Stefan hat geschrieben:Wie bewertet ihr das Phänomen Therese Neumann? Hat sich einmal jemand damit beschäftigt? Was sagen (angehende) Ärzte dazu?
Bin kein Mediziner, hab einiges über sie gelesen. Das "medizinisch Relevanteste" an ihr ist neben den (nicht ganz so gut belegten) wundersamen Heilungen vermutlich das Gutachten über die Nahrungslosigkeit für das Regensburger Ordinariat 1927 (siehe
http://www.therese-neumann.net/Gerlich_komplett.pdf Seite 72ff); dieses Gutachten besagt, dass diese Frau während einer lückenlosen 24-Stunden-Observierung in einem Zeitraum von 2 Wochen ohne Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit im Wochenrhythmus durch Absonderung von Schweiß, Blut u.ä. - vor allem während ihrer Passions-Ekstasen - abnahm und dann wieder zunahm, auf Dauer ihr (relativ hohes) Normalgewicht haltend. Die Änderungen im Gewicht bewegten sich mit ca. 3 kg deutlich oberhalb von "Messungenauigkeiten" und sind somit, wenn das Gutachten korrekt durchgeführt wurde, naturwissenschaftlich unerklärbar - es scheint sich in ihrem Körper immer wieder Materie "nachgebildet" zu haben, die sie dann ausschwitzen/bluten/... konnte. Das Gutachten hat m.E. keine relevanten Schwächen, und die Angriffe dagegen sind ziemlich zahnlos - vor allem weil sie auf das zentrale Thema der Untersuchung, die Nahrungslosigkeit, nicht eingehen (siehe
http://www.indian-skeptic.org/html/hanauer/werk10.htm).
Dies wird unterstützt durch zahlreiche Zeugenaussagen, denen zufolge sie über 30 Jahre lang ohne Nahrung lebte.
Ich halte Therese Neumann für "echt" - Wunderheilungen, Stigmata und andere Sühneleiden, Visionen und das Wunder der Nahrungslosigkeit. Offizielle kirchliche Stellungnahmen zu Anerkennung oder Verurteilung gibts m.W. nach wie vor nicht.
Freilich gibts da auch heftige Gegner. Der Hauptkritiker, Josef Hanauer, hat eine Menge Gegenargumente vorgetragen, von denen nicht alle durch die Befürworter beantwortet wurden. Das Hauptgegenargument lautet: Therese Neumann war nachgewiesenermaßen ein schwerer Fall von Hysterie (hysterische Neurose), und all ihre Wunden, Visionen usw. waren Folgen dieser Hysterie. Allerdings scheinen mir diese Gegenargumente nicht spezifisch auf den Fall Konnersreuth zu zielen, sondern drücken seine generelle Ablehnung von (auch kirchlich anerkannten) derartigen Erscheinungen aus - er lehnt z.B. auch den Hl. Padre Pio und Fatima ab, wohl mit ähnlichen Argumenten - und sind daher m.E. aus katholischer Sicht nicht besonders tragfähig. Das Argument der "Hysterie" ist seitens agnostischer Mediziner eine effektive Methode, um unerklärbare Wunden und Ekstasen (und irgendwann dann auch den Glauben an sich?) zu erklären - denn irgendwie müssen sie ja erklärt werden... Freilich ist ein fachärztliches Gutachten auch nicht einfach wegzuwischen, aber man muss eben den ganzen Fall betrachten und nicht nur einzelne Aspekte, wie das ein Fachmediziner vermutlich tun muss.
Aus katholischer Sicht ist freilich auch Besessenheit als Ursache für die beobachteten Wirkungen denkbar. (Dass Hanauer diese Möglichkeit nie ernsthaft prüft - in Kapitel 8 von "Konnersreuth als Testfall" belustigt er sich geradezu über den Gedanken dieser Möglichkeit -, zeigt mir, wie wenig er ein solches Thema aus Sicht des Glaubens angeht...) Immerhin gibt es wenigstens einen historischen Präzedenzfall einer scheinbar hoch begnadeten Stigmatisierten, die in Wahrheit besessen war. Das muss wohl eine kirchliche Prüfung entscheiden. Allerdings liegt Therese Neumann in meinem eigenen "pseudostatistischen Vergleich von Merkmalen Besessener und stigmatisierter Heiliger" sehr weit auf der Seite der Heiligen. Deswegen halte ich sie ja für "echt".
Grüße,
Georg