Ernst Jünger

Gespräche über ausgewählte litterarische Texte.
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Ewald Mrnka
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Ernst Jünger

Beitrag von Ewald Mrnka »

Kirchhorst, 20. April 1948

Unangenehme Lektüre. Man druckt jetzt auch in Deutschland Bücher, in denen obszöne Wörter im Klartext stehen - ich meine solche, die man früher nur an den Wänden schlecht beleuchteter Bahnhofsabtritte las.
Das Ausland ist uns darin vorausgegangen, grobschlächtige Amerikaner und Pariser Verbrechercliquen, die den Argot in die Literatur einführten. Ein Zeichen der Auslöschung, des Schwundes mehr. Zugleich ein unheilvolles Signal, das aufgezogen wird. Die Mattanza beginnt.
Der niederträchtige Stil beschränkt sich nicht auf das Buch. Das hieße Ordnung in einer Stadt erwarten, in der man Brunnen und Märkte mit infamen Denkmälern schmückt. Lichtenberg sagt, es brauche nur jemand eine Scheibe an seine Tür zu malen, so würde sich auch jemand finden, der darauf schießt. Bei Sade schließt sich der Zote unmittelbar die Gewalttat an. Sie gibt das Stichwort; der erste Tabubruch ziht alle anderen anderen nach. Vermutlich hat man in unseren Schinderhütten ähnliches erlebt. Erst kommt Entwürdigung durch Worte, dann durch die Tat. Wo der Liberalismus seine äußersten Grenzen erreicht, schließt er den Mödern die Türe auf. Das ist ein Gesetz........."

Tacitus
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Registriert: Montag 20. Juni 2005, 18:50

Beitrag von Tacitus »

Ich bin zwiegespalten.
Einerseits stimme ich Jünger zu. Andererseits kam er selbst aus zwei Erfahrungen der Barbarei, den beiden Weltkriegen nämlich, die er wie kein anderer erlebt und reflektiert hat, und die gerade nicht aus dem Liberalismus erwuchsen.

Wiederum andererseits hat Jünger sich auch davon distanziert: Vom Nationalsozialismus durch sein Buch Auf den Marmorklippen, ein Buch, dessen kalte Atmosphäre den Nationalsozialismus spiegelt, noch deutlicher m.E. aber in seinen Pariser Tagebüchern. Darin beschreibt er - für Theologen interessant - seine Gedanken zur fortlaufenden Lektüre der Bibel (jeden Tag ein Kapitelchen). Man kann ihm also nicht vorwerfen, er habe sich von den Nazis nicht distanziert.

Umstrittener dagegen sein In Stahlgewittern, das für viele eine Verherrlichung des WK I ist. Wie siehst Du das, Ewald? Ich habe dieses Buch ohne Pause "verschlungen". Für mich ist es ein Antikriegsbuch par excellence, noch besser als Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Jünger beschreibt seine Erlebnisse während des Krieges sehr dicht und nahezu unreflektiert. Dies wurde ihm zum Vorwurf gemacht, für mich zeichnet dies das Buch gerade aus. Man erlebt die ersten beschriebenen Schlachten emotional engagiert noch mit, stellt dann bei der Lektüre aber eine gewisse empathische Ermattung fest: noch eine Schlacht und noch eine Schlacht ... So empfindet der Leser während der Lektüre, wie es den Zeitgenossen Jüngers gegangen sein mag: zunehmende Entmenschlichung.

Kurz: Jüngers Kritik, die Du abdruckst, Ewald, stimme ich auch deshalb gerne zu, weil Jünger selbst, obwohl konservativ, auch auf dem rechten Auge nicht blind war.

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Alexander
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Beitrag von Alexander »

Tacitus hat geschrieben: ...die gerade nicht aus dem Liberalismus erwuchsen.
Hm, das stimmt nicht.
Der Erste erwuchs gerade aus dem aufstrebenden Liberalismus (der Wirtschaftsliberalismus blühte und fortderte Märkte), der Zweite erwuchs aus einem Umkippen einer zügellosgewordenen Demokratie (Weimarer Republik) in eine Diktatur.
Herr Gott,
großes Elend ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich erdrücken,
ich weiß nicht ein noch aus.
Gott, sei gnädig und hilf.
Gib Kraft zu tragen, was du schickst,
laß die Furcht
nicht über mich herrschen.
(D. Bonhoeffer)

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Ewald Mrnka
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Beitrag von Ewald Mrnka »

Tacitus hat geschrieben:Ich bin zwiegespalten.
Einerseits stimme ich Jünger zu. Andererseits kam er selbst aus zwei Erfahrungen der Barbarei, den beiden Weltkriegen nämlich, die er wie kein anderer erlebt und reflektiert hat, und die gerade nicht aus dem Liberalismus erwuchsen.

Wiederum andererseits hat Jünger sich auch davon distanziert: Vom Nationalsozialismus durch sein Buch Auf den Marmorklippen, ein Buch, dessen kalte Atmosphäre den Nationalsozialismus spiegelt, noch deutlicher m.E. aber in seinen Pariser Tagebüchern. Darin beschreibt er - für Theologen interessant - seine Gedanken zur fortlaufenden Lektüre der Bibel (jeden Tag ein Kapitelchen). Man kann ihm also nicht vorwerfen, er habe sich von den Nazis nicht distanziert.

Umstrittener dagegen sein In Stahlgewittern, das für viele eine Verherrlichung des WK I ist. Wie siehst Du das, Ewald? Ich habe dieses Buch ohne Pause "verschlungen". Für mich ist es ein Antikriegsbuch par excellence, noch besser als Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Jünger beschreibt seine Erlebnisse während des Krieges sehr dicht und nahezu unreflektiert. Dies wurde ihm zum Vorwurf gemacht, für mich zeichnet dies das Buch gerade aus. Man erlebt die ersten beschriebenen Schlachten emotional engagiert noch mit, stellt dann bei der Lektüre aber eine gewisse empathische Ermattung fest: noch eine Schlacht und noch eine Schlacht ... So empfindet der Leser während der Lektüre, wie es den Zeitgenossen Jüngers gegangen sein mag: zunehmende Entmenschlichung.

Kurz: Jüngers Kritik, die Du abdruckst, Ewald, stimme ich auch deshalb gerne zu, weil Jünger selbst, obwohl konservativ, auch auf dem rechten Auge nicht blind war.
Lieber Tacitus!

Die Sache mit dem Liberalismus sehe ich so wie Alexander; Der Liberalismus öffnet dem Antichristen Tür, Herz, Gemüt und Verstand. Ansonsten stimme ich Dir zu. Ich habe, in Abständen, "In Stahlgewittern" zweimal gelesen und ich bin auch der Ansicht, daß man es als "Antikriegsbuch" auffassen kann, aber nicht unbedingt muß. Es ist für keine Partei vereinnahmbar - ebenso wie die "Marmorklippen". "Kriegsverherrlichend" ist es auf gar keinen Fall. Ich denke, daß man Jünger immer schon die distanzierte objektivierende Betrachtungsweise zum Vorwurf machte. Man will "Bekenner", die totalitäre Herrschaft des Demos will "Ihre" "Bürger" dazu zwingen "Stellung zu beziehen". Daher saß Jünger zwischen allen Stühlen und war gefährdet.

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ottaviani
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Beitrag von ottaviani »

Ernst Jünger entfaltet seine größe erst in seinem Alterswerk "siebzig verweht" er war einer der größen denker und in seiner haltung sehr konsequent was ja auch dazu führte daß er rund um seinen 100 geburstag zum katholischen glauben konvertierte

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Ewald Mrnka
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Registriert: Dienstag 30. November 2004, 11:06

Beitrag von Ewald Mrnka »

Übrigens sind die Nationalsozialisten überhaupt nicht "Rechts". Sie sind, wie alle Sozialisten "Links"; insoferne hat ein Konservativer mit Sozialismus in allen seinen Denominationen nichts zu schaffen. Er lehnt alle Erscheinungen des Sozialisten vehement ab, weil sie ihn gefährden und verfogen. Daß die Nationalsozialisten als echte Sozialisten überdies zum Linksterrorismus neigten, geht ganz offen und ungeschminkt aus dem sog. "Horst-Wesel-Lied" hervor. In "Mein Kampf" wird nicht nur gegen Juden polemisiert und gehetzt - in "Mein Kampf" wird ein klares sozialistisches Programm entwickelt. Konservative, wie Ernst Jünger, hatten mit dem Nationalsozialismus überhaupt nichts gemein. es war der Sozialist Hitler, der den preußisch-schlesichen Landadel dezimierte. Ernst Jünger hätte "auf dem rechten Auge blind" sein können. "Rechts" ist anständig, nobel, aber seit 1789 auf verlorenem Posten.

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Juergen
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Registriert: Mittwoch 1. Oktober 2003, 21:43

Beitrag von Juergen »

1. Die Fahne hoch, das Schmalz ist aufgeschlagen,
die Margarine kostet schon 'ne Mark und zehn.
Uns knurrt immer noch der Proletariermagen,
vom Sozialismus ist noch nichts zu sehn.

2. Wir brauchen Brot, ihr gebt uns Wachparaden
und laßt den braunen Rundfunk auf uns los.
Ihr spielt die Herrn von Euer Gottes Gnaden,
kein Feuerwerk ist euch zu groß.

3. Der Winter kommt, wir haben keine Kohlen,
der Arbeitsdienst zieht uns den Rücken krumm,
und unsre Kinder laufen auf zerrissnen Sohlen
in eurem Gottesgnaden-Reich herum.

4. Einst kommt der Tag, da wird sich uns verkünden,
wer Freiheit liebt und Todesfurcht nicht kennt.
Dann werden wir ein rotes Feuerwerk anzünden,
in dem das ganze Dritte Reich verbrennt.
1. Die Preise hoch,
Die Schnauze fest geschlossen
Hunger marschiert
In ruhig festem Schritt
Hitler und Goebbels
Unsre beiden Volksgenossen,
Hungern im Geist
Mit uns Proleten mit.

2. Im Arbeitsamt
Wird SOS geblasen,
Zum Stempeln stehn
Wir alle Mann bereit.
Statt Brot und Arbeit
Gibt der Führer uns nur Phrasen
Und wer was sagt,
Lebt nur noch kurze Zeit.

3. Die Straße stinkt
Nach braunen Batallionen,
Ein Pöstchen winkt
Dem Sturmabteilungsmann.
Vielleicht verdient als Bonze
Morgen er Millionen,
Doch das geht uns
'nen braunen Scheißdreck an!
Quelle der beiden Versionen, daselbst auch Infos zu den Versionen:
http://ingeb.org/Lieder/diefahne.html


Und nicht zuletzt B. Brecht
Kälbermarsch

Hinter der Trommel her
Trotten die Kälber
Das Fell für die Trommel
Liefern sie selber.
Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen
Das Kalb marschiert mit ruhig festen Tritt.
Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen
Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.

Sie heben die Hände hoch
Sie zeigen sie her
Sie sind schon blutgefleckt
Und sind noch leer.
Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen
Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt.
Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen
Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.

Sie tragen ein Kreuz voran
Auf blutroten Flaggen
Das hat für den armen Mann
Einen großen Haken.
Der Metzger ruft. Die Augen fest geschlossen
Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt.
Die Kälber, deren Blut im Schlachthof schon geflossen
Sie ziehn im Geist in seinen Reihen mit.

Aus: Bertolt Brecht, Gesammelte Gedichte, Band 4 . Frankfurt , Suhrkamp 1978, S. 1219 f.
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Stephen Dedalus
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Registriert: Dienstag 7. September 2004, 15:28

Beitrag von Stephen Dedalus »

Wenn einst dieser herd sich gereinigt von soße
Vom Hackbrett geschleudert die reste von gestern
spürt im patenttopf die hitze des bratens:
Dann wird auf dem backblech voll endloser strudel
Aufzucken der mürbteig.. dann jagen auf touren
Lautdröhnende mixer dann braust durchs gelage
Die schrecklichste schere der dritte der gänge:
Des hummers triumphzug!

Wenn je dieser koch sich aus feigem verlängern
Sein selber erinnert des fonds und der kresse:
Wird sich ihm eröffnen die göttliche auster
Unsagbaren schlürfens.. dann heben sich farcen
Und bravos ertönen zum preise der trüffel
Dann flattert im eischnee mit wahrhaftem duften
Die erdbeer-charlotte und grüßt sich verneigend
Die Esser- die Gäste!

Serenus M. Brezengang
If only closed minds came with closed mouths.

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