Dichter des Vormärz

Gespräche über ausgewählte litterarische Texte.
Stefan

Dichter des Vormärz

Beitrag von Stefan »

Als Vormärz bezeichnet man die Literatur am Vorabend der Revolution von 1848, die sich mit liberalen, später sozialpolitischen, Themen beschäftigt.

Liberales Bürgertum und Studenten reagierten anders als die Mehrheit des Volkes auf die politischen Verhältnisse der Restaurationszeit. Das Bürgertum blieb von der Möglichkeit politischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Soziale Not und Unzufriedenheit mit der politischen Unterdrückung nahmen zu; es kam zu Aufständen und politischen Aktionen (Hambacher Fest 1832) und schließlich 1848 zur Märzrevolution, die zu Reformen (liberale Verfassungen) und in Deutschland zur Wahl der Frankfurter Nationalversammlung führte.

Die Dichter des Vormärz faszinieren mich schon seit langem, da sie als frühe literarische Zeugen der liberalen Idee auftraten. Ich stelle in loser Reihenfolge einige Gedichte vor. Wer möchte, kann sich daran beteiligen, oder auch gerne die Texte diskutieren.

(Ich halte es im übrigen für einfacher, die Threads nicht als News zu pinnen, sondern einfach so thematisch oder nach Dichter zu sortieren. So entsteht allmählich eine schöne Textsammlung.)
Zuletzt geändert von Stefan am Donnerstag 10. Februar 2005, 20:24, insgesamt 1-mal geändert.

Stefan

Beitrag von Stefan »

Georg Herwegh

An die Zahmen



1841


Die ihr im Abendsäuseln schon
Des Herren Spur gewahrt
Und denen er im Kräuseln schon
Der See sich offenbart,
O freut euch eurer Lose,
Und dankt und laßt mich gehn!
Im wilden Sturmgetose,
Im Feuer nur, wie Mose,
Mag ich den Herren sehn!
So einer glücklich, sonn er sich
In Frieden vor dem Haus;
Ich lobe mir den Donner, ich
Des Sinai Gebraus.
Ich fühl's durch alle Nerven,
Durch alle Adern sprühn:
Ich möchte Speere werfen,
Ich möchte Klingen schärfen
Und tatlos nicht verglühn.
Nicht mehr an Blumenhügeln möcht
Ich liegen auf der Wacht,
In eines Streithengsts Bügeln möchte
Ich wiegen mich zur Schlacht,
Nicht mehr im Mondschein wandeln,
Nicht länger schreiben mehr,
Ich möcht nun einmal sandeln,
Ich möcht nun einmal handeln –
Auf! bringt mir Fahnen her!
Laßt endlich das Geleier sein
Und rührt die Trommel nur!
Der Deutsche muß erst freier sein,
Dann sei er Troubadour.
Im Freiheitsfeuertranke
Werd unser Reich erfrischt,
Ihr ewiger Gedanke
Führ unser Schwert, das blanke,
Wenn's in die Feinde zischt!
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Stefan

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Hoffmann v. Fallersleben

Mauskätzchen


"Mauskätzchen; wo bleibst du?
Mauskätzchen, was treibst du?
In unserem Häuschen
Sind schrecklich viel Mäuschen:
Sie pfeifen und rappeln,
Sie trippeln und trappeln
In Kisten und Schränken,
Auf Tischen und Bänken;
Sie stehlen und naschen
Und will man sie haschen:
Wupp! sind sie fort!"

"Du rufst mich, da bin ich!
Sei still, nun beginn ich
Ein Tänzchen mit allen,
Das soll dir gefallen.
Erst sitz' ich,
Dann schleich' ich,
Dann nah' ich,
Dann weich' ich,
Dann leg' ich mich nieder,
Dann heb' ich micht wieder,
Dann schwing' ich mein Schwänzchen
Und schnurre zum Tänzchen,
Wupp! sind sie da!

Sie tanzen im Kreise
Auf närrische Weise,
Hopp heiße! so munter
Hinauf und herunter.
Dann fass' ich beim Ohr sie,
Dann werf' ich empor sie;
Und fallen sie nieder,
Dann fang' ich sie wieder.
Und will dann die Maus doch
Nun endlich ins Mausloch -
Wupp! beiß' ich sie tot!"

Stefan

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Ferdinand Freiligrath

Das Fensterkreuz

Zu Neuhaus in dem Schlosse war's: der Kurfürst hielt ein Jägermahl;
Die Gäste saßen dicht gereiht, und Hörner schmetterten im Saal.
Der Mundschenk goß die Gläser voll, die Diener drängten sich zuhauf,
Es war ein schwüler Sommertag, die Fenster alle standen auf.

Und durch die offnen Fenster rings sah man den kühlen, grünen Wald;
Der Wald, das war zu dieser Zeit des Fürsten liebster Aufenthalt!
In dem vergaß er, hell umtönt von Hirschgeschrei und Rosseshuf,
Den Ärger, den zu Königsberg der böse Landtag dreist ihm schuf.

Ei, dieses starre Königsberg! Ei, dies verwegne Preußenland!
Ei, wie beharrlich und beherzt auf seinen Rechten es bestand!
Und nicht sein Adel bloß! O nein, auch seine Städte sprachen mit!
Wer war's, der die Leibeigenschaft des armen Bauernvolks bestritt?

O frischer, freier Bürgertrotz! O Erbteil, das der Ostsee blieb!
Du sprudelst aus der Flut hervor, mehr als den Brandenburgern lieb!
Wie heute noch der Krone Schein bei deinem Brausen zag erblaßt,
So warst du auch dem Kurhut schon in deiner Freudigkeit verhaßt! -

Der Kurfürst saß beim Jägermahl! Schweinsköpfe dampften, Rheinwein floß!
"Was kümmern mich die Stände heut zu Neuhaus hier auf meinem Schloß?"
Da stapfte klirrend in den Saal ein Reiter mit entblößtem Haupt;
Ein Bote war's von Königsberg, Blut an den Sporen und bestaubt.

Briefschaften knöpft' er aus dem Wams. - Ei, wiederum ein Ostseestreich? -
Der hohe Jäger riß sie auf, er flog sie durch; er wurde bleich.
Auf seiner Stirne zuckt' empor gehemmter Willkür arger Groll:
"Das war dein letzter Widerspruch! Hochnasig Volk, dein Maaß ist voll!

"So wahr ich jetzt den Apfel hier" - und siehe da, vom vollen Tisch
Rafft' er mit ungestümer Hand sich einen Apfel, rot und frisch! -
"So wahr ich den durchs Fenster jetzt fortschleudre weit ins Freie hin,
So wahr noch brech` ich Preußens Trotz, brech` ich der Ostsee Eigensinn!

"So wahr noch soll als Oberherrn mich diese Bernsteinküste sehn!
So wahr noch unterwerf` ich mir dies übermüth'ge Polenlehn!**
So wahr noch -" Und er sprang empor! Ausholt er wild zum Wurfe dann!
Wer mit am Tisch saß, duckte sich und hielt gespannt den Athem an.

Der Apfel flog - fort in den Wald? - Nicht doch, fehl warf die hohe Kur!
Hinflog er sausend durchs Gemach, und - traf das Kreuz des Fensters nur!
Traf's, prallte machtlos dann zurück! - So recht! Nur festen Widerstand!
Laß dir dies Kreuz ein Vorbild sein und einen Trost, mein Vaterland!

*) Georg Wilhelm von Brandenburg, Vater des Großen Kurfürsten, + 1640.
**) Preußen war damals noch Lehen, von der Krone Polen an Kur-Brandenburg gegeben.

Stefan

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Heinrich Heine

Himmelfahrt



Der Leib lag auf der Totenbahr,
Jedoch die arme Seele war,
Entrissen irdischem Getümmel,
Schon auf dem Wege nach dem Himmel.

Dort klopft' sie an die hohe Pforte,
Und seufzte tief und sprach die Worte:
Sankt Peter, komm und schließe auf!
Ich bin so müde vom Lebenslauf -
Ausruehen möcht ich auf seidnen Pfühlen
Im Himmelreich, ich möchte spielen
Mit lieben Englein Blindekuh
Und endlich genießen Glück und Ruh!

Man hört Pantoffelgeschlappe jetztund,
Auch klirrt es wie ein Schlüsselbund,
Und aus einem Gitterfenster am Tor
Sankt Peters Antlitz schaut herovr.

Er spricht: »Es kommen die Vagabunde,
Zigeuner, Polacken und Lumpenhunde,
Die Tagediebe, die Hottentotten -
Sie kommen einzeln und in Rotten,
Und wollen in den Himmel hinein
Und Engel werden und selig sein.
Holla! Holla! Für Galgengesichter
Von eurer Art, für solches Gelichter
Sind nicht erbaut die himmlischen Hallen -
Ihr seid dem leidigen Satan verfallen.
Fort, fort von hier! und trollt euch schnelle
Zum schwarzen Pfuhle der ewigen Hölle« -

So brummt der Alte, doch kann er nicht
Im Polterton verharren, er spricht
Gutmütig am Ende die tröstenden Worte:
»Du arme Seele, zu jener Sorte
Halunken scheinst du nicht zu gehören -
Nu! Nu! Ich will deinen Wunsch gewähren,
Weil heute mein Geburtstag just
Und mich erweicht barmherzige Lust -
Nenn mir daher die Stadt und das Reich,
Woher du bist; sag mir zugleich,
Ob du vermählt warst? Ehliches Dulden
Sühnt oft des Menschen ärgste Schulden;
Ein Ehmann braucht nicht in der Hölle zu schmoren,
Ihn läßt man nicht warten vor Himmelstoren.«

Die Seele antwortet: Ich bin aus Preußen,
Die Vaterstadt ist Berlin geheißen.
Dort rieselt die Spree, und in ihr Bette
Pflegen zu wässern die jungen Kadette;
Sie fließt gemütlich über, wenns regent -
Berlin ist auch eine schöne Gegend!
Dort bin ich Privatdozent gewesen,
Und hab über Philosphie gelesen -
Mit einem Stiftsfräulein war ich vermählt,
Doch hat sie oft entsetzlich krakeelt,
Besonders wenn im Haus kein Brot -
Drau bin ich gestorben und bin jetzt tot.

Sankt Peter rief: »O weh! O weh!
Die Philosophie ist ein schlechtes Metier.
Wahrhaftig, ich begreife nie,
Warum man treibt Philosophie.
Sie ist langweilig und bringt nichts ein,
Und gottlos ist sie obendrein;
da lebt man nur in Hunger und Zweifel,
Und endlich wird man geholt vom Teufel.
Gejammert hat wohl deine Xantuppe
Oft über die magre Wassersuppe,
Woraus niemals ein Auge von Fett
Sie tröstend angelächelt hätt -
Nun sei getrost, du arme Seele!
Ich habe zwar die strengsten Befehle,
Jedweden, der sich je im Leben
Mit Philososophie hat abgegeben,
Zumalen mit der gottlos deutschen,
Ich soll ihn schimpflich von hinnen peitschen -
Doch mein Geburtstag, wie gesagt,
Ist eben heut, und fortgejagt
Sollst du nicht werden, ich schließe dir auf
Das Himmelstor, und jetzo lauf
Geschwind herein -
Jetzt bist du geborgen!
Den ganzen Tag, vom frühen Morgen
Bis abends spät, kannst du spazieren
Im Himmel herum und träumend flanieren
Auf edelsteingepflasterten Gassen.
Doch wisse, hir darfst du dich nie befassen
Mit Philosophie; du würstest mich
kompromittieren fürchterlich -
Hörst du die Engel singen, so schneide
Ein schiefes Gesciht verklärter Freude, -
Hat aber gar ein Erzengel gesungen,
Sei gänzlich von Begeistrung durchdrungen,
Und sag ihm, daß die Malibran
Niemals besessen solchen Sopran -
Auch applaudiere immer die Stimm
Der Cherubim und er Seraphim,
Vergleiche sie mit Signor Rubini,
Mit Mario und Tamburini -
Gib ihnen den Titel von Excellenzen
Und knicktre nicht mit Reverenzen.
Die Sänger, im Himmel wir auf Erden,
Sie wollen alle geschmeichelt werden -
Der Weltkapellenmeister hier oben,
Er selbst sogar, hört gerne loben
Gleichfalls seine Werke, er hört es gern,
Wenn man lobsingest Gott dem Herrn
Und seinem Preis und Ruhm ein Psalm
Erklingt im dicksten Weihraumqualm.
Vergiß mich nicht. Wenn dir die Pracht
Des Himmels einmal Langweile macht,
So komm zu mir; dann spielen wir Karten.
Ich kenne Spiele von allen Arten,
Vom Lanzknecht bis zum König Pharo.
Wir trinken auch - Doch apropos!
Begegnet dir von ungefähr
Der liebe Gott, und fragt dich: woher
Du seiest? so sage nicht aus Berlin,
Sag lieber aus München oder aus Wien.«

Stefan

Beitrag von Stefan »

Ferdinand Freiligrath

Trotz alledem!


Nach Robert Burns
(Aus "Ein Glaubensbekenntnis", 1844)



Ob Armut euer Los auch sei,
Hebt hoch die Stirn, trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt's, arm zu sein trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz niederm Plack und alledem,
Der Rang ist das Gepräge nur,
Der Mann das Gold trotz alledem!

Und sitzt ihr auch beim kargen Mahl
In Zwilch und Lein und alledem,
Gönnt Schurken Samt und Goldpokal -
Ein Mann ist Mann trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Prunk und Pracht und alledem!
Der brave Mann, wie dürftig auch,
Ist König doch trotz alledem!

Heißt »gnäd'ger Herr« das Bürschchen dort,
Man sieht's am Stolz und alledem;
Doch lenkt auch Hunderte sein Wort,
's ist nur ein Tropf trotz alledem!
Trotz alledem und alledem!
Trotz Band und Stern und alledem!
Der Mann von unabhängigem Sinn
Sieht zu, und lacht zu alledem!

Ein Fürst macht Ritter, wenn er spricht,
Mit Sporn und Schild und alledem:
Den braven Mann kreiert er nicht,
Der steht zu hoch trotz alledem:
Trotz alledem und alledem!
Trotz Würdenschnack und alledem -
Des innern Wertes stolz Gefühl
Läuft doch den Rang ab alledem!

Drum jeder fleh', daß es gescheh',
Wie es geschieht trotz alledem,
Daß Wert und Kern, so nah wie fern,
Den Sieg erringt trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Es kommt dazu trotz alledem,
Daß rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht trotz alledem!


St. Goar, Dezember 1843

Stefan

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Georg Herwegh

Achtzehnter März



Achtzehnhundert vierzig und acht,
Als im Lenze das Eis gekracht,
Tage des Februar, Tage des Märzen,
Waren es nicht Proletarierherzen,
Die voll Hoffnung zuerst erwacht
Achtzehnhundert vierzig und acht?
Achtzehnhundert vierzig und acht,
Als du dich lange genug bedacht,
Mutter Germania, glücklich verpreußte,
Waren es nicht Proletarierfäuste,
Die sich ans Werk der Befreiung gemacht
Achtzehnhundert vierzig und acht?
Achtzehnhundert vierzig und acht,
Als du geruht von der nächtlichen Schlacht,
Waren es nicht Proletarierleichen,
Die du, Berlin, vor den zitternden, bleichen
Barhaupt grüßenden Cäsar gebracht
Achtzehnhundert vierzig und acht?
Achtzehnhundert siebzig und drei,
Reich der Reichen, da stehst du, juchhei!
Aber wir Armen, verkauft und verraten,
Denken der Proletariertaten -
Noch sind nicht alle Märze vorbei,
Achtzehnhundert siebzig und drei.
(Eigentlich ein Nachmärz Gedicht ;) )

Stefan

Beitrag von Stefan »

Heinrich Heine

Doktrin


Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschiere trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegelsche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit,
Und weil ich ein guter Tambour bin.

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Hämburger

Beitrag von Alexander »

Herr Gott,
großes Elend ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich erdrücken,
ich weiß nicht ein noch aus.
Gott, sei gnädig und hilf.
Gib Kraft zu tragen, was du schickst,
laß die Furcht
nicht über mich herrschen.
(D. Bonhoeffer)

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