Anthropomorphismus: Arzt und Patient sind beides Menschen...
Das Problem ist nicht der Anthropomorphismus, sondern unsere Unmöglichkeit, Gott zu erfassen. Anthropomorphismen setzen gerade da an, wo unser Intellekt nicht weiter kommt. Sie können und sollen uns weiterhelfen. Begründung in der hl. Schrift sind da die von Jesus erzählten zahlreichen Gleichnisse!

PS Manchmal hinken Anthropomorphismen aber auch wie andere Beispiele.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Johannes22101988 hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Nassos hat geschrieben:Vielleicht unqualifiziert aber: ist der "Anthropomorphismus" hier nicht überinterpretiert? Grund für die Nachfrage: ich denke an den menschenliebenden Gott und auch daran, dass wir nach Gottes Abbild erschaffen wurden...
Johannes von Damaskus schreibt, dass wir von Gott vor allem aussagen können, wie er nicht ist, weniger aber, wie er ist: unkörperlich, unendlich, unteilbar, unveränderbar etc. Ein Anthropomorphismus dagegen ist in der Gefahr, gerade aussagen zu wollen, wie Gott ist.
eben genau das soll man nicht, unser schöpfer ist nicht zu erklären. Das einzige was wir erfassen können ist das was "um IHN ist" - also "ungeschaffene energien" oder die gnade...
Ganz so sagt es Johannes nicht. Er sagt durchaus, dass manches von seinem Wesen ausgesagt werden kann.

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Johannes22101988
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Johannes22101988 »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Johannes22101988 hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Nassos hat geschrieben:Vielleicht unqualifiziert aber: ist der "Anthropomorphismus" hier nicht überinterpretiert? Grund für die Nachfrage: ich denke an den menschenliebenden Gott und auch daran, dass wir nach Gottes Abbild erschaffen wurden...
Johannes von Damaskus schreibt, dass wir von Gott vor allem aussagen können, wie er nicht ist, weniger aber, wie er ist: unkörperlich, unendlich, unteilbar, unveränderbar etc. Ein Anthropomorphismus dagegen ist in der Gefahr, gerade aussagen zu wollen, wie Gott ist.
eben genau das soll man nicht, unser schöpfer ist nicht zu erklären. Das einzige was wir erfassen können ist das was "um IHN ist" - also "ungeschaffene energien" oder die gnade...
Ganz so sagt es Johannes nicht. Er sagt durchaus, dass manches von seinem Wesen ausgesagt werden kann.
Meinst du damit GOTT selbst oder das was ihm umgibt (man das kann einen ziemlich verwirren :irritiert: )
Wer die kirche nicht als mutter sieht, kann GOTT nicht als VATER sehen.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Johannes22101988 hat geschrieben:Meinst du damit GOTT selbst oder das was ihm umgibt (man das kann einen ziemlich verwirren :irritiert: )
Diese Unterscheidung ist mir bei Johannes von Damaskus nicht begegnet. Er unterscheidet nicht eine Wesen Gottes selbst und die Energien, die ihn umgeben. Diese Unterscheidung stammt meines Wissens erst von Gregorios Palamas, also 650 Jahre später. Johannes von Damaskus unterscheidet nicht ontologisch wie Gregorios Palamas, sondern heilsgeschichtlich: Erkennbar ist das, was Gott geoffenbart hat (Darlegung des orthodoxen Glaubens, Erstes Buch, Kapitel 1). Gott hat sich "entsprechend unserem Fassungsvermögen erkennbar gemacht" (durch die Werke der Schöpfung, durch die Propheten, durch seinen Sohn). Deshalb ist, wie er dann fortsetzt, weder im Blick auf die Gotteslehre, also die immanente Trinität, noch auf die Heilsgeschichte, also die ökonomische Trinität, "weder alles unaussprechbar noch alles aussprechbar, weder alles unerkennbar noch alles erkennbar" (Erstes Buch, Kapitel 2).

Im Blick auf das Problem des Anthropomorphismus bedeutet dies meiner Meinung nach: Was Gott von sich erkennbar gemacht hat, das kann durch einen Vergleich (z.B. Arzt - Patient) deutlich, anschaulich gemacht werdern, vorausgesetzt, man beachtet den Vergleichspunkt. Aber das umgekehrte gilt nicht: also dass das Beispiel Arzt - Patient uns das Wesen Gottes erschließt.

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Johannes22101988
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Johannes22101988 »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Johannes22101988 hat geschrieben:Meinst du damit GOTT selbst oder das was ihm umgibt (man das kann einen ziemlich verwirren :irritiert: )
Diese Unterscheidung ist mir bei Johannes von Damaskus nicht begegnet. Er unterscheidet nicht eine Wesen Gottes selbst und die Energien, die ihn umgeben. Diese Unterscheidung stammt meines Wissens erst von Gregorios Palamas, also 650 Jahre später. Johannes von Damaskus unterscheidet nicht ontologisch wie Gregorios Palamas, sondern heilsgeschichtlich: Erkennbar ist das, was Gott geoffenbart hat (Darlegung des orthodoxen Glaubens, Erstes Buch, Kapitel 1). Gott hat sich "entsprechend unserem Fassungsvermögen erkennbar gemacht" (durch die Werke der Schöpfung, durch die Propheten, durch seinen Sohn). Deshalb ist, wie er dann fortsetzt, weder im Blick auf die Gotteslehre, also die immanente Trinität, noch auf die Heilsgeschichte, also die ökonomische Trinität, "weder alles unaussprechbar noch alles aussprechbar, weder alles unerkennbar noch alles erkennbar" (Erstes Buch, Kapitel 2).

Im Blick auf das Problem des Anthropomorphismus bedeutet dies meiner Meinung nach: Was Gott von sich erkennbar gemacht hat, das kann durch einen Vergleich (z.B. Arzt - Patient) deutlich, anschaulich gemacht werdern, vorausgesetzt, man beachtet den Vergleichspunkt. Aber das umgekehrte gilt nicht: also dass das Beispiel Arzt - Patient uns das Wesen Gottes erschließt.
und mir ist ein licht aufgegangen :breitgrins:

danke danke :kussmund:
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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Im Blick auf das Problem des Anthropomorphismus bedeutet dies meiner Meinung nach: Was Gott von sich erkennbar gemacht hat, das kann durch einen Vergleich (z.B. Arzt - Patient) deutlich, anschaulich gemacht werdern, vorausgesetzt, man beachtet den Vergleichspunkt. Aber das umgekehrte gilt nicht: also dass das Beispiel Arzt - Patient uns das Wesen Gottes erschließt.
Mein lieber Evagrios,

vielen Dank für diese richtige Hervorhebung. Nichts anderes käme mir in den Sinn. Ich hatte das Beispiel des heilenden Arztes nicht als eine Erklärung Gottes aufgefasst, sondern eine Unterscheidungshervorhebung ( :panisch: ) zum juridischen Denkansatz des Westens.
Daher betonte ich das menschenliebende "Element" Gottes.
Ich glaube; hilf meinem Unglauben

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Diese Unterscheidung stammt meines Wissens erst von Gregorios Palamas, also 650 Jahre später.
Diese These wurde von Dorothea Wendebourg aufgestellt und ist darum in ev. Kreisen bis heute verbreitet. Richtig ist aber, dass die Unterscheidung bereits vom hl. Basilius dem Grossen erwähnt wird, Palamas hat sie lediglich viel stärker ausgearbeitet.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Im Blick auf das Problem des Anthropomorphismus bedeutet dies meiner Meinung nach: (...=
Die Unterscheidung Wesen-Energien ist für mich persönlich unabdinglich, und ich meine, dass dies auch für die überaus meisten Orthodoxen (mit theologischen Kenntnissen) zutrifft. Da die Lehre der Kirche eine Einheit bildet, ist also auch der hl. Johannes von Damaskus im Lichte dieser Unterscheidung zu sehen, auch wenn er sie persönlich noch nicht so explizit ausformuliert hat wir der hl. Gregor Palamas.

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ad-fontes
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von ad-fontes »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Dorothea Wendebourg
:panisch:
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Diese Unterscheidung stammt meines Wissens erst von Gregorios Palamas, also 650 Jahre später.
Diese These wurde von Dorothea Wendebourg aufgestellt und ist darum in ev. Kreisen bis heute verbreitet. Richtig ist aber, dass die Unterscheidung bereits vom hl. Basilius dem Grossen erwähnt wird, Palamas hat sie lediglich viel stärker ausgearbeitet.
Evangelische Kreise? Jeder katholische Theologe wird das auch so sehen. Letztlich sahen das die theologischen Gegner von Gregorios im 14. Jahrhundert schon so. Jedenfalls findet sich die Unterscheidung von Wesen und Energien nicht bei Johannes von Damaskus, Basilius hin oder her. Und wenn sie sich bei Basilius findet (wo genau? die RGG schreibt vorsichtiger, dass Gregorios lediglich Lehransätze der Kappadokier entfalte) findet sie sich wohl nicht bei den anderen beiden Kappadokiern, geschweige denn in der Gesamtkirche (dazu weiter unten). Im Übrigen stellten die griechischen Synoden der Jahre 1341 und 1368 meines Wissens doch nur fest, dass die Lehre Gregors mit der Überlieferung der Väter übereinstimmt und ihr nicht widerspricht, wie die Gegner behaupteten. Zwar wurde Barlaam für seinen Kampf gegen Gregorios getadelt und er wurde später katholisch, aber keiner wäre damals doch auf die Idee gekommen, zu sagen, Gregorios' Unterscheidung sei die Lehre der Väter schlechthin. Denn in der Folgezeit war der Palamitismus über die Jahrhunderte hinweg im griechischen Bereich nicht die schlechthin dominierende Lehrmeinung. Schon die RGG in 3. Auflage (1958, also lange vor Dorothea Wendebourg) schreibt, dass der Palamitismus, von Russland herwirkend, erst nach dem 1. Weltkrieg in Griechenland eine Wiedergeburt erfahren habe. Meine Schlussfolgerung: Zuvor hatte er in der griechischen Kirche offenbar keine beherrschende Bedeutung, über welchen Zeitraum hinweg, steht in der RGG leider nicht.
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Im Blick auf das Problem des Anthropomorphismus bedeutet dies meiner Meinung nach: (...=
Die Unterscheidung Wesen-Energien ist für mich persönlich unabdinglich, und ich meine, dass dies auch für die überaus meisten Orthodoxen (mit theologischen Kenntnissen) zutrifft. Da die Lehre der Kirche eine Einheit bildet, ist also auch der hl. Johannes von Damaskus im Lichte dieser Unterscheidung zu sehen, auch wenn er sie persönlich noch nicht so explizit ausformuliert hat wir der hl. Gregor Palamas.
Hl. Basilios, Hl. Gregorios - zwei Belege mit rund einem Jahrtausend Abstand und beide aus demselben theologischen Kulturraum. Definiert sich der Konsens der Väterlehre von Einzelmeinungen her? Es wird schwer fallen, die Energienlehre als eine apostolische Tradition zu erweisen. Sie steht - im Vergleich z.B. zur Lehre der Bewahrung Marias vor der Erbsünde (Maria als die neue Eva), worauf sehr schlüssig J.H. Newman hingewiesen hat - auf doch recht wackligen Füßen. Zu fordern, dass man die Lehre der Väter vom Licht dieser Lehre her lesen solle, halte ich für hermeneutisch problematisch. Ich will noch enmal erläutern: Johannes unterscheidet heilsgeschichtlich und explizit nicht ontologisch. Wenn ich aus der heilsgeschichtlichen Unterscheidung eine ontologische ableiten will, dann hieße dies doch, aus Äpfeln Birnen machen zu wollen. Johannes sagt ausdrücklich, dass das Wesen Gottes teilweise erkannt werden kann, nämlich insoweit Gott es geoffenbart hat (so kann z.B. seine Dreieinigkeit erkannt werden oder dass er die Liebe ist etc.). Interpretiere ich Johannes dagegen so, dass ich sage, er hätte eigentlich mit "Wesen" gemeint, die Energien seien erkennbar und wirken in der Heilsgeschichte, das Wesen aber sie unerkennbar und offenbare sich nicht in der Heilsgeschichte, so füge ich in einem zweiten Schritt eine spekulative Prämisse ein, an der ich Johannes messe, nämlich das Axiom der Unerkennbarkeit Gottes. Wer gibt mir das Recht, dieses Axiom einzufügen und es auf Johannes anzuwenden? Hat dieser spekulative Akt eine gesamtkirchliche Tradition hinter sich? Nein. Es ist ein spekulativer Akt, der bei Gregorios verständlich ist, aber der nicht zum allgemeinen Gesetz erklärt werden kann. Ich will nicht behaupten, dass die Energienlehre falsch ist. Ganz gewiss nicht! Aber sie zum hermeneutischen Schlüssel der Väterlehre machen zu wollen, halte ich für nicht belegbar.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Was die derzeitige katholische Position zu Palamas ist, lässt sich für mich nicht feststellen. Einige äussern sich auch heute noch sehr kritisch, andere sehr positiv. Vom Vatikan ist mir dazu keine direkte Position bekannt, ausser dass man die Verehrung des hl. Gregor Palamas durch die Uniaten zulässt.

Zur "Hermeneutik der Väterlehre": Auch wenn die Orthodoxie keinen Papst hat, hat sie doch einen gemeinsamen Glauben und eine gemeinsame Lehre. Sowohl der hl. Johannes Damaszenus als auch der hl. Gregor Palamas sind Zeugen dieses Glaubens. Die hermeunitsche Methode, um die orthodoxe Lehre zu erkennen, muss hier also eine intertexuelle sein.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Was die derzeitige katholische Position zu Palamas ist, lässt sich für mich nicht feststellen. Einige äussern sich auch heute noch sehr kritisch, andere sehr positiv. Vom Vatikan ist mir dazu keine direkte Position bekannt, ausser dass man die Verehrung des hl. Gregor Palamas durch die Uniaten zulässt.

Zur "Hermeneutik der Väterlehre": Auch wenn die Orthodoxie keinen Papst hat, hat sie doch einen gemeinsamen Glauben und eine gemeinsame Lehre. Sowohl der hl. Johannes Damaszenus als auch der hl. Gregor Palamas sind Zeugen dieses Glaubens. Die hermeunitsche Methode, um die orthodoxe Lehre zu erkennen, muss hier also eine intertexuelle sein.
Ich stimme Dir durchaus zu, dass diese Sicht der hermeneutischen Entwicklung möglich ist. Konkret im Blick auf die Unterschiede etwa von Johannes von Damaskus und Basileios dem Großen oder auch der Unterschiede der drei Kappadokier untereinander bedeutet Gregorios Palamas gewissermaßen eine Synthese dieser Unterschiede, wie gesagt in einem spekulativen Akt. Der orthodoxe Standpunkt ist der, dass dieser spekulative Akt, diese Standardisierung der theologischen Begrifflichkeit nicht nur legitim, sondern "wahr" ist.

Ich bestreite nicht die Legitimität des Denkens von Gregorios, hinterfrage aber seine ausschließliche Wahrheit. Mit seiner Begrifflichkeit verarbeitet Gregorios das Problem der im Taborlicht erfahrenen, bis ins leibliche hineingehenden Einigung des Gläubigen mit Gott. Um dem berechtigten Vorwurf begegnen zu können, dass Gott unmittelbar im Gläubigen einwohnt (was so nicht nur der Osten, sondern auch der Westen nicht akzeptieren könnte), unterscheidet er die Energien Gottes vom transzendent bleibenden Wesen Gottes. D.h. Gregorios Begrifflichkeit erfüllt die Funktion, Schöpfer und Geschöpf weiterhin unterscheiden zu können. Deshalb ist sie legitim. (Dies könnte D. Wendebourgh so wahrscheinlich nicht stehen lassen, da sie ja bei Gregorios meines Wissens einen Bruch mit der patristischen Tradition sieht.)

Auf der anderen Seite ergibt sich das Problem, dass die Synthese des Gregorios, diese Standartisierung des begrifflichen Denkens, wie ich es nennen will, das orthodoxe Denken zunehmend zu einem gegen den Westen hin abgeschlossenen System macht. Das begriffliche Denken duldet zunehmend neben sich keine weitere begriffliche Form. Dies ist die Position des Neopalamismus. Das macht aber das theologische Gespräch schwierig. Es musste zwangsläufig die Unterschiede zu anderen Positionen verschärfen. Deshalb hinterfrage ich seine ausschließliche und (somit ausschließende) Wahrheit.

Man könnte das Problem auch von dieser Weise her auf den Punkt bringen: Die Entscheidung, Gregorios' Begrifflichkeit nicht nur als legitim, sondern als einzig "wahr" anzusehen, steht einer Teilkirche nicht zu. Eine solche Entscheidung kann nur ein ökumenisches Konzil treffen. Man sollte bedenken, dass letztgültige Begriffsklärungen in der Alten Kirche immer Sache ökumenischer Konzilien waren.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: Man könnte das Problem auch von dieser Weise her auf den Punkt bringen: Die Entscheidung, Gregorios' Begrifflichkeit nicht nur als legitim, sondern als einzig "wahr" anzusehen, steht einer Teilkirche nicht zu.
Hier muss ich knallhart darauf verweisen, dass die Orthodoxie keine Teilkirche ist, sondern sie ist der Leib Christi - die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die von den Pforten des Hades nicht überwältigt wird. Weder Diokletian, noch Mohammed, noch Marx konnten sie zerstören. Und das liegt am Geist und an der Wahrheit.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:... keine Teilkirche ...
Ich will mich nicht um Begriffe streiten. Jedenfalls kann sie kein ökumenisches Konzil, sondern lediglich ein "panorthodoxes Konzil" veranstalten. Auf diese begriffliche Differenzierung legen die orthodoxen Kirchen großen Wert. Und die Entscheidung über letztendliche Begriffsklärungen stand in der Alten Kirche nur einem ökumenischen Konzil zu. Eine begriffliche neue Letztunterscheidung (Energien Gottes - Wesen Gottes), die als wahr im ausschließenden Sinne andere ausschließt, kann, soweit ich das Selbstverständnis der orthodoxen Kirche verstanden habe, nur ein ökumenisches Konzil treffen.

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Eine begriffliche neue Letztunterscheidung (Energien Gottes - Wesen Gottes), die als wahr im ausschließenden Sinne andere ausschließt, kann, soweit ich das Selbstverständnis der orthodoxen Kirche verstanden habe, nur ein ökumenisches Konzil treffen.
Nein. Keines der Ökumenischen Konzilien trat zusammen und sagte von sich selbst: Heda, wir machen jetzt ein Ökumenisches Konzil. Oder auch nur ein "panorthodoxes". Das zu bewerten oblag in aller Regel den späteren Zeiten, späteren Konzilien und war eine Sache von Jahrhunderten.
Zu dem Problem, das Du hier ansprichst, haben sich die sog. "palamitischen" Konzilien des 14. Jh. endgültig geäußert. (M.E. war deren wesentlichstes Resultat eher ein anderes, nämlich die Verurteilung des Humanismus, aber das nur am Rande.) Der Tomos des Konzils von 1351 wurde von der Fülle der Orthodoxen Kirchen angenommen, deswegen wird dieses Konzil mit vollem Recht mitunter auch als „zusätzliches Ökumenisches“ bezeichnet. Im Tomos werden all jene von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen, die die Lehre des hl. Gregorios Palamas für nicht orthodox halten.

Ich erinnere, die letzte Sitzung des Konzils (bzw. das Konzil) im Juli 1351 klärte folgende 6 Fragen endgültig:

  1. Gibt es in Gott eine Unterscheidung zwischen Wesen und Energie?
  2. Wenn es ihn gibt, ist die Energie geschaffen oder ungeschaffen?
  3. Wenn die Energie ungeschaffen ist, wie vermeidet man Komplexität in Gott?
  4. Kann man, ohne in Zweigötterei zu verfallen, der Energie den Begriff "Gottheit" beimessen?
  5. Ist es recht und entspricht es der Überlieferung zu sagen, das Wesen übersteige die Energie?
  6. Da man Gott teilhaftig werden kann, wes Teilhaftigkeit ist dies, des Wesens oder der Energien?
Alle diese Fragen wurden im Einklang mit der Lehre des hl. Gregorios beantwortet. Zum Konzil schreibt Johannes Meyendorff:
Protopresbyter Johannes Meyendorff, ''Einführung in das Studium des hl. Gregorios Palamas'', hat geschrieben:Das Konzil von 1351 war das feierlichste Ereignis, mit dem die Orthodoxe Kirche die Lehre des hl. Gregorios Palamas bestätigte. Genau genommen war das kein Ökumenisches Konzil, sondern ein Bischofskonzil des Patriarchats von Konstantinopel; nichtsdestoweniger wurden seine Beschlüsse im Verlauf des 14. Jahrhunderts von der gesamten Ostkirche angenommen.
Dieses Konzil hat alle Anzeichen eines Ökumenischen, wozu die Rezeption durch die gesamte Kirche sowie - klassischerweise - das Beisein und Einvernehmen der staatlichen Gewalt gehört (Johannes Kantakouzenos übergab den von ihm unterzeichneten Tomos am 15. August 1351 direkt nach der Orthros dem Patriarchen Kallistos im Altar der hl. Sophia). Daß es nun nicht als eines der Ökumenisches gilt, hat auch etwas mit Diplomatie zu tun und damit, daß solche Etiketten eben nicht unbedingt vonnöten sind.[/color]
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Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Lieber Nietenolaf,

vielen Dank für die Erläuterungen. Ich bin dankbar für jede Erläuterung, da ich kein Fachmann der ostkirchlichen Dogmengeschichte bin. Was Du geschrieben hast, ist interessant. Hier ein paar Anmerkungen meinerseits:

1. Die Synoden des 14. Jahrhunderts stellten fest, dass die Lehre des Gregorios Palamas orthodox ist. Sie verurteilten aber die nicht, die mit anderer Begrifflichkeit Theologie treiben, sondern, wie Du dargestellt hast, nur die, die Gregorios als unorthodox verwerfen. Ich hoffe, ich habe das richtig dargestellt? Denn es gab ja weiterhin viele Theologen, die keine Palamiten waren. Diese wurden nicht exkommuniziert. Und die gibt es ja auch meinen Informationen nach heute noch, wenn auch der Neopalamismus seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stark an Bedeutung gewonnen hat. Und diese werden auch nicht exkommuniziert. Das bedeutet aber, dass in der orthodoxen Theologie auch ein Spielraum für jene vorhanden sein müsste, die keine Palamiten sind. Sehe ich das richtig?

2. Ist die Vermeidung der Bezeichnung "orthodoxes Konzil" für die Synode von 1351 ein diplomatischer Gestus? Hier kenne ich mich zu wenig aus bei der Frage, wie die sieben ökumenischen Konzilien in den orthodoxen Kirchen und dazu noch in den verschiedenen orthodoxen Schulen beurteilt werden. Ich kenne lediglich die Position von Erzbischof Averkij, die er als Nachwort dem Buch "Die sieben ökumenischen Konzilien" (Kloster des Hl. Hiob von Pocaev, München, 1999) beifügt und die dort dargebotene Geschichte der sieben ökumenischen Konzilien. Dort wird auch nicht im geringsten angedeutet, dass ein späteres Konzil zum einen den Rang dieser sieben ökumenischen Konzilien hätte, noch dass zum anderen zu dem, was in diesen sieben gesagt worden ist, irgend etwas hinzugefügt werden müsste. Es sind mir sogar schon orthodoxe Aussagen begegnet (habe ich sie bei Anastasios Kallis gelesen?), die in der Siebenzahl der ökumenischen Konzilien die biblische Zahlensymbolik der Vollendung sehen (die sieben Tage der Woche etc.), die Abgeschlossenheit der ökumenischen Konzilien also als göttliche Setzung verstehen.

Mary
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Mary »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Lieber Nietenolaf,

vielen Dank für die Erläuterungen. Ich bin dankbar für jede Erläuterung, da ich kein Fachmann der ostkirchlichen Dogmengeschichte bin. Was Du geschrieben hast, ist interessant. Hier ein paar Anmerkungen meinerseits:

1. Die Synoden des 14. Jahrhunderts stellten fest, dass die Lehre des Gregorios Palamas orthodox ist. Sie verurteilten aber die nicht, die mit anderer Begrifflichkeit Theologie treiben, sondern, wie Du dargestellt hast, nur die, die Gregorios als unorthodox verwerfen. Ich hoffe, ich habe das richtig dargestellt? Denn es gab ja weiterhin viele Theologen, die keine Palamiten waren. Diese wurden nicht exkommuniziert. Und die gibt es ja auch meinen Informationen nach heute noch, wenn auch der Neopalamismus seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stark an Bedeutung gewonnen hat. Und diese werden auch nicht exkommuniziert. Das bedeutet aber, dass in der orthodoxen Theologie auch ein Spielraum für jene vorhanden sein müsste, die keine Palamiten sind. Sehe ich das richtig?

2. Ist die Vermeidung der Bezeichnung "orthodoxes Konzil" für die Synode von 1351 ein diplomatischer Gestus? Hier kenne ich mich zu wenig aus bei der Frage, wie die sieben ökumenischen Konzilien in den orthodoxen Kirchen und dazu noch in den verschiedenen orthodoxen Schulen beurteilt werden. Ich kenne lediglich die Position von Erzbischof Averkij, die er als Nachwort dem Buch "Die sieben ökumenischen Konzilien" (Kloster des Hl. Hiob von Pocaev, München, 1999) beifügt und die dort dargebotene Geschichte der sieben ökumenischen Konzilien. Dort wird auch nicht im geringsten angedeutet, dass ein späteres Konzil zum einen den Rang dieser sieben ökumenischen Konzilien hätte, noch dass zum anderen zu dem, was in diesen sieben gesagt worden ist, irgend etwas hinzugefügt werden müsste. Es sind mir sogar schon orthodoxe Aussagen begegnet (habe ich sie bei Anastasios Kallis gelesen?), die in der Siebenzahl der ökumenischen Konzilien die biblische Zahlensymbolik der Vollendung sehen (die sieben Tage der Woche etc.), die Abgeschlossenheit der ökumenischen Konzilien also als göttliche Setzung verstehen.
Interessant vielleicht in dem Zusammenhang, dass in der Orthodoxie der zweite Fastensonntag dem Gedenken des Hl. Gregor Palamas gewidmet ist, also einer der wichtigen Sonntage.
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Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Mary hat geschrieben:Interessant vielleicht in dem Zusammenhang, dass in der Orthodoxie der zweite Fastensonntag dem Gedenken des Hl. Gregor Palamas gewidmet ist, also einer der wichtigen Sonntage.
Ja, das habe ich gelesen. Trotzdem vielen Dank für den Hinweis! Es besteht gar kein Zweifel, dass für die Orthodoxe Kirche Gregorios Palamas eine ganz zentrale Persönlichkeit des zweiten Jahrtausends ist. Dies kommt natürlich durch seine Ehrung am zweiten Fastensonntag zum Ausdruck.

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Hallo Evagrios,

ad 1, zur "anderen Begrifflichkeit". Ich halte das für intellektuelle Spielereien. Du kannst natürlich Begriffe verwenden, wie Du möchtest, redest damit aber schätzungsweise eine andere Sprache als die Kirche. "Palamiten" ist ein Begriff, der durch die Opposition zu den Barlaamiten (und nicht etwa zu den Thomisten oder sonstigen "Nichtpalamiten" o.ä.) geprägt wurde. Damit sind "Palamiten" in erster Linie jene, welche eine aktive Opposition zum Humanismus eingenommen haben. Es ist das keine Strömung oder ein "Orden" innerhalb der Kirche, denn diese hat den Humanismus verworfen. Eigentlich ist dieser Begriff obsolet. Vielleicht meinst Du mit "Neopalamismus" eher den Hesychasmus und dessen (zweites!) Wiederaufleben nach dem hl. Nikodemos Hagiorites, Ende des 18. Jh (und in Rußland ab dem 19. Jh.). Das eigentliche Wiederaufleben des Hesychasmus ist die Zeit im 14. Jh. und eng mit Greogorios Palamas verbunden, obwohl nicht dieser, sondern ein anderer Gregorios an dessen Ausgangspunkt stand: der hl. Gregorios Sinaites.

ad 2, wir (und nicht nur wir) hatten schon öfter erörtert, wann ein Konzil "Ökumenisch" genannt werden kann. Das ist nicht so einfach. Ich weiß jetzt nicht einmal mehr, was der Konsens war, aber nach der Trennung von Ost- und Westkirche wäre die Bezeichnung "Ökumenisches Konzil" für ein z.B. von der Ostkirche insgesamt rezipiertes Konzil nur noch eine Vertiefung des Bruchs, und das meinte ich mit "diplomatisch". Rom hatte ja keine Probleme damit, seine Lokalkonzilien von vornherein "ökumenisch" zu nennen. Vielleicht hatte das aber auch damit zu tun, daß man dort nicht mehr so genau zwischen Patriarch und Kaiser unterscheiden konnte.. 8) Jedenfalls ist Kallis' (?) Gerede von einer mystischen Siebenzahl unsinnig. Es kann sein, daß Gottes Ratschluß irgendwie auf diese Zahl Wert legt (cf. Sprüche 9:1!), aber davon zu reden wäre vermessen, schlimmer noch, machte man "Zahlensymbolik" zu einem theologischen oder kirchengeschichtlichen Argument.
ἐὰν γὰρ ἀποϑάνῃ ἄνϑρωπος, ζήσεται συντελέσας ἡμέρας τοῦ βίου αὐτοῦ· ὑπομενῶ, ἕως ἂν πάλιν γένωμαι.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Nietenolaf hat geschrieben:... Kallis' (?) Gerede von einer mystischen Siebenzahl...
Das ist nicht die Meinung von Kallis, sondern in jenem Buch wurde darauf hingewiesen, dass immer wieder orthodoxe Theologen des zweiten Jahrtausends die Siebenzahl so deuteten. Kallis (bei dem ich das, glaube ich, gelesen habe) lehnt eine solche Begründung ab. Anderes müsste einen ja auch wundern bei ihm.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Nietenolaf hat geschrieben: Zu dem Problem, das Du hier ansprichst, haben sich die sog. "palamitischen" Konzilien des 14. Jh. endgültig geäußert. (M.E. war deren wesentlichstes Resultat eher ein anderes, nämlich die Verurteilung des Humanismus, aber das nur am Rande.)
Was ist in diesem Zusammenhang unter "Humanismus" zu verstehen?
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Denn es gab ja weiterhin viele Theologen, die keine Palamiten waren. Diese wurden nicht exkommuniziert. Und die gibt es ja auch meinen Informationen nach heute noch, wenn auch der Neopalamismus seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stark an Bedeutung gewonnen hat.
An wen denkst du konkret?

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Nun noch zu Deiner zweiten Bemerkung zu meinem letzten Posting. Meine Antwort hat etwas länger gedauert, da ich dafür ausführlicher nachdenken musste:
Nietenolaf hat geschrieben:… zur "anderen Begrifflichkeit". Ich halte das für intellektuelle Spielereien…
Das sind keine intellektuellen Spielereien, glaube ich. Je nachdem, wie man sich das Verhältnis von Gottes Wesen zu seinen Eigenschaften denkt, nämlich einerseits in einer strikten Trennung oder andererseits in einer wie auch immer gearteten Beziehung zueinander, ändert sich der Bedeutungshorizont der jeweiligen Theologie. Und dieser Bedeutungshorizont bestimmt dann, welche Fragen als legitim und möglich (im Sinne von sinnvoll) und welche als illegitim und unmöglich (im Sinne von sinnlos) angesehen werden.

Was ich damit sagen will, lässt sich in unserem Fragezusammenhang der Rechtfertigungslehre anschaulich machen:

Johannes von Damaskus zählt in seiner „Genauen Darlegung des orthodoxen Glaubens“ Eigenschaften auf, wie Gott ist (I, 2 u.a.). Dort wird neben den Eigenschaften ewig, immerwährend, ungeschaffen, unwandelbar etc. auch gesagt, dass Gott gut und gerecht ist. Nun stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Eigenschaften zu seinem Wesen stehen:

Einerseits könnte gesagt werden, dass aus den Eigenschaften gewisse Schlüsse auf das Wesen Gottes gezogen werden können. So kann Johannes von Damaskus durchaus verstanden werden. Hierauf bin ich ja oben ausführlich eingegangen. Und so versteht ihn auch Hilarion Alfejev in seinem Buch „Geheimnis des Glaubens: Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie“, das Du ja empfohlen hast. Inzwischen konnte ich es mir ausleihen. Alfejev schreibt mit Bezug auf Johannes von Damaskus (S. 35):

„Es ist schwer, über die Eigenschaften Gottes zu sprechen, Dessen Natur sich jenseits der Worte befindet. Nichtsdestoweniger kann der Mensch, ausgehend vom Wirken Gottes in der geschaffenen Welt, Annahmen machen und Schlüsse ziehen, die sich auf die Eigenschaften Gottes beziehen.“ Und dann folgt der Hinweis auf Johannes von Damaskus und die oben genannten Eigenschaften. D.h. also, dass aus den Eigenschaften, wie Gott sich zeigt, in gewisser Weise auf sein Wesen geschlossen werden kann, unbeschadet der Tatsache, dass Gottes Wesen uns – man müsste vielleicht sagen: in seiner Ganzheit – verborgen bleibt. Er übersteigt unsere Begriffe.

Die andere mögliche Verhältnisbestimmung wäre die, dass die Eigenschaften Gottes nichts über sein Wesen aussagen, dass also zwischen Gottes Wesen und der Art und Weise, wie Gottes Wirken in der Welt vonstattengeht, eine strikte Trennung zu ziehen ist.

Dies hat nun Folgen für den Bedeutungshorizont der Begriffe und für die Fragen, die dementsprechend in diesem Bedeutungshorizont vorkommen können oder eben nicht vorkommen können:

Geht man davon aus, dass die genannten Eigenschaften Gottes auch sein Wesen zutreffend beschreiben, dann ist die Frage, ob im Kreuz Jesu Christi Gottes Gerechtigkeit und Gnade zur Geltung eine sinnvolle Frage. Dieser Seite neigt offenbar der Westen stärker zu.

Geht man andererseits davon aus, dass die Eigenschaften Gottes nur von seinen Energien ausgesagt werden können, weil man eben von Gottes Wesen überhaupt nichts aussagen kann, dann wäre die Frage nach dem Zusammenhang von Gerechtigkeit und Gnade im Kreuz Jesu eine sinnlose Frage. Dieser Seite neigt offenbar der Osten stärker zu.

In diesem Spannungsfeld steht also die Frage, was Rechtfertigung durch das Opfer Christi bedeutet. Erzpriester Prof. Dr. Lazar Milin von der Theologischen Fakultät Belgrad, den ich oben referiert habe, geht offenbar von einer größeren Analogie der Eigenschaftsbegriffe Gottes und des Wesens Gottes aus. Denn er sieht ja in der Frage nach dem Verhältnis von „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wahrheit“ (Orthodoxe Glaubenslehre für Erwachsene, S. 92) im Kreuz Jesu Christi tatsächlich eine sinnvolle Frage. Für ihn sind diese drei Begriffe wirkliche Wesensaussagen über Gott.

Nun ist es sehr interessant, dass das ostkirchliche Konzil von Konstantinopel im Jahr 1157, wie ich bei Alfejev gelesen habe, zwar einerseits die anselmische Satisfaktionslehre zurückweist, andererseits aber sagen kann: „Christus hat Sich freiwillig als Opfer dargebracht, hat sich selbst Seiner Menschheit nach dargebracht, und hat selbst als Gott das Opfer zusammen mit dem Vater und dem Geist angenommen … Das gottmenschliche Wort … hat das erlösende Opfer dem Vater, sich selbst als Gott und dem Geist dargebracht, Durch die der Mensch aus dem Nicht-Sein in das Sein gerufen worden ist, Die er auch beleidigt hat, indem er das Gebot übertrat, und mit Denen sich die Versöhnung durch die Leiden Christi vollzog“ (zitiert bei Alfejev, S. 106).

Ich halte diese Passage deshalb für sehr interessant, weil das Konzil offenbar sagte, dass Gott durch die Sünde Adams beleidigt worden ist (und in ihm haben wir alle dann Gott beleidigt), und dass durch Christi Leiden die Versöhnung mit Gott vollzogen worden ist. Offenbar geht das Konzil davon aus, dass durch das Kreuzesopfer Christi diese Beleidigung Gottes aufgehoben wurde, nicht im Sinne einer objektiven Satisfaktion, wie Anselm dies formuliert hatte, sondern indem der Mensch in seiner Natur Gott als Opfer dargebracht wird und somit in die Aufhebung der Beleidigung inkludiert ist. D.h. aber: das Opfer hat eine zweifache Wirkrichtung, das, was ich ja bei Staniloae hervorgehoben habe: es heiligt die menschliche Natur und es beseitigt die reale Beleidigung Gottes. D.h. aber: Um die Beleidigung Gottes aufzuheben und um die menschliche Natur zu heiligen, ist das Opfer Christi nötig, wie es ja auch Staniloae gesagt hat.

Wenn dies so richtig dargestellt worden ist, wäre es also eine Einseitigkeit, beim Erlösungsgeschehen nur eine Veränderung auf Seiten des Menschen (Heiligung seiner Natur) zu sehen. Sondern es geht ebenso real um eine Veränderung auf Seiten Gottes, nämlich Beseitigung jener tatsächlichen Beleidigung, von der das Konzil sprich. Wiederum ist aber die Frage des Denkhorizontes mit im Spiel: Ich verstehe bei dieser Interpretation der Konzilspassage Gerechtigkeit als Wesenseigenschaft Gottes: weil Gott gerecht ist, beleidigt ihn die Sünde.

Puh, ist das lang geworden… :roll:

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Erstmal MND, weil das schneller geht:
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Was ist in diesem Zusammenhang unter "Humanismus" zu verstehen?
:hae?: http://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus und http://de.wikipedia.org/wiki/Palamismus ... hilosophie - letzteres bietet evtl. auch ein paar Gedanken, die im Bereich dessen liegen, was Evagrios (der User im Kreuzgang) anspricht.
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Naja, in dem Wikipediaartikel steht: "Im engeren Sinne wird als Humanismus das fortschrittliche, sich vom Mittelalter und der Scholastik abwendende geistige Klima des 15. und 16. Jahrhunderts bezeichnet.", auch heisst es: "Bereits im 15. Jahrhundert bestand ein Selbstverständnis gebildeter Kreise, die sich als humanistae begriffen und so bezeichneten, also als Humanisten. Der Begriff humanista tauchte zum ersten Mal 1490 in einem volkssprachlichen Brief auf."

Im Vergleich dazu nochmal:
Nietenolaf hat geschrieben:Zu dem Problem, das Du hier ansprichst, haben sich die sog. "palamitischen" Konzilien des 14. Jh. endgültig geäußert. (M.E. war deren wesentlichstes Resultat eher ein anderes, nämlich die Verurteilung des Humanismus, aber das nur am Rande.)
Ich finde es durchaus erstaunlich, dass schon im 14. Jahrhundert verurteilt worden sein soll, was sich erst im 15. Jahrhundert entwickelt hat. Ich gehe also davon aus, dass du mit "Humanismus" etwas anderes meinst und kann also nur meine Aufforderung wiederholen, zu erklären, was du mit dem Begriff "Humanismus" meinst.

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Clemens
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Clemens »

Nun will ich mich auch einmal unterwinden, in diesen Strang mich einzumischen.
Ich habe nicht alles gelesen (mea culpa), manches Gelesene nicht verstanden und nur ehrfürchtig staunend das (zunächst unangenehme) Gefühl bekommen, dass mir die orthodoxe Position - so ich sie denn recht verstanden habe - sympathischer ist, als die westliche, anselmische.

Ich bereite gerade eine Predigt vor für den übermorgigen Reformationsgedenktag und will dabei das Lied "Nun freut euch liebe Christengmein" von Luther als Leitmotiv benutzen.

Die wesentliche Aussage des Liedes fasse ich so zusammen:
Jeder Mensch ist durch seine Sünde im Gericht Gottes verloren. Es gibt keinen guten Kern in mir, sondern ich bin ein Sklave der Sünde und des Teufels. Meine guten Werke taugen nicht, um meine Sünden auszugleichen, denn sie sind nicht Kür, sondern Pflicht. Somit komme ich unweigerlich in die Hölle!
Doch Gott hat Mitleid, schickt seinen Sohn, der den Tod tötet.
Es ist eine heimliche Aktion, um den Teufel zu überlisten, Er wird Verbündeter des Menschen, lässt sich stellvertretend töten. Und damit hat der Teufel verspielt. Jesu Leben ist stärker als der Tod, seine Unschuld ist größer als unsere Schuld, deshalb werden wir in ihm und durch ihn selig.

Ist da nicht eine (wenigstens für mich) erstaunliche Nähe des frühen Luther (1523) zur othodoxen Erlösungslehre zu erkennen? Immerhin finde ich in dem Lied kein Wörtlein Richtung Sühne oder Genugtuung.
Von allen Gottesgaben ist die Intelligenz am gerechtesten verteilt. Jeder ist zufrieden mit dem, was er hat und freut sich sogar, dass er mehr hat, als die anderen.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Lieber Clemens,

Damit sind wir eigentlich wieder bei den finnischen Theologen aus dem ersten Posting:
http://en.wikipedia.org/wiki/Theology_o ... ish_School

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Clemens
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Clemens »

Oh, danke - kann ich mich da jetzt geschmeichelt fühlen? 8)

Wie EP mir schon neulich sagte: ich muss endlich mal den ganzen Thread lesen... :(

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Clemens hat geschrieben:Es ist eine heimliche Aktion, um den Teufel zu überlisten, Er wird Verbündeter des Menschen, lässt sich stellvertretend töten. Und damit hat der Teufel verspielt. Jesu Leben ist stärker als der Tod, seine Unschuld ist größer als unsere Schuld, deshalb werden wir in ihm und durch ihn selig.

Ist da nicht eine (wenigstens für mich) erstaunliche Nähe des frühen Luther (1523) zur othodoxen Erlösungslehre zu erkennen? Immerhin finde ich in dem Lied kein Wörtlein Richtung Sühne oder Genugtuung.
Eben... die Erlösung geschieht durch eine "Überlistung" des Todes, wie der Goldmund in seiner Osterhomilie sagt: "Er [der Tod] nahm den Leib und geriet auf Gott. Er nahm die Erde und traf auf den Himmel. Er nahm, was er sah, und fiel durch das, was er nicht sah." - Der Teufel wußte wohl, daß Christus kam, die Menschen zu erlösen, allerdings wußte er nicht, auf welche Weise [quamvis ordinem]. Das schreibt der hl. Isidor von Sevilla:

Iisidori Hisp. ep. Sententiae Lib. I,14:10 hat geschrieben:Quamuis ordinem nostrae liberationis nescierit diabolus, sciuit tamen quod pro saluatione hominum Christus aduenit, sed quod sua idem nos morte redimeret ignorauit; unde et eum occidit. Nam si ille Christum per mortem redimere humanum genus scisset, non eum utique peremisset.

Zu Deutsch, hätte der Teufel gewußt, daß Christus den Menschen durch Seinen Tod erlöst, hätte der Teufel Ihn niemals getötet.

Mit dem "überlisten" liegst Du also schon ganz richtig, vielleicht nicht so sehr mit dem "stellvertretend töten".

@MND
"Humanismus" kannst Du gern als Einfluß der griechischen Philosophen auf die Theologie oder überhaupt auf das Weltbild verstehen. Vorgestern hörte ich einen Vortrag eines r.-k. Dozenten aus Hamburg zum Thema "Kirche des Friedens werden". Er beschrieb u.a., daß die Thematik "Menschenwürde", "Humanismus" [!] für die Orthodoxen keinerlei Basis bilden und damit mit den Orthodoxen keine kirchliche "Friedenspolitik" zu machen sei. Speziell wunderte er sich, daß der "Grieche Aristoteles" von den Griechen nicht so sehr akzeptiert wird wie von den Lateinern. Meine Hinzufügung: die antike vorchristliche Philosophie lebte tatsächlich im lateinischen Westen wieder auf. Die Griechen haben mit diesen Philosophen endgültig gebrochen. Du kannst dazu im "Synodikon der Orthodoxie" die elf Kapitel gegen Johannes Italos (12. Jh.) lesen. Daraus:
Über diejenigen, die sich den hellenischen Studien hingeben, nicht zum bloßen Zweck der Bildung, sondern diesen eitlen Lehren auch folgen, sie für die Wahrheit halten und ihnen anhangen, als wären sie die letzte Gewißheit, in dem Maß, dass sie auch andere, sei es insgeheim, sei es offen, einführen in dieselben und ohne Skrupel darin unterweisen: Anathema!
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Clemens
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Clemens »

Du hast recht, Nietenolaf, das "stellvertretend" steht in Luthers Lied nicht drin.
Das habe ich - als ich diese Zusammenfassung vor vielen Jahren schrieb - noch gar nicht anders denken können und es heute beim Risaikeln übersehen.
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Nietenolaf hat geschrieben:... "Humanismus" kannst Du gern als Einfluß der griechischen Philosophen auf die Theologie oder überhaupt auf das Weltbild verstehen...
Entschuldigung, aber so geht es nun doch nicht... :nein: Gregorios Palamas ist ohne den Platonismus nicht zu verstehen. Im Unterschied zu Johannes von Damaskus kommt bei ihm noch eine gehörige Portion Platonismus dazu. Und schon Johannes von Damaskus, der zentrale Theologe orthodoxen Denkens, ist in einer Weise von Pseudo-Dionysius Areopagita beeinflusst, dass man sagen muss: hier hat griechisches Denken in Gestalt des Neuplatonismus tiefgreifende Spuren hinterlassen. Wenn Du einem gelehrten hebräischen Rabbinen die Texte griechischer Kirchenschriftsteller zu lesen gibst, wird er Dir sagen, wie himmelweit jene von hebräischem Denken über Gott entfernt sind.

Weder die westliche noch die östliche Kirche ist ohne die antike Philosophie denkbar. Und das ist ja auch nicht schlimm. Schon das NT zeigt den Einfluss antiker Philosophie, und sei es nur in der Anthropologie, wo teils im Leib-Seele-Schema oder im Leib-Seele-Geist-Schema gedacht wird, einem Denkansatz, den so das hebräische Denken noch nicht kannte. Oder der Apostel Johannes ist zu nennen, dessen Logos-Theologie nicht mehr nur auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Weisheits-Spekulation verstanden werden kann usw. usw. Schon der Unterschied in den Vorstellungen zwischen synoptischen Evangelien und z.B. den Paulusbriefen fällt jedem unvoreingenommenen Bibelleser auf. Die Frage ist nur, wie man mit diesen Tatsachen umgeht. Bultmann ist hier kein Vorbild.

Wer behauptet, griechische (oder sonstwelche) Philosophie und christliches Denken ließe sich feinsäuberlich trennen, ist auf dem Holzweg. Denn das Evangelium geht immer in eine konkrete Lebenswirklichkeit ein und verleibt sich deshalb auch die Begriffe dieser Lebenswirklichkeit ein, in Aufnahme und Widerspruch. In diesem Prozess werden Begriffe umgeschmolzen und Teil des christlichen Denkens. Nicht die Theologen, die Philosophie rezipieren, sind das Problem, sondern jene, die meinen, sie seien völlig von philosophischem Denken unabhängig und gar nicht merken, wie sie von Grundüberzeugungen philosophisccher Art ausgehen.

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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Du hast wahrscheinlich die Anathemata aus dem Synodikon nicht (vollständig) gelesen. Außerdem hast Du Dich wahrscheinlich nicht mit der Biographie (Vita) des hl. Gregorios beschäftigt. Gregorios meint, die weltliche (gemeint ist die griechische) Philosophie ist so lange gut, wie sie der Vorbereitung für die wahre, christliche Philosophie dient - dies kehrt in seinen Schriften sehr oft wieder. Nachdem er eine gewisse Kenntnis der Philosophen hatte, brach er die weitere Ausbildung in diesen Disziplinen ab.
Es ist eines, die Terminologie der Philosophen in der Theologie zu gebrauchen (insofern waren die Kappadokier und Palamas gleichermaßen "revolutionär", und nur dadurch konnte jeweils die Wahrheit triumphieren), es ist etwas anderes, sich dem Hellenismus hinzugeben, wie die Humanisten - am Beispiel des Barlaam - es tun.
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Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Nietenolaf hat geschrieben:... es ist etwas anderes, sich dem Hellenismus hinzugeben, wie die Humanisten...
Das ist ein Geschmacksurteil, kein denkerisches Urteil. Hätte ein Westkirchler nicht auch das Recht zu sagen, Gregorios hat sich mit der Verwendung des Begriffes "Wesen" (wahrscheinlich bei ihm: ousia) der neuplatonischen Philosophie hingegeben? Ein Westkirchler würde auf die Heilige Schrift verweisen und sagen, dass diese uns verheißt, dass wir in der Vollendung Gott erkennen, gleichwie wir erkannt sind (vgl. 1 Kor 13,12) etc. Er würde darauf hinweisen, dass nach der Hl. Schrift Gott sehr wohl sein Wesen offenbart hat und dass in der Menschwerdung des Sohnes Gott sich so zeigt, wie er ist. Kein geringerer als Benedikt XVI. legt darauf größten Wert. Der Westkirchler würde Gregorios wahrscheinlich als extremen Nominalisten verketzern, der faktisch die Menschwerdung Gottes relativiere.

Gregorios verwendet den Begrif "Wesen Gottes" anders als die Tradition vor ihm und radikal anders als die Tradition vor Pseudo-Dyonisios. Deshalb halte ich die Aussage, Barlaam sei dem Hellenismus hingegeben und Gregorios sei der große Bewahrer für doch recht fragwürdig und den Begriff Humanismus, wie Du ihn verwendest, für einen Kampfbegriff ähnlich der Art, wie heute der Begriff Fundamentalismus verwendet wird, eben jene berühmte Schublade, in die man alles reinpackt, was der eigenen Meinung widerspricht.

Noch ein Theologe wie Karl Heussi, der eine Kirchengeschichte geschrieben hat, die im 20. Jahrhundert x-mal nachgedruckt, verbessert und neu aufgelegt wurde (derzeit in 18. Auflage) und für unzählige evangelische Theologiestudenten (mich auch) bis zur Jahrtausendwende das wichtigste Buch zur Vorbereitung des kirchengeschichtlichen Examens gewesen ist, würdigt Gregorios Palamas gerade einmal einer Fußnote zum Hesychasmus, dazu noch einer recht schmählichen (und Barlaam kommt gar nicht vor...). Für die Generation von Heussi, noch ganz im Banne eines Adolf von Harnack, war die Ostkirche eine Erscheinung, die in seiner Kirchengeschichte faktisch nicht vorkommt. Offenbar nahm er sie in der Tradition Harnacks in keinster Weise ernst, sondern sah in ihr ein - durch eine von der Urgemeinde himmelweit entfernte Philosophie und durch eine irrationale ekstatische Spiritualität - degenerierte Form von Christentum, der man nicht einmal eine Darstellung schulde (und jene Kirchengeschichte hat über 600 Seiten). Gott sei Dank sind wir über eine solche Sicht inzwischen hinaus. Aber es gibt sie noch. Es ist zu wünschen, dass die Ostkirche nicht in spiegelbildlicher Weise die Westkirche ebenso verkürzt wahrnimmt, wie das für Heussi offenbar noch für die Ostkirche gegolten hat.

P.S.: Mir geht es hier weniger um das Anathema jener Synode, sondern um jenen Dozenten,, auf den Du Dich berufen hast und dessen Aussage, sofern jenes Zitat tatsächlich seine Meinung wiedergibt, - Entschuldigung - absoluter Quatsch ist. Und wenn Du die Westkirch gewissermaßen spiegelbildlich zu Heussi wahrnimmst, wäre das schade und meiner Meinung nach falsch. Denn offensichtlich wolltest Du ja die Sicht jenes Dozenten zur Waffe für die eigene anti-westkirchliche Position umschmieden.

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Evagrios, das führt zu nichts.

  • "Ousia" (und insb. "homoousios") sind Begriffe, die dem Platonismus entlehnt sein mögen. Darin besteht das erwähnte "revolutionäre" an der Theologie der Kappadokier. Inhaltlich fußen diese Begriffe aber vollständig auf der Offenbarung. Du mußt in Deiner Apologie der Philosophen eher einsteigen, nämlich bei den Kappadokiern.
  • Gleiches gilt für Palamas und den Begriff "Energien". Die Kirche hat es geschafft, sich der Philosophie zu bedienen. Und daß es nicht andersherum ist, sieht man an der Verurteilung der Philosophen. Kennst Du das von Karl May? "Das Bier der Deutschen wollen wir trinken, sie selbst aber sollen in der Hölle schmoren." Überspitzt ausgedrückt.
  • Ich habe keine anti-westkirchliche Position.
  • Ich nehme die Westkirche überhaupt nicht spiegelbildlich zu irgendwem wahr. Wir reden hier davon, welche Bedeutung die "Palamiten" hatten.
  • Adolf v. Harnack ist mir ein Begriff, speziell auch seine Einstellung zur Ostkirche. Karl Heussi sagt mir nichts.
  • Der Dozent, den ich erwähnte, ist Dr. Justenhoven aus Hamburg. Hier ein paar Skizzen seiner Aussagen, die ich mir notiert habe, weil sie einem Ostkirchler in den Ohren schrillen:
    1. "Humaner Umgang mit der Gewalt nach dem Willen Gottes"
    2. "Der Mensch hat ein Recht darauf, fundamentale Menschenrechte aufgrund seines Menschseins nicht vorenthalten zu bekommen."
    3. "Die Grundlage der Konzepte "Menschenrechte" und "Menschenwürde" bildet die humanistische Tradition des christlichen Abendlandes."
  • Die Orthodoxen verstehen das nicht, weil:
    1. die orth. Kirche massiv liturgisch orientiert sei
    2. sie überwiegend unter einem Fremdenjoch existierte und so eine Beteiligung an der Politik unmöglich gewesen sei
    3. die Aristoteles-Rezeption des Westens einen Wendepunkt darstellt, den die Ostkirche nicht mitgemacht habe. Sie hänge vielmehr noch der "patristischen Sichtweise" an (und Dr. Justenhoven beschrieb diese Sichtweise als eine Art Beichtspiegel-Mentalität mit eindeutigen Geboten und Verboten).
Er hat ja teilweise nicht unrecht.[/color]
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