Ildefons Schuster, Liber Sacramentorum II, übersetzt von Richard Bauersfeld, Regensburg 1929, S. 185 – 188, hat geschrieben: DIE HL. UNSCHULDIGEN KINDER, MARTYRER
Stationskirche: St. Paul vor den Mauern
Heute wird die Stationsfeier in St. Paul begangen, teils weil nach alter Tradition hier Reliquien der Unschuldigen Kinder ruhen, teils weil die alte Liturgie in feinem Gefühle die hohen Kirchenfeste gern an den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus feierte. So hielt man es an den drei Sonntagen vor der Fastenzeit, bei den Taufskrutinien, zu Ostern, Pfingsten und so auch in der Weihnachtszeit. Möglicherweise ist die heutige Statio in St. Paul, nach dem Weihnachtsfeste in St. Peter, eine letzte Erinnerung an das alte Fest der beiden Apostelfürsten, von dem einige Kalender und Festverzeichnisse der Ostkirche aus dem 4. Jahrhundert Kunde geben.
Zu welcher Zeit die römische Kirche das Fest der Unschuldigen Kinder in seinen Kalender aufgenommen hat, läßt sich nicht genau feststellen. Das Fest erscheint jedoch bereits unter dem heutigen Datum im Kalender der Kirche von Karthago (5.-6. Jahrhundert) und im Leonianum und Gelasianum, während die Syrer es auf den 23. September verlegen. Sicher findet sich das Gedächtnis der unschuldig von Herodes getöteten Kinder schon früh im Gefolge des Weihnachtsfestes und machte den 29. Dezember zu einem Buß- und Trauertage in Rom. Nach den Ordines trug der Papst und seine Assistenten heute Paramente von violetter Farbe, Diakon und Subdiakon die bei Prozessionen üblichen Pänulen. Der Papst bediente sich überdies nur der einfachen, weißen Mitra. Bei der Matutin unterblieb das Te Deum, bei der Messe Gloria und Alleluja, außer am Sonntage. Die Gläubigen enthielten sich von Fleisch und mit Fett zubereiteten Speisen. Im 15. Jahrhundert feierte der päpstliche Hof das heutige Fest noch in der päpstlichen Kapelle, wobei eine Predigt des Tagesereignisses gedachte, dann aber hörte allmählich, wie der 14. und 15. Ordo bezeugen, die altgewohnte Feier auf. Möglicherweise wählte man St. Paul als Stationskirche, weil der hl. Paulus durch seine Abstammung aus dem Stamme Benjamin in Beziehung stand zu Rachel, die um ihre Kinder klagt. In ähnlicher Weise hatte man ja auch gestern den Evangelisten von Ephesus gefeiert in der Basilika, die an das Konzil von Ephesus erinnert. So befinden wir uns also im Hause der unschuldigen Opfer.
INTROITUS (Ps 8,3). Mit den Worten des Introitus wies Jesus einst den Vorwurf der Hohenpriester zurück, er habe sich im Tempel von den Kindern als Messias begrüßen lassen. „Habt ihr denn nie gelesen: Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen läßt du dein Lob verkünden?“ [Mt 21,16] ℣. (Ps 8, 2).
KOLLEKTE. Die heiligen Blutzeugen haben heute Gott nicht durch Worte, sondern durch ihren Opfertod verherrlicht. Wir bitten, Gott möge in uns jede böse Leidenschaft ertöten, damit der Glaube, den wir mit dem Munde bekennen, Werke des Lebens hervorbringe.
In der LESUNG (Apc 14,1-5) hören wir von den 144000 Jungfrauen, welche dem jungfräulichen Bräutigam im Himmel das Hochzeitslied singen. Diese Worte wurden im Mittelalter ganz mißverstanden. Man sah in der rein symbolischen Zahl für die 12 Stämme Israels, unter denen das Gotteslamm seine Lilien pflückte, die Zahl der unschuldigen Opfer von Bethlehem. So viele Opfer waren es aber unmöglich, auch wenn in der Stadt Davids und ihrer Umgebung noch so viel Blut vergossen worden wäre: Die Liturgie hat an diesem Mißverständnis keinen Anteil, nur eine grobe Auslegung des hl. Textes konnte zu dieser falschen Auffassung führen.
Das GRADUALE (Ps 123,7-8) gehört zu den Blüten der Martyrerliturgie. „Unsere Seele ist wie der Sperling entronneu der Schlinge des Voglers. ℣. Der Strick ist zerrissen, wir sind frei. Hilfe ward uns im Namen des Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat.“
Am Sonntag und am Oktavtag der Allelujavers (Ps 112, 1): „Lobt, ihr Knäblein, den Herrn, lobt den Namen des Herrn.“
An den andern Tagen statt des Allelujaverses der TRAKTUS (Ps 87,3.10), welcher die schreckliche Verwüstung des Judenlandes schildert. „Sie haben das Blut deiner Heiligen wie Wasser ausgegossen rings um Jerusalem. ℣. Und keiner war, der sie begrub. ℣. Räche, Herr, das Blut deiner Heiligen, das vergossen ward über die Erde hin.“
EVANGELIUM (Mt 2,13-18). Die Flucht der hl. Familie nach Ägypten und der Kindermord von Bethlehem. Wie arm ist menschliche Klugheit! Sie wähnt Gottes Wege zu durchkreuzen und dient doch nur den Plänen der göttlichen Vorsehung. Herodes will den neugeborenen Messias töten und schickt statt seiner eine Schar unschuldiger Kinder in die Vorhölle, um die Menschwerdung Jesu dort zu verkünden. Das Jesuskind aber wird Licht und Segen für das Land Ägypten.
OFFERTORIUM (Ps 123,7), gleich dem Graduale. Die Opfer der herodianischen Verfolgung sind in den Himmel entflogen, ohne den Grund ihres wunderbaren Himmelsfluges zu ahnen. Gottes Wort zerriß das Netz, und sie flogen wie Vöglein hinweg, die in der Schlinge gefangen waren.
SEKRET: Nie möge uns Gott die Fürsprache seiner Heiligen versagen, durch welche unsere Opfergaben ihm angenehm werden und wir Verzeihung erlangen.
COMMUNIO (Mt 2,18). Bitterlich klagt Rachel in Rama und will sich nicht trösten lassen, weil ihre Söhne in die Knechtschaft abgeführt wurden. [Jer 31,15] Der Evangelist sieht in diesem Ereignis den Tod der unschuldigen Kinder vorgebildet, deren Ermordung von größerer Grausamkeit zeugt als die Zerstörung Jerusalems.
POSTCOMMUNIO: Wir haben teilgenommen am Opfer, welches das Gedächtnis der unschuldigen Kinder feiert. Ihr Gebet verleihe uns Kraft im gegenwärtigen Leben und die ewige Glorie im Himmel.
Menschen, die uns Böses zufügen, müssen wir mit den Augen des Glaubens betrachten und ihnen mit größter Dankbarkeit begegnen. Sie sind das Messer in der Hand des göttlichen Arztes, mit dem er an der Seele den schmerzlichen Schnitt vornimmt, den wir selbst nicht zu machen wagen.