Befreiungstheologie

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Pilgerer
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

Wie lässt sich eine Grenze ziehen zwischen der Befreiungstheologie und der katholischen Soziallehre? Wie "sozial" darf die katholische Soziallehre interpretiert werden und ab wann wird sie zur Befreiungstheologie?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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phylax
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von phylax »

Oswald von Nell-Breuning hat geschrieben (Texte zur Kath. Soziallehre,Einleitung; 4.Aufl. Köln,1977):
Soziallehre,..d.i. die Lehre darüber, wie wir unser Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft verstehen, einzurichten und zu ordnen und wie wir uns als große und kleine gesellschaftliche Gruppen , aber als auch als einzelne in der Gesellschaft zu verhalten haben. - Zu allen Zeiten hat die Kirche..... auch Belehrung erteilt über das rechte sittlich geordnete Verhalten in der Gesellschaft....(Ende des Zitats).
Nell-B. führt im folgenden aus, daß die Kath. Soziallehre STellung zu nehmen hat zu den Lehrmeinungen und Entwicklungen moderner wirtschaftlicher und anthropologischer WIssenschaften. Dabei sind die Sozialenzykliken der Päpste wesentliche Grundlage.
Befreiungstheologie ist m.E. eben eine andere "THeologie". Sie betont den sozialen Charakter der Botschaft Jesu, wobei es bekanntlich nach Meinung des Vatikan zu einer Verkürzung dieser Botschaft kam
Von Gott kommt mir ein Freudenschein,/ wenn Du mich mit den Augen Dein/ gar freundlich tust anblicken

Pilgerer
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

Ist das Eintreten für staatliche Armenfürsorge - wenn es von Katholiken erfolgt - eher im Sinn der Soziallehre oder im Sinn der Befreiungstheologie? Die Soziallehre kann u.U. eine staatliche Sozialpolitik begründen und hat es in der Vergangenheit tatsächlich getan. Wie wäre hier die Position der Befreiungstheologie im Vergleich zur katholischen Soziallehre?
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Sempre
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Sempre »

Pilgerer hat geschrieben:Ist das Eintreten für staatliche Armenfürsorge - wenn es von Katholiken erfolgt - eher im Sinn der Soziallehre oder im Sinn der Befreiungstheologie? Die Soziallehre kann u.U. eine staatliche Sozialpolitik begründen und hat es in der Vergangenheit tatsächlich getan. Wie wäre hier die Position der Befreiungstheologie im Vergleich zur katholischen Soziallehre?
Die Befreiungstheologie propagiert einen basisdemokratischen, genossenschaftlichen Sozialismus, in dem wirtschaftliche Chancengleichheit zwischen den Industriemetropolen und den Peripherien (auch international: entwickelte Länder versus Entwicklungsländer) erzwungen wird. Die meisten Befreiungstheologen bevorzugen die Dependenztheorie.

Gruß
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Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Pilgerer
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

Sempre hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Ist das Eintreten für staatliche Armenfürsorge - wenn es von Katholiken erfolgt - eher im Sinn der Soziallehre oder im Sinn der Befreiungstheologie? Die Soziallehre kann u.U. eine staatliche Sozialpolitik begründen und hat es in der Vergangenheit tatsächlich getan. Wie wäre hier die Position der Befreiungstheologie im Vergleich zur katholischen Soziallehre?
Die Befreiungstheologie propagiert einen basisdemokratischen, genossenschaftlichen Sozialismus, in dem wirtschaftliche Chancengleichheit zwischen den Industriemetropolen und den Peripherien (auch international: entwickelte Länder versus Entwicklungsländer) erzwungen wird. Die meisten Befreiungstheologen bevorzugen die Dependenztheorie.

Gruß
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Wie begründet die Befreiungstheologie theologisch diese Haltung? Der Sozialismus sieht in der Veränderung der äußeren Lebensumstände die Chance zur Erlösung der Menschen aus der Entfremdung, in der er lebt. Auch die Bibel sieht den Menschen vom göttlichen Urbild entfremdet, denn sein Trachten ist böse von Jugend auf (1. Mose 8,21), während sein göttliches Vorbild gut ist. Doch die Erlösung aus dieser Entfremdung geschieht nicht durch die Veränderung der Welt. Wenn Menschen ohne Erlösung ins Paradies kämen, würden sie es nicht als Paradies wahrnehmen.
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Sempre
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Sempre »

Pilgerer hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Ist das Eintreten für staatliche Armenfürsorge - wenn es von Katholiken erfolgt - eher im Sinn der Soziallehre oder im Sinn der Befreiungstheologie? Die Soziallehre kann u.U. eine staatliche Sozialpolitik begründen und hat es in der Vergangenheit tatsächlich getan. Wie wäre hier die Position der Befreiungstheologie im Vergleich zur katholischen Soziallehre?
Die Befreiungstheologie propagiert einen basisdemokratischen, genossenschaftlichen Sozialismus, in dem wirtschaftliche Chancengleichheit zwischen den Industriemetropolen und den Peripherien (auch international: entwickelte Länder versus Entwicklungsländer) erzwungen wird. Die meisten Befreiungstheologen bevorzugen die Dependenztheorie.
Wie begründet die Befreiungstheologie theologisch diese Haltung?
Christus hat die Unterdrücker verschumpfen und sich an die Armen gewandt.

Zuersteinmal muss die Hierarchie der Kirche beseitigt werden. Stattdessen befreiende Pastoralpraxis und prophetische Predigt. Das Konzept von Kirche ist ein diametral anderes. Sind die Voraussetzungen geschaffen, dann entsteht eine aus dem Volk selbst kommende Theologie, die der tiefen Sehnsucht des Volkes Gottes entspringt und entspricht, und die die Präferenz für die Armen und damit Kirche erst eigentlich verwirklicht. Immer geht es darum, die Armen aus ihrer Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien. Um das zu erreichen, errichtet man kirchliche Basisgemeinden und intellektuelle Zentren. In ersteren wachsen Propheten von selbst, in letzteren studiert man Zucht und Hege. Ein Prophet ist einer, der vorhat, Kirchenfürsten* und Kapitalisten vom Thron zu stürzen, und der die Solidarität der einfachen Landbevölkerung im Credo bekennt. ( *Jeans- und T-Shirt-Bischöfe ausgenommen.)

Aber ich kann das gar nicht so schön formulieren wie die Fans der Befreiungstheologie:
Quelle hat geschrieben:[Die Befreiungstheologie] setzt das Reich Gottes als Prinzip, das Menschen gemeinsam leben können, und beleuchtet davon ausgehend wirtschaftliche, politische und historische Strukturen, wie den Kapitalismus, und bedenkt Alternativen. Als Gegensatz und Feindbild sieht die Theologie der Befreiung nicht die Atheisten, sondern Christen, die unter dem Deckmantel der Religion Geld und Macht zu ihren Götzen machen. Sie betont, dass es in der christlichen Erlösungsbotschaft nicht primär um die Vergebung individueller Sünden geht, sondern vielmehr um die Befreiung von strukturell verankerten Sünden wie Unterdrückung und Straflosigkeit. Deswegen liegt ihr Fokus nicht auf der moralischen Bewertung individueller Sünden (wie etwa Ehebruch, Diebstahl, Prostitution). Stattdessen hinterfragt sie die politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die dahinter stehen und den Menschen zu seinen Taten veranlassen. Von dieser strukturellen Sünde gilt es die lateinamerikanischen Völker zu befreien und dazu ist auch eine eingehende gesellschaftswissenschaftliche Analyse notwendig.
Pilgerer hat geschrieben:Der Sozialismus sieht in der Veränderung der äußeren Lebensumstände die Chance zur Erlösung der Menschen aus der Entfremdung, in der er lebt. Auch die Bibel sieht den Menschen vom göttlichen Urbild entfremdet, denn sein Trachten ist böse von Jugend auf (1. Mose 8,21), während sein göttliches Vorbild gut ist. Doch die Erlösung aus dieser Entfremdung geschieht nicht durch die Veränderung der Welt.
Das ist die Theologie der Unterdrückung der Klerikalfaschisten, die die Menschen zum Werkzeug der Selbsterhaltung des Klerus macht anstatt die Kirche in ein Werkzeug der Befreiung der Armen und zur Erhaltung der Schöpfung zu transformieren. :blinker:


Bild
Eure Theologie hilft der Transformation Lateinamerikas mehr als Millionen von Büchern über Marxismus (Fidel Castro zu Leonardo Boff und Frei Betto in Anwesenheit des Bischofs Pedro Casaldáliga CMF, der diesen Satz bewundernd in seinem Buch Nicaragua, combate y profecía, Madrid, Ayudo, 1986, S. 134 wiedergibt.)
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Pit
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pit »

Peregrin hat geschrieben: ...
Was hatte Che Guevara davon? Manche Leute lieben halt einfach den Krawall, irgendwas kaputtzumachen gibt ihnen ein erhebendes Gefühl.
Peregrin, ich tippe einfach mal, Du hast Dich nie intensiver mit Ernesto Guevara de la Serna befasst!
Oder doch?
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Pilgerer
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

[Die Befreiungstheologie] setzt das Reich Gottes als Prinzip, das Menschen gemeinsam leben können, und beleuchtet davon ausgehend wirtschaftliche, politische und historische Strukturen, wie den Kapitalismus, und bedenkt Alternativen. Als Gegensatz und Feindbild sieht die Theologie der Befreiung nicht die Atheisten, sondern Christen, die unter dem Deckmantel der Religion Geld und Macht zu ihren Götzen machen.
Wie will die Befreiungstheologie das Problem lösen, dass manche Christen Geld und Macht vergötzen? Dieses Problem besteht ja tatsächlich bei einzelnen Christen, die sich von Geld und Macht mehr abhängig machen als von Gott. Die Vergötzung von Geld ist jedoch kein alleiniges Problem von Reichen, sondern findet in gleicher, oftmals sogar stärkerer Form, bei Armen und Mittelschichtlern statt. Ich weiß nicht, ob dies allein dadurch gelöst wird, dass der Götze "Geld" (oder "Kapital") umverteilt wird.
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ChrisCross
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von ChrisCross »

Pilgerer hat geschrieben:
[Die Befreiungstheologie] setzt das Reich Gottes als Prinzip, das Menschen gemeinsam leben können, und beleuchtet davon ausgehend wirtschaftliche, politische und historische Strukturen, wie den Kapitalismus, und bedenkt Alternativen. Als Gegensatz und Feindbild sieht die Theologie der Befreiung nicht die Atheisten, sondern Christen, die unter dem Deckmantel der Religion Geld und Macht zu ihren Götzen machen.
Wie will die Befreiungstheologie das Problem lösen, dass manche Christen Geld und Macht vergötzen? Dieses Problem besteht ja tatsächlich bei einzelnen Christen, die sich von Geld und Macht mehr abhängig machen als von Gott. Die Vergötzung von Geld ist jedoch kein alleiniges Problem von Reichen, sondern findet in gleicher, oftmals sogar stärkerer Form, bei Armen und Mittelschichtlern statt. Ich weiß nicht, ob dies allein dadurch gelöst wird, dass der Götze "Geld" (oder "Kapital") umverteilt wird.
Vor allem braucht man zur Lösung dieses Problems keine neue Theologie. Das ganze löst sich auch schon nach einer guten Lektüre der Heiligen Schrift oder des Katechismus.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

ad_hoc
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von ad_hoc »

Pit hat geschrieben:
Peregrin hat geschrieben: ...
Was hatte Che Guevara davon? Manche Leute lieben halt einfach den Krawall, irgendwas kaputtzumachen gibt ihnen ein erhebendes Gefühl.
Peregrin, ich tippe einfach mal, Du hast Dich nie intensiver mit Ernesto Guevara de la Serna befasst!
Oder doch?
Ja Pit, was wäre denn stattdessen von Peregrino zu lesen gewesen, hätte er sich nach Deinem Verständnis intensiver mit "Che" befasst?

Gruß, ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

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Sempre
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Sempre »

Pilgerer hat geschrieben:
[Die Befreiungstheologie] setzt das Reich Gottes als Prinzip, das Menschen gemeinsam leben können, und beleuchtet davon ausgehend wirtschaftliche, politische und historische Strukturen, wie den Kapitalismus, und bedenkt Alternativen. Als Gegensatz und Feindbild sieht die Theologie der Befreiung nicht die Atheisten, sondern Christen, die unter dem Deckmantel der Religion Geld und Macht zu ihren Götzen machen.
Wie will die Befreiungstheologie das Problem lösen, dass manche Christen Geld und Macht vergötzen?
Politisch. Durch Sozialismus.

Pilgerer hat geschrieben:Dieses Problem besteht ja tatsächlich bei einzelnen Christen, die sich von Geld und Macht mehr abhängig machen als von Gott. Die Vergötzung von Geld ist jedoch kein alleiniges Problem von Reichen, sondern findet in gleicher, oftmals sogar stärkerer Form, bei Armen und Mittelschichtlern statt. Ich weiß nicht, ob dies allein dadurch gelöst wird, dass der Götze "Geld" (oder "Kapital") umverteilt wird.
Doch Du weißt es ja. Du weißt, dass keine Ideologie, keine Genitiv-Theologie (Theologie des ... , Theologie der ... ) uns Menschen erlöst, sondern nur Christus durch seine Kirche. Die Genitiv-Theologen hingegen suchen nach Selbsterlösung, suchen nach Heil in dieser Welt, nach Heil im Tal der Tränen. Der Oberbegriff für ihre Theologien mag lauten Theologie der Welt, Theologie des Jammertals oder Theologie des Menschen, alles jeweils ein Widerspruch in sich.

Gruß
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Pilgerer
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

Politisch. Durch Sozialismus.
Durch demokratischen Reform-Sozialismus (klassische Sozialdemokratie) oder durch den totalitären Sozialismus?
Ist es denkbar, dass Christen (insbesondere katholische Christen) für sozialistische Ideen eintreten, ohne Befreiungstheologen zu sein?
Doch Du weißt es ja. Du weißt, dass keine Ideologie, keine Genitiv-Theologie (Theologie des ... , Theologie der ... ) uns Menschen erlöst, sondern nur Christus durch seine Kirche. Die Genitiv-Theologen hingegen suchen nach Selbsterlösung, suchen nach Heil in dieser Welt, nach Heil im Tal der Tränen. Der Oberbegriff für ihre Theologien mag lauten Theologie der Welt, Theologie des Jammertals oder Theologie des Menschen, alles jeweils ein Widerspruch in sich.
Das ist eine Theologie, wo Gott tatsächlich nur noch Zuschauer ist. Doch gibt es in der Geschichte unter anderen Vorzeichen weitere Parallelen, wo eine weltliche Ideologie sich christlicher Worte zunutze machte. Gott steht meiner Ansicht nach in weltlichen Kategorien weder links noch rechts noch in der Mitte, sondern für himmlische Werte, die das endliche Denken der Menschen sprengen.
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JuliaVictoria
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Befreiungstheologie unvereinbar mit kath. Glauben?

Beitrag von JuliaVictoria »

Ich bin Sympathisantin der Befreiungstheologie und habe über dieses Thema in den letzten Monaten diverse Diskussionen mit anderen katholischen Christen geführt. Dabei wurde häufig der Vorwurf erhoben, dass die Befreiungstheologie nicht mit dem katholischen Glauben zu vereinbaren sei, aufgrund ihrer ideologischen Nähe zum Marxismus und dass "alle Befreiungstheologen exkommunziert werden sollten". Dem Vorwurf der ideologischen Nähe zum Marxismus kann ich persönlich überhaupt nicht zustimmen, denn jeder, der sich sowohl mit der Befreiungstheologie als auch mit der Theorie des Marxismus ein wenig auskennt, muss doch erkennen, dass es vielleicht gemeinsame Forderungen gibt, aber die Grundlagen und Hintergründe ihrer Forderungen gänzlich unterschiedlich sind.
Mich würde interessieren wie ihr zu diesem Thema steht, ob ihr den Vorwurf der Unvereinbarkeit vielleicht sogar teilt und wenn ja, warum?

(Ich spreche von einer Befreiungstheologie "a la" Gustavo Gutierrez)
"Die Kirche würde die Liebe zu Gott und ihre Treue zum Evangelium verraten, wenn sie aufhörte, die Stimme derer zu sein, die keine Stimme haben."
(Erzbischof Óscar Romero)

Katholik43
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Re: Befreiungstheologie unvereinbar mit kath. Glauben?

Beitrag von Katholik43 »

Gelobt sei Jesus Christus!

Liebe Julia Victoria,

vielleicht hilft Dir dieses Interview mit dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, einem anerkannten Dogmatikprofessor, weiter: http://gloria.tv/?media=1354

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JuliaVictoria
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von JuliaVictoria »

Vielen Dank! :-)
"Die Kirche würde die Liebe zu Gott und ihre Treue zum Evangelium verraten, wenn sie aufhörte, die Stimme derer zu sein, die keine Stimme haben."
(Erzbischof Óscar Romero)

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Sempre
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Sempre »

Bild
Die Kurie von Olinda und Recife: Dom Fernando Saburido, begleitet von diversen Klerikern, beim grito dos excluídos 2010.
CNBB, Nationale Bischofskonferenz von Brasilien hat geschrieben:Memória de profetas no mês vocacional
Dom Antônio Fernando Saburido, OSB
Arcebispo de Olinda e Recife – PE
[...] Neste mês de agosto, nós brasileiros, recordamos dois pastores que marcaram muito a caminhada de nossa Igreja nos últimos séculos e foram verdadeiros profetas do amor evangélico.

Dom Helder Pessoa Camara, arcebispo de Olinda e Recife (PE) e dom Luciano Mendes de Almeida, arcebispo de Mariana (MG) e ex-presidente da CNBB. Ambos partiram para a casa do Pai no dia 27 de agosto. O primeiro em 1999 e o segundo em 2006.

A missão de uma pessoa religiosa é ser testemunha da presença divina no mundo e atuar para que a sociedade se transforme de acordo com o projeto divino que é de paz e justiça para todos. Quando por vários motivos, quem crê em Deus está sentindo dificuldade de ser para a humanidade sinal de esperança, é bom recordar como esta profecia foi forte em homens como dom Helder e dom Luciano, que, cada qual em sua área de atuação e do seu modo, conduziram a Igreja do Brasil pelo caminho da profecia.

Para crentes e não crentes é urgente recordar alguns elementos da profecia que, de uma forma ou de outra, estes dois profetas nos deixaram:

1º – Qualquer ser humano só pode ser verdadeiramente feliz no dia em que o mundo for um só e justo para todos.

Durante toda a sua vida, dom Helder viveu e lutou por isso. Dom Luciano foi o grande promotor da Pastoral do Menor e com o apoio de dom Paulo Evaristo, cardeal Arns, animou em São Paulo um vicariato especial para os sofredores de rua.

2 – O apelo a nos constituirmos como “minorias abraâmicas”.

Dom Helder chamava minorias abraâmicas os grupos pequenos que se reúnem e atuam no mundo como fecundos fermentos de uma humanidade nova.

3 – O compromisso com a Paz e a Não violência.

A transformação do mundo começa pelo nosso compromisso com a Paz e através de um método de vida que elimine qualquer violência que existe em nossa forma de ser e de agir.

[...]
Gedächtnis der Propheten im Monat der Berufungen
Dom Antônio Fernando Saburido, OSB
Erzbischof von Olinda und Recife – PE
[...] In diesem Monat August erinnern wir Brasilianer uns an zwei Hirten, die den Weg unserer Kirche in den vergangenen Jahrhunderten [sic] stark gekennzeichnet haben und wahre Propheten der evangelischen Liebe waren.

Dom Helder Pessoa Camara, Erzbischof von Olinda und Recife (PE) und Dom Luciano Mendes de Almeida, Erzbischof von Mariana (MG) und Ex-Vorsitzender der CNBB. Beide brachen auf zum Haus des Vaters am 27 August. Der erste 1999 und der zweite 2006.

Die Mission einer religiösen Person besteht darin, Zeugnis der göttlichen Anwesenheit in der Welt zu sein und zu dem Zweck zu Handeln, dass sich die Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem göttlichen Projekt transformiert, das Friede und Gerechtigkeit für alle bedeutet. Wenn jemand, der an Gott glaubt, aus verschiedenerlei Motiven Schwierigkeiten empfindet, für die Menschheit ein Signal der Hoffnung zu sein, dann ist es gut zu erinnern, wie diese Prophezeiung stark in Männern wie Dom Helder und Dom Luciano war, die jeder in seinem Bereich auf seine Weise die Kirche Brasiliens auf den Weg der Prophezeiung gebracht haben.

Es ist dringend, dass sich Gläubige und Ungläubige an einige Elemente der Prophezeiung erinnern, die diese beiden Propheten uns auf die eine oder andere Art und Weise hinterlassen haben:

1. - Jegliches menschliche Wesen kann erst an dem Tag wahrhaft glücklich sein, an dem die Welt Eine ist und gerecht für alle.

Während seines gesamten Lebens lebte und kämpfte Dom Helder dafür. Dom Luciano war der große Anwalt der Pastoral der Minderjährigen und mit der Unterstützung von Dom Paulo Evaristo Kardinal Arns belebte er in São Paulo ein spezielles Vikariat für die Leidenden der Straße.

2 – Der Apell, dass wir uns als “abrahamische Minderheiten” konstituieren.

Dom Helder nannte die kleinen Gruppen abrahamische Minderheiten, die sich versammeln und in der Welt als fruchtbare Hefe einer neuen Menschheit agieren.

3 – Die Verpflichtung zum Frieden und zur Gewaltlosigkeit.

Die Transformation der Welt beginnt mit unserer Verpflichtung zum Frieden mittels einer Lebensmethode, die jegliche Gewalt in unserer Art zu sein und zu handeln eliminiert.

[...]
Das sind sie, die Befreier: Pazifisten, die glauben, das Jammertal in ein Himmelreich transformieren zu sollen und zu können. Auf die Idee, dass Glaube, Hoffnung und Liebe wahrhaft glücklich machen, dass ein Mensch Ungerechtigkeit zur größeren Ehre Gottes geduldig ertragen könnte, kommen sie gar nicht.
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pilgerer »

Können katholische Christen politisch mitte-links (z.B. Sozialdemokratie) orientiert sein, ohne der Befreiungstheologie nahe zu stehen?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Linus
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Linus »

Können kleine Singvögel Katzen lieben, ohne von diesen gefressen zu werden?
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holzi
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von holzi »

Linus hat geschrieben:Können kleine Singvögel Katzen lieben, ohne von diesen gefressen zu werden?
Ja, aber sie sollten sich nicht drauf verlassen, daß es gut geht:
http://www.youtube.com/v/jHMDs6stUsw?version=3&hl=de_DE

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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von HeGe »

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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von HeGe »

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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von HeGe »

Daraus:
[...] Aber die zentrale Aussage, die bevorzugte Option für die Armen, die 90 Prozent der Befreiungstheologie ausmacht, ist heute Teil der Aussagen der katholischen Kirche etwa in Lateinamerika. [...]

[...] Aus Sicht von Gutierrez hat sich die Theologie der Befreiung auch entwickelt. [...] Theologie käme erst an zweiter Stelle, was sie zwar nicht zweitrangig mache, aber die Dinge in Perspektive rücke. An erster Stelle stehe das Christsein, dann erst die Theologie, auch für ihn persönlich. [...]
Da die großen Konflikte mit der Befreiungstheologie etwas vor meiner Zeit waren, habe ich mich eigentlich nur oberflächlich mit diesem Thema befasst. Wikipedia-Wissen, sozusagen. Mein Eindruck ist, dass die Befreiungstheologie ihre politischen Ambitionen etwas verloren hat, dass die Vertreter der Kirche dafür heute umgekehrt selber mehr auf die sozial-politischen Botschaften der Kirche eingehen. Beide Seiten haben sich also wohl aufeinander zubewegt. Wenn es tatsächlich so ist, dass für die Vertreter der Befreiungstheologie heute das persönliche Handeln Vorrang hat vor theologischen oder politischen Ambitionen, kann ich das nur begrüßen. Große Politik ist nicht die Aufgabe der Kirche, die Menschen auf den Weg Christi zu führen, schon. Wenn letzteres auch politische Änderungen nach sich zieht, ist das begrüßenswert, aber ein Himmelreich auf Erden wird es trotz allem vermutlich nie geben.
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overkott
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von overkott »

Befreiungstheologie als Weihwasser für eine politische Ideologie ist sicher am Ende.

Isidor_von_Sevilla
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Isidor_von_Sevilla »

HeGe hat geschrieben:
Das iss doch 'nen Spezi vom GeLuMü! :panisch:
Es gibt auch solche, die wohl die Sprache verehren, nicht aber DAS WORT anbeten!

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Pit
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pit »

HeGE,so wie ich es sehe haben sich die Vertreter der Befreiungstheologie eine Art Umsetzung einer kommunistischen Kirche sahen,zurückgezogen,während "Rom" sich deutlich vorwärts bewegt hat in Richtung einer Akzeptanz der eigentlichen Ziele der ursprünglichen Befreiungstheologie.
carpe diem - Nutze den Tag !

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Pit
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von Pit »

Pilgerer hat geschrieben:Können katholische Christen politisch mitte-links (z.B. Sozialdemokratie) orientiert sein, ohne der Befreiungstheologie nahe zu stehen?
Ja!
Man sollte nicht den Fehler machen und z.B. die Gleichung "sozialdemokratisch=befreiungstheologisch"
aufzustellen.
andere Frage:
Kann man sich als Katholik mit der Lage der Armen in Latein-/Südamerika und der Lösung ihrer Probleme befassen ohne die Ideen der Befreiungstheologie mit zu bedenken/-zu beachten?
Ich denke,dass es nicht möglich ist.
carpe diem - Nutze den Tag !

CIC_Fan

Re: Befreiungstheologie

Beitrag von CIC_Fan »

und der gute Mann hat unrecht Em Ratzinger wurde nach der ersten Instruktion zum thema sofort zurückgepfiffen und die zweite Instruktion hat die erste extrem relativiert

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overkott
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von overkott »

Von der Genesis der lateinamerikanischen Befreiungstheologie her, war Befreiungstheologie ein Ansatz, mit Intellektuellen ins Gespräch zu kommen, die unter dem Eindruck einer unterentwickelten Mittelschicht für politischen Extremismus anfällig und bereit waren, politische Reformen mit Gewalt durchzusetzen. Die Gewaltbereitschaft kam nicht von ungefähr, da die demokratisch nicht legitimierte Oberschicht selbst ihre Herrschaft auf Gewalt stützte. Mutig stellte sich der salvadorianische Bischof Oskar Romero zwischen die Fronten vor die Armen und wurde vor dem Altar 1980 erschossen. Sein Martyrium beeindruckte viele Theologiestudenten zu Beginn der 80-er Jahre sehr. Er war jedoch nur eines der ersten Opfer eines blutigen Jahrzehnts, in dem in El Salvador ein Bürgerkrieg tobte. In Mitten dieser Gewaltexzesse versuchte die Kirche der Befreiungstheologie die radikale Spitze zu nehmen. Damals war eine Seligsprechung des Märtyrerbischofs noch nicht denkbar. Noch im März dieses Jahres schien es der Schweizer Kirchenpresse, als würde der Seligsprechungsprozess langsam voran gehen. Während Buchautoren in peinlicher Hysterie die Bekehrung des Papstes vom Reaktionär zum Revolutionär behaupten, versuchten die Schweizer im Hinblick auf Romero den Ball flach zu halten und zitierten einen römischen Historiker, der die strafrechtliche Verfolgung der Mörder nicht befeuern wollte. Die aktuelle Seligsprechung vor Pfingsten kam dann im Vergleich zu Pressemitteilungen im März vergleichsweise schnell. Beifall dafür kam weniger von politischer Seite, als von kirchlicher. Befreiungstheologie hat seit dem Demokratisierungsprozess im Land des Erlösers in den 90-er Jahren neue Rahmenbedingungen gefunden.

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incarnata
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von incarnata »

Die katholische Soziallehre des Endes des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Antwort der Kirche auf die damals herrschenden
menschenverachtenden Verhältnisse des Frühkapitalismus ;die Befreiungstheologie ist die auf die entsprechenden Lebens-und Wirtschafts Verhältnisse im Südamerika der 80ger Jahre. Die Unterscheidung der Geister zeigt den Unterschied zu den "Lösungswegen" des Kommunismus auf: kirchliche Soziallehre will nicht alle gleichmachen sondern jedem zu dem verhelfen,was ihm als geliebtes Kind Gottes zusteht:insbesondere zu seiner Würde.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)

CIC_Fan

Re: Befreiungstheologie

Beitrag von CIC_Fan »

jetzt überleg mal kurz wie solche aussagen irgendwo im tiefsten südamerika ankommen ich mein nur das kann genau so wenig die Antwort sein wie eine marxistische Gesellschaftslehre

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overkott
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Re: Befreiungstheologie

Beitrag von overkott »

Wesentliche sozialphilosophische Schriften zum Liberalismus und Sozialismus lagen bereits vor, als die Kirche rückschauend auf ein Jahrhundert der industriellen Revolution in einem päpstlichen Rundschreiben mit der Ausformulierung einer christlichen Soziallehre Resümee zog.

Die grundlegenden sozialtheologischen und -philosophischen Gedanken der christliche Soziallehre liegen jedoch schon früher vor, haben in der Bibel ihren Ursprung und finden sich in der Theologiegeschichte verstreut. Lange vor der modernen christlichen Soziallehre haben sie Kirche, Gesellschaft und Staat mitgeprägt, wobei die Armenpflege durch die Klöster einen wesentlichen Teil der vormodernen Sozialpolitik ausmachte.

Auch die staatliche Sozialpolitik geht der modernen christlichen Soziallehre voraus und beginnt mit Ansätzen eines sozialen Rechtsstaats durch die gesetzliche Regelung der Kinderarbeit, durch Mutterschutz, Arbeitszeitregelungen und findet mit dem Aufbau eines umfangreichen Sozialversicherungswesens ihren Höhepunkt und vorläufigen Abschluss noch vor dem ersten päpstlichen Rundbrief zum Thema.

Dieser geht weniger von einer Analyse der Wirklichkeit aus, der tatsächlichen Verteilung von Kapital und Arbeit, von Boden und Lohn, sondern setzt sich zunächst mit den gängigen theoretischen Ansätzen auseinander, um einen christlichen Mittelweg zu formulieren.

Natürlich impliziert die christliche Soziallehre auch eine Staatslehre. Nach 2000 Jahren Geschichte und enger Verknüpfung mit der alten Ordnung ist dabei die Festlegung auf die Demokratie keineswegs so positiv, wie dies aus moderner Sicht wünschenswert wäre. Erst nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und des 2. Weltkrieges öffnet sich die Kirche für das Frieden stiftende Anliegen der Demokratie langsam, das ihrem eigenen im Prinzip entspricht.

Die theologische Fundierung durch die Bibel bleibt jedoch unzureichend, wenn der Vorsitzende der Bischofskonferenz noch vor 30 Jahren der Meinung war: "Dem Lebensgefühl und der Denkweise des modernen Menschen scheint die Demokratie am besten zu entsprechen... Es wäre allerdings verhängnisvoll, das demokratische Prinzip... zu einem utopischen, pseudo-religiösen Messianismus zu verfälschen." Immerhin lehnte er einen "verstockten, rechtsorientierten Konservatismus" ab, "da die politische Freiheit in der katholischen Soziallehre einen überraschend breiten Raum einnimmt", was sich insbesondere in den Lehren der Volkssouveränität und der Repräsentation zeige. "Die theokratische Deutung des Staates widerspricht der Schrift."

Die Ablehnung der Theokratie ist also keine befreiungstheologische Idee. Allerdings hapert es der Kirche als letzte Theokratie in Europa bei aller staatskirchenrechtlichen Verquickung an staatlicher Eigenreflexion.

Von daher gibt es immerhin noch jede Menge theologischen Forschungsbedarf, wie man eine Modernisierung der Kirche biblisch begründen kann.

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