Lügen - wann erlaubt?

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Reinhard
cum angelis psallat Domino
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von Reinhard »

Ja, wenn ich ein formaler Korinthenkacker wäre, müsste ich das, oder ich müsste verzweifeln.

So aber sehe ich den Gesamtzusammenhang der Begegnung oder des Gesprächs, und da fühlen sich die Emmaus-Jünger in keinster Weise betrogen, als sie merken, dass Er das nur zum "Test" so gesagt hat. (das wäre vielleicht überhaupt eine gute Nagelprobe !)

Übrigens habe ich diese Art der Argumentation schon oft und gerne von Menschen aus diesem Kulturraum gehört, sowohl bei Gesprächspartnern jüdischer wie auch arabischer Herkunft. Da war es ganz normal, zwecks Provokation oder als Herausforderung eine Aussage in den Raum zu stellen, die man so gar nicht meint. Aber im Lauf des Gesprächs wird ja dann immer klar, wie die Aussage gemeint war. Von Irreführung ist also überhaupt keine Rede, auch wenn der Einzelsatz formal-logisch "unwahr" ist.

Ich fürchte, bei der Einengung auf die formal-logische Ebene liegt der Fehler genau in dieser Einengung !

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ChrisCross
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von ChrisCross »

Reinhard hat geschrieben:Ja, wenn ich ein formaler Korinthenkacker wäre, müsste ich das, oder ich müsste verzweifeln.

So aber sehe ich den Gesamtzusammenhang der Begegnung oder des Gesprächs, und da fühlen sich die Emmaus-Jünger in keinster Weise betrogen, als sie merken, dass Er das nur zum "Test" so gesagt hat. (das wäre vielleicht überhaupt eine gute Nagelprobe !)

Übrigens habe ich diese Art der Argumentation schon oft und gerne von Menschen aus diesem Kulturraum gehört, sowohl bei Gesprächspartnern jüdischer wie auch arabischer Herkunft. Da war es ganz normal, zwecks Provokation oder als Herausforderung eine Aussage in den Raum zu stellen, die man so gar nicht meint. Aber im Lauf des Gesprächs wird ja dann immer klar, wie die Aussage gemeint war. Von Irreführung ist also überhaupt keine Rede, auch wenn der Einzelsatz formal-logisch "unwahr" ist.

Ich fürchte, bei der Einengung auf die formal-logische Ebene liegt der Fehler genau in dieser Einengung !
Die Emmaujünger könnten sich auch nur betrogen fühlen, wenn sie deiner These anhängen würden. Ansonsten gibt es keinen Betrug. Gesagt wurde übrigens nicht unbedingt etwas. Mir kam es auf die Gestik an, die du auch zur Lüge zählst. Im übrigen darf man auch zu Testzwecken keine Lügen erzälen. Auch da würde der Zweck die Mittel heligen müssen.
Ebenso steht es um die Brüder Jesu, bei denen man sicher keine Argumentation vorraussetzen kann, soweit es uns der Evagelist berichtet. Es kann sich also kaum um ein von dir beschriebenes rhetorisches Mittel handeln.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

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Pelikan
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von Pelikan »

Melody hat geschrieben: Wie gesagt, dem Wortlaut (und wohl auch Jone nach) ist sowas keine Lüge.
Für mich ist es eine.
Und im Prinzip hat mich interessiert, wie es diejenigen hier einstufen, die die Autorität ihres Gewissens bzw. den gesunden Menschenverstand bei derlei Fragen gegenüber Moralhandbüchern bevorzugen. :)
Du vermischst zwei Ebenen. Bei der rein abstrakten Frage, ob es sich um eine Lüge handelt, kann dir dein Gewissen nicht helfen, denn es ist eine praktische Instanz. Deine Gewissensbisse implizieren, daß du Xyz' Gründe, Abc in die Irre zu führen, nicht teilst oder billigst. Daher darfst du es auch nicht tun; nicht, weil es "für dich" eine Lüge wäre (es ist keine), sondern weil niemand gegen sein Gewissen handeln darf.

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taddeo
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von taddeo »

Pelikan hat geschrieben:... weil niemand gegen sein Gewissen handeln darf.
Das halte ich für Unsinn, mit Verlaub.

Wenn mir mein "Gewissen" nach eingehender Beschäftigung mit einer Sache sagt "das und das KANN nicht richtig sein", aber die Lehre der Kirche zu exakt dieser Sache sagt seit Urzeiten "DOCH, das IST richtig", dann muß ich davon ausgehen, daß mein Gewissen irrt - und gegen mein Gewissen handeln.

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Clemens
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von Clemens »

Zu den Emmausjüngern:
Wenn ein Orientale einen zum Essen einlädt (wozu ihn die Höflichkeit verpflichtet), ist es die Höflichkeitspflicht des Eingeladenen, erstmal abzulehnen und abzuwarten, ob die Einladung noch ein paarmal wiederholt wird. Erst dann ist sie nämlich ernst gemeint.

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Pelikan
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Re: Lügen - wann erlaubt?... Widerspruch zum Katechismus?

Beitrag von Pelikan »

taddeo hat geschrieben:
Pelikan hat geschrieben:... weil niemand gegen sein Gewissen handeln darf.
Das halte ich für Unsinn, mit Verlaub.

Wenn mir mein "Gewissen" nach eingehender Beschäftigung mit einer Sache sagt "das und das KANN nicht richtig sein", aber die Lehre der Kirche zu exakt dieser Sache sagt seit Urzeiten "DOCH, das IST richtig", dann muß ich davon ausgehen, daß mein Gewissen irrt - und gegen mein Gewissen handeln.
Ich hatte mich extra hinreichend allgemein ausgedrückt, um den Gewissensirrtum hier nicht zu problematisieren. Wir haben bestimmt schon irgendeinen Thread dafür.

Dein Einwurf vermengt zunächst die positiven und negativen Gebote, die nicht mit derselben Unmittelbarkeit binden (vgl. Veritatis Splendor, 52), weil allein letztere unter allen Umständen erfüllbar sind.

Weiterhin verwirrt er die zeitlichen Abfolgen in der Findung eines Gewissensurteils. Die Pflicht, das Gewissen nach der Lehre der Kirche fortzubilden, besteht vor dem Urteil im konkreten Einzelfall. Ist es einmal gefällt, bindet das Urteil, ohne zu entschuldigen, falls es fehlgeht. Ich hielt das für selbstverständlichen theologischen Konsens, zitiere aber, falls ein Mißverständnis vorliegt, auch gern noch aus dem Artikel von Kardinal Ratzinger zum Thema, der einige Verbreitung erfahren hat (und online offenbar nur in englischer Sprache und fußnotenlos lizenziert ist):
Joseph Ratzinger hat geschrieben:Auf dieser Ebene, der Ebene des Urteilens (Conscientia im engeren Sinn), gilt, dass auch das irrige Gewissen bindet. Dieser Satz ist aus der rationalen Tradition der Scholastik heraus völlig klar. Niemand darf gegen seine Überzeugung handeln, wie es schon der hl. Paulus gesagt hatte (Röm 14, 23). Aber dass die gewonnene Überzeugung selbstverständlich im Augenblick des Handelns bindet, bedeutet keine Kanonisierung der Subjektivität. Es ist nie Schuld, der gewonnenen Überzeugung zu folgen - man muss es sogar. Aber es kann sehr wohl Schuld sein, dass man zu so verkehrten Überzeugungen gelangt ist und den Widerspruch der Anamnese des Seins niedergetreten hat. Die Schuld liegt dann woanders, tiefer: nicht in dem jetzigen Akt, nicht in dem jetzigen Gewissensurteil, sondern in der Verwahrlosung meines Seins, die mich stumpf gemacht hat für die Stimme der Wahrheit und deren Zuspruch in meinem Innern.
Die Fußnote verweist auf ST I-II q.19 a.5&a.6, wo Thomas zum selben Schluß gelangt (und auch entfaltet, inwiefern eine objektiv gute Tat umständehalber böse sein kann, wenn ein irrender Verstand sie als böse erfaßt).

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