"Neue Gnostiker"

Sonstiges und drumherum.
Coturnix
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Registriert: Sonntag 3. August 2014, 23:12

"Neue Gnostiker"

Beitrag von Coturnix »

Bin in den letzten Wochen auf ein sehr ulkiges Phänomen gestoßen. In den USA kommt es in den letzten Jahren immer wieder zur Gründung von sogenannten "gnostischen Kirchen". Auf den (aller!)ersten oberflächlichen Blick könnte man das sogar für "seriös" halten. Die Kirchen tragen traditionell anmutende Namen wie "Gnostic Church of Alexandria", "Oriental apostolic Church of Damcar", "Apostolic Johannite Church". Die Priester und Bischöfe tragen in der Regel ein Collarhemd, man behauptet in apostolischer Sukzession zu stehen, das Herzensgebet zu pflegen, hat 7 Sakramente und feiert einen östlichen (alexandrinischen?) Ritus. So weit so gut, man mag das zunächst für irgendwelche ostkirchlichen Sekten halten, von denen man bisher noch nichts gehört hat. Dann bemerkt man, dass sie sich neben Origenes, Clemens von Alexandrien und anderen Kirchenschriftstellern auch auf bekannte Häretiker wie Valentian berufen (dessen Lehren sie aus Irenäus von Lyon zu rekonstruieren versuchen) und sogar sehr dilletanische Ikonen von diesen Häretikern anfertigen. Blickt man noch näher hin, sieht man schnell, dass das mit historischem Christentum überhaupt nichts mehr zu tun hat. In wirklichkeit handelt es sich wohl um eine Art "New Age"-Verein. Gelesen werden neben der Bibel (die nur allegorisch verstanden wird), vor allem die Nag Hammadi Schriften und pseudo-wissenschaftliche Publikationen dazu. Ebenfalls scheint die moderne Horror und Fantasyliteratur einen gewissen Einfluss auf diese Gruppen auszuüben und sie in ihrer "Spiritualität" zu prägen, auch feministische Autoren werden hinzugezogen. Bezeichnenderweise ist fast jedes Mitglied "Priester" oder "Bischof" (Selbstverständlich gibt es Frauenordination).

Hier ein paar Links:
http://church-of-damcar.org/
https://www.youtube.com/channel/UCAVhkM ... CypYbB6aZw

Warum ich auf dieses Phänomen hinweise weiß ich selber nicht genau. Man mag sagen, dass es sich einfach um einen kleinen Haufen Spinner handelt, die man nicht weiter beachten müsste. Ich denke aber, dass solche Bewegungen in Wirklichkeit sehr aufschlussreich sind im Bezug auf die Mentalität einer modern-westlichen Kultur, die jede Verbindung zur Tradition zusammen mit dem dazugehörigen historischen Bewusstsein aufgegeben hat und sich nun mit Hilfe einer Synthese aus Synkretismus und Archäologismus aus diesem Dilemma zu helfen versucht. Die Folge ist zu sehen: Der Rückzug ins Eigene, Private (Suche nach Innerlichkeit, eine falsch verstandene "Theosis"), eine Aufgabe der Vernunft in der Zuwendung zur Pseudowissenschaft (Abwendung vom wahren Logos) und damit einhergehend die Zersplitterung in tausend Kirchen. Ich glaube es ist auch symptomatisch, dass solche Gruppen vor allem (zunächst!) in der Neuen Welt entstehen, wo ich oft eine weniger ausgeprägte Bindung zur Geschichte erlebt habe, als es sie (noch) in der Alten Welt gibt, wenngleich das auch hier zu verloren gehen droht.