Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Ostkirchliche Themen.
Kirchenjahr
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Kirchenjahr »

Da ich die Beiträge der letzten Wochen verfolgt habe, frage ich mich, ob nicht wenige Orthodoxe der Idee der Apokatastasis (Allaussöhnung, Allerlösung) anhangen. Christus Victor scheint mir eher mit einer Allerlösung kompatibel, denn mit einem zwangshaft nach Satisfaktion forderndem Gott.

Mir ist schon klar, dass der Osten Origines Lehres als Häresien verurteilt hat. Das zweite Konzil von Konstantinopel hat aber genausowenig wie Kaiser Justinian die Idee der Allerlösung verurteilt. Sollte ich mich irren, bitte ich um Quellenangabe.

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

@Kirchenjahr:

Hast du den Thread auch komplett von Anfang an gelesen? Da sollte meiner Meinung nach ziemlich klar werden, dass die Apokatastasis keine orthodoxe Lehre ist.

Gerade auch aus den letzten Beiträgen geht ja sehr hervor, dass die Orthodoxen sehr an die Existenz der Hölle glauben (wenn auch nicht als einen bestimmten Ort der Gottesferne, wie dies in der katholischen Theologie der Fall ist).

Falls du den Thread komplett gelesen hast und dennoch der Meinung bist, kannst du gerne nochmal nachfragen, am besten aber mit Zitaten, aus denen du schließt, dass hier jemand die Lehre der Apokatastasis vertritt.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Kirchenjahr hat geschrieben:Da ich die Beiträge der letzten Wochen verfolgt habe, frage ich mich, ob nicht wenige Orthodoxe der Idee der Apokatastasis (Allaussöhnung, Allerlösung) anhangen. Christus Victor scheint mir eher mit einer Allerlösung kompatibel, denn mit einem zwangshaft nach Satisfaktion forderndem Gott.

Mir ist schon klar, dass der Osten Origines Lehres als Häresien verurteilt hat. Das zweite Konzil von Konstantinopel hat aber genausowenig wie Kaiser Justinian die Idee der Allerlösung verurteilt. Sollte ich mich irren, bitte ich um Quellenangabe.
Dazu Priestermönch Paisios aus Geilnau: "Die Allaussöhnung zu behaupten, ist häretisch, auf sie zu hoffen, ist orthodox".

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Ilija
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Ilija »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:
Kirchenjahr hat geschrieben:Da ich die Beiträge der letzten Wochen verfolgt habe, frage ich mich, ob nicht wenige Orthodoxe der Idee der Apokatastasis (Allaussöhnung, Allerlösung) anhangen. Christus Victor scheint mir eher mit einer Allerlösung kompatibel, denn mit einem zwangshaft nach Satisfaktion forderndem Gott.

Mir ist schon klar, dass der Osten Origines Lehres als Häresien verurteilt hat. Das zweite Konzil von Konstantinopel hat aber genausowenig wie Kaiser Justinian die Idee der Allerlösung verurteilt. Sollte ich mich irren, bitte ich um Quellenangabe.
Dazu Priestermönch Paisios aus Geilnau: "Die Allaussöhnung zu behaupten, ist häretisch, auf sie zu hoffen, ist orthodox".
Mitlerweile Priester-S'chemamönch Justin (Rauer) :)

Kirchenjahr
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Kirchenjahr »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben: Dazu Priestermönch Paisios aus Geilnau: "Die Allaussöhnung zu behaupten, ist häretisch, auf sie zu hoffen, ist orthodox".
Der Mann bringt auf den Punkt, was ich nicht verstehe.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Also: Wenn man behauptet, dass es sicher sei, alle würden erlöst, dann würde man den freien Willen leugnen, der den Menschen ermöglicht, sich auch gegen Gott zu entscheiden.

Man kann aber darauf hoffen, dass jeder noch irgendwie die Möglichkeit bekommt, sich frei für Gott zu entscheiden, und jeder sie nutzen wird.

Kirchenjahr
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Kirchenjahr »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Also: Wenn man behauptet, dass es sicher sei, alle würden erlöst, dann würde man den freien Willen leugnen, der den Menschen ermöglicht, sich auch gegen Gott zu entscheiden.

Man kann aber darauf hoffen, dass jeder noch irgendwie die Möglichkeit bekommt, sich frei für Gott zu entscheiden, und jeder sie nutzen wird.
Entspricht es wirklich orthodoxer Lehre, dass es durchaus möglich ist, dass sich alle Menschen letztlich für Gott entscheiden. Ich kann das irgendwie nicht glauben. Im Westen würde man sich da den Zorn einiger Traditionalisten zuziehen.

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Nietenolaf
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nietenolaf »

Und der Zorn der Traditionalisten ist ein verzehrend Feuer! Die würden natürlich nicht jeden nach Walhalla reinlassen.
ἐὰν γὰρ ἀποϑάνῃ ἄνϑρωπος, ζήσεται συντελέσας ἡμέρας τοῦ βίου αὐτοῦ· ὑπομενῶ, ἕως ἂν πάλιν γένωμαι.

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Sempre
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Sempre »

Kirchenjahr hat geschrieben:Entspricht es wirklich orthodoxer Lehre, dass es durchaus möglich ist, dass sich alle Menschen letztlich für Gott entscheiden. Ich kann das irgendwie nicht glauben. Im Westen würde man sich da den Zorn einiger Traditionalisten zuziehen.
(Viele) Traditionalisten im Westen fügen beim Rosenkranzgebet vor jedem Vater unser folgenden Vers ein:
Oh mein Jesus, verzeih uns uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle und führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.
Es mag möglich sein, dass sich alle Menschen letztlich für Gott entscheiden. Wir wissen aber nun, dass der Herr es vorgezogen hat, die Kirche zu instituieren, um den kranken Menschen zu helfen. Da fällt es schwer, zu hoffen, dass ausnahmslos all jene, die vorher gelebt haben, oder die sonst von der Kirche nie erreicht wurden, sich letztlich für Gott entschieden haben.

Gruß
Sempre
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

Ich möchte es mal so sagen:

Bei anderen Menschen weiß ich ja gar nicht, was in denen vorgeht. Aber ich weiß, wie wüst es in meiner Seele aussieht. Wenn ich irgendwie darauf hoffe, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit mit meinen bescheidenen Versuchen, diese anzunehmen, mich vielleicht in den Himmel führen könnte, wieso sollte ich dann nicht darauf hoffen können, dass auch alle anderen (bei denen es ja in der Seele vielleicht viel besser aussieht als bei mir) gerettet werden.

Mary
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Mary »

Anselmus hat geschrieben:Ich möchte es mal so sagen:

Bei anderen Menschen weiß ich ja gar nicht, was in denen vorgeht. Aber ich weiß, wie wüst es in meiner Seele aussieht. Wenn ich irgendwie darauf hoffe, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit mit meinen bescheidenen Versuchen, diese anzunehmen, mich vielleicht in den Himmel führen könnte, wieso sollte ich dann nicht darauf hoffen können, dass auch alle anderen (bei denen es ja in der Seele vielleicht viel besser aussieht als bei mir) gerettet werden.
Danke Anselmus, dieser Sicht schliesse ich mich an.

Ich würde meinen, dass es orthodox ist, sich um den eigenen Weg zu und mit Gott zu kümmern und die anderen Menschen Gottes Barmherzigkeit anzuvertrauen.

Lg Mary
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Ich finde, dass die letzten Beiträge alle sehr wichtige Aspekte gebracht haben:

- Zunächst kann man sich wirklich ständig wundern, dass man selbst trotz seiner Sündhaftigkeit noch die unverdiente Möglichkeit zu Buße und Reue gefunden hat und die Kirche für sich entdecken oder bewahren konnte (je nach der eigenen Biographie).

- Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht (nicht nur das Forum hier listet ja genügend Beispiele auf), fällt es jedenfalls mit dem menschlichen Verstand schwer, zu glauben, dass alle Menschen gerettet werden. Das geht mir auch so. Allerdings ist es natürlich für jeden Einzelnen grundsätzlich "sofort" möglich und Gottes Wege sind nun einmal nicht unsere. Trotzdem warnen die Kirchenväter eindringlich vor der Hölle und etwa auch der Starez Siluan noch vor wenigen Jahrzehnten aufgrund der ihm gewährten Erfahrungen - wie auch vor dem Tag des Gerichts und des Übels in einem selbst. Nichts anderes sollten wir - unbeschadet unserer Hoffnungen - tun.

- Gleichwohl ist es nicht unsere Aufgabe, dies alles in Bezug auf Dritte zu bewerten, wobei es es selbstverständlich dennoch ein gebotener Akt christlicher Nächstenliebe ist, Andere - in angemessener Form - darauf hinzuweisen, wenn ihr Verhalten in einem erkennbaren Konflikt zu der Lehre der Kirche steht.

- Unsere vorrangige Aufgabe aber ist es für die zu beten, die uns, sich selbst oder der Kirche schaden (wollen). Und, wie Sempre zu Recht gesagt hat, insbesondere für die, bei denen die Notwendigkeit (nach äußerer Betrachtung) am größten ist. Das belegt nicht nur, dass man tatsächlich daruf vertraut, dass Gott Wunder vollbringt, sondern bewahrt auch die eigene Seele vor Sünden und einem Aufflammen der Leidenschaften, wenn wir an diese Menschen denken.

Viele Grüße
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Monergist hat geschrieben:der Starez Siluan noch vor wenigen Jahrzehnten aufgrund der ihm gewährten Erfahrungen
Bitte um Details.
Nietenolaf hat geschrieben:Und der Zorn der Traditionalisten ist ein verzehrend Feuer! Die würden natürlich nicht jeden nach Walhalla reinlassen.
Aufm Wallach nach Wallchalla, brüll (sorry...)
Ich glaube; hilf meinem Unglauben

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Die orthodoxe Dogmatik von Dumitru Stăniloae gibt es doch auch auf Deutsch.
... ist aber auch nicht mehr erhältlich. Trotzdem Danke für den Hinweis.
Nun konnte ich die Dogmatik von Staniloae wenigstens aus der Bibliothek ausleihen. Im zweiten Band behandelt er die Christologie.

Was Staniloae zum Opfer Christi schreibt, ist sehr differenziert. Wichtig scheint mir, dass er keine Einseitigkeiten lehrt. Er grenzt sich einerseits gegen eine rein satisfaktorische Deutung des Opfers ab, da diese das Opfer "auf eine rein juristische Handlung reduziert, die außerhalb der menschlichen Natur vor sich geht." (S. 102) Das scheint mir wichtig zu sein, denn beim Opfer Christi geht es ja um die Heiligung der menschlichen Natur als Gerechtmachung des Menschen (effektive Rechtfertigung).

Andererseits grenzt er sich aber auch gegen eine in der orthodoxen Theologie teilweise vertretene anti-westliche Opferdeutung ab, die das Opfer Christi nur in seiner Wirkung auf die menschliche Natur interpretieren und nicht als Dienst Gott gegenüber verstehen will. Dies sei eine Sicht, die aus einer bloßen Opposition gegen die katholische und die protestantische Kreuzeslehre entstanden sei und die nicht den Kirchenvätern entspreche. Staniloae schreibt, dass beim Opfer beide Aspekte zur Geltung kommen müssen: Versöhnung des Menschen mit Gott und auch Versöhnung Gottes mit dem Menschen (S. 103; man höre!). Hierbei redet er auch vom "Zorn Gottes über den Menschen" in seinem Sündenzustand. "Gott kann am Sündenzustand des Menschen, der ein Zustand der Feindschaft gegen ihn ist, keinen Gefallen haben." (S. 103f)

"Kurz gesagt, das Opfer dient zur Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen. Wiederherstellung der Gemeinschaft bedeutet aber, daß sowohl die menschliche Natur aus ihrer falschen Ichbeozgenheit gelöst und wiederhergestellt wird, und daß sich auch die Liebe Gottes erneuert [!], da sie bei ihrem Willen, den Menschen mit ihren Gaben zu schmücken, nun nicht mehr vom feindlichen Egoismus des Menschen gehindert wird. Das Opfer des Menschen ist zur Wiederherstellung der Gemeinschaft nötig und zwar sowohl für Gott, als auch für den Menschen selbst." (S. 104)

Diese Darstellung ist bemerkenswert und verdient Beachtung, da sie auch wesentliche westkirchliche Aspekte zur Geltung bringt. Schon alleine, dass er sagen kann, dass das Opfer für den Menschen und für Gott nötig sei, sollte beachtet werden.

Auffällig ist, dass Staniloae ausführlich biblische Texte heranzieht, allerdings fast ausschließlich aus dem Hebräerbrief. Das liegt zwar nahe von seiner Konzeption her, denn er hat den Abschnitt überschrieben mit "Jesus Christus als Hoherpriester und als höchstes Opfer". Gleichzeitig treten aber dadurch die paulinischen Texte zur Opfertheologie ganz zurück, also der Römerbrief und der Zweite Korintherbrief. Denn dort reflektiert Paulus das Opfer Christi vom alttestamentlichen Gesetz her. Dies ist meiner Meinung nach eine Schwäche von Staniloaes ansonsten beeindruckender Darstellung, wodurch der bei Paulus durchaus wichtige Aspekt der juridischen Rechtfertigung (Freispruch des Menschen durch das schöpferisch wirksame Evangelium Gottes) nicht thematisiert wird.

Offenbar scheint das Werk von Staniloae eine der wichtigsten orthodoxen Dogmatiken zu sein und ihr Verfasser "einer der profiliertesten Vertreter der orthodoxen Theologie", wie es auf dem Buchumschlag heißt. Schade, dass die Bände nicht mehr im Handel sind. Sonst würde ich sie mir sofort kaufen. Nochmals vielen Dank für den Hinweis!

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Lieber Evagrios,

Ich habe eben die entsprechenden Seiten bei Stăniloae nachgeschlagen. Darum möchte ich mich gerne wie folgt zu Ihren Zitaten und Bemerkungen äussern.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Andererseits grenzt er sich aber auch gegen eine in der orthodoxen Theologie teilweise vertretene anti-westliche Opferdeutung ab, die das Opfer Christi nur in seiner Wirkung auf die menschliche Natur interpretieren und nicht als Dienst Gott gegenüber verstehen will. Dies sei eine Sicht, die aus einer bloßen Opposition gegen die katholische und die protestantische Kreuzeslehre entstanden sei und die nicht den Kirchenvätern entspreche. Staniloae schreibt, dass beim Opfer beide Aspekte zur Geltung kommen müssen: Versöhnung des Menschen mit Gott und auch Versöhnung Gottes mit dem Menschen (S. 103; man höre!).
Von "Dienst Gott gegenüber" ist im Text nicht die Rede, sondern davon, dass der Mensch sich nicht aus eigener Kraft mit Gott versöhnen kann (S. 103):
(...) wurde auf den Text aus dem Römerbrief 10,3 hingewiesen, wo gesagt wird, der Mensch bemühe sich, "seine eigene Gerechtigkeit" zu festigen, doch sei das ein Unterfangen, das Gott verabscheut. "Denn alle Gerechtigkeit des Menschen ist unflätiger als jeder Haß - gemäß der Schrift, die sie als Bosheit bezeichnet (Jes 64,6)"
Nikolaus Kabasilas sagt auch noch: Christus ist uns von Gott zur Gerechtigkeit und zum Loskauf gemacht; er hebt die Feindschaft in seinm Leib auf und versöhnt Gott mit uns"
Evagrios Pontikos hat geschrieben: Hierbei redet er auch vom "Zorn Gottes über den Menschen" in seinem Sündenzustand. Gott kann am Sündenzustand des Menschen, der ein Zustand der Feindschaft gegen ihn ist, keinen Gefallen haben." (S. 103f)
Der Begriff "Zorn" fällt hier im Kontext des Referierens nichtorthodoxer Positionen. Das Zitat, das Stăniloae sich in Bezug auf den Menschen zu eigen macht, spricht stattdessen von Ekel (S. 103):
Mit Recht sagt aber ein griechischer Theologe [P. Nellas]: "Gott haßt sein Kind nicht, auch wenn es sich im Zustand der Sünde befindet, es ekelt ihn vielmehr nur der Sündenzustand des Menschen, wenn dieser die Sünde anzieht und sich damit entstellt."
Darüber hinaus wird auf S. 111-112 deutlich, dass der Zorn sich nur auf die Sünde an sich, aber nicht auf den Menschen bezieht.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Diese Darstellung ist bemerkenswert und verdient Beachtung, da sie auch wesentliche westkirchliche Aspekte zur Geltung bringt. Schon alleine, dass er sagen kann, dass das Opfer für den Menschen und für Gott nötig sei, sollte beachtet werden.
Wie er das meint, ist auf S. 104 nachzulesen:
Ein Vater freut sich über sein Kind, das zur Erfurcht vor ihm zurückfindet, nicht darum, weil seine Ehre dadurch wiederhergestellt ist. Weil er sieht, daß durch die Ehrfurcht, die das Kind ihm wieder entgegenbringt, die moralischen und ontologischen Kraftquellen im Wesen des Kindes wieder in Ordnung sind.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Auffällig ist, dass Staniloae ausführlich biblische Texte heranzieht, allerdings fast ausschließlich aus dem Hebräerbrief. Das liegt zwar nahe von seiner Konzeption her, denn er hat den Abschnitt überschrieben mit "Jesus Christus als Hoherpriester und als höchstes Opfer". Gleichzeitig treten aber dadurch die paulinischen Texte zur Opfertheologie ganz zurück, also der Römerbrief und der Zweite Korintherbrief. Denn dort reflektiert Paulus das Opfer Christi vom alttestamentlichen Gesetz her. Dies ist meiner Meinung nach eine Schwäche von Staniloaes ansonsten beeindruckender Darstellung, wodurch der bei Paulus durchaus wichtige Aspekt der juridischen Rechtfertigung (Freispruch des Menschen durch das schöpferisch wirksame Evangelium Gottes) nicht thematisiert wird.
Die Texte werden auf S. 103 durchaus erwähnt, wenn sie auch nicht Schwerpunkt der Darstellung sind. Der Hebräerbrief ist aber nach klassischer orthodoxen Auffassung ebenfalls paulinisch, und auch die Deutung des Begriffs δικαιοσύνη auf eine juridisiche Rechtfertigung ist in der Orthodoxie nicht verbreitet.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Nochmals vielen Dank für den Hinweis!
Gern geschehen. In der Tat ist es schade, dass die drei Bände vergriffen sind. Wir können uns aber schon glücklich schätzen, dass sie überhaupt in deutscher Sprache vorliegen. Meine Freunde vom Moskauer Patriarchat in der Ukraine arbeiten mit einer englischen Übersetzung, da eine russische oder gar ukrainische noch nicht vorliegt.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Lieber Miserere Nobis Domine, ich werde nochmals erläutern:

1. D. Staniloae spricht wörtlich vom Opfer als "Dienst auf Gott hin" (S. 102), was von manchen orthodoxen Theologen seiner Meinung nach zu wenig in den Blick genommen worden sei. Der Grund dafür sei eine Opposition gegen katholische und protestantische Positionen. Ich habe dies mit eigenen Worten als "Dienst Gott gegenüber" wiedergegeben, denn so habe ich es verstanden. Denn es geht ja um die Frage, ob das Opfer Christi sich nur auf die menschliche Natur hin auswirken soll, oder ob auch eine Wirkung Gott gegenüber intendiert sei. Und dass zweiteres auch der Fall sei, ist ja Staniloaes Position. Dieser doppelten Wirkung des Opfers - zum Menschen hin, zu Gott hin - sind ja seine ganzen weiteren Ausführungen gewidmet.

2. D. Staniloae referiert den Begriff "Zorn Gottes" nicht bloß, sondern er stellt hier Fakten dar, die sich aus biblischen Texten ergeben (hier bei ihm der Hinweis auf Röm 10,3). Erst die Schlussfolgerung ist ein Referieren orthodoxer Positionen: "Aus dem Bestreben, den Sündenzustand des Menschen fast nur als Feindschaft zu Gott und nicht auch als Zorn Gottes über den Menschen aufzufassen [dies beides die Fakten, die sich aus den biblischen Texten ergeben], ziehen einige Theologen ... den Schluss, der Apostel Paulus 'rede nirgends davon, Gott versöhne sich selber mit den Menschen, sondern nur davon, daß Gott den Menschen mit sich versöhne [dies die Schlussfolgerung eben 'einiger Theologen']." (103) Hiervon grenzt sich Staniloae ja im Folgenden ausdrücklich ab, indem er darstellt, dass dies zu kurz greifen würde.

3. Du spielst "Zorn" und "Ekel" gegeneinander aus. Das entspricht nicht der Darstellung Staniloaes. Dann suggerierst Du, dass der Begriff "Zorn" eine Hass auf Seiten Gottes implizieren würde und zitierst jenen Theologen, der sagt, dass Gott seine Kinder nicht hasse. Der Begriff "Hass" hat natürlich anthropomorphe Untiefen. Deshalb Vorsicht. Vor allem, da der Hass eines Menschen ja Sünde ist. Insofern gerät er leicht zur Karikatur, wenn man ihn auf Gott anwendet. Und hierzu tendiert das Zitat jenes Theologen.

4. Du legst Wert darauf, dass unterschieden wird: Der Zorn richtet sich auf die Sünde an sich, nicht auf den Menschen. Hier muss ich zurückfragen: Kann Gott nach orthodoxer Auffassung also doch zornig sein? Nach Staniloae offenbar ja. Und daran anknüpfend als zweite Rückfrage: Kann man Sünde an sich und den Menschen so wie mit dem Skalpell gezogen trennen? Es ist doch der Mensch, der sündigt. Sünde hat doch keine eigene Hypostase. Sie ist das Wollen und Tun eines Menschen. Faktisch gibt dies auch Staniloae zu, wenn er schreibt, dass der Ekel (=Zorn) Gottes sich auf den "Sündenzustand des Menschen" bezieht. Denn es ist ja der Sündenzustand des Menschen. Nur so macht der biblische Gerichtsgedanke Sinn, dass wir uns vor Gott ver-antworten, also als Personen Auge in Auge mit Gott eines Tages Antwort geben müssen.

5. Paulus: Die Reduktion auf den Hebräerbrief wird dadurch nicht gerechtfertigt, dass die Kirchenväter ihn Paulus zuschrieben. Staniloae schreibt eine Dogmatik und keine Dogmengeschichte bzw. Hebräerkommentar o.ä. Und auch die Kirchenväter haben Paulus, wenn sie über das Kreuz nachdachten, nicht auf den Hebräerbrief reduziert.

6. Dass auch Gott das Opfer braucht zur Erneuerung seiner Liebe: Da wäre das Zitat von H.U. v. Balthasar auf Seite 111 zu bedenken: "Gott kann das moralisch Böse nicht lieben, sondern nur hassen [ich denke, v. Balthasar wusste um die anthropomorphen Untiefen] ... Es gibt keine authentische Liebe ohne Zorn; denn der Zorn ist die Kehrseite der Liebe..." Hier ist zu bedenken, was ich oben über die skalpellartige Scheidung von Mensch und Sünde geschrieben habe. Man müsste also bei der Liebe Gottes unterscheiden: Gott liebt den Sünder mit einer "leidenden" Liebe, die ihn zur Umkehr führen will (Jesu Heilandsruf über die Schafe, die keinen Hirten haben) und die den Hass auf die Sünde beinhaltet. Anders ist seine erneuerte Liebe, die dem geheiligten und gerechtgemachten Menschen gilt und ganz und gar geklärte Liebe geworden ist. Im ersten Fall liebt Gott den Menschen in seiner zukünftigen Möglichkeit, nämlich was aus ihm durch die Gnade werden kann. Im zweiten Fall liebt Gott den Menschen in seiner Wirklichkeit, die in der Ewigkeit Gegenwart geworden ist. Der Weg vom einen zum anderen ist die Erneuerung seiner Liebe, für die es das Opfer braucht.

Aber das alles sind nur erste Gedanken. Ich muss die Stellen noch genauer lesen und meditieren.

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Zur Beantwortung der Frage, welches "Rechtfertigungs-" bzw. Opfer-Verständnis eigentlich orthodox ist, habe ich mir interessehalber einmal angeschaut, was häretische Gruppierungen insoweit bei einer Betrachtung der Orthodoxie festgestellt haben. Kommen Sie zu dem gleichen Ergebnis wie der Experte für ostkirchliche Themen EP oder zu einem anderen?

In einem "Strategiepapier" für US-amerikanische evangelikale "Missionare" in Russland, das die russische und orthodoxe Gedankenstruktur zur Vermeidung von Missverständnissen bei den "Missionsbemühungen" erhellen soll hier, finden wir etwa auf Seite 5 f.:

c. Theosis
This is a term that denotes the central meaning of salvation in Orthodoxy, which is that a believer partakes in a union with God. Although the believer remains human by nature, he begins to “participate in God by means of the divine energies or grace.” This is a commonly misunderstood teaching, partly because it is often termed “deification.” It is this process that is the central aspect of salvation according to Orthodox teaching, in contrast to the focus
on legal justification in Western teaching. “Orthodox theologians contend that in the West the doctrines of sin and salvation have been unduly dominated by legal, juridical, and forensic categories.” The restoring of a mystical union with God, a process not completed in this life, is the focus of Orthodox soteriology, and one does not hear of God declaring sinners righteous on the basis of the finished work of Jesus Christ. “In the history of Orthodox theology…it is startling to observe the near total absence of any mention of the idea of justification by faith.”


Der letzte Satz ist natürlich kompletter Unfug, aber darin begründet, dass die Herrschaften unter "justification by faith" nur das forensische Überstülpen einer fremden Gerechtigkeit verstehen.

Das evangelikale "Christian Research Institute" wiederum "analysierte" zu Ende der 90er-Jahre in einem Artikel in Anbetracht einer steigenden Anzahl von Konversionen zur Orthodoxie aus dem evangelikalen Lager und darunter einiger bekannter Persönlichkeiten den orthodoxen Glauben und warnte vor einem Übertritt, wobei es anführte, dass die Mehrzahl der Konvertiten überhaupt nicht verstanden habe, dass in der Orthodoxie radikal andere Glaubensinhalte zu finden seien.

Hieraus:

Moreover, the Protestant Reformation emphasized the legal (forensic) aspect of humanity’s relationship with God in its doctrines of the Fall and sin (transgression of God’s law) and salvation (Christ’s fulfilling the law in place of sinners and taking upon Himself its just penalty in their behalf so His own righteousness could be legally transferred [imputed] to them). Salvation cannot be earned or merited but is received by faith apart from good works. In order to be saved, each person needs to repent and trust in Christ. Alternatively, the East developed a mystical approach to theology: God cannot be known intellectually but only experientially.

...


(des Weiteren wird der orthodoxe Glaube erklärt): The rebellion of Adam and Eve against God was their personal sin. This resulted in no inherited guilt for their descendants. Although the Orthodox emphasize the unity of humankind, this unity includes only hereditary death and not inherited guilt. Sinfulness is a consequence of mortality. By becoming mortal, man acquired a greater urge to sin because he is subject to the needs of the body (food, drink, etc.) which are absent in immortal beings. Byzantine tradition views mortality as a cosmic disease that holds humanity under its sway. Death makes sin inevitable and in this sense "corrupts" nature. But Meyendorff argues that "neither original sin nor salvation can be realized in an individual’s life without involving his personal and free responsibility."

Not Justification by Faith but Deification through the Energies

Adam started like a child who was supposed to grow and become perfect. God set Adam on the right path, but Adam’s fall essentially consisted in his disobedience to the will of God. Adam’s sin set up a barrier that man could never break down by his own efforts (not so much the legal barrier of sin as the existential barrier of mortality). Since man could not come to God, God came to man in the incarnation of Christ. The Incarnation (more so than the Atonement) reopened for man the path to God. Building upon Athanasius’s statement that "God became man that we might be made god", the Orthodox church explains salvation not in terms of justification but as mystical union with God.

...


Kurz vor Schluss wird festgehalten: According to Orthodox belief, baptism imparts new and immortal life, and since Orthodoxy practices infant baptism it follows that repentance and faith are not essential. Salvation understood mystically as deification and not as forensic justification by faith obscures the biblical records about Christ’s vicarious death.

Zwar ist auch die Aussage über die Buße und den Glauben offensichtlich Unsinn, aber es wird doch aus all dem deutlich, dass für heterodoxe Betrachter der Orthodoxie deren eindeutiges Kennzeichen ist, dass sie dort ihre Vorstellungen der stellvertretenden Genugtuung und der forensischen Rechtfertigung nicht wiederfinden können.

Schließlich sei noch einmal auf den englischsprachigen Artikel der Wikipedia [url=ttp://en.wikipedia.org/wiki/Justification_%28theology%29#Eastern_Orthodoxy]"Justification"[/url] verwiesen, der die verschiedenen Sichtweisen der so genannten Konfessionen darstellt.

Hieraus bei dem Unterpunkt "Eastern Orthodoxy" nur soviel: In large part, this de-emphasis on justification is historical. First, the doctrine of the atonement developed differently in the East and the West. ... Hence, the Orthodox concept of justification cannot be reconciled to Protestant concepts ...

In dem englischsprachigen Artikel dort zu Atonement (Christus Victor view) wiederum lesen wir u. a. Folgendes: Unlike the Satisfaction Doctrine view of the Atonement (the “Latin” view) which is rooted in the idea of Christ paying the penalty of sin to satisfy the demands of justice, the “classic” view of the Early church (Christus Victor) is rooted in the Incarnation and how Christ entered into human misery and wickedness and thus redeemed it. Aulén argues that the Christus Victor view of the Atonement is not so much a rational systematic theory as it is a drama, a passion story of God triumphing over the Powers and liberating humanity from the bondage of sin. As Gustav Aulén writes,

The work of Christ is first and foremost a victory over the powers which hold mankind in bondage: sin, death, and the devil.

Development of the Christus Victor view after Aulén

While largely held only by Eastern Orthodox Christians for much of the last one thousand years, the Christus Victor theory is becoming increasingly popular with both paleo-orthodox evangelicals because of its connection to the early Church fathers,


Wie schon einmal gesagt, findet man dort vielleicht nicht die tiefgängigsten theologischen Erkenntnisse, doch sehen wir hieraus zumindest bestätigt, dass es (vereinfacht) eben zwei große Theorien zur Erlösung gab und gibt, "Christuc Victor" einerseits und "Satisfaktion" bzw. "Strafersatz" andererseits. Während es unbestritten ist, dass auch Glieder der orthodoxen Kirche satisfaktorische und forensische Elemente als Teil der Erlösung gesehen haben, ist dies keinesfalls dominant gewesen, sondern im Gegenteil eine Randerscheinung. Die Erlösungslehre der Orthodoxie war und ist seit jeher "Christus Victor" und deshalb wird sie auch von Anhängern der Satisfaktions- oder Strafersatztheorie entsprechend angegriffen. (Andererseits - das ist oben angedeutet - haben in den USA auch immer mehr Theologen aus dem protestantischen Bereich "Christus Victor" als biblische Lehre erkannt, wenn sie einmal einen Blick in das erste Jahrtausend riskiert haben. ) Vladimir Lossky hat bereits vor Jahrzehnten (ich weiß auf die Schnelle nicht genau wo) sinngemäß geschrieben, dass in der Tat die Metapher eines Freispruchs der Menschheit durch das Erlösungswerk Christi auch in der Bibel zu finden ist - neben x anderen... Kein Mensch sei allerdings für über 1000 Jahre auf die Idee gekommen, auf diesem Bild allein seine Soteriologie aufzubauen und dass dieser Versuch nur fehlgehen könne.

Das Resultat ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als eine theologische Engführung, selbst wenn man versucht, es allen Recht zu machen und neben der forensischen Rechtfertigung auch noch eine effektive aus dem Hut zaubert.
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Ich hatte ferner schon einmal darauf hingewiesen, dass es auch aus dem rk Lager Stimmen gibt, die dem orthodoxen Verständnis sehr nahe kommen. Zum Beispiel P. Prosinger von der FSSP in seiner Abhandlung "Wie wir erlöst werden".

Hieraus: Daß Christus in seinem Opfer nicht Sündenbock, Blitzableiter und Ersatzopfer in einem Platztausch ist, um den göttlichen Zorn zu besänftigen – dazu später! -, sondern aus der Kraft seiner inneren Hingabe aus übergroßer Güte, freiwilliger Erniedrigung und seinem Gehorsam bis in den Tod am Kreuz die Sünde, den Tod, den Teufel und die gefallene Welt von innen heraus überwindet, zeigt sich auch in anderen Bibeltexten.

Der Mensch hatte seine Berufung verraten, der Ruf Gottes besteht fort. In diesem philosophisch verantworteten Rahmen soll nun die Umwendung des Bildes vom krafterfüllten Keltertreter zum scheinbar ohnmächtigen Opferlamm gedeutet werden.

...

Tatsächlich wird die Vergeltung und Erlösung nun nicht eingefordert, indem der Herr gegen die Völker wütet. Vielmehr wird sein Zorn und seine Kraft offenbar, indem er die anderen gegen sich wüten läßt, um ihnen ihr Tun zu heilsamer Beschämung vor Augen zu halten. Es ist durchaus kein Wüten Gottes gegen sich selbst, kein ersatzweises Austragen von Schuld und Strafe zwischen Vater und Sohn – dieser verrückte Gedanke muß ausdrücklich zurückgewiesen werden, da er tatsächlich durch H. U. von Balthasar ventiliert wurde -, sondern im Gegenteil wurde die vollkommene Harmonie zwischen Vater und Sohn auch noch dort hineingetragen, wo wir durch die Sünde in die äußerste Sackgasse geraten waren, in die Trennung von Leib und Seele, ja wo wir den Urheber des Lebens selbst töten wollten (Apg 3,15). Sein unerbittlicher Zorn will uns die grenzenlose Schmach dieser Konfrontation nicht ersparen und darin sein letztes Heilsangebot eröffnen. So ist der mächtige Keltertreter zugleich das geopferte Lamm, das uns Isaias im 53. Kapitel vor Augen stellt.

...

Der Keltertreter steht für die das Recht durchsetzende Macht Gottes – aber sein „eisernes Szepter“, mit dem er die Völker schlägt, ist das Holz des Kreuzes. Domuit orbem non ferro, sed ligno (Augustinus, in Ps 54 ad 1: Er zähmte den Erdkreis nicht durch Eisen, sondern durch Holz). Die große Gratuität der Zuwendung Gottes bis zur Hingabe seines Sohnes am Kreuz (vgl. Joh 3,16), obwohl wir doch noch seine Feinde waren (Röm 5,8.10), und er sich mit allem Recht von uns hätte abwenden können, soll uns in heilsamer Weise beschämen und beseligen zugleich. Da ist kein Konflikt zwischen göttlicher Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, sondern seine uns schon immer zugewandte gerechte und barmherzige Liebe erweist sich in der Passion Christi angesichts der gefallenen Kreatur als eine Liebe bis zur Vollendung (Joh 13,1). So sehen wir den Keltertreter gebeugt unter den Balken des Kreuzes, das geopferte Lamm dagegen erhöht auf dem Thron. Die christliche Ikonographie sah den Herrn am Kreuz als König und Richter erhöht, oder zumindest trotz tiefster Erniedrigung – etwa auf dem Isenheimer Altar – als Bild der Überwindung und des Friedens, nicht überwältigt, sondern überwältigend.


Wir sehen also, dass in Bezug auf die Soteriologie sich nicht etwa "orthodoxe Modernisten" gegen den Westen stellen und polemisch die vermeintlich schon immer als Konsens existente Satisfaktionslehre über Bord werfen, sondern dass auch im Westen überhaupt keine Einigung über diese Deutung des Kreuzesopfers besteht, wobei ich einmal unterstelle, dass der Pater der FSSP jedenfalls nicht im Verdacht steht, ein extremer Modernist zu sein.
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Lieber Monergist,

Du musst mir schon glauben, dass auch ich der Meinung bin, dass jene evangelikalen Darstellungen Unfug sind. Ein Problem der Evangelikalen ist, dass sie von der Alten Kirche nichts verstehen und wissen. Das ist ein wirkliches Manko, neben manch anderen...

Aber trotzdem muss ich auch feststellen, dass ich in jener Passage bei Dumitru Staniloae Deine Darstellung des Christus Victor nicht gefunden habe. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass Du das Opfer Christi als ein Wirken lediglich auf die menschliche Natur hin und nicht auch auf Gott verstehst, was Staniloae ja als zu kurz greifend charakterisiert.

Übrigens habe ich mal etwas recherchiert, wie Gustav Aulens Theorie, auf die Du Dich einmal bezogen hast, in den 30er Jahren diskutiert wurde. Er wurde dafür kritisiert, dass er mit seiner Vorstellung des Christus Victor mit dem Alten Testament und seinem Opfergedanken breche. Aus diesem Grunde wurde und wird ihm sogar von manchen vorgeworfen, dass in seiner Konzeption der Marcionismus eine Auferstehung feiere. Oder er wurde dafür kritisiert, dass er in seinem Aufsatz "Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens" (Zeitschrift für Theologie und Kirche 8 (1931), S. 501ff) Typen darstelle und behaupte, die es in dieser Reinform nie gegeben habe. Aber das nur nebenbei.

Im Übrigen habe ich in meinem letzten Beitrag lediglich versucht darzustellen, was Dumitru Staniloae über das Opfer Christi schreibt. Das darf ich offenbar nicht, weil ich nicht orthodox bin. Wahrscheinlich bist Du deshalb auch auf meinen Beitrag überhaupt nicht eingegangen. Aber wahrscheinlich ist Dumitru Staniloae Dir auch nicht orthodox genug, sondern westkirchlich unterwandert. Anstattdessen betreibst Du weiter Deine unsachlichen Versuche, micht aus diesem Thread zu exkommunizieren, zuletzt mit einem Zitat eines Bischofs zu meinem "Namenspatron" Evagrios Pontikos. Das finde ich erstens ziemlich unfair und zweitens auch unsachlich (schließlich ist E.P. ein anerkannter Autor in der Philokalie, weshalb ich mir seinen Namen als Avatar gewählt habe, und seine Position in der Orthodoxie heute ist eine andere als zur Zeit der Verurteilung des Origenismus in der Alten Kirche). Was rede ich mir den Mund fusslig? Sei mir deshalb nicht böse, wenn ich zukünftig auf Deine Bemerkungen nicht mehr eingehen werde.

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Monergist
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Monergist »

Hallo EP,

die evangelikalen Aussagen habe ich nicht wegen ihrer Unrichtigkeit eingestellt, sondern weil ich wiedergeben wollte, welche Glaubensinhalte Dritte der Orthodoxie zumessen. Und irgendwo muss es doch herkommen, dass Evangelikale ihre fundamentalen Positionen dort nicht wiederfinden. Deshalb auch die Wikipedia-Verweise.

Dass Gustav Aulén nicht nur auf begeisterte Zustimmung im evangelischen Bereich gestoßen ist, liegt auf der Hand. Interessant ist nur, dass er nach Beschäftigung mit den altkirchlichen Quellen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es in den ersten 1000 Jahren keine Satisfaktionslehre gab.

Wir hatten Dir einerseits ein ganzes Paket an Quellen genannt, die deutlich machen, dass es in der Orthodoxie "herrschende Meinung" ist, dass Satisfaktion und forensische Rechtfertigung nicht hilfreiche Begriffe sind. Ich habe dazu hunderte Bücher, Internetseiten etc. gelesen und kann bestätigen, dass dies der Konsens ist, wobei ich zugestanden habe, dass es auch abweichende Auffassungen gibt. Außerdem vertraue ich denjenigen zu 100%, die es mich so gelehrt haben. Offensichtlich ist anderen Foranten unabhängig davon dasselbe beigebracht worden. Das eine oder andere Buch gibt keinen hinreichenden Überblick über orthodoxe Lehre. Du kannst gerne sagen, dass das alles nicht biblisch, nicht korrekt oder was auch immer ist. Das einzige, was mich stört ist, dass Du darauf beharrst, dass die Orthodoxie schon immer die Satisfaktion gelehrt habe, dass dies aber von Modernisten kürzlich verdreht worden sei. Deshalb auch meine spiegelbildlichen Überlegungen, ob denn im Westen ein Konsens besteht.

Du kannst hier meinetwegen so viel schreiben wie Du willst und ob Du auf meine Beiträge antwortest oder nicht, ist mir ehrlich gesagt wumpe.

Retired Archbishop Lazar Puhalo lebt noch, sein Zitat über den echten EP ist zeitgenössisch. In mir kam nur die Frage auf, was jemanden bewegt, sich nach einer solchen Person in einem Forum zu benennen.
1 Cor.11:30: That is why the work of a priest is not to distribute tickets, so that people might enter Paradise; he must heal people, so that when they encounter God, God will become light and not fire to them.

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Anselmus
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Anselmus »

Um zu dem Thread wirklich noch konstruktives beizutragen, bin ich derzeit noch nicht belesen genug auf dem Gebiet, aber ich möchte dennoch kurz etwas zur Diskussion sagen:

Ich finde es ehrlich gesagt sehr seltsam, dass du Evagrious Pontikos, nun Monergist ignorieren möchte, wenn doch eigentlich die umgekehrte Reaktion viel gerechtfertigter wird. In dem Thread hier hat Monergist immer wieder Zitate von vielen verschiedenen Autoren und von vielen Kirchenvätern gebracht, um zu zeigen, wie die orthodoxe Lehre zur Soteriologie aussieht. Du hingegen bist es, der lediglich mit Einzelmeinungen kommt, und glaubt, damit zu das Bild zu zerstören, dass Monergist mit vielen ähnlichen Meinungen und Äußerungen dargelegt hat. Deswegen könnte ich Monergist gut verstehen, wenn er nicht unbedingt auf all deine Beiträge eingeht.

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Ich glaube; hilf meinem Unglauben

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

So, jetzt aber mal bitte zurück zu Stăniloae. Er war Bekenner (5 Jahre kommunistisches Gefängnis in Rumänien), Lehrer und geistiger Vater des jetzigen Patriarchen von Rumänien, Daniel, sowie einer der grössten orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er hat eine wunderbare dreibändige Dogmatik geschrieben, die wohl sicher ein sehr viel besseres Bild der orthodoxen Lehre liefert als evangelikale Polemiken. Trotzdem ist es natürlich wichtig, orthodoxe Texte auch orthodox zu verstehen.

Also, wer sich an der Diskussion über den Text von Stăniloae beteiligen will, der gehe (da das Werk vergriffen ist) in die nächstgelegene Bibliothek einer theologischen Fakultät (die dt. Übersetzung ist in der Reihe "Ökumenische Theologie" erschienen und steht darum in vielen Bibliotheken) und greife zu folgendem Werk:
Dumitru Staniloae: Orthodoxe Dogmatik II (Ökumenische Theologie Band 15), Benziger Velag, Zürich/Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh, 1990.
und lese ab S. 102.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:So, jetzt aber mal bitte zurück zu Stăniloae. Er war Bekenner (5 Jahre kommunistisches Gefängnis in Rumänien), Lehrer und geistiger Vater des jetzigen Patriarchen von Rumänien, Daniel, sowie einer der grössten orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er hat eine wunderbare dreibändige Dogmatik geschrieben, die wohl sicher ein sehr viel besseres Bild der orthodoxen Lehre liefert als evangelikale Polemiken. Trotzdem ist es natürlich wichtig, orthodoxe Texte auch orthodox zu verstehen.

Also, wer sich an der Diskussion über den Text von Stăniloae beteiligen will, der gehe (da das Werk vergriffen ist) in die nächstgelegene Bibliothek einer theologischen Fakultät (die dt. Übersetzung ist in der Reihe "Ökumenische Theologie" erschienen und steht darum in vielen Bibliotheken) und greife zu folgendem Werk:
Dumitru Staniloae: Orthodoxe Dogmatik II (Ökumenische Theologie Band 15), Benziger Velag, Zürich/Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh, 1990.
und lese ab S. 102.
Dem schließe ich mich ausdrücklich an und danke Dir für die Infos zu Professor Staniloae. Es freut mich auch zu hören, dass seine Dogmatik offenbar ein Werk ist, das als echt orthodox anerkannt ist. Wie schon gesagt, hat mich seine Darstellung sehr gefreut, da sie sehr differenziert ist.

Was ich für die Diskussion gerne festhalten möchte, ist, dass er eine Gotteslehre vertritt, bei der er im Blick auf Gott von "Ekel" (und "Zorn") sprechen kann. Meine Frage ist, wie Gottes Ekel gegenüber dem Sündenzustand des Menschen zur Apatheia Gottes passt, die ja klassisch von Johannes von Damaskus und in der Philokalie von Antonios dem Großen formuliert worden ist?

Dann ist zu unserem Diskussionspunkt wahrscheinlich entscheidend, dass er zwischen "Sünde an sich" (="Sündenzustand des Menschen") und dem Menschen an sich trennt. Ich halte diese Trennung für problematisch, weil sie eine anthropomorphe Vorstellung von Gott voraussetzt (sein Beispiel auf S. 104: menschlicher Vater und menschliches Kind). Ein menschlicher Vater liebt sein Kind ja nicht als Abstraktion "an sich", sondern von seinem Herkommen her (als sein Kind) und von seiner erhofften Zukunt her (als Kind, das sich ihm wieder zuwendet, so das Beispiel von Staniloae). Jüngstes Gericht und Verantwortung vor dem Richterstuhl Christi aber bedeuten, dass wir Menschen "unveränderbar" geworden sind, was wir dann sein werden: Verfluchte oder Gesegnete des Herrn, um mit Christi Worten in Mt 25 zu sprechen. Deshalb ist die anthropomorphe Begründung, dass ein Vater sein Kind nicht hasse, problematisch, wenn auch verständlich. Denn sie redet anthropomorph unter der Perspektive der Zeit (der Mensch als Gewordener und als im Werden Begriffener) von der Vater-Kind-Beziehung.
Zuletzt geändert von Evagrios Pontikos am Freitag 22. Oktober 2010, 13:29, insgesamt 1-mal geändert.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Hier jetzt meine Antworten an Evagrios:

1. Was "Dienst auf Gott hin" bedeutet, ist auf S. 105 ausgeführt:
Der Inhalt des Opfertodes Christi, der auf Gott gerichtet ist und zugleiche eine große Wirkung auf seine Menschheit ausübte, ist die totale Hingabe Christi als Mensch an den Vater. Die Motivation des darin eingeschlossenen Leidens um seiner Verbindung mit dem von Gott entfremdeten Menschen willen ist sein tiefes und totales Mitleid mit diesen Menschen. Sein Mitleid, das bis dahin geht, daß er für sie stribt, ist zugleich totale Selbstauslieferung und Hingabe an den Vater. (...)
Wenn wir aber dadurch erlöst werden, daß wir den Zustand des Opfers sowie das neue Leben annehmen, zu dem der Leib Christi durch dieses Opfer gelangte, so erhält dieser geopferte und auferstandene Leib eine zentrale und bleibende Bedeutung für unsere Erlösung, die als Reinigung von den Sünden, als Überwindung der Feindschaft zu Gott und als Teilnahme am göttlichen Leben verstanden wird. (...)
2. "Fakten ergeben sich" nicht, sondern wenn sich etwas "ergibt", handelt es sich bereits um Interpretation. Grundlagen der Hermeneutik sind aber anderswo sinnvoller zu diskutieren, darum begnüge ich mich mit einem Hinweis: Den Einwand anhand des Römerbriefs erhebt Stăniloae hier nicht selbst, sondern referiert innerorthodoxe Diskussionen (Kritik an John Romanides), so wie er zuvor diesen selbst, und wiederum zuvor Katholiken und Protestanten referiert hat.

3. Zorn und Ekel spiele ich nicht gegeneinander aus, sondern verweise auf die genaue Verwendung der Begriffe im Text. Es ist aber völlig klar, dass laut Stăniloae das Nichtgefallen Gottes auf den Zustand des Menschen bezogen ist, nicht auf den Menschen an sich.

4. Die Unterscheidung in Sünder und Sünde finde ich nicht so schwer nachzuvollziehen. Die Analogie eines Arztes mag dabei helfen: Ein guter Arzt hasst den Krebs, liebt aber den Patienten, und will diesen davon frei sehen.

5. In der Orthodoxie gilt kein sola scriptura, es darum auch nicht notwendig, bei der Behandlung eines Sachverhalts ausführlich alle Bibelstellen zu diskutieren, die mit dem Thema zu tun haben. Es geht stattdessen um die Lehre der Orthodoxen Kirche, und soweit ich armer Sünder das beurteilen kann, wird diese hier sehr gut dargestellt.

6. Dieser Ansatz zur Liebe ist interessant, wobei ich sagen würde, dass Gott den Menschen nicht nur in seiner "Möglichkeit", sondern in seinem eigentlichen Sein liebt, auch wenn dieses durch die Sünde entstellt ist.


Zur Frage der apatheia: Ich denke nicht, dass der "Ekel" Gottes gegenüber der Sünde eine Gefühlsregung im menschlichen Sinne ist, sondern Ausdruck des Wesensgegensatzes, das zwischen dem völlig guten Gott und der Schlechtheit der Sünde besteht. Aber das ist nur mein persönliches Verständnis.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Hier übrigens ein Bild:
Bild

Sehr aufschlussreich zu seiner Biographie ist auch der Artikel bei Orthodoxwiki:
http://orthodoxwiki.org/Dumitru_Staniloae

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Hier jetzt meine Antworten an Evagrios:

...

4. Die Unterscheidung in Sünder und Sünde finde ich nicht so schwer nachzuvollziehen. Die Analogie eines Arztes mag dabei helfen: Ein guter Arzt hasst den Krebs, liebt aber den Patienten, und will diesen davon frei sehen...
Das Beispiel des Arztes verfällt natürlich auch dem Problem des Anthropomorphismus. Es ist nur in seinem Vergleichspunkt sinnvoll (wie Christus es ja auch verwendet), nämlich, dass es Gottes Wille ist, dass allen Menschen geholfen werde. Die Problematik des Hasses des Krebses, nicht aber des Patienten, liegt außerhalb jenes Vergleichspunktes und würde meiner Meinung nach zu einem anthropomorph verzerrten Gottesbild führen.

Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Miserere Nobis Domine hat geschrieben:Hier jetzt meine Antworten an Evagrios:

...

4. Die Unterscheidung in Sünder und Sünde finde ich nicht so schwer nachzuvollziehen. Die Analogie eines Arztes mag dabei helfen: Ein guter Arzt hasst den Krebs, liebt aber den Patienten, und will diesen davon frei sehen...
Das Beispiel des Arztes verfällt natürlich auch dem Problem des Anthropomorphismus. Es ist nur in seinem Vergleichspunkt sinnvoll (wie Christus es ja auch verwendet), nämlich, dass es Gottes Wille ist, dass allen Menschen geholfen werde. Die Problematik des Hasses des Krebses, nicht aber des Patienten, liegt außerhalb jenes Vergleichspunktes und würde meiner Meinung nach zu einem anthropomorph verzerrten Gottesbild führen.
Übrigens Patient und Krebs: Wenn man dieses Beispiel verwendet, dann könnte daran deutlich gemacht werden, was ich damit meine, dass die Sünde keine eigene Hypostase besitze. Der Krebs hat medizinisch betrachtet in Form der Krebszellen eine eigene Hypostase neben der Hypostase des Patienten als biologischem System. In dieser Weise kann aber das Böse bzw. die Sünde gegenüber dem Sünder keine eigene Hypostase besitzen. Dies wäre Manichäismus.

Was ich damit sagen will: Anthropomorphismen haben ihre Untiefen.

Miserere Nobis Domine
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Miserere Nobis Domine »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: In dieser Weise kann aber das Böse bzw. die Sünde gegenüber dem Sünder keine eigene Hypostase besitzen. Dies wäre Manichäismus.
Ich bitte um nähere Erläuterung!

Mit der Frage, ob die Sünde ine Hypostase besitzt, habe ich mich noch nicht beschäftigt. Vielleicht kann ja ein anderer Forumsteilnehmer etwas dazu sagen. (Nietenolaf?)

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Nassos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Nassos »

Vielleicht unqualifiziert aber: ist der "Anthropomorphismus" hier nicht überinterpretiert? Grund für die Nachfrage: ich denke an den menschenliebenden Gott und auch daran, dass wir nach Gottes Abbild erschaffen wurden...

Gruß,
Nassos
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Evagrios Pontikos
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Nassos hat geschrieben:Vielleicht unqualifiziert aber: ist der "Anthropomorphismus" hier nicht überinterpretiert? Grund für die Nachfrage: ich denke an den menschenliebenden Gott und auch daran, dass wir nach Gottes Abbild erschaffen wurden...
Johannes von Damaskus schreibt, dass wir von Gott vor allem aussagen können, wie er nicht ist, weniger aber, wie er ist: unkörperlich, unendlich, unteilbar, unveränderbar etc. Ein Anthropomorphismus dagegen ist in der Gefahr, gerade aussagen zu wollen, wie Gott ist.

Von daher müsste das Beispiel von Arzt und Patient genau auf den Vergleichspunkt überprüft werden:

Der Arzt untersucht den Patienten und stellt seine Krankheit fest. Gott stellt durch das Gesetz fest, dass der "Patient" Sünder ist und deshalb sterben wird.

Der Arzt hat einen Wissensvorsprung gegenüber dem Patienten und stellt dadurch einen Therapieplan auf. Gott entwirft in seinem ewigen Ratschluss die Heilsgeschichte zur Heilung des Sünders.

Nun aber die Probleme des Anthropomorphismus: Arzt und Patient sind beides Menschen. Das Beispiel könnte eine Analogie zwischen Gott und Mensch suggerieren, die so nicht gegeben ist. Z.B. unterscheidet sich der Arzt vom Patient nur durch einen Wissensvorsprung, nicht aber seinem Wesen nach. Dann ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient nicht Liebe, die auf Unio zielt; der Arzt muss ja gerade eine professionelle Distanz haben, ohne die er gar nicht Arzt sein könnte (Subjekt-Objekt-Verhältnis). Außerdem hat das Bild vom Patienten, wie gesagt, seine Problematik darin, dass die Krankheit in Form der Krebserkrankung den Charakter einer Hypostase annimmt.

Allerdings kommen wir hier in den Bereich der von der Orthodoxie abgelehnten Scholastik. Hat das Böse im Menschen den Charakter einer Hypostase, was im Westen dann in diesem Fall durch den Begriff der substantia (Substanz) ausgesagt würde? Dies aber wäre Manichäismus. Das Böse im Menschen ist aber kein "Etwas", sondern sein böses, Gott entgegengesetztes Wollen, Denken, Fühlen. Ich denke, dass D. Staniloae dies auch mit "Sündenzustand des Menschen" meint.

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Johannes22101988
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Re: Orthodoxes Rechtfertigungsverständnis und Erbsündenlehre

Beitrag von Johannes22101988 »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Nassos hat geschrieben:Vielleicht unqualifiziert aber: ist der "Anthropomorphismus" hier nicht überinterpretiert? Grund für die Nachfrage: ich denke an den menschenliebenden Gott und auch daran, dass wir nach Gottes Abbild erschaffen wurden...
Johannes von Damaskus schreibt, dass wir von Gott vor allem aussagen können, wie er nicht ist, weniger aber, wie er ist: unkörperlich, unendlich, unteilbar, unveränderbar etc. Ein Anthropomorphismus dagegen ist in der Gefahr, gerade aussagen zu wollen, wie Gott ist.
eben genau das soll man nicht, unser schöpfer ist nicht zu erklären. Das einzige was wir erfassen können ist das was "um IHN ist" - also "ungeschaffene energien" oder die gnade.

Ob das jetzt wohl unsere römischen verwandten begreifen. :pfeif:

Gruß

Elvis
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