Ehrenvorsitz von Konstantinopel

Ostkirchliche Themen.
ieromonach
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Ehrenvorsitz von Konstantinopel

Beitrag von ieromonach »

Man kann den Eindruck haben der Patriarch von Konstntinopel entwickelt sich zu einem Ersatzpapst in der Orthodoxen Kirche. Die "röm. kath. Kirche" sieht im Patriarchen so etwas wie ein Oberhaupt. Es stellt sich die Frage:

Ist der Kanon 28 von Chalkedon noch anwendbar, obwohl der Kaiser -Kaiserstadt- nicht mehr existiert, oder ist der Kanon 28 längst überholt und überflüssig? + P. Theodoros

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Nietenolaf
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Beitrag von Nietenolaf »

Kanon 28 gibt keine "Papstfunktion" her, sondern beschränkt eher noch die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchen (auf [Klein]Asien, Pontus und Thrakien; ähnlich hätte man es seinerzeit beim Papst von Rom formulieren sollen) D.h., der Patriarch setzt die Metropoliten ein und direkt die Bischöfe bei den Barbaren innerhalb dieser drei Diözesen. Dieser Kanon (der im Ursprung kein Kanon, sondern ein ψῆφος war) kann ruhig weiterbestehen. Der Ehre nach bleibt Konstantinopel die erste Kirche. Wenn man die Patriarchen und sonstigen Kirchenoberhäupter der Reihe nach nennt, muß man doch bei einem anfangen.

ieromonach
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Die Sakristei

Beitrag von ieromonach »

So verstehe und lese ich auch den kanon. Doch in der heutigen Zeit scheint es doch anders in der Praxis zu sein. Ich erhoffe hier mehr Meinungen. +pth

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Walter
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Re: Die Sakristei

Beitrag von Walter »

ieromonach hat geschrieben:Ich erhoffe hier mehr Meinungen.
Dazu, lieber Vater Theodor, ist es vielleicht nützlich, den weniger informierten Lesern hier vorzustellen, was der besagte Kanon 28 überhaupt beinhaltet:
„...Wir folgen in allen den Dekreten der heiligen Väter und erkennen den Kanon der hundertfünfzig Bischöfe an..(Anm.: gemeint ist der 3. Kanon des zweiten Ökumenischen Konzils von 381), der soeben verlesen worden ist. So entscheiden und genehmigen wir durch unsere Abstimmung das gleiche bezüglich der Vorrechte der hochheiligen Kirche von Konstantinopel, des neuen Rom. Die Väter haben nämlich dem bischöflichen Stuhl des alten Rom seine Vorrechte zu recht deswegen zugestanden, weil diese Stadt die Kaiserstadt ist. Aus demselben Grund veranlasst haben die hundertfünfzig frommen Bischöfe die gleichen Vorrechte auch dem hochheiligen Stuhl des neuen Rom zuerkannt. Denn mit Recht haben sie es für billig gehalten, dass die Stadt, die durch die Anwesenheit von Kaiser und Senat geehrt wird und die gleichen Vorrechte genießt wie die alte Kaiserstadt Rom, auch in kirchlichen Dingen erhöht wird; so ist sie (die Kirche von Konstantinopel) der Reihe nach an zweiter Stelle nach dem alten Rom. Deshalb sollen aus den Diözesen Pontus, Asien und Thrazien nur die Metropoliten, in den von den Barbaren besetzten Teilen der genannten Diözesen aber auch die Bischöfe durch den heiligen Stuhl von Konstantinopel geweiht werden. Hingegen soll der Metropolit der oben genannten Diözesen zusammen mit den Provinzbischöfen die Bischöfe dieser Provinz weihen, wie es in den Kanones vorgesehen ist. Die Metropoliten dagegen sollen durch den Erzbischof von Konstantinopel geweiht werden, nachdem sie wie üblich einträchtig gewählt sind und die Wahl letzterem (dem Erzbischof von Konstantinopel) zur Kenntnis gebracht ist.“
Nun aber meine Meinung zu deinen Fragen:
ieromonach hat geschrieben:Man kann den Eindruck haben der Patriarch von Konstntinopel entwickelt sich zu einem Ersatzpapst in der Orthodoxen Kirche. Die "röm. kath. Kirche" sieht im Patriarchen so etwas wie ein Oberhaupt.
Man kann den Eindruck haben, derartige "Eindrücke" werden in letzter Zeit von verschiedenen, besonders von außerhalb der Gemeinschaft der Orthodoxen Kirchen stehenden Richtungen in die Welt gestreut, um wiederum den Eindruck der innerorthodoxen Gespaltenheit zu erwecken. Besonders gern wird der Zusammenhang dann derart verdreht, dass der Eindruck entstehen soll, der Patriarch von Konstantinopel stehe dem Papst in Rom in dieser Frage näher als z.B. seinem "Kollegen" in Moskau.
ieromonach hat geschrieben:Es stellt sich die Frage:

Ist der Kanon 28 von Chalkedon noch anwendbar, obwohl der Kaiser -Kaiserstadt- nicht mehr existiert, oder ist der Kanon 28 längst überholt und überflüssig? + P. Theodoros
Diese Frage stellt sich m.E. nun überhaupt nicht (da sind sich wohl Rom, Ökumenisches und russisches Patriachat einig, s. unten), denn die Gültigkeit der Konzilsbeschlüsse ist nicht an politische Konstellationen gebunden. Das sieht man ja am besten an dem Kanon selbst: Hier wird nicht etwa das Ehrenprimat Roms abgeschafft, weil Rom nun nicht mehr Hauptstadt ist, sondern im Gegenteil bestätigt. Allerdings werden dem neuen Rom die gleichen Vorrechte zugesprochen, die einst nur das alte innehatte. Dass sich Moskau vielleicht insgeheim als drittes Rom sieht, ändert daran nichts, denn das wurde (bislang jedenfalls) von keinem ökumenischen Konzil bestätigt (rein theoretisch könnte das natürlich irgendwann beschlossen werden; wohl aber kaum im Einverständnis mit dem ersten Rom).

Der Kanon 28 sagt aber nichts darüber aus, worin die angesprochenen Vorrechte konkret bestehen und wie das Ehrenprimat Roms zu verstehen ist. Auf jeden Fall ist die oft von römischen Medien vertretene Darstellung des Ökumenischen Patriarchen als Vize- oder Ost-Papst falsch, denn es gibt ja sowohl nach orthodoxer wie römischer Lehre keine zwei Kirchen Christi. Allerdings haben die Katholiken wohl das Problem, dass sie den Orthodoxen im 2. Vatikanum zwar zugebilligt haben, Kirche außerhalb der römischen zu sein, sich aber andererseits eine Kirche ohne Papst nicht vorstellen können.

Innerhalb der Orthodoxen Kirche gibt es nun tatsächlich Differenzen, die in einem innerorthodoxen Konzil gelöst werden müssen; z.B. der nun wieder bekannt gewordene Konflikt um die nicht allgemein anerkannte aber vom Ökumenischen Patriarchen begünstigten zweite Kirche von Estland. Das sind aber m.E. keine Fragen der Kirchenlehre: Das Ökumenische Patriarchat verliert leider mehr und mehr des im angestammten kanonischen Territorium und versucht dieses anderswo auszuweiten. Natürlich kann es dadurch auch Interessensüberschneidungen mit anderen autokephalen orthodoxen Kirchen geben.

Ich glaube aber nicht, dass diese Differenzen dazu führen werden, dass sich das Patriarchat von Konstantinopel von den anderen orthodoxen Kirchen abspaltet, um eine Union mit Rom einzugehen. Abschließend noch drei Expertenmeinungen zu deiner Frage, Vater Theodor:

"1. Rom": Prof. Dr. Ferdinand R. Gahbauer, OSB
"2. Rom": Prof. Dr. Grigorios Larentzakis
"3. Rom": Prof. Dr. Hilarion Alfeyev, Bischof von Wien und Österreich
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Nietenolaf
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Re: Die Sakristei

Beitrag von Nietenolaf »

Nur ein paar kurze Anmerkungen zu den von Walter verlinkten "Expertenmeinungen":
Walter hat geschrieben:"1. Rom": Prof. Dr. Ferdinand R. Gahbauer, OSB
  1. Was ist denn das "apostolische Prinzip" des Ehrenprimats, von dem Prof. Gahbauer da schreibt? Meint er (im Falle von Konstantinopel) den Fakt der Erstberufung des Apostels Andreas? Ein solches Prinzip gibt es aber nicht.
  2. Konstantinopel, das "Zweite Rom", ist nicht 1453 durch den Osmanensturm gefallen, sondern 1439 durch die Union mit den Lateinern. Der Osmanensturm wurde überwiegend als äußerer Ausdruck dieses inneren Falls gewertet. (Wollte man den Fall auf 1453 festnageln, hätte man Probleme zu sagen, wann denn äquivalenterweise das Erste Rom gefallen sei. 476? Wohl kaum.)
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Walter hat geschrieben:"2. Rom": Prof. Dr. Grigorios Larentzakis
Die Liste der autokephalen / autonomen Kirchen da ist Ansichtssache, was die Erwähnung von Estland und das Weglassen von Amerika betrifft. Georgien kommt in den Diptychen m.W. auch an sechster, nicht an neunter Stelle.

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Walter
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Re: Die Sakristei

Beitrag von Walter »

Nietenolaf hat geschrieben:Konstantinopel, das "Zweite Rom", ist nicht 1453 durch den Osmanensturm gefallen, sondern 1439 durch die Union mit den Lateinern. Der Osmanensturm wurde überwiegend als äußerer Ausdruck dieses inneren Falls gewertet. (Wollte man den Fall auf 1453 festnageln, hätte man Probleme zu sagen, wann denn äquivalenterweise das Erste Rom gefallen sei. 476? Wohl kaum.)
Ich halte diese "Falltheorie" überhaupt sehr problematisch, ganz gleich, ob man nun 1439 oder 1453 zugrunde legt. 1439 haben zwar Gesandte des Kaisers die Union mit Rom unterzeichnet, sie wurde aber von der byzantinischen Kirche nie angenommen. Über den verantwortlichen Patriarchen wurde das Anathema ausgesprochen, der byz. Kaiser hat darauf hin die Union auch wieder verworfen. Der politische Fall erfolgte dann auch erst unter seinem Nachfolger. Häretische Kaiser und Patriarchen hat es auch schon früher gegeben, das bedeutet aber noch lange kein Fall der Kirche. Anders muss man das aus orthodoxer Sicht im/beim Falle Rom sehen, da dort nach und nach das gesamte Patriarchat in Häresie verfallen ist.

Ansonsten könnte man sich auch fragen, ob inzwischen nicht auch Moskau, das "3. Rom" nach der russischen Revolution, der Ermordung der Zarenfamilie und der Bildung der Auslandskirche "gefallen" sei. Am Ende wäre dann New York das "4. Rom" (als Ersatzkaisertum kann man sich dann gut die ebenfalls dort angesiedelten Vereinten Nationen denken).

PS: Danke für die Ergänzung der Anführungszeichen bei den gesammelten "Expertenmeinungen". Die sollten durchaus auch als kritisierbar anzusehen sein. Ich selbst priorisiere hierbei den Beitrag von Bischof Hilarion.
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