Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung:
CIC hat geschrieben:Can. 332 — § 1. Volle und höchste Gewalt in der Kirche erhält der Papst durch die Annahme der rechtmäßig erfolgten Wahl zusammen mit der Bischofsweihe. Deshalb besitzt ein zum Papst Gewählter, der schon die Bischofsweihe empfangen hat, diese Gewalt vom Augenblick der Wahlannahme an. Wenn der Gewählte noch nicht Bischof ist, ist er sofort zum Bischof zu weihen.
§ 2. Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, daß der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, daß er von irgendwem angenommen wird.
Wenn ich mir diese Passage durchlese, dann bekomme ich Zweifel, ob der dort erwähnte Amtsverzicht tatsächlich in dem Sinne gemeint ist, wie er nun von Papst Benedikt ausgeübt wurde.
Man könnte Absatz 2 auch so verstehen, dass er sich nur auf den Akt der rechtmäßig erfolgten Wahl bezieht. Denn nach dem Wortlaut wird ein Papst bereits mit der Wahl Papst und nicht erst mit der Annahme. Die Annahme der Wahl sorgt nur noch dafür, dass er dadurch die volle und höchste Gewalt in der Kirche erhält.
Damit ergäbe der Absatz 2 erst den Sinn, dass damit der Verzicht nach rechtmäßiger Wahl anstatt der Annahme regelt. Der Verzicht dürfte dann nur aus freien Stücken erfolgen. Liest man den Paragraphen so, dann ergibt es auch einen Sinn, dass Can. 332 und alle folgenden Canonices keinerlei Ausführungen zum "Rücktritt" eines Papstes enthalten.
Wäre dem so, dann bliebe Benedikt Papst auf Lebenszeit, er hätte in einer kirchenrechtlichen Frage geirrt, und mit der zu erwartenden Neuwahl eines Papstes hätten wir einen Gegenpapst - was voraussichtlich unproblematisch wäre, weil Benedikt dies offenkundig dulden würde. Allein dogmatische Entscheidungen des "Gegenpapstes" wären nicht unfehlbar. Ihm wäre also anzuraten, zu Lebzeiten Benedikts davon abzusehen.
Can. 335 — Bei Vakanz oder völliger Behinderung des römischen Bischofsstuhles darf in der Leitung der Gesamtkirche nichts geändert werden; es sind aber die besonderen Gesetze zu beachten, die für diese Fälle erlassen sind.
Diese Passage wäre so nicht erforderlich, wenn die völlige Behinderung des römischen Bischofsstuhles ein "Verzichtsgrund" wäre. Benedikt hätte also getrost weiterregieren können, ohne Verzicht, und, falls es so kommt, trotz einer Demenz sicher sein können, dass die Kirche weiterbesteht.
CIC hat geschrieben:Can. 27 — Die Gewohnheit ist die beste Auslegerin der Gesetze.
Dies untermauert, dass Canon 332 nicht dazu geeignet ist, als Rücktrittsklausel genutzt zu werden, denn es gibt diese Gewohnheit eines Papstrücktritts nicht.
CIC hat geschrieben:Can. 402 — § 1. Der Bischof, dessen Amtsverzicht angenommen wurde, erhält den Titel Emeritus seiner Diözese und kann, wenn er es wünscht, den Wohnsitz in dieser Diözese behalten, wenn nicht vom Apostolischen Stuhl in bestimmten Fällen wegen besonderer Umstände etwas anderes vorgesehen wird.
In analoger Auslegung wäre Papst Benedikt - unabhängig vom vorher geschriebenen, Emeritus der Diözese Rom. Es ist auch sein Wunsch, seinen Wohnsitz in der Diözese zu behalten.
Das könnte alles noch heikel werden.