Juergen hat geschrieben:Das geht so weit, daß Eltern Anwälte einschalten, wenn sie meinen, ihrer faulen Blagen hätte im Zeugnis zu schlechte Noten bekommen.
Rechtstipps gibt's vom Anwalt, denn Schuld sind ja die Lehrer und Klagen geht immer – zumindest kann man es mal versuchen. Die Drohung schüchtert dann die Lehrer schon genug ein…
Das könnte schon stimmen. In vielen Fällen. Allerdings nur bei denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Noten nur unvollständig oder unzureichend dokumentiert und festgestellt haben. Wenn ich - auch nur eine mündliche Überprüfung - vorschriftsmäßig im Klassenbuch dokumentiert habe (dazu genügt ein Vermerk,
dass dies geschah, nicht einmal unbedingt, bei
wem --> Datenschutz!) und die festgestellte Leistung mit Datum selbst dokumentiert wurde, schriftliche Leistungen hingegen mit einer vollen Punktevergabetabelle (also: wofür gibt es wieviele Punkte - und wofür werden wofür wieviele abgezogen?) nachvollzogen werden können (im Idealfall beschließt so etwas sowieso die Fachkonferenz der Schule, man muss sich halt auch dran halten), schmettert jeder Justitiar eines Schulamtes eine etwaige Klage sofort ab. Was viele Lehrer nicht realisieren, ist die Tatsache, dass es juristisch eigentlich fast immer nur um die Vermeidung von Verfahrensfehlern geht; in diesem Fall um Verfahrensfehlern in dem ungeliebten Teil der Pädagogik, die halt die Verwaltung ausmacht.
Aber es gibt auch eine andere Seite. Der menschenfeindliche Pauker von früher gehört eher zur aussterbenden Art. Vielfach - leider besonders immer öfter bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen zu beobachten - sehen viele ihren Beruf nicht mehr als Berufung, sondern als "Job". Als Lehrer bin ich in einer spannungsreichen Rolle tätig: Einerseits versuche ich als Lehrer, als Klassenlehrer sowieso, mich in die Schüler hineinzuversetzen; wie denken sie, wie kann ich es schaffen, dass ich Analogien finde, die sie ihrem Alltag, Können und Wissen entsprechend nachvollziehen können. Ein gewisser "Vorschuss" an Wohlwollen ist hier nicht nur pädagogischer Impetus, sondern notwendig (Empathie). Diese Rolle nenne ich den "Rechtsanwalt" der Schüler. Ich "haue sie raus", wenn sie Schwierigkeiten haben. Andererseits bin ich in Prüfungssituationen der "Staatsanwalt", darf eben in dieser speziellen Situation nicht helfen, um das Ergebnis der Leistungsmessung nicht zu verfälschen. Viele, die den Lehrerberuf nur als "Job" verstehen, oder einfach nur "locker" rüberkommen wollen, kommen mit dieser Doppelrolle nicht mehr zurecht. Es zerreißt sie buchstäblich. Einige halten "Liebesentzug" von Schülerseite auch nicht aus, zerbrechen vielleicht sogar daran und fallen auf dem schmalen Grat von "Nähe und Distanz" auf einer Seite herunter. Natürlich gibt es auch die armen Würstchen, die sich ihre Portion Selbstbestätigung von den Schülern holen wollen. Ich hatte selbst solche Lehrer, meist waren es Lehrerinnen. Unpassend gekleidet, tiefer Ausschnitt, überbetonte weibliche Kleidung (Stöckelschuhe), möglicherweise kein BH darunter und schon hören die pubertierenden Jungs gebannt zu. Oder umgekehrt: Der Typ Junglehrer mit Schmalzlocke, lockerem Auftreten, durchtrainiertem Körper und Komplimente an Schülerinnen verteilend. In beiden Fällen sehen diese Kolleginnen bzw. Kollegen spätestens mit 50 wirklich sprichwörtlich
"alt" aus. Tragisch sind diese Fälle allemal und nicht selten ergeben sich aus solchen Konstellationen sehr dramatische Dynamiken (s.
"Spieltrieb" von
Juli Zeh). Unparteiisch urteilen können solche Lehrer in beiden Fällen nicht mehr; gut möglich, dass dann z.B. bei Prüfungen die Angst vor der etwaigen Aufdeckung von Ungereimtheiten oder Unzulänglichkeiten größer ist als die Gewissenhaftigkeit.